DAS AUTOBEGRÄBNIS

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DAS AUTOBEGRÄBNIS

 

Wir graben mit Sanyi schon seit etwa zwei Tagen. Und das obwohl ich diese Arbeit hasse. Aber Sanyi geht es damit auch nicht anders. Dieser Platz, wo uns der Chef vor mehr als zwei Wochen hingebracht hat, ist einfach nirgends. Ich kann einfach nicht sagen wo das ist. Er befindet sich sicher nicht in Pest, denn auf der Hinfahrt sah ich die durchgestrichene Budapest-Tafel, was bedeutet, dass wir die Stadt verlassen haben. Aber wir befinden uns sowieso nicht auf der pester Seite, und wir sind auch nicht in Buda. Rundherum sehe ich irgendwelche Berge, aber es gibt da kein Dorf in der Nähe. Häuser gibt es hier und da zerstreut in dieser ebenen, etwas hügeligen Landschaft. Der Chef sagte, dass wir nur für ein paar Tage kämen, zweimal schlafen, behauptete er, aber wir sind schon seit fast zwei Wochen hier. Er kaufte diesen kahlen Hang vor kurzem, und sagte, dass wir etwas Ordnung machen sollten. Na gut, das machen wir auch, es gibt hier ein kleines Holzhaus, das die Jungs bei der Belagerungsaktion nicht angezündet haben, dort schlafen wir, der Sanyi und ich.

Was für Belagerung? Ach nichts Besonderes. Das hier war eine Art Rentnersiedlung, mit Wochenendhäuschen, Obstbäumen, kleinen Schnapsbrennereien und Planschbecken für die Enkeln. Als der Chef sich diesen Ort ins Auge fasste, dass hier endlich was entstehen sollte, haute die Hälfte von selber ab und nahm den Kaufpreis an. Aber nicht so die anderen alten Deppen. Sie leisteten Wiederstand. Protestierten. Dann kamen die Jungs am Montag und zündeten ein paar Schuppen an. Zum Glück musste ich nicht mitmachen, ich mag solche Aufträge nicht, und ich bin mir gar nicht sicher, dass wir Recht haben. Und Gerechtigkeit ist eine Leidenschaft von mir. Am darauf folgenden Wochenende gingen sie dann herum und boten den halben Preis für die abgebrannten Grundstücke, aber auch für die anderen. Dann leistete nur mehr eine Familie Wiederstand, der Chef, der nicht aufdringlich ist, ließ sie in Ruhe. Sollen sie doch bleiben. Noch immer verschandeln bei ungefähr ein Drittel des Grundstückes ein Zaun und ein Häuschen die Gegend, wo sich dieser alte Affe mit seiner Frau verschanzt hat. Es kann sogar sein, dass sie ein Luftgewehr haben. Sie denken doch nicht, dass wir ihnen was antun würden. Aber sie spielen umsonst den starken Mann. Wenn nicht, dann eben nicht. Später wird ihr Grundstück sowieso nichts mehr wert sein, behauptet der Chef, aber das ist jetzt ihr Problem.

Es könnte sein, dass später Maschinen kommen. Maschinen. Bald. Derweil sind wir hier, der Sanyi und ich. Zuerst mussten wir die inneren Zäune abreißen. Auf unserem Grund wird es keine Straße mehr geben, nur von der Waldseite führt die restliche Straße bis zum Grundstück der Alten. Eine Straße mit einer einzigen Hausnummer. Bis zu dieser Stelle ist alles mit Zäunen abgesperrt. Sie sind frei. Wir umzäunen uns mit Stacheldraht. Im kleinen Haus haben Sanyi und ich genug Platz. Eigentlich war von zwei Nächten die Rede, aber wen kümmerts, sollens doch 22 werden. Wir bekamen sehr viele Konserven. Und abgelaufenes Dosenbier, massenweise. Aber es ist ein Blödsinn, dass es abgelaufen ist, es schmeckt genau so, wie jedes andere Dosenbier. Scheiße. Bitter. Ich trinks, denn jeder trinkt das. Wir müssen die Bäume fällen, die restlichen Häuser abreißen und alles verbrennen was nur möglich. Das ist aber Blödsinn. Jetzt ist Blütezeit. Ich habe geweint. Der Baum auch. Ich rief am Nachmittag den Chef auf seinem Handy an, dass wir warten sollten bis sie verblühen, das wäre humaner. Er kam am Abend, fluchte, sagte aber, dass wir auch etwas anderes machen können wenn wir genug von dieser Arbeit haben. Sonst war er zufrieden, dass wir so gut vorangekommen sind. Das Haus der Alten steht auf einem kleinen Hügel, auch die Straße führte daran vorbei, er sagte, da, gleich neben der unbrauchbaren Grundstücksgrenze, stellt er sich eine riesen Grube vor. Nicht tief, nur breit, der Grund soll auf der Höhe des unteren Grundstückteiles sein. Du, Baumfällen wäre besser gewesen, sagte der Sanyi, als der Chef wegging, aber er war nicht böse. Jede Arbeit ist gleich.

