Die bildlichen Reserven der Subjektivität

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Verlag: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
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Publikationsdatum: 26. Dezember 2013
Ausgabe: Philosophisches Forum
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Die bildlichen Reserven der Subjektivität

Nina N. Sosna (PhD)

 

Unter den vielen Themen (Entwurzeltsein, Oberflächlichkeit, Gesten, Kommunikation, Kommunikologie, Technobilder, das Technische u.a.), die Vilém Flusser in seinen zahlreichen Büchern behandelt hat, sticht die Fotografie besonders hervor. Sie erlaubt nicht nur auf seine Arbeiten als ein Ganzes zu schauen: in ihrer Analyse begegnen sich zwei Perspektiven, die es gestatten Flusser als einen zeitgemäßen Denker zu würdigen. Die erste ist Flussers Vorstellung von den Technobildern, die zweite ist sein spezifisches Verständnis der Geschichte (damit verbunden ist, wie Flusser die Abbildung verstand).

Das Erbe Flussers ist spezifisch wegen seiner besonderen Art und Weise des Schreibens und des Vorhandenseins seines Archivs in verschiedenen Sprachen, der Nutzung von Daten der verschiedensten Wissenschaften (bis zur theoretischen Physik: so wird von ihm nicht nur einmal in der Qualität einer Erläuterungsmatrize das zweite Gesetz der Thermodynamik herangezogen; und eine der Erforscherinnen seines Werkes schrieb unlängst ein Buch gerade über die Rolle dieses Gesetzes in der zeitgenössischen Kultur[1]) und der Abweisung des akademischen Stils mit seiner Vorstellung des Kontextes der Forschung, mit seinem Apparat an Verweisen und Anmerkungen usw.. In letzter Konsequenz wird sein Lehrgebäude als theoretisch, prophetisch, apokalyptisch, poetisch und sogar als visionär bezeichnet.[2] Man verglich ihn mit Marshall McLuhan, mit Martin Buber, mit Walter Benjamin, mit Franz Kafka und sogar mit Hannah Arendt. Nicht selten trug man ihn in die Vorgeschichte der Mediatheorie ein.[3] In der letzten Zeit versucht man ihn in den Rahmen der guttural studies einzuverleiben, wobei er zum Beispiel mit dem Projekt der „Philosophie der symbolischen Formen“ Ernst Cassirers[4] verglichen wird. In Moskau wird in diesem Herbst geplant, das dreißigjährige Erscheinen der Arbeit Flussers zur Philosophie der Fotografie gerade an der entsprechenden Abteilung der philosophischen Fakultät der staatlichen Universität mit dem höchsten Rating, die hauptsächlich auf die Rekrutierung von Kadern für die führenden Eliten spezialisiert ist, zu feiern.

Man muss anmerken, dass sich schon seit zehn Jahren in Russland (freilich in depolitisierter Variante) das Projekt der Birminghamer Schule zur Untersuchung der Alltagskultur (der alltäglichen Form der Existenz der Städter) entwickelt. Faktisch fand nach meiner Meinung ein Übergangsprozess von der Methodologie der semiotischen Schule (die ich in den ersten Semestern der Universität antraf, wo die Lektüre des wohl größten Vertreters der Tartuer Schule Michail Ju. Lotman über die russische Kultur des 19. Jahrhundert im Ganzen, aber ebenso spezielle Arbeiten, die der Analyse poetischer Formen gewidmet waren, wie seine berühmte „Analyse des poetischen Textes“ obligatorisch war) zur „Kulturologie“. Zu Anfang wurde sie von solchen Wissenschaftlern wie Sergej S. Averintsev, Eleazár M. Meletinskij und Aron Ja. Gurevič, die eigentlich mit Äußerungen über die Entwicklung der Kultur aus den Tiefen ihrer Erkenntnisse in auf anderen Gebieten – der Philologie und der Geschichte klassischer Perioden - kamen. Das waren Spezialisten mit enzyklopädischem Wissen. In den Arbeiten ihrer Anhänger und der neuen Kulturologen wird jedoch diese Metaebene immer mehr vertuscht, wobei an ihre Stelle die Arbeit mit faktischem Material nach dem Modell, das aus der angloamerikanischen Tradition transliert wurde, tritt, jedoch einem fast absichtlichen Ausweichen des Politischen. Darum kamen im Laufe der Zeit die Cultural studies in Russland zu demselben Resultat, wie auch auf englischem Boden, und wurden derselben Kritik der übermäßigen Begeisterung, die Prozesse der dominierenden Kultur und ihr offen massenhaftes Auftreten zu beschreiben, unterworfen, wobei den Fragen der Methodologie und der Ausarbeitung eines theoretischen Niveaus keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde, obwohl der Weg dorthin im Vergleich zu Großbritannien ein etwas anderer war.

Tatsächlich, in den Arbeiten Flussers sind Äußerungen, die Begriffe wie „Code", „Symbole“, Struktur von Kommunikationsmodellen und so weiter, verwenden nicht selten, was scheinbar direkt auf den semiotischen Kontext seiner Arbeiten verweist. Jedoch kann man dies nach unserer Meinung eher als ein Zeichen der Zeit, in der er arbeitete, bezeichnen, und nicht als tatsächlichen Inhalt seiner Arbeiten. Hat doch Flusser nicht selten das traditionell gewordene Verständnis der Kommunikation, unter dem man den Sender (der Mitteilung), den Empfänger und die sie verbindenden Mechanismen der Bezeichnung und der Dekodierung verstand, kritisiert. Flusser wies auf die Schwierigkeit der Trennung der Ebenen der „Mittel“ (wie im Fall des Telefons, zum Beispiel – was erscheint als Mittel der Zustellung der Mitteilung, der Apparat oder die Stimme oder vielleicht die Sprache, in der gesprochen wird?) und die unausweichliche Vermehrung der Menge an Mitteln, die der Mitteilung dienen, hin: wenn der Empfänger trachtet seinerseits „eine empfangene Mitteilung weiterzugeben“, so muss er schon ein anderes „Mittel“ im Unterschied zu dem, durch das er die Mitteilung erhalten hat, benutzen usw. Außerdem kann kaum von konkreten Beispielen der Auswahl Flussers dieser oder jener „Kunstwerke“ (wie es die Vertreter der cultural studies oder Jurij M. Lotman macht) sprechen.

