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Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
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Publikationsdatum:
18.11.2018
Ausgabe:
erste
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YES
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Land: Austria
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Zuerst müssen wir, glaube ich, umreißen, was Centrope ist und dann können wir danach fragen, ob es sich dabei um eine Semiosphäre handelt und werden sehen, dass es sich um eine Zukunftsprojekt handelt, so wie vor hundertfünfzig Jahren die tschechoslowakische Semiosphäre zwar nicht undenkbar war, aber an sich nicht existierte. Hilfreich ist dabei wahrscheinlich die Herausbildung der tschechoslowakischen Kultur die zu einer eigenen Semiosphäre führte, die jedoch gerade zu Anfang stark fragmentiert war und doch immer stärker zu einer Unifizierung führte, als Beispiel oder vielleicht sogar als Vorbild heranzuziehen.
Centrope ist ein geographisch abgesteckter Raum, der aus den Ländern Bratislava, Trnava, Südmähren, Bundesländern Niederösterreich, Burgenland und Wien und den Komitaten Moson-Győr-Sopron und Vas.
Eine Semiosphäre ist ein semiotisches Kontinuum, in dem verschiedenartige semiotische Bildungen, Gebilde auf verschiedenen Niveaus existieren können; wobei erst durch das Eintauchen in dieses Kontinuum einzelne eindeutige Systeme funktionieren. Außerhalb der Semiosphäre ist weder Kommunikation noch Sprache möglich (Лотман 2009, 250), doch gibt es keine isolierte Semiosphäre, sondern sie grenzt immer an andere an, wobei in Mitteleuropa die Semiosphären nicht räumlich nebeneinander liegen, sondern sich überlappen. Die Homogenisierung der Semiosphäre ist nun gegen dieses Überlappen gerichtet und möchte eine räumliche, meist national bestimmte Anordnung; dabei ist durch die postmoderne Kommunikationstechnologie dieses Überlappen auch in Westeuropa schon gang und gäbe, wenn jede eingewanderte Community oder jeder einzelne nicht aus seiner Semiosphäre heraustreten muss, sondern über Fernsehen, Telefon und Internet weiter in ihr verweilen kann, was jedoch nicht heißt, dass er nicht an der neuen Semiosphäre, in der er eingewandert ist, teilnehmen wird. Von den Angehörigen (Sendern, Empfängern) der neuen Semiosphäre wird meist erwartet, dass die neuen Teilnehmer ganz aus ihrer Semiosphäre heraustreten und auf sie verzichten Dabei ist anhaltende Partizipation an der Semiosphäre, woher der betreffende kommt, eine Erleichterung das Funktionieren der neuen Semiosphäre zu verstehen, zu akzeptieren und anzuwenden, zugleich vermeidet sie den sogenannten Kulturschock. Andererseits verkörpern die Menschen, die zwei Semiosphären angehören die Grenze und realisiere die Übersetzungsprozesse, die neue Informationen generieren, und sind deshalb unendlich wertvoll für die Semiosphäre, sowohl für die eine wie auch für die andere.
Wenn jedoch ein Sender/Empfänger aus einer Semiosphäre in eine andere gerät, kann er in der Regel nicht kommunizieren und im Speziellen sprechen.[1] Dies können wir modellartig in Centrope beobachten, wo diejenigen, die nur die österreichische Semiosphäre kennen, in den anderen Semiosphären nur dann kommunizieren können, wenn sie auf jemanden stoßen, der in der österreichischen Semiosphäre nicht sprachlos wäre.
Centrope besteht heute aus drei, vielleicht sogar vier Semiosphären und ist, wie ich schon dargelegt habe, eine Aufgabe oder vielleicht besser eine Frage für die Zukunft, ob aus Centrope eine Semiosphäre wird. Wir stehen eigentlich vor einer Situation wie 1918, als die tschechische und die slowakische Semiosphäre zusammenwachsen sollte, was auch weitgehend gelungen ist, obwohl dabei berücksichtigt werden muss, dass es sich um eine gewisse Osmose gehandelt hat und handelt, die slowakische nahm die tschechoslowakische vollständig in sich auf, während die tschechische die slowakische nicht ganz in sich einschloss. Das ist historisch ein gewisser reziproker Prozess, denn solange die Slowakei zu Ungarn gehörte, schloss sie ungarische (uherská) Semiosphäre ein – aus dieser Zeit stammen auch gemeinsame Elemente in der slowakischen und kroatischen Semiosphäre – ohne dass die ungarische die slowakische einschloss.