Also haben wir am Abend dort das Gras angezündet, sorgten aber dafür, dass das Feuer nicht auf das Grundstück der Alten übergreifen konnte, aber mir schien, als ob der Alte aus dem Fenster trotzdem zweimal auf uns geschossen hätte. Am Abend habe ich ein kleines Stück Blei aus meinen Haaren gefegt. Wir haben mit Sanyi gut darüber gelacht wie schwach die Alten sind. Weiß Gott warum, der Alte wurde mir irgendwie sympathisch nach diesem Volltreffer. In der Nacht träumte ich von meinem Großvater, dabei dachte ich, dass ich sein Gesicht schon längst vergessen hätte. Aber doch nicht. Er war da, ich erkannte ihn ganz deutlich. Und jetzt wohnte er in diesem fremden Haus, inmitten unseres Grundstückes, jetzt nicht mehr mit meiner Oma, sondern mit einer anderen alten Frau, aber ich habe mich auch so sehr über ihn gefreut.

In der Früh stehe ich auf und sage zum Sanyi, dass ich zu den Alten gehe. Worauf der Sanyi, nein verdammt noch mal, der Chef hat das verboten.

            Was?

            Dass wir ihnen was antun.

            Aber, ich will ihnen nichts tun. Dazu ist meine Hand auch schon viel zu zittrig. Ich bringe ihnen einen Karton Bier, dass sie uns nicht böse sein sollen.

            Wen kümmerts ob sie böse sind, fragte der Sanyi, aber das war unnötig, denn er musste ahnen, dass mich das aus irgendeinem Grund interessierte. Aber von meinem Traum hätte ich ihm nur ungern erzählt.

            Sie wohnten gar nicht so nahe wie ich dachte. Zwar konnte ich ihr Haus sehen, wenn ich mich vor unserem Haus auf eine Holzkiste setzte, aber es war ziemlich schwer zu ihnen zu kommen. Wir stellten das Tor dort auf, wo vor einer Woche noch eine erdige Straße von einer Schotterstraße abzweigte, nur dort konnte ich raus, aber zu ihnen führte die Straße auf der anderen Seite, die noch übrig geblieben ist und aus dem Wald kommt, also musste ich um unser riesen Grundstück herumgehen, das durch die unterschiedlichen alten Außenzäune gut abgegrenzt war. Ja, aber als ich Richtung Wald gegangen bin, um den Weg zu ihnen zu finden, bin ich in ein stacheliges Gestrüpp gelaufen. Scheiße. Verdammt. Wir müssten schon längst arbeiten. Und der Sanyi fängt  ohne mich nicht an zu graben. Aber gerade in dem Moment sah ich, dass er nur ein paar hundert Meter von mir, doch anfing. Ich habe mich nie weit von ihm entfernt, aber ich ging schon seit einer halben Stunde herum, in diesem seltsamen Labyrinth, das wir geschaffen hatten. Meine Hand wurde wegen dem blöden Bier taub, ich hätte gerne eine Dose herausgenommen, aber dann hätte ich das Plastik aufreißen müssen und das Ganze wäre auseinander gefallen.