Die Frage der Rolle der Problematik, die mit den Medien verbunden ist, ist für die Entwicklung der Theorie Flussers schwieriger, doch müssen wir auf sie noch kurz eingehen. Es versteht sich, dass die seltenen Untersuchungen zur Philosophie der Fotografie ohne die geringsten Hinweise auf das Buch Flussers (natürlich ist die Menge der Verweise weniger im Vergleich zur berühmten „Camera Lucida“ von Roland Barth; aber „Zur Philosophie der Fotografie“ Flussers gibt es eine Übersetzung ins Russische) auskommen. Er ist bekannt, vielleicht gerade wegen dieses kleinen Büchleins. In ihm sind ebenso Überlegungen über andere „Mittel“ außer der Fotografie – ein bisschen über das Kino, etwas mehr über das Video, ziemlich viel über den Begriff des Apparates (freilich wieder am Beispiel des Fotoapparates). Bedeutet das, dass die Medien für Flusser wichtig waren? Den Begriffen der Medien, von denen alle Überlegungen über die Kommunikation durchdrungen (vergiftet, wie Flusser schrieb) waren, konnte jetzt (schon in den 1980-iger Jahren) nicht ausgewichen werden, obwohl es schon fast jeden Sinn verloren hatte. Das, worauf es weiterhin verweist, unterstreicht Flusser, - das ist die Vermittlung zwischen Sender und Empfänger. Das ist scheinbar der Schlüsselmoment für diejenigen, die sich heute mit den Medientheorien beschäftigen: die Aufmerksamkeit gegenüber dem Lärm, den der semiotisch eingestellte Forscher für kleine Störungen bei der Kodierung und Dekodierung des semantischen Inhalts, halten konnte, die Aufmerksamkeit gegenüber dem, was, wie sich dank der Medientheoretiker herausstellte, den „übertragenen“ (gesendeten) Inhalt in diesen Formen, welche nicht vernachlässigt werden dürfen, beeinflusst. Wahr ist auch, dass bis auf den heutigen Tag, also schon anderthalb Jahrzehnte den Medientheoretikern schwerfällt, den grundlegenden Begriff zu bestimmen, und ausgerechnet die Medien. Jedoch die Theorien des Mediums, so wie wir sie heute kennen, schauen immer durchdringender in diese dritte Dimension „zwischen“ dem Sender und den Empfänger, eine Dimension, die die Verbindung zwischen dem einen und dem anderen einrichtet und unterstützt, immer weniger kümmert man sich um die Figuren, für die die Übertragung von Daten einen Sinn haben würde. Mit anderen Worten, indem sie sich auf das „Medium“ oder das „Mittel der Übertragung“ stützten, setzten die Medientheoretiker diejenigen in Klammern, die die Mitteilung erhalten oder weitergeben konnten. Es geht also nicht, versteht sich, um die (Figuren der) Realität, die Daten, die übertragen oder nicht übertragen werden, treten anstelle von Simulationen zurück. Es geht darum, dass das Subjektive, genauer sogar die Subjektdimension der Kommunikation als Horizont der Untersuchung verschwindet. Von Niklas Luhmann, der die Kommunikation der Kommunikation als einen gewissen sich selbsterhaltenden Mechanismus, der keine Subjekte braucht, betrachtet, bis zu Friedrich Kittler, der von den „sogenannten Leuten“ schrieb, gibt es weiter bis in unsere Zeit fast keine Ausnahme unter den immer mehr die Persönlichkeit beraubenden und immer mehr technologisierten Aussagen über die Medien. Sogar Erkki Huhtamo[5] kann kaum als ein Gegenbeispiel angesehen werden, da sich in dem Versuch, die subjektive Dimension zu verlassen, seine Methodologie ziemlich traditionellen Kunstgriffen (Prijomen) und der Philologie und der Kunstwissenschaft, welche – mit Einschränkungen natürlich – früher als Verwendung von Tropen oder leeren Bezeichnenden sichtbar wurden, nähert. Darum kann man sich sogar die Frage stellen, ob nicht die Medienforschungen nicht bei den sich in ihnen herausbildenden Verfahren der Analyse das Schicksal der Semiotik und der Cultural studies teilen: indem sie auf die führende Rolle des wissenschaftlichen Paradigmas bestehen, wie auch die vorherigen ihrer Zeit; ob sie sich nicht in eine „Semiotik von allem“[6] oder eine totalisierte Vorstellung von Kultur, gegen die jeder ehrliche Geisteswissenschaftler begründet seine Reklamation erhebt, verwandeln? Vielleicht haben die Forscher recht, die annehmen, dass Institutionalisierung im besten Falle die Konservierung der Disziplin bedeuten, aber im schlechtesten – den Verlust ihres für sie spezifischen Gegenstandes und ihrer Methode. Gerade dies passierte auch mit den semiotischen Untersuchungen nach dem Verplätschern des Interesses an Levy-Strauss, und mit den Cultural studies, die aus rein sportlichem Interesse versucht wird zu reanimieren.[7] Uns interessiert heute äußerst (und das ist Teil unseres Projektes), welche Begrenzungen und Grenzen der Anwendbarkeit eine solche für die Arbeit mit Medien zentrale Kategorie als Vermittlung hat.