Gehen wir von der Verbindung der slowakischen und der tschechischen Semiosphäre 1918 aus, so haben wir heute für Centrope einen analogen Prozess, der durch die Zugehörigkeit zur Europäischen Union bedingt ist, denn ohne sie wäre ein Konstrukt wie Centrope nicht denkbar, wobei wir seit 2003, wo Centrope aus der Taufe gehoben wurde, noch nicht sehr weit gekommen sind. Es ist die Aufgabe spezieller Studien, inwieweit Centrope schon ein eigenes Zeichensystem entwickelt hat, wobei dieser Prozess bis 1989 zurückreicht, wo durch den Fall des Eisernen Vorhangs die österreichische Semiosphäre viel stärker in die Nachbarsemiosphären eindringen konnte. Hier haben wir aber im Unterschied zur Tschechoslowakei einen weitgehend einseitigen Prozess. Für den schwierigen Prozess 1918 ist der Artikel von Benko, in dem er den Journalisten Emo Bohúň (1889-1959) zitiert (Roguľová, 20f.) sehr aufschlussreich, weil es die Fremdheit, die Grenzen zwischen beiden Semiosphären genau aufzeigt: „Svet v Uhrach sa končil niekde pri Holiči lebo Skalici, ale čo je ďalej na západ v českých krajinach, o tom sme mali len hmlisté predstavy.“ (Roguľová 2009, 21) Andererseits „citil som sa ako exotické zvieratko, ktoré udivovalo Pražanov.“ Bezeichnend war das Bild der Tschechen von den Slowaken „ako ušlachtily divoch“. (21) So wurde der Slowake mit den Eigenschaften „Infantilität“, „Unreife“, „Unbewusstheit“, „Zurückgebliebenheit“ und eines „dumpfen Zustandes“ (mrakový stav) assoziiert.[2] (ebd.)
In demselben Band von Roguľová meint Zemko, dass der ungarische Parlamentarismus (Honoratioren, sehr beschränktes Wahlrecht) zu der starken Stellung der Parteivorsitzenden in der Slowakei der Zwischenkriegszeit führte (Hlinka, Hodža und Dérer bei den Sozialdemokraten; Razús nennt er nicht). Aber auch nach 1989 scheint sich diese Tradition wieder neu zu beleben, sogar in noch stärkerem Maße, Vladimír Mečiar beherrschte nicht nur seine Partei, sondern das politische Leben der 90-iger Jahre, ebenso Róbert Fico, der das erst Jahrzehnt des neuen Jahrtausends bestimmt hat. Diese Tendenz finden wir aber auch in anderen Gebieten Centropes, wobei die ihre Wirkung meist an den Grenzen der Semiosphären aufhören, sei es Viktor Orbán oder Karl-Heinz Strache. Auch wenn der tschechische Teil derzeit von ähnlichen patriarchalischen Strukturen in der Politik verschont ist, wurde doch die Trennung der Tschechoslowakei auch als „panské huncutsvo“ der Herren Mečiar und Klaus.
Die verschiedenen Semiosphären sind auch durch unterschiedliche politisch administrative Strukturen bedingt. Einzelne politische Funktionen müssen von einer Semiosphäre in die andere übersetzt werden, wobei ein tschechischer Hejtmann andere Befugnisse und eine andere Machtfülle hat als ein österreichischer Landeshauptmann. Nicht umsonst wurde Centrope von Bürgermeistern gegründet, weil man meinte, hier eine politische Funktion gefunden zu haben, die in allen vier Semiosphären verständlich ist. Andererseits bleibt es in den anderen Semiosphären völlig unverständlich, was ein Komitatspräsident (megyei közgyűlés elnöke) ist, wozu die ungünstige deutsche Übersetzung zusätzlich beiträgt. Ebenso die politisch territoriale Einteilung, wobei ein Bundesland und ein Kraj nicht nur von unterschiedlicher Größe sind, sondern sich ihrer ganzen Struktur unterscheiden. Der Kampf am Anfang der ersten Republik, ob sich das System der župy sich behauptet oder das der krajs, war auch ein symbolischer, welche der beiden politischen Traditionen sich durchsetzt, gleichzeitig war es eine Voraussetzung dafür, dass sich eine gemeinsame tschechoslowakische Semiosphäre herausbilden konnte.