Ich rief zu Sanyi, dass er mir doch ein Bier bringen sollte. Er brachte mir auch eins und wir tranken ihn getrennt durch den Zaun. Ich zeigte auf das Gestrüpp. Warum zündest du es nicht an? Fragte er. Das schien mir eine gute Idee, aber ich wollte nicht, dass die Alten das wieder als Bedrohung empfinden. Ich steckte noch ein Bier in die Tasche meiner Arbeitsjacke, dann ging ich los, um meinen Weg im Grünen zu finden. Zum Glück hatte ich Zigaretten dabei. Ich habs auch gebraucht, denn wo ich endlich den Weg fand, lagen so viele verdammte Müllsäcke herum, dass ich mich vom Gestank fast übergeben musste. Was um Himmels willen kann da drinnen sein? Als ob es in dem einen nur so vor lauter Würmer gewimmelt hätte, zumindest glaubte ich das durch das blaue Plastik zu erkennen, am besten ich denke gar nicht darüber nach.

            Jetzt war ich auf einem Touristenpfad. Auf einem verrosteten Kanister sonnte sich eine Eidechse.

            Ich schlich mich an sie ran. Ich konzentrierte mich, zielte und habe sie mit dem Fuß voll erwischt. Früher spielte ich ganz gerne Fußball. Die Eidechse flog wie ein zerfetzter, grüner Ball in eine junge Eiche. Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Sofort tauchte ein seltsames, kleines Tier auf. Ein Eichhörnchen, Bilch oder ein Baumschläfer, und schnappte sich das erschrockene grüne Vieh, brach ihm das Genick und lief mit ihm davon. Das bekommen jetzt sicher seine Kinder, dachte ich, und dass ich heute früh bereits eine gute Tat vollbracht hätte. Soweit man noch überhaupt von Früh sprechen konnte, denn es war schon gegen halb acht. Endlich kam ich an die Straße, von der ich vermutet habe, dass sie zu den Alten führt. So wars auch. Es war seltsam nach so einem langen Weg dann eigentlich in der Mitte unseres Grundstückes anzukommen. Bei dieser kleinen Straße, die zum Grundstück der Alten führte, und dort, als Frucht unserer Arbeit endete. Zu dieser schon leicht verwilderten Straße gab es nur ein Tor, die anderen haben wir alle zugenagelt. Ich hätte nur eines von diesen öffnen müssen und schon wäre ich hier gewesen. Ich Depp.

            Am Tor der Alten war ich auf einmal verunsichert. Was will ich eigentlich? Und wer hat mich dazu ermächtigt? Nichts, niemand. Ich suchte die Klingel, fand sie aber nicht. An der Stelle eines Namensschildes stand die Parzellennummer. Das war ja nun mehr auch ziemlich nutzlos. Die ganze Bude stand hier nicht wegen der Nummer, sondern weil der Chef so wohlwollend ist. Ich klopfte an dem alten Tor. Ich konnte kaum was hören. Drückte die Türklinke. Das Tor war nicht verschlossen. Auf einmal befand ich mich in einer ganz anderen Welt. Zum Haus führte eine Heckenreihe. Gelb blühender Goldregen. Dahinter ein Buchsbaum. Weiter hinten in weiße Frühlingsfarbe gekleidete, alte Kirschbäume. Man hatte keinen Blick auf unser Grundstück. Ich bin da, bin ein Gefangener, ein Gefangener der Alten. Viele Bäume, viele Pflanzen. Frühling. Vögel. Ein tropfender Wasserhahn im Garten. Blühende Krokusse. Oder was dieses farbige Blume da auch immer sein mag. Wie macht das die Alte, dass ihr Garten so gepflegt ist obwohl wir sie tagsüber nie draußen sehen. Es war beruhigend Sanyi in der unmittelbaren mit seinem Pickel zu hören. Bist du das, rief ich ihm zu.

            Was ist bist du etwa drinnen? Dachte schon du bist auf und davon.

            Wohin sollte ich denn gehen? Und warum?

            Ich dachte, du hast Angst.

            Ich konnte nicht weiter plaudern, denn auf einmal flog die Tür des Holzhauses auf und ein alter Mann kam heraus. Kam? Stürzte. Mit einem Luftgewehr in seiner Hand, das er auf mich richtete. Ich musste lächeln.

            Was wollen Sie?

            Nichts Böses. Ehrlich. Ich bringe ein kleines Geschenk.

            Sie kommen doch von drüben, oder?

            Ja. Aber ich komme nicht vom Chef.

            Habe ich Sie gestern angeschossen? Entschuldigen Sie, ich hätte nicht gedacht, dass Sie so nett sind.