Wenn wir es mit den Arbeiten Flussers zu tun haben, ist trotz seiner Begeisterung für die Beschreibungen der Arbeit des Apparates, trotz der aus dem Bereich des technischen herangezogenen Beispiele (manchmal natürlich offen phantastischen) offensichtlich, dass bei ihm nicht einfach das Interesse an dem, der den Apparat benutzt, erhalten geblieben ist. Ja freilich, dass Flusser den Menschen, der die Kamera hält, nicht Fotografen nennt, sondern Operator, womit er seine Bedeutung herabsetzt, denn nicht der Mensch entscheidet, wie die Fotografie werden wird. Jedoch diese „Entscheidung“ liegt nicht in der Zone der Tätigkeit des Apparates, denn die Fotografie ist sogar in Beziehung zum Programm, die im Apparat angelegt ist, zufällig. Das heißt, Flusser ist das wertvoll, was im „Komplex Operator-Apparat“ geschieht. Können wir heute, wenn wir uns an die Resultate, zu denen zum Beispiel K Heyles[8] kam, behaupten, dass diese Komplexe uns unter dem Namen „Cyborgs“, „Hybride“ und ähnlichem bekannt sind? Kaum, weil wir Flusser schwer zu den Maschinenanbetern rechnen können. Sogar Apparate, über die er trotzdem schrieb, interessierten ihn nicht als solche. Charakteristisch ist sein Kommentar: Apparate wurden auch vor dem Fotoapparat geschaffen, darum gäbe es kein spezifisches Interesse ausgerechnet am Fotoapparat, wenn er selbst an sich wichtig wäre; sondern wichtig ist das, worauf er verweist.

Und worauf verweist er? Das lässt sich nicht so leicht formulieren, wir müssen verschiedene Erwägungen Flussers aus verschiedenen seiner Werke sammeln, um zu versuchen, auf diese Frage zu antworten. Doch nehmen wir vorweg und merken an, dass auf irgendeine Weise hier bei Flusser die Möglichkeit des „Menschlichen“, welches wir vielleicht das Vor- oder Postsubjektive nennen könnten, bewahrt bleibt, was für Medientheoretiker nicht typisch ist.

Um sich der Bestimmung des Charakters dieses Verweises zu nähern, ist es notwendig sich auf einen für Flusser wichtigen Begriff der Abbildung zu konzentrieren, und zwar das Technobild, als dessen vorherrschendes Beispiel gerade die Fotografie erscheint.

Wir machen gleich Vorbehalte, es geht nicht um ästhetische Kategorien. Die Abbildungen, über die Flusser schreibt, dürfen in keiner Weise mit den Kategorien der Schönheit oder dem Vergnügen (oder dem Missvergnügen) in Verbindung gebracht werden. Gerade im Gegenteil, die Schönheit der Abbildung bedeutet, dass die Abbildung nicht mehr ihre Funktion erfüllt, und nur dann können wegen des Mangels etwas Besseren seine kulturell Bedeutung tragenden Charakteristiken erörtert werden.

Worin besteht die vordringliche Funktion der Abbildung, die die Parameter ihrer Wahrnehmung schon angeben, bevor das Modell der Schönheit (oder der Hässlichkeit) beginnt zu wirken? Wichtig dieses Moment der Wahrnehmung anzumerken: keine Abbildung für sich selbst, keine schöne Abbildung, ist eine Abbildung für etwas. Aber gerade – und hier sind wir gezwungen das Problem der Anthropologie bei Flusser zu berühren – zur Orientierung in der Welt. Er nannte die Abbildungen auch so: Karten zur Orientierung in der Welt. Versuchen wir zu klären, was diese Formel bedeutet. (Das Gespräch über die Arbeiten Flussers wird ständig dadurch erschwert, dass ständig gewisse Rahmen, in denen vielleicht die eine oder andere seiner „Formeln“ herausgeschrieben (entfaltet) ist, vorausgesetzt werden müssen.

Wichtig ist daran zu erinnern, dass Flusser selbst sich für einen Anhänger der Philosophie Husserls hielt und, sich in dieses Perspektive fügend, es als seine Pflicht ansah, „von null an“ zu philosophieren, wie dies die Einstellung der Reduktion forderte. Eine andere Seite der Philosophie, die Flusser anzog, war das Trachten, die sichtbaren Veränderungen der Gegenstände zu analysieren. Wenn wir genug Zeit hätten, wäre es möglich zu zeigen, dass eine solche wichtigere Begründung der Analyse, wie die Verbindung des Menschen mit der Welt und die Stellung des Menschen in ihr, wie sie Flusser versteht (wir erinnern daran, dass der Fotograf nicht den subjektiven und nicht den objektiven, sondern den intersubjektiven Standpunkt sucht), wirklich als husserlianisch angesehen werden kann, wenn wir uns den Begriff der „Lebenswelt“ und die fünfte der „Cartesianischen Überlegungen“ in Erinnerung rufen, die der Intersubjektivität und dem Versuch, einen Ausweg zum Anderen in Analogie mit sich selbst zu finden, gewidmet sind. Jedoch auch diese initiierende Message (посыль) entwickelte Flusser auf seine Weise, überhaupt nicht den feinen Gradationen der Bewusstseinserfahrung, die Husserl unterschied, folgend. Flusser verstand die Kommunikation in ihrer Verbindung mit dem Leben, faktisch in einer Grenzsituation, als eine bestimmte Praktik und als eine Strategie des Überlebens. Es ist bekannt, dass er diskursive und dialogische Medien voneinander trennte. Durch die Überlegung,[9] die von Flusser aufgerissen wird, ist es ganz deutlich, um wieviel eine solche Einteilung ungleichwertig ist: zur ersten Art gehören alle bekannten „Mittel“, zur zweiten die, welche auch nur irgendwie stattfinden konnten. Eine detaillierte Analyse der Kommunikationsmodelle sieht wie eine logische Übung aus, die den Leser als einen potentiellen Akteurs zur Bestimmung eines solchen Typs der Kommunikation vorbereiten soll, der auch erst eine Kommunikation im eigentlichen Sinne des Wortes sein wird. Wenn Sender und Empfänger getrennt sind, kann das Verhältnis des einen zum anderen nach dem Modell einer Pyramide, eines Baumes, eines Theaters oder eines Amphitheaters (jedes Modell hat Flusser ausführlich beschrieben) gebaut werden. Wichtig ist zu unterstreichen, dass in allen diesen Fällen sich die Übertragung (von Informationen, von Mitteilungen) immer nur in eine vorgegebene Richtung vollzieht. Doch die Kommunikation, von der Flusser geträumt hätte, - ist durchaus nicht diese. Der Hauptgegenstand seines Interesses ist ein gewisses Projekt, eine Möglichkeit, und nicht etwas Vorhandenes. Dies ist eine Kommunikation, die eine Transformation der kommunizierenden (Seiten) in einem lebendigen Prozess ihrer Wechselwirkung herrufen würde, obwohl dies widernatürlich und unwahrscheinlich ist.