Inwiefern kann der politische Katholizismus in Centrope an der Ausbildung einer Semiosphäre beteiligt sein oder zu ihr beitragen? Der Katholizismus an sich bildet schon einmal eine funktionierende Grundlage, doch zeigt sich hier, dass der Katholizismus nicht an den Grenzen Centropes haltmacht, sondern weit darüber hinausgeht. Die Verbindung des Katholischen und des Nationalen, wie es in der Slovenská ľudová strana anzutreffen war, ist eigentlich ein Oxymeron. Der Katholizismus öffnet eigentlich die Semiosphären.
Der Aufbau einer neuen Semiosphäre, der tschechoslowakischen, wurde als Befreiung gefeiert, wobei dieser Prozess bis zum Ende der Tschechoslowakei 1992 nicht abgeschlossen war; es sollte also von Anfang an eine Semiosphäre und nicht zwei entwickelt werden, womit eigentlich eine Verschmelzung der tschechischen und slowakischen herbeigeführt werden sollte.[3] Der Ausschluss aller Elemente die früher zur slowakischen und ungarischen Semiosphäre gehörten - wobei die letztere die Tendenz hatte, die slowakische zu absorbieren, genauer gesagt bestimmte Elemente aufzunehmen und andere auszuschließen und ihr jede Existenzberechtigung abzusprechen (Das war ja eigentlich der Kern der sogenannten Madjarisierung.) – führte dann wieder zu einer gewissen Homogenität dieser Semiosphäre, die zu einer tschechoslowakischen Identität führte. (Benko in Roguľová 2009, 22) Die Bildung der Tschechoslowakei ist ein Schulbeispiel für Transformationsprozesse, die eine Semiosphäre oder mehrere verändern und die Übersetzungsprozesse, die früher an den Rändern der Semiosphäre stattfanden, nun als aktive Transformation in die Semiosphäre hineinziehen. Bei der Agitation für diese neue tschechoslowakische Semiosphäre ging es jedoch nicht nur darum, die Wirksamkeit der ungarischen Semiosphäre zu lähmen, sondern auch eine bürgerliche gegen eine proletarische Gesellschaft zu erhalten. (Die Wirkung der ungarischen Räterepublik auf Centrope und in Centrope ist meines Wissens noch gar nicht erforscht worden.) Es sollte jedoch nicht nur die ungarische, sondern auch die jüdische Semiosphäre, die ich bisher noch gar nicht berührt habe, die jedoch in Centrope bestimmt die fünfte wichtige Semiosphäre ist, ausgeschlossen werden (s. Benko 2009, 22), ebenso jedoch nicht die Semiosphäre, die durch die Romakultur gebildet wird, wobei die letztere einem besonderen Ausschlussmechanismus unterliegt.
Die tschechischen Legionäre (legionári) kämpften zuerst mit den Weißen (Koľčak) und später allein gegen die Boľševiki, nur eine Minderheit (zu der Jaroslav Hašek gehôrte) schloß sich ihnen an. Die tschechischen Legionäre betrieben auch die Post und die Eisenbahn, […] čo boli vo veľkej miere na Slovensko exponovaní české uradníci, učitelia, četníci, železničiari, vojaci i ochodníci.“ (Benko 2009, 23) Hier stellt sich vor allem die Frage, was die tschechischen Legionäre in die neuentstehende tschechoslowakische Semiosphäre eingebracht haben.
Innerhalb der slowakischen Semiosphäre gab es einen Mangel an Bildung, der durch die Ausbildung einer tschechoslowakischen behoben werden sollte. (s. Benko 2009, 23) Die Bildung, die in der ungarischen und speziell in der slowakischen-ungarischen Semiosphäre vorhanden war, wurde nicht wahrgenommen, denn die Transformation der slowakischen Semiosphäre und der Aufbau der tschechoslowakischen bedeutete eine klare Abgrenzung von der ungarischen (Hier wird dann das schauerliche Wort „Reinigung“ verwendet gerade in Bezug auf die natürliche Sprache, aber auch in anderen Zeichensystemen).
Nicht unwichtig ist, wie der Aufbau und Ausbau, die Entwicklung der Semiosphäre organisiert wurde. Schon 1919 gab es ein Gesetz zur Volksbildung, dass der Staat dafür Sorge zu tragen habe „[…] že stát jsme nyní v podstatě sami, že instituce statní jsou našimi národními institucemi […]“ (Benko 2009, 24 Fußnote 25), 1920 wurde das Slowakische Pressebüro (Slovenská tlačová kancelaria) gegründet, die schon in den ersten Monaten ihrer Existenz mehrere tausend Kurse in der Volksbildung organisierte.