            Aber, schon vergessen, Onkelchen. Ich bin gerade deshalb gekommen, um Ihnen zu sagen, dass ich überhaupt nichts gegen Sie habe. Aber ich glaube nicht, dass Sie sich dem Chef widersetzen können. Er baut eine bessere Welt. Wir können das nicht verstehen. Ich auch nicht. Ich habe ihnen eine Kleinigkeit mitgebracht, und hielt ihm den Karton Bier hin.

            Jetzt bring ihn doch rein, Väterchen, klang die Stimme der Frau aus dem Haus. Ich wurde rein gebeten. Fleckerlteppiche, Polstersessel, auf dem Tisch die Reste vom Frühstück. Dunkelbraunes Licht, die Sonnenstrahlen des Frühvormittages fallen auf einen kleinen Kasten, als ob hier noch immer der Sägestaub der gestern gefällten Bäume in der Luft wäre. Das ganze schien so, als ob ich in das Innere einer ausgestopften Katze getreten wäre. Der Alte nahm das Geschenk, riss das Plastik auf und stellte eine Bierdose vor mir hin. Oder möchten Sie lieber Wein, fragte er. Wir haben ihn noch vom Nachbarn bekommen, letztes Jahr. Er hatte einen sehr guten Wein, er ließ vor dreißig Jahren ein paar Weinstöcke in Italien mitgehen, diese setzte er hier ein, gestern haben Sie das letzte Stück dieser Seltenheit gefällt, wenn mich nicht alles täuscht.

            Warum haben Sie das nicht früher gesagt? Wir haben schon aufgehört. Wir warten das Ende der Blütezeit ab, der Chef hat es uns erlaubt.

            Das ist jetzt schon egal. Und wer ist überhaupt dieser Chef, fragte der Alte, die Alte stellte Salzbrezel vor mir hin.

            Wie leben Sie hier überhaupt? Wo können sie einkaufen? Man kann hierher praktisch gar nicht mehr hineinkommen.

            Die Alte lachte auf. Sie haben uns schön eingezäunt, mein Lieber. Aber wir haben auch früher nicht geschaut was um uns passiert.

            Schauen Sie nicht, Recht haben Sie gnädige Frau. Wir müssen jetzt hier neben dem Haus, an Stelle der Straße eine Grube graben, irgendein Autoabstellplatz, bitte erschrecken Sie sich nicht. Das ist dieses Pickeln, mein Freund der Sanyi arbeitet, Sie sehen wir sind fleißig, wir kommen voran.

            Ist gut, sehr gut, nickte der Alte.

            Was ist gut?

            Na, Sie tun ja auch nur ihre Arbeit, bin ihnen nicht mehr böse. Ist ihnen nichts passiert als ich Sie gestern angeschossen habe?

            Wir hatten Angst, dass Sie am Ende noch die Polizei rufen, lächelte die alte Frau, und winkte, dass ihr Mann mir doch lieber noch etwas Wein einschenken sollte.

            Fragen Sie mich nicht wer der Chef ist. Ist nicht wichtig. Er ist wie wir. Er ist kein Großkotz. Bescheiden. Nett. Ein sehr netter Mann. Er hat es schwer, den alle sind gegen ihn. Es wird so viel über ihn erzählt. Aber nicht einmal die Hälfte ist wahr. Wenn jemand was sagt, hören Sie gar nicht hin.

            Sie standen da wie die Kuh vor dem neuen Tor. Also so wie ich vor diesen Toren stand, die wir gemacht hatten. Neue Tore, denn sie waren nicht zu öffnen. Versperrte Tore.

            Das Haus erzitterte immer wieder. Anscheinend hatte der Sanyi den Pickel wieder in die Hand genommen. Ich trank schnell meinen Wein aus. War wirklich verdammt gut. Dann sprang ich auf, ich muss gehen, denn sonst wird mein Freund sauer. Bin einfach hinter dem Haus über den Zaun geklettert und war schon auf meinem vertrauten, großen Grund. Es wehte ein starker Wind, am anderen Ende kippte irgendein Lastwagen Stahl von seiner Ladefläche.