Also, der Mensch befinden sich in einer Welt, in der etwas passiert (wir werden jetzt nicht die Frage darüber erörtern, ob der Verweis auf die „Geworfenheit“ Heideggers in einer solchen Vorstellung von der Verbindung Welt-Mensch bei Flusser angebracht wäre), und in dieser Welt ist es unumgänglich sich zu orientieren. Gerade die Wechselwirkung (das Zusammenspiel) mit den Bildern spielt in dieser Strategie eine erhebliche Rolle. In verschiedenen Arbeiten nennt Flusser mit einigen Veränderungen in der Formulierung verschiedene bildliche Situationen, aber das Prinzip ist klar: der Mensch lebte niemals in einer Situation, die der Bilder ledig war (und hier ist schon das Problem gegeben: einerseits ist die Welt immer „vermenschlicht“, denn in ihr gibt es keine reinen Objekte, sondern Bilder von irgendetwas für irgendjemanden – was schon die Sprachkonstruktion „image de“ voraussetzt; andererseits führt die übermäßige Vorliebe für die Abbildung, für die Visualisierung als einer gewissen Fixierung auf der Seite des Bildes für den Menschen dazu, was als Bilderanbetung – Idolatrie bezeichnet wird.) In der allgemeinen Weise kann man sich das so vorstellen: zuerst tritt der Mensch vor der Lebenswelt zurück, um sie sich aus einer gewissen Distanz vorzustellen. Danach bildete er eine Distanz zu seiner Fantasie, um sie in der Art eines Textes zu beschreiben, nachdem er zahllose Verbindungen (die auf der Oberfläche der flächigen Abbildung durch die Fantasie durchgestrichen werden) durch die Struktur der linearen Schrift geordnet hatte. Dann trat er vor der linearen schriftlichen Kritik zurück, um sie mit Hilfe technisch erzeugter Abbildungen zu analysieren.

Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass vor uns eine sukzessiv sich entfaltende Geschichte einer immer größeren „Entfernung von der Welt“ durch die Einführung einer immer größeren Anzahl von Abstraktionsebenen, einer Vollziehung einer immer größeren Quantität an Abweichungen (und hier ist eine größere Versuchung, die Terminologie Flussers mit der Kategorie des retrait der französischen Philosophie der 1970-iger bis 1990-iger Jahre zu vergleichen) ist oder von Schritten zurück; und noch einer solchen Geschichte, in der die Momente der Wechsel selbst in keiner Weise erklärt sind. Tatsächlich, das ist eine Geschichte der Brüche (der Explosionen). Tatsächlich, zuerst existierten räumliche Abbildungen (Flusser hatte hier die älteren Formen der Skulptur im Sinn). Danach entstanden die traditionellen Abbildungen; ihre Herstellung forderte das Können die Dimensionen des Raumes und der Zeit zu abstrahieren, um ein Bild auf der Fläche zu erhalten. Danach, infolge des „Vergessens“ der vermittelnden Funktion der Abbildung und der anwachsenden Verehrung der Abbildung als solcher, erschien der Text als Beschreibung der Abbildung auf der Grundlage einer noch abstrakteren Operation der Ausgliederung /вычленения/ nur eines Typs der Verbindung (zwischen Elementen des Bildes). Endlich, im Resultat des Verfassens immer derselben Situation der Anbetung, nur dieses Mal den Texten[10], entsteht eine Abbildung, die durch technische Mittel erzeugt wurde, um einen Text zu analysieren.

 Folgende Formeln Flussers, welche wir auf dieser Etappe gezwungen sind zu erörtern sind die Abstraktion in Form der Feststellung (und der Wiederherstellung) der Verbindungen auf einem anderen Niveau im Vergessen des vorhergehenden Niveaus und – dazu kehren wir etwas später zurück – die spezifische Vorstellung von Geschichte.

Die „Abstraktion“ kann gut durch die Vorstellung Flussers über die Abbildung erklärt werden, besonders die Abbildung, die wir durch technische Mittel erhalten haben. Diese Art der Abbildung ist für uns am interessantesten. Die Fotografie ist nicht einfach eine Art der technogenen Abbildungen, die Fotografie ist diese Abbildung. Einerseits ist die Fotografie aus der Sicht Flussers die erste Abbildung neuen Typs. Andererseits, wenn Flusser versucht über die der Fotografie nachfolgenden Medien, Kino und Video, zusprechen, kehrt er praktisch zur Fotografie als der rätselhaftesten Technologie, die praktisch keinerlei Mechanismen zu ihrer Beschreibung anbietet, zurück. Für das Kino gibt es „travelling“, Montage, Aufnahmeformate (планы) usw. , für das Video gibt es die Dauer der Aufnahme und anderes. Doch die Fotografie widersetzt sich besser als andere Medien der Entstehung einer technischen (und diskursiven) Beschreibung als Widereinsetzung des Textes in seine Rechte, was bei dem Zugang Flussers nicht möglich sein sollte. описания. Darum ist gerade die fotografische Abbildung am fesselndsten. Übrigens wäre es interessant zu sehen, wohin uns die Lektüre von A. Azoulay[11] in der Perspektive Flussers führen würde: Sie besteht darauf, dass nur die Beschreibung und Wiederherstellung des Kontextes, in dem die Fotographie aufgenommen wurde, die Rekonstruktion der Umstände, in denen sich der fotografierte und der Fotograf befand, die Bedingungen schafft, unter denen der Betrachter erst die Photographie sich aneignen  und sich zum wirklichen Adressaten der Fotografie machen kann. Wie sollte eine solche Rekonstruktion durchgeführt werden? In ihrem Buch über den Vertrag der Fotographie führt sie Beispiele der Rekonstruktion an, jedoch technisch sehen sie wie Texte aus, die die Fotografien begleiten. Aber vom Standpunkt Flussers aus soll die Situation eine andere sein: die Fotografien sollen die Texte in sich aufnehmen.

