Über den Kulturkapitalismus auf postjugoslawische Weise: der Sozialismus und sein Anderes

Publikation Daten

Verlag: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
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Publikationsdatum: 11. Dezember 2019
Ausgabe: erste
Vorrätig: YES
Land: Croatia

Die Darstellung gründet sich auf den Sammelband D. Jelačom/ M. Kolanović/ D. Lugarić The Cultural Life of Capitalism in Yugoslavia: (Post)Socialism and Its Other. London 2017, der das Kulturleben des Kapitalismus im Sozialismus und Postsozialismus im geopolitischen Kontext des ehemaligen Jugoslawiens analysiert. Da die meisten gegenwärtigen Forschungen in verschiedenen Disziplinen den Sozialismus und den Kapitalismus als binäre Oppositionen ansehen, die sie mit wechselseitig entgegengesetzten Lebensarten (Lifestyles) verbinden, zeigt das Buch und die Darstellung eine universelle Anwendung dieser Dichotomie, wobei es sie durch kulturelle Muster und Praktiken aus der (post)jugoslawischen Region veranschaulicht. Die Darstellung sieht den Sozialismus und den Kapitalismus nicht als sich gegenseitig ausschließende, politische und ökonomische Systeme an, sondern stellt die These auf, dass im Kontext des früheren Jugoslawiens diese zwei Systeme miteinander verflochten koexistierten, nicht nur auf der Ebene der Wirtschaft, sondern auch auf der Ebene der Kulturproduktion und des Kulturkonsums, trotzdem der Zerfall der Systeme (unter anderem)  auch die Spannung zwischen ihnen ans Licht brachte. Die Darstellung und das Buch basieren auf dem Konzept des Kulturkapitalismus (nach dem Muster der These Bourdieus vom kulturellen Kapital), womit mit den oft verborgenen Formen des Kulturlebens des Kapitalismus im jugoslawischen Kapitalismus bezeichnen. Ohne zu versuchen, die Unterschiede der zwei Systeme zu relativieren, wird die Darstellung die komplexe und häufig transformative Natur der kulturellen Formen, die perpetuell sind und manchmal provokativ die Binarität von Kapitalismus und Sozialismus hervorheben, untersuchen. Wie übrigens Deleuze und Guatarri schrieben: Es gibt keinen universellen Kapitalismus, es gibt keinen Kapitalismus als solchen; der Kapitalismus liegt am Schnittpunkt aller möglichen Formationen, er ist nach seiner Natur Neokapitalismus.“ (Deleuze/Guatarri 1987, 20) Beziehungsweise re/produziert sich der Kapitalismus immer von neuem in der (Ver)Ortbarkeit in verschiedenen kulturellen, politischen und ökonomischen Kontexten. Hier werden wir die Veränderbarkeit und die Re/Produktivität mit einer Reihe von konkreten Kulturpraxen illustrieren. 

 

1

 

Ähnlich wie im Abstract schon angedeutet, basiert die Darlegung auf Analysen und Interpretationen kultureller Phänomene, die für das sozialistische Jugoslawien exemplarisch waren, wobei sie auf seine Zeichenhaftigkeit verweist, aber auch auf die Aporien, insbesondere im Verhältnis zur kapitalistischen Logik, mit dem es häufiger interferiert als man gewöhnlich annimmt. Am Anfang ist es wert zu erklären, dass in unserem Verständnis von Kultur nicht nur der Überbau oder der Reflex von etwas, was geschieht in offenbar wichtigen Gesellschaftsschichten – sie antizipiert politische, ökonomische und insbesondere gesellschaftliche Veränderungen, sie hat die Aufgabe eines Agens, eines Katalysators, aber nicht selten auch eines Kritikers ihrer Verwirklichung. (Kolanović 2019: 24) Außer durch die Kategorie der Lebenserfahrung ist unsere These von der Verflechtung von Sozialismus und Kapitalismus im jugoslawischen Sozialismus von der bekannten Aussage Zygmunt Baumanns inspiriert, nach der sich Sozialismus und Kapitalismus auf der Ebene der Modernisierung treffen. In diesem Sinne trug sowohl das eine als auch das andere System zur Modernisierung bei. Außer dem Verhältnis zum Kapitalismus, interessierte uns der Sozialismus auch in diachronischer, historischer Perspektive: wie hat sich das Verhältnis z. B. zum Verbrauch oder zu solchen Werten, die man mit dem Kapitalismus vereinbaren kann [prispodobivi], wie dem Individualismus, dem utopischen, imaginären Überfluss, dem Entwickelt sein und der Demokratie im Laufe der Zeit verändert. Schließlich ist „post“ im Untertitel des Buches nicht die Folge einer zufälligen und unkritischen Aneignung eines im Moment modischen Präfixes in den Human- und Gesellschaftswissenschaften nach dem Ende des Kalten Krieges. Da sich die Untersuchungen konzeptionell gesehen im Buch von dem Verständnis der doppelten Natur sowohl des Sozialismus als auch des Kapitalismus: sie sehen sich als eine Ansammlung von Ereignissen in der Geschichte und in der Vergangenheit, aber auch in der Erinnerung, in der kollektiven und individuellen Imagination, also „post“ wie es z.B. Wendy L. Brown in ihrem Buch Eingemauerte Staaten, fallende Souveränität (Walled States, Waning Sovereignty, 2010) beschrieben hat,