            Der Chef, fragte ich Sanyi. Aber er schüttelte nur den Kopf. Er ist auch heute nicht gekommen. Wie lange bleiben wir denn noch hier? Er zeigte auf den kleinen Hügel, den er ein wenig mit dem Pickel bearbeitet hatte, als ob der hier verschwinden müsste, damit wir von hier weg können. Vielleicht hatte er Recht, und ich hätte flüchten sollen. Aber wann werde ich schon so einen guten Freund haben wie den Sanyi. Außerdem, wohin sollte ich gehen? Nach Hause zu meiner Mutter? Habe sie seit fünf Jahren nicht gesehen. Könnte sein, dass sie böse auf mich ist. Zu der Frau, die denkt, dass sie meine Frau ist? Ich war betrunken als sie mich zum Standesamt schleppte. Und darum ist das ganze ungültig. Ist doch, oder? Es muss doch auch Gerechtigkeit auf dieser Welt geben. Wenn es die nicht gibt, müsste man verrückt werden. Also ich bleibe lieber. Aber mein Vertrauen in den Chef ist unerschütterlich. Wenn er heute nicht kommen konnte, dann kommt er morgen.

            Was zum Teufel ist das, fragte ich.

            Siehst du es nicht? Das wird ein Schrottplatz.

            Das ist gut. Ich mag den Geruch von Eisen. Ich deutete an, dass wir ein bisschen weiter drüben graben sollten, weil wir zu nahe am Häuschen sind, der Zaun könnte auf uns drauf fallen, und wer weiß was am Ende noch alles passiert. Wir machten zwei Schritte nach rechts, dann nahm ich die Spitzhacke in die Hand, die Sanyi schon mal für mich hingelegt hatte, und wir arbeiteten so richtig drauf los. Zu Mittag gipfelte unsere Arbeit darin, dass wir begonnen haben einen runden, schwarzen Stein zu auszugraben.

            Ist das eine alte Kanonenkugel, fragte ich um zwei am Nachmittag.

            Nein, antwortete Sanyi um drei. Ist ein einfacher Stein. Ist gar nicht rund. Das war er aber. Ich weiß nicht warum man das leugnen musste.

            Gegen sechs haben wir Eisenstangen aus dem abgelegten Haufen geholt und dann ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter haben wir Keile unter die Stangen geschoben, den Stein herausgehoben, soll es doch ein Stein sein, wenn Sanyi unbedingt darauf besteht, und ihn weiter oben in eine kleine Mulde gestellt. Diese Mulde war nicht größer als eine größere Schüssel, war vielleicht nicht einmal so tief, war aber notwendig damit dieses riesen Ding auf dem etwas abschüssigen Gelände nicht davon rollte und am Platz Schaden anrichtete. Das Loch an der Stelle der Kugel, war viel größer als wir gehofft hatten. Soll es doch eine Kugel sein, damit ich auch meine Freude habe. Wir waren sehr froh über das Loch. Wir waren praktisch fertig. Wir schütteten noch etwas Erde zum Haus hin, unten haben wir noch geebnet, da hatte jetzt ein Auto schon Platz und wegen der Kugel würde es im Sommer sogar noch etwas Schatten bekommen.

            Dann wurde auf einmal Abend und wir haben auch noch am nächsten Tag an der Grube gearbeitet, sie etwas größer und tiefer gemacht. Mein Mittagessen verspeiste ich auf der Eisenkugel sitzend, denn ich war mir immer sicherer, dass wenn das eine Kugel ist, dann kann sie nur aus Eisen sein, aus meinem Lieblingsmaterial. Aber ich freute mich trotzdem nicht sehr über den Schrottplatz. Am Vormittag kam wieder ein Lastwagen, aber der Chef kam wieder nicht.

            Also, als ich auf der Kugel sitzend mit meinem Taschenmesser ein Fleisch aus der Konservendose aß, und dazu Bier schlürfte, erschien der alte Nachbar kurz im Garten. Er winkte mir zu, und ich nickte, dass ja das Wetter schön sei, obwohl die Sonne gerade nicht schien. Auf unserer Seite entdeckte ich zwischen den verkohlten Holzstücken bei der Feuerstelle einen knorrigen Weinstock. Na ja, könnte ja sein, dass ich gestern seinen Saft getrunken habe. Wenn der Alte überhaupt die Wahrheit gesagt hat, oder sein ehemaliger Nachbar, der es schon für vernünftiger gehalten hat seine Zelte abzubrechen. Irgendetwas stimmte an dieser Sache nicht. Egal. Wichtig ist jetzt, dass ich mich mit dem Alten verstehe. Da sollte man nicht überall nachhaken. Und, dass wir diese seltene Rebe abgeschnitten haben ist auch nicht wichtig. Das geschah im Sinne des Fortschrittes. Und Fortschritt, der Fortschritt ist sehr wichtig.