Ist doch der Text eine Geschichte, eine Rekonstruktion, eine Erzählung. Flusser stellte sie ausschließlich in der Art einer aufgeschriebenen Erzählung dar. Seine Periodisierung der Ereignisse des Vergangenen bezeichnen tatsächlich, dass wir mit der Entwicklung der Abbildungen, die wir mit technischen Mitteln erhalten, aus dem Bereich der Geschichte heraustreten.

Gehen wir weiter. Die photographische Abbildung ist abstrakt: in ihr sind keine Volumen plastischer Formen, keine Verbindungsmengen der zweidimensionalen Ebene, denen nachgehen könnte, sogar kein linear einziger Typ der Verbindung, der sich abwickelt, was für einen Text charakteristisch ist. Die Fotoabbildung ist so sehr abstrakt, dass es für das Urteil über sie notwendig ist, auch die Kategorie der „Gemessenheit“, der „Rhythmik“ («мерности») der Abbildung neu zu überdenken, und den Begriff der Abbildung als solchen, und sogar die Einbildungskraft anders zu charakterisieren: die neue Abbildung als „entkörperlichter Oberfläche“ (disembodied surface)[12] wird der „technischen Einbildungskraft“ (Techno-imagination) gegenüber geöffnet. Das heißt, die Fotographie ist das, was physisch nicht sichtbar ist: sie hat keinerlei Dimension (keine zeitliche, keine einzige der räumlichen). Das ist eine solche „Visualität“, welche sich faktisch als mit der Betrachtungsweise des Idealen „verschmolzen“ erweist: Ideen und Begriffe (der Chemie, der Optik) erweisen sich dank der Fotografie als sichtbar. Die Fotografie als Technobild verfügt unmittelbar sowohl über ideale als auch über materielle Charakteristiken. Eine nach außen gestellte Idee, als „Traum, der von außen sichtbar ist“, wie Flusser schrieb.

Sogar heute, nach den zahlreichen Versuchen zu beschreiben, wie die „Mediation“ von der Reanimation der mystischen Erzählungen im Geiste Swedenborgs, die ihrer Zeit von Kant[13] kritisiert wurde, zur mathematischen Analyse der Musik[14] vor sich geht, wirkt die eben erst von Flusser dargebrachte Position ziemlich ungewöhnlich. Wie soll man sich zu einer solchen Art der Abstraktion verhalten, deren Resultat im Verhältnis zu dem, was wir sehen können, aber in Wirklichkeit in unserer Erfahrung vielleicht die größte Wirkungskraft besitzt, die ärmste sein müsste? Was wirkt auf uns, wenn (im Fall der analogen Fotografie) in der Schicht des Materiellen nichts anderes ist, außer Lichteffekten, die durch bestimmte chemische Elemente erzeugt wurden? Vielleicht – obwohl das schon eine gewisse freie Interpretation wäre – wirkt so der Zusammenprall mit der Materie der Welt? Mit irgendetwas sehr einfachem und sehr nahem, fast nicht unterscheidbaren, mit irgendetwas allgemeinen, das von allen geteilt wird, mit irgendetwas, was alle unmittelbar berührt? Vielleicht führen uns gerade die Effekte der Fotografie zur Wahrnehmung der Welt, die sich im Resultat  einiger retraits, die mit der Expansion von Texten und malerischen Abbildungen verbunden sind, zurück, jedoch schon auf einem anderen Niveau?

Die Stichhaltigkeit unserer Vermutungen schlagen wir vor, auf folgende Art und Weise zu prüfen.  Wir begannen unsere Darstellung mit dem Hinweis auf gewisse Strömungen der Zeit, und möchten uns gern ihnen hier wieder zuwenden. Die Platzierung der Arbeiten Flussers in den Rahmen der semiotischen Untersuchungen ist möglich, obgleich sie eine große Menge an Erklärungen braucht und sich im Ergebnis weit von der Argumentation, die auf dem Funktionieren von Zeichen beruht, erweisen kann. Darüber haben wir schon gesprochen. Interessant wäre aus unserer Sicht, sie im Fokus des Interesses an nichtmateriellen Objekten, genauer an der damals noch (vielleicht auch heute) ziemlich verschwommenen Vorstellung davon, was das Materielle ist, zu betrachten. So, damals also, anfangs und in der Mitte der achtziger Jahre, in die viele Arbeiten Flussers fallen, erschienen kleine Arbeiten Jean-François Lyotard, die heute nicht besonders bekannt sind, die den Medien, der Kommunikation[15] und dem „Materiellen“ gewidmet waren. Von Lyotard ist etwas anderes bekannter, dass er viel über einige Künstler der Moderne und über die Probleme, die gewöhnlich die Kunsttheorie und der Philosophie der Kunst angehören, besonders in Verbindung von Kants „Kritik der Urteilskraft“. Lyotard kann kaum mit Flusser in der Bewertung/ Beurteilung der technologischen Entwicklung verglichen werden: wenn Flusser sehr radikal auf die Neuerung/Neuheit der Abbildungen bestand, die durch technische Mittel erhalten wurden, und sich bemühte die neuen Formen der Wechselwirkung mit ihnen zu beschreiben, dann interessierte sich Lyotard eher für die Strategien, dieser Wechselwirkung  auszuweichen, für den Widerstand, in diese technologische Entwicklung hingezogen zu werden.  Uns jedoch interessiert im gegebenen Fall diese Zeitströmung und diese Probleme, mit denen verschiedene Denker dieser Zeit in Berührung kamen, welche uns im gewissen Sinne helfen, besser auch jeden von ihnen und den allgemeinen Kontext, in dem sie erschienen, zu begreifen, auf dass wir die Möglichkeit haben, aufmerksamer unser Erbe zu studieren und zu begreifen, wie und wodurch es uns erlaubt, mit den Problemen des heutigen Tages zurechtzukommen. Auch die Bewertung der Rolle der Technik bleibt eines dieser Probleme, und ein ziemlich wichtiges. Problematisch sind auch die Sprachen der Beschreibung, die auf diese Bewertung gerichtet werden können, wenn eine Analyse notwendig ist, und nicht eine Mythologiebildung im Sinne Kurzweils.