Im Gegensatz zur katholischen Kirche sind die politischen Parteien Apparate, die durch ihre Zeichenproduktion Centrope wesentlich fragmentieren. Nicht nur dass die Parteien in den jeweils anderen Semiosphären kaum bekannt sind, sind ihre politischen Zeichen und Symbole weitgehend nur in der jeweiligen Semiosphäre gültig und die damit verbunden Handlungen, Rituale, verständlich.
Etwas außerhalb unserer Fragestellung steht die heutige Position des Adels in Centrope, obwohl bei einem Entwurf der Semiotik der Aristokratie in der Geschichte Centropes in ihren Nachwirkungen dies wieder an Aktualität gewinnen würde, denn es ist nicht zu übersehen, dass die Aristokratie für die gegenwärtige Identität in Ungarn eine nicht zu vernachlässigende Größe ist. Aber auch in Österreich und in Tschechien treten immer wieder Nachkommen der Aristokratie offen oder verdeckt in die große Politik ein.
Ein Zeichen für den Reichtum, für die gesellschaftliche Bedeutung, für die Stellung, den Stellenwert der ungarischen Aristokratie war die Anzahl der Bäume vor ihrem Schloss, ein wirklich semiotische Angelegenheit. (Holec in Roguľová 2009, 36)
Die aktive Transformation des Adels in eine treibende Kraft der tschechoslowakischen Republik, die Fürst Livius Odescalchi propagierte, erscheint dem Historiker Roman Holec bizarr, dabei ruft er nur dazu auf, sich der slowakischen Semiosphäre anzuschließen (was bei seiner Herkunft aus einem italienischen Adelsgeschlecht, das sich in Ungarn ganz madjarisierte, besonders erstaunlich ist) und spricht selbst von einem „gesunden Opportunismus“. (s. Holec in Roguľová 2009, 40) Dabei schlägt Odescalchi zwar den nationalen Wechsel vor, nicht jedoch dabei die Semiosphäre auf die slowakische zu beschränken und diese von der ungarischen (maďarský) zu trennen, sondern die ungarische (uherská) zu belassen. (Holec 2009, 40)
Die beiden Semiosphären, die tschechoslowakische, die erst entstehen sollte, und die slowakische, die zwar vorhanden war, aber sich in einem Transformationsprozess befand, weil die ungarischen Elemente ausgeschlossen wurden, hebt auch der finnische Historiker Iso Normi hervor. (s. Holec 2009, 46) Normi meint jedoch, dass sich beide Semiosphären ausschließen würden, dagegen wurde die tschechoslowakische Semiosphäre, so unvollständig sie auch immer war, zu einem Bestandteil der slowakischen, sodass wir heute eine gewisse Osmose zwischen der slowakischen und der tschechischen haben. Holec macht auf ein weiteres semiotisches Phänomen aufmerksam: so hingen in den slowakischen Haushalten häufig die Porträts Masáryks und Franz-Josephs nebeneinander in der Wohnstube. (Holec 2009, 47). Dies verweist darauf, dass die slowakische Semiosphäre weiterhin Anteil an der ungarischen und österreichischen Semiosphäre hatte. Damit wurde zwischen dem Kaiser und dem Präsidenten eine Äquivalenz hergestellt, während in der tschechischen Semiosphäre dies eine binäre Opposition war. So zitiert Holec ein Beispiel aus Lučenec, wo neben dem Bild Franz-Josephs auch die Bilder Lajos Kossuths und Ferenc Deáks noch bis zum Jahr 1920 im Stadthaus hingen (ebd., 47), was auf die Inertia innerhalb der Semiosphäre hinweist, wobei dabei noch gar nicht die Frage gestellt ist, inwieweit in Lučenec an sich die ungarische Semiosphäre die dominante war. Eigentlich handelt es sich bei dem Abhängen der Bilder um die „Bereinigung“[4] der slowakischen und die Ausbildung der tschechoslowakischen Semiosphäre. Dieses Fortleben von Elementen der vorherigen Semiosphäre oder einfach, dass die Semiosphäre anders aussieht, als sie aus der Sicht einer anderen Semiosphäre aussehen müsste, wird in dieser als Nostalgie bezeichnet. Diese Trägheit, Inertia, wie wir sie bei der friedlichen Koexistenz von Franz-Josef und Masaryk in den slowakischen Bauernstuben gesehen haben, ist aber eigentlich eher die Regel und das Aufnehmen neuer Zeichen, ihre Akzeptanz, ist eigentlich das Überraschende.[5] Die Transformation der slowakischen Semiosphäre - und darin zeigt sich auch die Trägheit – beschreibt Juraj Podoba „ešte je stále časom prelínania hystorický už prežitých a postupne dožívajúcich sociokultúrnych fenomenov […] (Roguľová 2009, 50) Podoba wendet sich dagegen, die Transformation des slowakischen Dorfes (vidiek) als Fortschritt zu interpretieren, wie es bisher in der slowakischen Ethnographie noch üblich ist und womit sie noch in der Moderne steckengeblieben ist.
