Verlag:
Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur, DomL
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Publikationsdatum:
16. Juni 2015
Ausgabe:
Vorrätig:
YES
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Land: Austria
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Pavol Rankov
Mütter
HALT!
- Schlampe, - flüsterte die Frau. – Gerade unter Mutters Dach ... mit einem Bolschewiken.
Jetzt drückte sie an das Schlüsselloch das andere Auge, als ob sie hoffte, dass sie so im dunklen Zimmer ein annehmbareres Bild sieht. Aber wieder hatte sie vor sich nur die Silhouetten nackter Köper vor sich. Zornig biss sie sich in die Lippe. Dann streckte sie sich langsam aus. Ihr Blick fiel auf den glänzende geschmückten Weihnachtsbaum, der über dem Küchentisch hing. Es schien ihr, dass eine der Kugeln vom Ende des Zweiges herabfallen könnte. Sie rückte sie zurecht. Sie ging durch den dunklen Raum zur Bank, aber setzte sich nicht. Sie schaute auf die Tür wie auf eine Scheiterhaufen. Jedoch wusste sie nicht, ob sie diese wichtige Grenze überschreiten nicht darf oder im Gegenteil muss.
Kurz darauf kehrt sie mit strammen Schritten zur Tür zurück. Doch in dem Moment, wo ihre Finger die Klinke umschließen, zögert sie wieder. Langsam zieht sie die Hand zurück und wischt sie an der Schürze ab, als ob sie etwas teuflisches (unreines) berührt habe. Sie durchquerte wieder die Küche und sank auf die Bank. Das Holz begann zu knarren. Die Frau schaute voller Spannung auf die Tür, aber als sie sich nicht öffnete, drohte sie ihr mit der Faust und zischte angeekelt.
- Tiere in der Brunst. Nichts scheucht euch auf.
Sie schüttelte den Kopf und seufzte.
- - Ich will nur anmerken, dass dies mein Haus ist, - sagte sie fast laut. – Und meine Tochter.
Das Mädchen fuhr mit dem Gesicht über die Brust des Mannes. Harte Büschel kitzelten sie am Mund. Sie atmete den scharfen Männergeruch ein. Als sie zu den Achseln kam, zog sie sich zurück:
- Wir müssen nachdenken, wie wir dich baden, damit Mama nichts bemerkt.
- Wie? – fragte der Mann.
- Ich bade dich. Ich wasche dich.
- Menja mytj nada? – lachte der Mann. – Ich nehme Schnee...
- Woher Schnee! Ich bade dich im warmen Wasser wie ein kleines Kind.
- Kleines Kind? – wiederholte der Mann.
Er stützte sich auf die Ellenbogen, dabei er dem Mädchen ins Gesicht sehen kann. Er betrachtete sie im himmelblauen Mondlicht, das durch das kleine Fenster drang.
- Kagda wojna zakontschitsja i detjatko budet.
Das Mädchen platzte vor Lachen, hielt sich die Hand vor den Mund, um das Kichern zu unterdrücken.
- Imja perwogo maltschika budjet Alexej, - flüsterte der Mann. – W naschej ssemje vsegda tak bywajet, perwyj maltschik Alexej. Alexej Alexejewitsch.
- In unserer Familie hieß wiederum die Tochter nach der Mutter Zuzana. Alexej und Zuzana.
Das Mädchen drehte sich auf die Seite und drückte sich an den Mann. Das gekrümmte Bein legte sie ihm auf den Bauch.
- Wann endet endlich der Krieg?
- Kagda my ubjom vsjech nemzew!
- Alle vielleicht nicht! Unten in der Stadt leben auch Deutsche, und das sind gute Leute.
Der Mann küsste sie. Er stand plötzlich auf und drückte sein Gesicht ans Fenster.
- Nemzi! – schrie er.
Er öffnete das Fenster und drückte sich nackend hinaus. Das Mädchen stieß die Automatenpistole hinter ihm hinaus.
Einen Sekundenbruchteil später öffnete sich die Tür und die Mutter lief in das Zimmer.
- Schließ das Fenster, Dummchen. Die Deutschen kommen!