Lyotard begrüßte in keiner Weise die Entwicklung der „Begriffe der Optik und der Chemie“ (die nach Flusser zur Fotografie führen), weil für ihn, wie auch für andere Intellektuelle, diese Entwicklung mit dem Prozess der Kommerzialisierung der Wissenschaft untrennbar verbunden war und zwar deswegen, weil zu einem bestimmten Augenblick die ökonomischen Interessen der großen Konzerne (Kompanien) und der wissenschaftliche Apparat der statistischen Analyse zusammenfanden. Die abstrakten Berechnungen bildeten ein Modell der Umgestaltung der Beziehungen aller Typen, in deren Ergebnis nicht nur die ökonomischen Beziehungen des Tausches einer Berechnung möglicher Gewinne oder Verluste unterworfen wurden, sondern auch die sozialpolitischen, kulturellen und sogar privaten, aus denen die „Ökonomie der Wünsche“ entstand. Die erweiterte Anwendung der abstrakten Berechnungen führten zur Instrumentalisierung des  Menschlichen, als die Fähigkeiten, die traditionell als menschliche, nicht entfremdete und nicht der Arbeit dienende gelten – Geschicklichkeit und Mut, ästhetische Werte, die Fähigkeit einen Dialog zu führen – zur Ware wurden. Und während solche Forscher der 1990–iger Jahre wie James Riwkin (Дж.Ривкин) und André Gorz sich mehr mit der Untersuchung der kognitiv-ökonomischen Aspekten dieses Prozesses beschäftigten, war Lyotard, seltsamerweise, mehr auf die anthropologische Problematik sogar im Buch über das Unmenschliche“ orientiert.[16] Laut Lyotard führte das Einbauen der Berechnungen und Abstraktionen in alle Sphären der menschlichen Tätigkeit dazu, dass die Dimensionen, in denen der Mensch viele Jahrhunderte existiert hatte, kastriert wurden. Dank der Entwicklung der Technologien schrumpften Raum und Zeit, und der Mensch schwebt geradezu in einem Zustand /и человек как будто завис в состоянии/, wo nichts passiert: der Raum hörte auf eine Bedeutung zu haben, nachdem er fast an jedem Punkt erreichbar ist, aus der Zeit verschwand das Element der Überraschung, da es, um finanzielle Verluste zu vermeiden, vorausberechnet wurde. Das Ereignis, wenn man so formulieren kann, wurde physisch unmöglich, weil die raumzeitlichen Formen verschwanden und nivelliert wurden, in denen sie hätten stattfinden können. Dann kann man als hauptsächliches und einziges Ereignis nur das äußerste kosmische Ereignis halten – die Explosion der Sonne, das alle Zahlenketten der Berechnungen sprengt. Und bis zu diesem Moment sieht sich der Mensch auch unbestimmt, wie auch die Materie, als deren Teil er erscheint – tatsächlich als Rohstoff für die weitere „Expansion der Monade“, wie es Lyotard nennt.

Der Schaden, den die neuen Technologien der Zeit zufügen, bezeichnet auch den Abschluss dieser Organisationsverfahren der Mitteilungen, ihr Auffangen im Gedächtnis und ihre Wiederherstellung/ Auffrischung durch die Nachkommen, die wir irgendwann als „Geschichte“ bezeichnen konnten. Um die Schlussfolgerungen Lyotards etwas anders zu formulieren, können wir behaupten/bestätigen, dass das завсиание in einer gewissen Ereignislosigkeit, außerhalb von Zeit und Raum uns nicht gestattet von „Geschichte“ zu sprechen. Diese Parallele zu den Untersuchungen Flussers ist charakteristisch, aber wenn man so sagen kann, mit anderem Vorzeichen: wenn Flusser darauf vorbereitet zu sein schien, unter den Bedingungen der Posthistorie zu existieren, dann hätte Lyotard offensichtlich die „vergangene Geschichte“ der „großen Narrative“ durch eine innere Geschichte des Gedächtnisses, die in der Durcharbeitung (perlaboration, nach dem deutschen Terminus gebildet) der Daten entsteht, die oft verhüllt und halb verwischt sind,  ersetzen wollen. Uns ist wichtig, diesen Kontext der Epoche anzumerken, nachdem wir  entdeckt haben, dass für die historische Beschreibung keine Mittel mehr gefunden werden können.