            Am nächsten Tag hatten wir einen schönen Morgen. Wir wachten um halb sieben auf und wurden von einem Auto geweckt, das hin und her kurvte, bis es auf dem neu hergerichteten Autoabstellplatz stehen blieb. Der Chef, setzte sich Sanyi in seinem Bett auf. Wer soll es denn sonst sein, so früh am morgen, fragte ich. Jetzt gehen wir endlich nach Hause, dachte ich, sprang auf, und als die Autotür zuknallte, war ich bereits in mein Arbeitsgewand geschlüpft, hatte mir eine Jacke überworfen und machte die Türe unserer stinkenden Hütte auf. Ich würde wetten, dass es in der früh nicht einmal bei den Alten so stinkt.

            Ich bin kaum aus der Tür, meine Augen gewöhnten sich noch nicht an die Helligkeit, als eine Ohrfeige auf meiner Wange knallte. Was soll das, verdammte Scheiße, du freundest dich mit denen an? Das war ich nicht gewohnt. Er ohrfeigte mich? Ist das überhaupt der Chef? Dieser nette Mann? Und wenn er es ist, habe ich dann wirklich einen Fehler gemacht? Das kann nur so sein. Das hätte ich nicht tun sollen. Aber jetzt kann man das auch nicht mehr ändern.

            Ich ziehe das von deinem Geld ab.

            Von wem weißt du das?

            Vom Sanyi, könnte ich sagen, wenn ich euch gegeneinander aufhetzen wollte. Aber das sage ich nicht, denn ich bin verdammt nett, und eigentlich liebe ich euch sogar. Du denkst doch nicht, dass ich nicht alles erfahre was hier passiert? Dass du auch nur irgendetwas auf eigene Faust machen kannst?  Wer hat diese ganze Scheiße gekauft, wo du jetzt umsonst wohnen kannst? Wer hat das alles bezahlt? Und du traust dich mich zu fragen woher ich das weiß? Bin ich dir etwa  Rechenschaft schuldig? Esse ich vielleicht dein Brot? Du hast hier eine luxuriöse Versorgung, bist im Grünen, freu dich, dass ich gekommen bin, um das mit dir zu besprechen. Ich gestehe, ich Depp habe gehofft, dass ihr bis zu meiner Wiederkehr auch das letzte feindliche Haus weggefegt habt. Darum habe ich den Zeitpunkt meines Besuches immer wieder aufgeschoben. Und was passiert stattdessen, ihr spuckt mir ins Gesicht. Aber jetzt muss ich die Sache in die Hand nehmen. Er ließ uns stehen, ging in Richtung Haus der Alten, einfach in die Richtung, wo er das Haus gesehen hatte. Er trat fest auf einen alten, morschen Holzpfahl, der den Zaun hielt, der Zaun fiel auf das Grundstück der Alten, auf die gelben und cremefarbenen Narzissen, dann marschierte er über den umgefallenen Drahtzaun, wie wenn er über eine Brücke ginge. Er klopfte schon am Fenster. Ich hörte wie seine Faust eisern klopfte, also er hatte sicher einen Schlagring angezogen.

            Sanyi kam erst jetzt heraus, er sah aber noch, wie der Chef am Eck des Nachbarhauses verschwand, er schlich sich ans Auto, schaute hinein und sagte nur: Er ist alleine.

            Jetzt stand ich auch neben ihm. Ich nahm meinen Pickel in die Hand. Sanyi sagte nichts, aber er tat das gleiche, und wir gingen los. Wir gingen über die Drahtbrücke über die Narzissen. Meine Knie zitterten etwas. Ich mag solche Sachen nicht. Aber wir mussten handeln.

            Aus dem Haus drang nervöses Geschrei.

            Verstehen Sie doch, dass man mir in der Stadtverwaltung auch ihr Grundstück versprochen hat. Ich habe dafür zwei Millionen Forint in bar hingeblättert.