bezeichnet eine Formation, die vorübergehend „nach“ ist, aber nicht über den Rahmen hinaus, an den sie gekoppelt ist. „Post“ bezieht sich auf einen sehr ausgeprägten Zustand der afterness, in dem sich das, was in der Vergangenheit nicht aus sich selbst fallen gelassen wurde, sondern, umgekehrt, unerbittlich bedingt, sogar die Gegenwart dominiert, die trotzdem auf eine bestimmte Weise mit dieser Vergangenheit bricht.    

Oder wie z.B. Marianne Hirsch in ihren Analysen das Konzept „Nachgedächtnis“ (Postmemory) beschrieb:

 

„Post“ in der „Nacherinnerung“ signalisiert mehr als eine zeitliche Verzögerung und mehr als den Ort nach dem Ereignis selbst. Die Postmoderne z.B. schließt gleichzeitig auch eine kritische Distanz und eine subtile Verbindung (Verflechtung) mit der Moderne ein: Das Postkoloniale bedeutet nicht das Ende des Kolonialen, sondern eher eine problematische Kontinuität, obwohl dagegen der Postfeminismus die Folge (das Voranschreiten) des Feminismus kennzeichnet. Das Korsett finden wir ohne jeden Zweifel in der Zeit der ‚Post-‘ (Wir befinden uns in der Zeit des Präfixes „post“), das weiterhin üppig wuchert: „postsekular“, „posthumanistisch“, „postkolonial“, „postweiß“. Das Postgedächtnis teilt die Ambivalenz dieser „Post-Wörter“, wie auch ihre Verspätung, ihr Zitieren und Vermitteln, welche sie übertreffen (überragen) und welche die Charakteristik des Moments der Jahrhundertwende bezeichnet, wo man zurückblickt, und nicht nach vorn, und wo die Gegenwart im Verhältnis zu einer problematischen Vergangenheit definiert wird, anstatt dass neue Paradigmen initiiert werden. Wie die übrigen „Postwörter“ reflektiert auch Nachgedächtnis (Postmemory) eine problematische Balance zwischen Kontinuität und Unterbrechung. Aber immer noch ist das Nachgedächtnis keine Bewegung, keine Methode oder Idee:   ich würde eher sagen, es ist eine Struktur des Inter- und Transgenerationstransfers des traumatischen Wissens und der traumatischen Erfahrung. Der Begriff ist eine Konsequenz der traumatischen Rückkehr, aber auf der Ebene des Transfers zwischen den Generationen (im Unterschied zu PTSP) (Hirsch 2008: 106).

 