Das Mädchen stand jedoch nur da. Sie faltete die Hände und ihre Lippen flüsterten schon die ersten Worte eines Gebets. Die Mutter stieß sie beiseite, sprang zum Fenster und schloss es. Hastig sammelte sie die herumliegenden Kleidungsstücke der russischen Uniform.
- Halt! – rief es von draußen.
Darauf ertönten Schüsse und Befehle auf Deutsch. Das Mädchen drückte das Gesicht ans Fenster, aber die Mutter zog sie wieder zurück:
- Dummchen, zieh ein Nachthemd an und lege dich hin! Tue so, als ob du schläfst. Niemals hast du ihn gesehen. Damit haben wir nichts zu tun.
Die Schüsse hörten nicht auf.
Das nackte Mädchen kniete auf dem Bett mit dem Kopf auf den Knien und betete mechanisch.
- Mutter Gottes, erhöre mich und hilf mir. Mutter Gottes, erhöre mich und hilf mir. Mutter Gottes, erhöre mich und hilf mir, - wiederholte sie.
Die Mutter schaute den Arm voller Militärkleidung auf ihren nackten Rücken.
- Erhöre die Sünderin und hilf dem Bolschewiken?! – muckste sie zornig. – Gut, dass das dein Vater nicht erlebt hat.
Ihre Augen trafen sich. /begegneten sich/ Beide bemerkten in diesem Augenblick, dass die Schüsse nicht mehr zu hören waren.
- Mama, sie haben ihn mir getötet, - flüsterte das Mädchen.
- Zieh dich an und leg dich hin. Ihm hilfst du nicht mehr, sei er entkommen oder haben sie ihn gefangen, - befahl die Mutter.
Langsam wie ein Kind, wenn es sich seiner Hilflosigkeit bewusst wird, legte sich das Mädchen. Die Mutter setzte sich an den Rand des Bettes und bedeckte mit dem groben Tuchent die Nacktheit des Mädchens.
Mit dem Handrücken streichelte sie ihr die Wange:
- Die Deutschen können jeden Augenblick kommen. Sie werden uns verhören. Du weißt von nichts! Dich hat diese Schießerei aufgeweckt. Seine Kleidung werfe ich in den Sparherd /šporhelt/. Und zieh dich schon endlich an, Fräulein /frajla/!
In der Morgendämmerung ging die Mutter auf den Hof hinaus. Sie holte aus dem Schuppen eine Schaufel und begann den Schnee wegzuschaufeln. In der Nacht hatte es etwas geschneit, aber die Spuren und dem Fenster des Mädchenzimmers waren immer noch zu sehen. Einige Male grub sie mit der Schaufel, bis sie auf Erde stieß.
Sie drückte das Gesicht an die Scheibe. Die Tochter kniete weiter neben dem Bett und betete.
Die Frau ging dann den Spuren nach. Abwechselnd scharrte sie Schnee fort oder schichtete ihn zu kleinen Häufchen. So kam sie durch den Hof und den Garten bis an den Zaun. Eine Latte war herausgebrochen. Die Frau hob sie auf und schmiss sie mit ganzer Kraft zum großen Haufen gesägten /popílený/ Holzes beim Stall /marštal/.
- Dieses Loch haben wir schon ein paar Jahre im Zaun, Herr Offizier. Immer wieder war keine Zeit, dass ich das repariere. Wisen Sie, wenn eine Frau ohne Mannsbild ist, ist das im Haushalt zu erkennen. Ein Hundeleben, Herr Offizier. Hundeleben, Herr Offizier. Frau ohne Mann... Der Frau ohne das Mann... – sie hatte sich vorbereitet, was sie den Deutschen sagen wird.
Sie warf ein paar Schaufeln Schnee vom Garten auf die Spuren hinter dem Zaun. Dann fesselte ihr Blick etwas am Hang.
- Mein Gott, - flüsterte sie, - gib, dass ich das vereiteln kann.
In der Ferne steckte etwas Bläuliches aus dem Schnee hervor.
Die Hütte stand am Rand des Dorfes. Es war leicht möglich, dass außer ihr und den deutschen Soldaten niemand anderes von dem toten Körper im Schnee wusste. Am Hang war er von den anderen Höfen nicht zu sehen und in den Wald zu gehen, um Holz zu holen, war verboten. Die Frau sagte sich, wenn ihn die Deutschen bis Mittag nicht wegschaffen, begibt sie sich zum Pfarrer und bittet ihn um Hilfe. Begräbnisangelegenheiten sind trotzdem seine Sache.