            Als wir bei der Türe herein kamen, lag die alte Frau bewusstlos am Boden. Sie wollte sich doch nicht etwa dem Chef widersetzen? Sie Idiotin. Ich hob meinen Pickel, und mit einem Schlag schlug ich den Pickel in das Genick dieses schreienden Verrückten. Er erschauderte. Seine Stimme verstummte. Er drehte sich mit solch einer Wucht um, dass es mir den Pickel aus der Hand riss, ich verlor sogar das Gleichgewicht.

            Wer hat euch denn gerufen?

            Ich wich zurück. Und bemerkte, dass er gar keinen Schlagring hatte. Gleichzeitig sprang die Frau auf, als ob sie wieder zu neuen Kräften gekommen war, jetzt nahm sie den Griff des Pickels in die Hand, und begann daran herumzureißen, als ob sie ihn herausreißen wollte. Es hatte den Anschein, als ob sie eine Fernbedienung oder gar eine Computermaus bedienen würde. Denn so wie sie die Lenkstange hin und her, nach oben und nach unten bewegte, so verzogen sich der Mundwinkel und die Nase des Chefs. Wie das Gesicht einer Puppe.

            Dann löste sich der Pickel und fiel mit einem großen Knall auf den Boden. Der Chef griff zu seinem Nacken. Was zum Teufel war das, dann betrachtete er seine Hand, aber die war nicht einmal blutig. Dann griff der Alte nach einer vollen Bierdose, eine von denen, die ich vorgestern gebracht hatte, traf ihn damit so am Kopf, dass die Bierdose sofort zerplatzte. Das Bier spritzte in alle Richtungen, sogar in meinen Mund und in meine Augen. Mir schien die Welt bitter und gelb, der Schaum quoll aus dem Mund des Chefs. Ok, ich gehe weg, fing er an, er ging los, fiel aber über Schwelle und fiel mit dem Gesicht auf eine Steinplatte. Irgendwie hatte es etwas Vorwurfsvolles, wie er dort lag.

            Tragen wir ihn in sein Auto zurück und dann kann er zum Teufel gehen.

            Wer wird uns jetzt von hier entlassen, fragte ich.

            Wohin wollen sie denn gehen, lachte die Frau, und brachte uns vier je ein Stamperl Rum. Wir tranken ihn schnell aus. Dann mussten wir aber den Chef wegtragen, so schnell wie möglich, damit wir ihn nicht mehr sehen mussten. Wir setzten ihn auf den Fahrersitz, er griff nach dem Lenkrad. Und jetzt verschwinde, sagte Sanyi. Wir gingen auf die Seite, damit er hinausfahren konnte. Aber das Auto bewegte sich nicht. Einmal hustete der Motor ganz leise, dann wieder nichts. Nur das leise Geräusch, wie sich der Zündschlüssel drehte. Irgendetwas stimmte mit der Zündung nicht.

            Er muss um neun in der Stadt sein, sagte Sanyi und zündete sich eine Zigarette an. Ich folgte seinem Beispiel. Die alte Frau verschwand im Haus, ihr Mann stellte den Drahtzaun wieder auf und versuchte den alten Holzpfahl mit Keilen zu stabilisieren.

            Irgendwas müssen wir machen, sagte Sanyi und ging in die Richtung unserer Hütte. Er schnappte sich eine Schaufel, mir gab er die kleinere. Wir blieben bei dem Erdhaufen über dem Autoabstellplatz stehen. Das war gar nicht wirklich Erde, sondern eher gelblicher Ton mit vielen Steinen. Wir begannen das auf das Auto zu schaufeln. Die ersten Klumpen klopften so wie bei einem Begräbnis, nur noch lauter.

            Als wir das Auto schon halb zugeschüttet hatten, und nur mehr das Silberne der Motorhaube sichtbar war, sagte Sanyi, dass wir etwas über sein Leben, seine Verdienste hätten sagen sollen.

            Wir wussten nichts über ihn.

            Aber er war doch ein anständiger Mann.

            Das war er. Antwortete ich.

            Dann beten wir. Ich murmelte ein "Vater Unser", wenn er es unbedingt will und dann klemmten wir uns dahinter. Zehn Minuten später sah der Hügel genau so aus, wie drei Tage zuvor. Nur eben ohne Gras.