Podoba unterstreicht, dass die Vorstellung und Darstellung meist aus der Sicht der „Sieger“ erfolgt, was im tschechoslowakischen Kontext zwar verständlich ist, jedoch zeigt, dass sie dem Rahmen dieser Semiosphäre(n) verhaftet bleibt, und es unsere Aufgabe ist, auch die anderen Semiosphären, also die Verlierer einzubeziehen, also die österreichische und die ungarische.
Weiters stellt Podoba auch die Prämisse des Fortschritts heraus, als ob die Transformation der Semiosphäre als Fortschritt interpretiert werden könnte, was jedoch retrospektiv immer der Fall ist, der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus war gesetzmäßig und zugleich ein Fortschritt, die Rückkehr vom Kommunismus zu einer marktorientierten Wirtschaft war notwendig und zugleich ein Fortschritt; dabei birgt die Skepsis gegenüber dieser Fortschrittsprämisse ebenso zu eine Gefahr, eine Falle, in die die Postmoderne getappt ist, dass ja dann, wenn es keinen Fortschritt gibt, alles was fälschlicherweise also solche angesehen wurde, beseitigt werden kann. Der Zweifel kann aber durchaus auch zu fruchtbaren Denkansätzen führen (Podoba 2009, 51) und auch die Interpretation aus Sicht der Sieger wird durch den Umbruch 1948 radikal infrage gestellt. (ebd.) Diese Interpretation sei jedoch sehr im positivistischen Zugang der Geisteswissenschaften steckengeblieben. Die Dominanz der Interpretation der Sieger ist auch für die Wende 1989 entscheidend, denn gerade in der Art der Integration der Verlierer, die erst diesen Umschwung herbeigeführt haben, während die Sieger nur damit beschäftigt waren, den Abbau des Sozialstaates und seine gleichzeitige Enteignung, vorzubereiten, steckt des Pudels Kern für die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind.
Wenn wir nun genauer die Transformation der Dörfer in der Slowakei der Zwischenkriegszeit betrachten, so kam es zu einer Verarmung, die Gesindekammern und Ställe wurden zu Wohnräumen umfunktioniert, andererseits steigerte sich in den sozial entwickelteren Milieus der Komfort. (Podoba 2009, 52) Auch in Österreich und in Ungarn ist die rurale traditionelle Architektur zugrunde gegangen wie in der Slowakei und in Tschechien. Für Ungarn deutet das Ortutay an, obwohl das in den 70-iger Jahren noch nicht oder nur sehr schwer thematisiert werden konnte. Umso interessanter ist es, inwieweit dies im westlichen Österreich ausdiskutiert wurde. In Österreich trat ja an diese Stelle ein gewisser Pseudofolklorismus, wobei in diesem vielleicht auch traditionelle Formen erhalten sind; aber in erster Linie wurden die Häuser überdimensioniert, um den wirtschaftlichen Anforderungen des Tourismus gerecht zu werden. In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts baute man in den Bergregionen der Slowakei noch Wohn- und Wirtschaftsgebäude, die der Baukultur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsprachen. Doch dann erhöhten gerade die schlüsselfertigen Häuser (forma vystavba „na kľuč“) die Uniformität der Häuser. (Podoba 2009, 54)
In den ungarischen Gebieten an der Donau war die Unifizierung am gründlichsten und es setzte sich ein kleinstädtischer (vorstädtischer) Haustyp durch. Ein qualitativer Generationswechsel sei besonders bei der Einführung des Sozialismus in den 40-iger und 50-iger Jahren zu verzeichnen gewesen.[6] Vernakuläre Architektur wird im Deutschen meist nur als traditionelle Architektur bezeichnet, was aber an sich etwas ganz anderes ist; erste verwendet einheimisches Baumaterial und verzichtet auf den Import fremden Materials, jedoch kann man auch mit einheimischen Material avantgardistisch bauen. In der traditionellen Architektur gibt es keinen Architekten, sie folgt der Ästhetik der Identität. Einerseits wurden nach dem Krieg neue feuerfeste oder nicht brennbare Materialen eingeführt, die jedoch vor Ort nicht vorhanden waren, sodass es mitunter zur falschen Verwendung kam, was oft auf die Versicherungen zurückzuführen war. Schon in den dreißiger Jahren geht die Dekorativität zurück und es setzt sich die „fadnosť architektonických foriem socialistického obdobia“ (56) durch und auf diese Weise verstummt das Haus, die Zeichen der Repräsentation und der Zugehörigkeit der Bewohner bzw. Besitzer gehen verloren. Aber auch diese Nullstelle bezeichnet einen sozialen Status, da schon allein der Bau eines Hauses einen sozialen Status anzeigt.