Der Tochter sagt sie nichts. Sie verbot ihr aus dem Haus zu gehen und wiederholte das noch einmal. Und sie muss jeden zurücktreiben, der zur Leiche vor /popred/ ihren Fenstern gehen will. Die Tochter beschützt sie. Sie ist noch jung, mit der Zeit vergisst sie es. Sie hatte mit ihm geschlafen, aber das war auch anderen passiert. Der Krieg hört bald auf und das Mädchen verliebt sich in einen anderen. Es findet sich einer, der vergeben kann. Und all das bleibt nur in den geheimsten Erinnerungen, verborgen wie unter Schnee.
Die Frau schaute noch einmal auf den Abhang, aber ihre Aufmerksamkeit fesselte jetzt ein entferntes Donnern. Ein Gewitter im Dezember überraschte sie. Danach donnerte es wieder und sie wurde sich plötzlich bewusst, dass die Frauen gestern nach der Messe von diesem Donnern gesprochen hatten. Die Beschießung. Es näherte sich die Front. Die Frau bekreuzigte sich.
HALTOVAŤ (slowakische Umgangssprache aus dem Deutschen für bremsen, anhalten)
Die Sonne war noch schwach, nicht einmal bis zum Mittagesseb schaffte sie es die Erde, die vom nächtlichen Regen feucht war, zu trocknen. Zuzana kniete im feuchten Gras. In den Händen hielt sie ein geöffnetes Buch, obwohl sie das Gebet für den verstorbenen Gatten schon auswendig kannte. Die vom Weinen geröteten Augen richtete sie auf den großen Haufen unlängst aufgeschütteter Erde.
Die deutsche Kommandatur erlaubte auch nach großer Überzeugungsarbeit dem Pfarrer nicht den russischen Partisanen in der geweijten Erde des Friedhofs zu bestatten. Die Männer des Dorfes mussten eine Grube in die gefrorene Erde graben, unmittelbar unterhalb des Abhanges, gleich dort, wo sie ihn erschossen hatten. Den Körper wickelten sie in ein Leinentuch und bestatteten ihn in einem hastig gehobelten /zhlobený/ Sarg aus unbearbeiteten Brettern. Aber das Grab wurde auch so von dem Pfarrer geweiht. Bolschewik oder Nationalsozialist, vor Gott sind alle gleich, schrie er den protestierenden Gardisten an, der die Beerdigung überwachte.
Als die Front kam, war Zuzanas erster Gedanke, dass man das Grab ordentlich ummauern /obmurovať/ müsse. Sie wusste, dass ihre Mutter ihr keine Krone dafür geben würde, sie entschloss sich also, zu den Leuten vom neuen Nationalausschuss zu gehen. Nur das fürchtete sie, dass sie Alexej hinunter auf den Friedhof bringen wollen oder sogar in die Sowjetunion. Hier am Fuße des Berges hatte sie ihn in der Nähe. Konnte sie jeden Tag bei ihm vorbeischauen, manchmal auch dreimal. Die Mutter war wirklich erzürnt, sie fürchtete, was die Leute denken, wenn Zuzana so öffentlich den Bolschewikengeliebten beweinte.
Aber Zuzana war alles eins. In ein paar Wochen sieht auch so jeder, dass sie ein Kind erwartet. Den kleinen Alexej. Das wird sicher ein Bursche. Alexej Alexejewitsch. Schon lange suchte sie Worte, wie sie das der Mutter mitteile.
Zuzana bekreuzigte sich. Sie wollte das Gebetsbuch schließen, aber da fiel ihr Blick auf den unteren Teil der rechten Seite, wo ein Gebet für verstorbene Eltern war. Es fiel ihr ein, dass sie im Namen ihres Kindes für seinen Vater beten konnte. Eine Hand legte sie auf den Bauch, als ob sie sich mit dem Kind verbinden wollte, mit der anderen fasste sie fest das Büchlein, denn der Wind begann die Seite aufzublättern.
- Gott, der du geheißen hast, Vater und Mutter zu ehren, erbarme dich der Seele meines Vaters...