Jedoch auch in die Argumentation Lyotards dringen Elemente ein, die es erlauben, ihn nicht nur als Kritiker und ideellen Gegner der neuen Technologien zu betrachten. Indem Lyotard die Quellen der zunehmenden Nutzung der Berechnungen untersucht, kommt Lyotard bei den Ideen von Leibniz an. Eigentlich entwickelt sich die Kritik Lyotards eben auch im höchsten Grade mit Hilfe der Interpretation einiger Leibnizscher Ideen, die Lyotard vorschlägt. Doch gerade hier finden sich Aussagen, welche nicht nur nach unserer Meinung Flusser und Lyotard gegenüberzustellen, sondern auch zu vergleichen. Der Monade gelingt es darum, gemäß der Interpretation Lyotards, die Zukunft zu programmieren und nimmt ihr gerade damit tatsächlich die temporalen Charakteristiken, dass die  Menge der Einwirkungen, die sie erfährt, in den Zielen der Wirtschaft keine Gegenreaktionen hervorrufen, sondern irgendwo an der Peripherie mit der minimalen Chance, irgendwann einmal wirksam zu werden, erhalten bleiben werden. Die Eintragungen, die sich auf dem „reflektierenden Spiegel der Monade“ finden, aber unbekannt bleiben. Sie bleiben erhalten, wie Lyotard schreibt, als mögliche Wege, Wege, welche die Grundhandlung nicht gegangen ist, welche aber, mehr oder weniger, in irgendeiner Weise erhalten bleiben. Bedeutet das nicht, dass sogar in der Monade,  sogar in der Monade selbst nicht wenige Möglichkeiten anderer Existenzweisen, anderer Einwirkungen und anderer Geschichten enthalten sind? Das heißt, Karten zur Orientierung in der Welt, welche man in Fortsetzung an die Terminologie Lyotards Schemata möglicher Wege nennen könnte, können ihre Rolle unter der Bedingung erfüllen, dass der Charakter ihrer Materialität und der Verbindung mit dem, der diese Karten braucht, adäquat gewürdigt wird.

Diese notwendigerweise kurze Vorstellung einiger Ansichten Lyotards brauchten wir, um zu zeigen, dass Flussers Ideen über die Technobilder, die Begriffen folgen und Begriffe transformieren, wahrscheinlich  über eine größere Reichweite verfügen, als die, die sie bisher aufweist, wie zum Beispiel die Kritik des kognitiven Kapitalismus.  Die letztere ist auf die Klärung der Methoden konzentriert, mit denen das System der Berechnungen, das kapitalistisch geworden ist, dem Menschen seine Fähigkeit zur Bildung eines „lebendigen Wissens“, welches weiterhin mit den Angewohnheiten der abstrakten Begriffsarbeit in Einklang gebracht wird, nimmt. Jedoch die Schicht des Bildhaften, nicht die sprachliche (vor- und postsprachliche), die nichtbegriffliche (vor- und postbegriffliche), fährt trotzdem noch fort dieses Potential zu bleiben, in dem Möglichkeiten anderer Handlungen und anderer Reaktionen als diese, welche als schon durch das Kapital appropriierte, enthalten sind. Ist doch auch das Kapital ein Begriff, und er muss nach der Logik Flussers in der Epoche der Technobilder überwunden werden. Einerseits existiert natürlich ein Markt der Abbildungen und der visuellen Brands (бренд), der denselben Gesetzen unterworfen ist, wie auch die anderen Märkte. Aber andererseits gestattet gerade der richtig gefundene Zugang zum Technobild, wie es uns erscheint, die Perspektive des diese Technobilder Wahrnehmenden und durch sie mit anderen Interagierenden zurückzugewinnen. In diesem Sinne markiert die Philosophie Flussers die Wege dazu, die neue Subjektivität anders zu bestimmen. Auch Flusser spricht davon, auch seine Arbeiten können heute so gelesen sein.

Der Konflikt mit der Weltmaterie in der Fotografie – aber was ist das für eine Welt und was ist das für eine Materie, und was für ein Grad der Unmittelbarkeit?

Es ist wahr, aus den Text Flussers folgt nicht, dass ihn die Problematik der Zeit oder des Raumes beschäftigt hätte – als ob für ihn diese „reinen Formen“ nicht existiert hätten. Dafür hat er nicht wenig über die Probleme des Verstehens der Geschichte geschrieben. Und gerade die Parallellektüre der Arbeiten solcher Repräsentanten derselben Epoche, wie Lyotard, gestattet klarer die Perspektive, in die Flusser diesen Begriff stellt, zu sehen. Er war überzeugt, dass die Geschichte zu Ende war. Beendet als Erzählung, als schriftlicher Text, der sich in einer linearen Richtung aufrollt, in seiner einzigen Dimension. Лиотар, позволяет яснее увидеть перспективу, в которую Флюссер помещает это понятие. Он был уверен, что история закончилась. Закончилась как рассказ, как письменный текст, который разворачивается в одной линейном направлении, в этом своем единственном измерении. Die Geschichte ist zu Ende gegangen als einheitliche Erzählung. История закончилась как единый рассказ. Wir sehen dies heute an den zerfetzten Kommentaren im Internet, wo jede sich spontan formierende Gemeinschaft ihre Vorstellung und ihre Version der Ereignisse und ihre Form zur Demonstrierung dieser Version hat. Eine/Die Windung der Geschichte ist vollzogen, und das (die Bilder) wahrnehmende Subjekt findet sich plötzlich erneut von Angesicht zu Angesicht der Welt in ihrer Materialität gegenüber. Es fand sich plötzlich auf einem anderen Niveau im Vergleich zur weit zurückliegenden Periode, damals als die Malerei geboren wurde. Wird es wieder Systeme der Vermittlung und des Verzichts erfinden, wie dies einige tausend Jahre zuvor geschah?

Die aufmerksame Lektüre Flussers, ein wenig um Lyotard ergänzt, - das ist nicht die Aufgabe eines Ideenhistorikers, der mit Prozessen, die zwanzig-dreißig Jahre zurückliegen beschäftigt ist. Das ist nicht die Spurensuche von Ideen, die sozusagen auf natürlichem Wege verschwinden, wenn sie den Gegenstand ihrer Beschreibung verlieren. Dies ist das lebendigste Material, in dem die heutigen Theorien, unter ihnen die anthropologische und die Medientheorie,  ihre Podpitka für ihre Entwicklung findet.