Das Präfix post- im Begriff Postmemory (wie übrigens auch im Begriff „Postsozialismus” in unserer Analyse) bezeichnet etwas mehr und etwas wesentlich anderes als die zeitliche Entfernung, etwas mehr und wesentlich anderes als die Folge von Ursache und Wirkung. Dieses Präfix spricht von einer komplexen gegenseitigen Abhängigkeit und der gegenseitigen Bedingtheit von Nähe und Ferne, über verschiedene Methoden (Arten) des Informationstransfers, der Kulturpraxen und der Form der Gesellschaftlichkeit. Darum wird auch in diesem Buch das Präfix post- für diese Formen der Gegenwart, welche sich der Vergangenheit „bemächtigt“, sie strukturiert und konzeptionell auf interessante und intrigante Weise erklärt, verwendet. Besonders soweit es um den Sozialismus geht, sind die Kategorien „vor“ und „nach“ analytisch nicht präzise, denn der Sozialismus ist – außer als historisches Ereignis – (vor allem) Lebenserfahrung, deren Echos im kapitalistischen Alltag sehr zu spüren sind und zu derer Erfahrung wir  immer mehr zurückkehren, angesichts der Krise des Kapitalismus, der anarchistischen Überwucherung der neoliberalen marktökonomischen Werte und der ethnonationalistischen Politik. (*”Tod dem Kapitalismus, Freiheit dem Volke!“ – ein Beispiel friedlicher Proteste, die die Gewerkschaft der Solidarität des Kantons Tuzla vor dem Gebäude der Kantonsregierung in Tuzla 2017 veranstaltete; die Losung „Gleichheit, Beschäftigung, Selbstverwaltung bei den regierungsfeindlichen Protesten in Zagreb 2011; der internationale Kampftag gegen den Kapitalismus – Zagreb 2012; s. auch die Arbeiterfront https://www.radnickafronta.hr*). Eines der rezenten Beispiele ist der Massenstreik der Grund- und Mittelschullehrer und der Lehrenden und des nicht unterrichtenden Personals an den Universitäten im Oktober und November 2019, welchen die Medien als großen Protest der Arbeitersolidarität und der Einheit und wo einer der grundlegenden Leitfäden der Imperativ der Solidarität war (*Dias vom Protest zeigen*). Ebenso sind auch die Graffiti interessant, über die Mitja Velikonja im Text Jugoslawien nach Jugoslawien geschrieben hat. (*Graffiti Beispiel*) Diese Beispiele zeigen, dass derlei „kapitalistischer Realismus“, über den Mark Fisher in seinem Buch „Capitalist Realism“ schreibt, auf den Gebieten, wo der Sozialismus Lebenserfahrung war, nicht möglich ist. Ich erinnere daran, dass Fisher anführt: „The power of capitalist realism derives in part from the way that capitalism subsumes and consumes all of previous history: one effect of its 'system of equivalence' which can assign all cultural objects, whether they are religious iconography, pornography, or Das Kapital, a monetary value“ (8).

Die lineare Konzeption (von “vor” zu “nach”) komplizieren auch die zentripetalen Achsen des jugoslawischen Sozialismus, wie der Sozialstaat, die Arbeiterselbstverwaltung, der Feminismus oder der Antifaschismus (welche sich nicht alle notwendiger Weise aus dem Sozialismus ergeben, sondern sich in zeitlicher Synchronizität mit dem jugoslawischen Sozialismus ausbilden).  Die Rede ist von Schlachten, welche im Prinzip kein Ende haben (oder zu mindest nicht haben dürften): sie sind, selbst wenn sie auch  nicht die Bezeichnungen Sozialstaat, Arbeiterselbstverwaltung, Feminismus oder Antifaschismus trugen, ein grundlegender, wesentlicher und untrennbarer Teil der Kultur der Modernität und dessen was am häufigsten mit der gegenwärtigen westlichen Zivilisation verbunden wird.[1] Dementsprechend geschieht ein interessanter Paradigmenwechsel, wenn wir kritisch hinterfragen, was tatsächlich „Postsozialismus“ ist (sowohl als methodologisch operative Kategorie als auch als Lebenserfahrung), beziehungsweise wenn wir die Untersuchungsoptik in die Richtung zu der uns der russische Philosoph Michail Epštejn führt, drehen, und die Moderne nicht als eine Periode des Postsozialismus/ Postkapitalismus sehen, sondern als eine „Vor-“periode (oder genauer als „Vor-“perioden),  unter anderen und deswegen wurden sie – wegen der Inflation beider Begriffe in verschiedenen diskursiven Kontexten – leere („schwimmende“) Signifikanten. Zu den Beispielen sagt Mark Fisher im Buch Capitalist Realism, wobei er anführt, dass es leichter ist, sich das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorzustellen.

It is a system which is no longer governed by any transcendent Law; on the contrary, it dismantles all such codes, only to re-install them on an ad hoc basis. The limits of capitalism are not fixed by fiat, but defined (and re-defined) pragmatically and improvisationally. This makes capitalism very much like the Thing in John Carpenter's film of the same name: a monstrous, infinitely plastic entity, capable of metabolizing and absorbing anything with which it comes into contact (10).