Als Zuzana über den Hang heimkehrte, bemerkte sie, dass von ihrem Garten ihr drei Männer entgegen kommen. Zwei waren sowjetische Soldaten, das Rot ihrer Schulterstücke /náplecník/ auf den Uniformen glänzte in der kalten Märzsonne, der dritte war ein Milizionär, dörflich in Zivil gekleidet mit einer roten Binde am Ärmel. Dass sie nur nicht Alexej irgendwohin überführen wollen, kam ihr wieder der Gedanke.
- Sind Sie Zuzana Lauková? – fragte der Milizionär, als sie sich mitten auf der Wiese trafen.
- Ja, das wissen Sie doch, - antwortete Zuzana.
Der Mann stülpte /našpúlil/ geringschätzig die Lippen auf.
- Sie müssen in einer gewissen Angelegenheit Auskunft geben, kommen Sie mit uns.
Die sowjetischen Soldaten zeigten an ihr nur geringes Interesse. Sie gingen vorneweg und amüsierten sich über irgendetwas heftig.
- Geht es um die Beerdigung Alexejs? – fragte Zuzana.
- Weiß nicht, - antwortete der Mann mit der roten Binde. – Unten in Leutschau sagen sie es Ihnen. Holen Sie ihre Dokumente und wenn Sie wollen, auch etwas zum Überziehen. Es kann wieder anfangen zu regnen.
Zuzana lief schneller, damit sie die Soldaten einholt. Sie wollte soviel wie möglich vom wohlklingenden Russisch, das sie an Alexej erinnerte, aufschnappen.
Als sie zum Haus kamen, stand die Mutter schon auf dem Hof.
- Was ist los? – fragte sie.
- Nitschewo, - lachte einer der Soldaten und winkte mit der Hand ab.
- Wirklich nichts, - beruhigte Zuzana die Mutter. – Beunruhige dich nicht, Mama.
- Sie muss in einer gewissen Angelegenheit Auskunft geben und geht mit uns, - wiederholte der Milizionär seine vorangegangenen Worte. Er drehte sich zu Zuzana um und befahl feindselig:
- Geh hinein, für die Dokumente. Anszwei!
In der Küche öffnete sie die /almara/ und nahm von dort ihren Ausweis. Sie steckte ihn ins Gebetsbüchlein.
- Wollen sie auch das Gesangbuch mitnehmen? – wunderte sich der Milizionär.
- Wenn es nötig ist zu warten, werde ich wenigstens beten, - erklärte Zuzana.
Der Mann zuckte mit den Schultern.
Zuzana ging ins Zimmer, um sich ein Wolltuch zu holen. Die Tür blieb angelehnt, sodass sie hörte, wie die Mutter den Mann fragte, ob er jetzt schon mit den Russen arbeite. Der Mann antwortete ihr, dass doch jeder gesehen habe, was geschehen sei, als die Front durchrückte. Die Russen waren wild geworden, irgendjemand musste den Mut finden, sie einzubremsen. Die Mutter fragte spöttisch, ob er vorher auch die Deutschen eingebremst hätte. Der Mann sagte ihr, dass sie im eigenen Interesse lieber die Koschen halten solle.
Zuzana kam darauf, dass sie doch nicht nur wie in ein altes Mütterchen mit dem Gebetsbüchlein in der Hand durch Leutschau laufen musste, und so zog sie sich den dunkelblauen Feiertagsrock der Mutter an, der vorne von innen Taschen eingenäht hatte. Das Büchlein steckte sie dort hinein.
Am Pförtchen stand ein russisches Auto. Die Soldaten saßen schon drinnen und warteten, bis Zazana einstieg. Die Mutter umarmte jedoch die Tochter kräftig, drückte sie an sich, als ob sie sie nicht gehen lassen wollte. Der Milizionär musste dann aus dem Auto steigen, damit er die Tochter von der Mutter energisch losriss. Die Mutter brach in Tränen aus und wollte Zuzana wieder umarmen. Der Milizionär stieß sie weg und stieß einen Schrei aus:
- Hebe dich hinweg, Swolotsch!
Die russischen Soldaten warfen sich amüsiert Blicke zu.
Zuzana stieg ein und das Auto fuhr ab.
Übersetzung©Stephan Teichgräber aus
Pavol Rankov, Matky. Banská Bystrica 2011
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