Die historischen Einschnitte können für die Alltagskultur unwesentlich sein, so kommt die Änderung der Alltagskultur in der Slowakei in den dreißiger Jahren, während in den zwanziger Jahren noch so gebaut wird, wie vor dem ersten Weltkrieg. Diesen Umbruch prägte dann die gesamte Nachkriegszeit und reichte bis in die siebziger Jahre, da die Bergbauern in der Slowakei zum Teil erst in den siebziger Jahren kollektiviert wurden. (Podoba 2009, 57)
Die Annahme, dass die Slowakei 1918 eine spätagrarische Gesellschaft war, geht wahrscheinlich nur von der slowakischen und später tschechoslowakischen Semiosphäre aus, während die ungarische und vielleicht auch die deutsche Semiosphäre urban war.
Literatur:
Лотманн, Юрий М. Статьи по семиотике и топологии культуры. Таллинн 1992
Семиосфера Лотман Ю. М. Семиосфера. - С.-Петербург: "Искусство-СПБ", 2000
Balassa, Iván/ Ortutay, Gyula: Ungarische Volkskunde. Bp. 1979
Danglová, Oľga: Etnicita v materialnych a esteteckých znakoch.// Krekovič, Eduard (Hrsg.) Etnos a materiálna kultúra. Bratislava 2000
Holec, Roman: Jeden z porazených. Šľachta na Slovensku po roku 1918. // Roguľová, Jaroslava a kol.: Od osmičky k osmičke. Bratislava 2009
Normi, Iso: Slovakia – a Playground for Nationalism and National Identity of the Slovaks. Helsinki 1999
Podoba, Juraj: Kontinuita a zmena: architektúra a bývanie na slovenskom vidieku v medzivojnovom období. // Roguľová, Jaroslava a kol.: Od osmičky k osmičke. Bratislava 2009
Podoba, Juraj: My a tí druhé v modernej spoločnosti. Konštrukcie a transformacie kollektívnych identát. 2009
[1] Das war übrigens häufig in den Konzentrationslagern der Fall, was für den betroffenen Menschen oft auch den physischen Tod bedeutete.
[2] Diese tschechische Sicht auf die Slowaken müssten nun mit der auf die Österreicher und die Ungarn ergänzt werden, wahrscheinlich würden die Österreichischer nicht besser wegkommen. Andererseits aber auch wie sahen die Österreicher und die Ungarn die Slowaken? Hierbei sind nicht so sehr die Stereotypen interessant, sondern wie diese Verfremdung funktioniert, denn es sind ja Übersetzungsmechanismen (zum Teil auch Missverständnisse), die zu diesen Urteilen führen, wobei sie gleichzeitig viel über die Semiosphäre selbst aussagen. Es kann sein, dass jeder der außerhalb der Semiosphäre steht, in derselben Art und Weise wahrgenommen wird.
[3] Einen ähnlichen Prozess können wir seit 1989 in Deutschland beobachten, wo aus zwei Semiosphären eine gemacht werden soll, wobei dort die Dominanz der westlichen über die östliche ganz eklatant ist, viel stärker als es wohl in der Tschechoslowakei war.
[4] Es wird definitiv als „čista“ bezeichnet. (Roguľová 2009, 47)
[5] Das sehen wir auch sowohl bei Transformation der Semiosphäre der ehemaligen DDR wie auch bei der Übernahme des Christentums.
[6] Ob dies eine Verschlechterung oder eine Verbesserung war, verrät uns Podoba nicht. (Podoba 2009, 55)
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