            Dann höre ich aber, dass ein Handy in unserer Hütte klingelt. Ich laufe hinein, ist natürlich Sanyis, schaue wer ihn sucht, ist es vielleicht seine Schwester, denn er hat eine, aber auf dem Display  stand; „Chef“. Was zum Teufel. Er ruft doch nicht etwa aus dem Jenseits an? Oder war er das gar nicht? Na hoffentlich!

            Ich hebe ab. Geschrei. Was zum Teufel macht ihr mit mir, Sanyi? Wo seid ihr? Lasst mich da sofort raus.

            Ja wohl, antwortete ich.

            Aber beeilt euch, ich warte nicht lange.

            Natürlich. Das war nur ein Missverständnis, stammle ich, wie jemand der aufwacht und nicht weiß, ob es gut oder schlecht ist, dass er diese Frau mit der Hasenscharte, die er offensichtlich vorher im Traum getroffen hatte, nicht mehr ficken muss. Immer diese blöden Träume. Wenn es die nicht gäbe, hätte man keine Probleme.

            Ich ging zurück, Sanyi saß auf dem Haufen und sah mich fragend an. Wer war das?

            Der Chef.

            Dieser? Und trat mit seiner Ferse fest auf den frischen Erdhaufen, worauf unten Glasscheppern zu hören ist und der ganze Haufen etwa zehn Zentimeter einsinkt. Gleichzeitig läutet wieder ein Handy in der Hütte, dieses Mal meins. Ich springe auf, um abzuheben, aber Sanyi, obwohl nicht seine Art, schreit mich an. Lass ihn! Komm lieber und hilf mir.

            Der Chef lässt ausrichten, begann ich zu berichten, denn endlich verstand ich was Sanyi wissen wollte, er sagte, dass wir ihn sofort raus lassen sollen. Ich glaube das haben wir schön verbockt.

            Kann sein. Sagte er und stemmte sich gegen die Eisenkugel.

            Ich fragte fast schreiend: Was machst du da? Aber dann warf der Alte auf dem Nachbargrundstück auf einmal den Zaun um, an der er eine halbe Stunde lang herum gewerkt hatte und kam rüber. Er stellte sich neben Sanyi, um ihm zu helfen. Magdi, komm, rief er zu seiner Frau. Die alte Frau lief in der Kochschürze heraus und auch sie stemmte sich gegen das schwere Ding. Dann schien die Kugel sich leicht zu bewegen. Wieder läutete das Handy.

            Letzte Warnung. Ich warf einen Blick auf die vor mir liegende Schaufel. Drei Schläge mit der Kante. Ich muss natürlich mit Sanyi anfangen. Dann grabe in einer halben Stunde bis zur Autotür hinunter. Der Chef wird mir mit Sicherheit auf ewig dankbar sein. Ich werde seine rechte Hand sein, er gibt mir seine Tochter zu Frau. Na, das vielleicht doch nicht. Seine Ex-Frau.

                     Ich stellte mich zu den anderen, und auch ich stemmte mich gegen die Kugel. Wieder eine kleine Bewegung, dann aber nichts. Dann kam eine Krähe, eine große Ackerkrähe und stellte sich auf die Kugel. Sie begann darauf zu trippeln und die Kugel setzte sich langsam in Bewegung. Ich verstehe gar nicht wie sie diese Langsamkeit aushielt. Gleichzeitig hörten wir Schüsse von unten. Anscheinend versucht er sich mit der Pistole einen Weg durch die Erde zu bahnen, sagte ich lachend zu Sanyi, aber er schlug mir auf den Mund, sodass mein Zahn zu bluten begann. Das war heute das zweite Mal. Aber er hatte Recht. Sanyi ist ein sehr guter Mensch. Die Kugel war ungefähr über dem Auto, als darunter auf einmal was einbrach.

                     Das reicht, sagte der Alte.

                     Ich lade sie zum Mittagessen ein, lächelte die alte Frau.

                     Wir haben hier noch sehr viel Arbeit, entgegnete ich.

                     Aber wir nehmen die Einladung an, berichtigte Sanyi.

 

 

 

                                  

 

Siehe auch:

Autor

Vörös, István

Fotó: Szalai István