Übersetzung©Stephan Teichgräber

 

[1]  siehe.: Neswald E. Medien-Theologie. Das Werk Vilém Flussers. Böhlau Verlag, 1998 und Thermodynamik als kultureller Kampfplatz. Zur Faszinationsgeschichte der Entropie, 1850-1915. Rombach, 2006.

[2]  Alle diese Termini finden sich in den Arbeiten über Flusser. Siehe z.B.: Neswald E. Medien-Theologie. Das Werk Vilém Flussers. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 1998; Hartmann F. Medienphilosophie. Wien: WUV-Universitätsverlag, 2000 .

[3]  Anlässlich Flussers als Medientheoretiker siehe z.B.: Hartmann F. 2000; Rump M.G. Denkbilder und Denkfotografien. Übereinstimmungen und Unterschiede in den Ansätzen Walter Benjamins und Vilém Flussers // Fotografie denken. Über Vilém Flussers Philosophie der Medienmoderne. Bielefeld: Herber, 2001

[4]  siehe: Mersch D. Vilem Flusser und die «telematische» Gesellschaft // Mersch D. Medientheorien. Hamburg: Junius Verlag, 2006.

[5]  Siehe solche Arbeiten Erkki Huhtamo, как : "Encapsulated Bodies in Motion. Simulators and the Quest for Total Immersion," Critical Issues in Electronic Media, ed. Simon Penny (Albany: State University of New York Press, 1995); "From Kaleidoscomaniac to Cybernerd. Towards an Archeology of the Media," in Electronic Culture, ed. Timothy Druckrey (New York: Aperture 1996); "Time Machines in the Gallery. An Archeological Approach in Media Art," in Immersed in Technology. Art and Virtual Environments, ed. Mary Anne Moser with Douglas McLeod (Cambridge, Mass.: The MIT Press, 1996); "From Cybernation to Interaction: A Contribution to an Archaeology of Interactivity," in The Digital Dialectic. New Essays on New Media, ed. Peter Lunenfeld (Cambridge, Mass.: The MIT Press, 1999); "Elements of Screenology: Toward an Archaeology of the Screen," ICONICS: International Studies of the Modern Image, Vol.7 (2004), (Tokyo: The Japan Society of Image Arts and Sciences); "Slots of Fun, Slots of Trouble. Toward an Archaeology of Electronic Gaming," in Handbook of Computer Games Studies, ed. Joost Raessens & Jeffrey Goldstein (Cambridge, Mass.: The MIT Press, 2005); “The Pleasures of the Peephole: An Archaeological Exploration of Peep Media,” in Book of Imaginary Media: Excavating the Dream of the Ultimate Communication Medium, ed. Eric Kluitenberg (Rotterdam: NAi Publishers, 2006); “Twin-Touch-Test-Redux: Media Archaeological Approach to Art, Interactivity, and Tactility,” in MediaArtHistories, ed. Oliver Grau (Cambridge, Mass.: The MIT Press, 2006); “Pockets of Plenty. An Archaeology of Mobile Media,” in The Mobile Audience, ed. Martin Rieser (Amsterdam: Rodopi, в печати).

[6]  Encyclopedic dictionary of semiotics. Vol.3/Th.A.Sebeok, P.Bouissac, M.Danesi, J.Pelc, R.Rosner, et al. Berlin, 1986und die diesem Band folgenden populären Bücher, ebenso wie Danesi M. Encyclopedic dictionary of semiotics, media and communications. Toronto, 2000.

[7] O.Marchart. Cultural studies. Konstanz, 2008; C.Barker. Cultural studies: Theory and practice. London, 2008

[8]  Hayles K. How We Became Posthuman: Virtual Bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics. Chicago: University of Chicago Press, 1999.

[9]  Flusser reproduziert dieses Schema in einigen Arbeiten; am systematischsten ist es in den Vorlesungen zur Kommunikologie ausgeführt. – siehe: Flusser V. Kommunikologie. C. 272-300.

[10] Flusser benutzte hier das Wort „Textanbetung“ (Textolatrie) in Analogie zur „Bildanbetung“ (Idolatrie). – siehe z.B. Flusser V. Für eine Philosophie der Photographie, S. 12.

[11] Azoulay A. The Civil Contract of Photography . Zone Books, 2008

[12] In einigen Fällen sind wir gezwungen nicht nur die deutschsprachige Terminologie Flussers zu bringen,  da dies mit der schweren Zugänglichkeit der entsprechenden Archivmaterialen zusammenhängt.

[13]            Krauss R. Tracing Nadar – In: Reading into Photography. Selected Essays, 1959-1980. Ed. by Thomas F. Barrow. Albuquerque, 1982; Gespenster: Erscheinungen, Medien, Theorien. Hg. Moritz Baßler, Bettina Gruber und Martina Wagner-Egelhaaf. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005.

[14] Knilli F. Das Hörspiel in der Vorstellung der Hörer. Selbstbeobachtungen. Mit einem Geleitwort von Heinz Hartwig und einem kurzen Rückblick von Manfred Mixner, Frankfurt am Main / Berlin / Bern / Bruxelles / New Yorck / Oxford / Wien 2009

[15] So meinte Lyotard ähnlich wie Flusser, dass zu kommunizieren im allgemeinen Sinne und jede Behauptung  kommunikabel zu machen, nicht unumgänglich voraussetzt, dass eine größere Transparenz der menschlichen Gesellschaft erreicht wird, dabei soll nur vorausgesetzt werden, dass eine gewisse Menge an Informationen mit anderen Mengen kombiniert werden sollen, so dass ihre Totalität zur Formierung eines operativen geschmeidigen und effektiven Systems führen sollte.

[16] Lyotard J-F. L’Inhumain: Causeries sur le temps. Paris: Galilée, 1988

Autor

Nina N. Sosna

Stipendiat des DAAD an der Humboldt U

 

Übersetzer

Stephan-Immanuel Teichgräber (kurz)

Literaturwissenschaftler und Übersetz