Während sich der Sozialismus nicht als “ewige Gegenwart” sehen will, sondern wir sahen, dass es wichtig ist, das Feld des historischen (realen) Sozialismus in seiner Kontinuität zu sehen – sowohl mit dem, was vorher passiert ist, als auch mit dem, was später passiert ist. Weil, wie der historische (reale) Sozialismus keine „Verrenkung“, „Störung“, „Deviation“, „Rutsch“ in das Gewebe der ideologischen, gesellschaftlichen und Kulturgeschichte auf dem Balkan ist (dieses System war  das Ergebnis einer Reihe sehr spezifischer historischer Umstände), nicht einmal der Zerfall der Landes / der triumphale Sieg des Kapitalismus konnte kein Abschluss, kein Endpunkt des jugoslawischen Sozialismus sein. Michail Epštejn ist in dieser Betrachtung der „Gleichzeitigkeit“ (Allzeitlichkeit) unserer Leben noch radikaler: denn, im Abschnitt Über die Situation. Von „post-“ zu „proto-“ im Buch über die Zukunft der Humanwissenschaften (2004) führt er an, dass das „Post-“ im Wesentlichen auch als ein „Proto-“ angesehen werden kann:

Wir leben nicht nach (der Moderne, dem Strukturalismus, dem Utopismus, dem Kommunismus…), sondern am unmittelbaren Anfang einer neuen Epoche, die mit dem Präfix „proto“ bezeichnet werden muss: protoglobal, protoinformatisch, protovirtuell…

 

Eine der umfassenderen Fragen, die ich eröffnen und präsentieren möchte (und die wir gleich mit einem Buch eröffnen werden), ist: Gibt es - auf dem bebenden und leicht entzündbaren geopolitischen Boden des Balkans, der, wie Gáspár Miklós Tamás feststellte, eine "selbstmörderische Kombination aus Kolonie und Aufstand"[2] ist – irgendeine andere von der Vergangenheit nicht gefesselte und durch die Vergangenheit strukturierte Gegenwart?

Am Ende des einleitenden Teils möchte ich betonen, dass unsere Forschung einen der vorherrschenden Trends in der zeitgenössischen kroatischen Literaturwissenschaft darstellt, der seit mehreren Jahrzehnten eine Hinwendung zu Kultur und Interdisziplinarität fördert, wobei der Schwerpunkt zunehmend auf weitere gesellschaftliche Bereiche gelegt wird, wie auf die Sphäre der gegenseitigen Wirkung verschiedener künstlerischer, aber mit ihnen verbundenen popkulturellen, nationalen, wirtschaftlichen, sozialen, geschlechtsspezifischen und anderen relevanten Identitäten und Praktiken.

popularnokulturnih, nacionalnih, ekonomskih, socijalnih, rodnih i inih relevantnih identiteta i praksi.

 

2

 

In den letzten Jahren ist das Phänomen des Kapitalismus in den Mittelpunkt der analytischen, wissenschaftlichen Reflexion gerückt, und insbesondere nach der globalen Wirtschaftskrise von 2008 wurden die Stimmen immer deutlicher, die die Richtigkeit dieser Richtung als einzige optimale, globale, transnationale Lösung für die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Herausforderungen der Gegenwart in Frage stellten. In diesem Zusammenhang können die Forscherinnen Julie Graham und Katherine Gibson erwähnt werden, die in ihren Büchern "Postkapitalistische Politik" und "Ende des Kapitalismus (wie wir ihn kennen)" unter dem gemeinsamen Pseudonym J. K. Gibson-Graham überzeugend darlegen, dass jede Interpretation des Kapitalismus das Vermeiden seiner Reduktion auf einen Einzelfall erstreben muss, weil es ein Phänomen mitten im Raum der Koexistenz und des Wettbewerbs zwischen verschiedenen Wirtschaftsformationen war (und ist). Schließlich haben Gilles Deleuze und Felix Guatarri in den achtziger Jahren in ihren auf der Geschichte der Kultur basierenden Studien über den Kapitalismus und die Schizophrenie geschrieben und behauptet, der Kapitalismus existiere nicht an sich und sei nur als Neokapitalismus möglich. Erinnern wir uns: In dem Buch Kapitalismus und Schizophrenie 1. Anti Ödipus (31972) weisen Gilles Deleuze und Felix Guatarri darauf hin, dass der Kapitalismus „aus der Begegnung zweier Arten von Strömen entsteht: dekodierte Produktionsströme in Form von Kapitalgeld und dekodierte Arbeitsströme in Form des „freien Arbeiters “. Daher ist die kapitalistische Maschine im Gegensatz zu ehemaligen gesellschaftlichen Maschinen nicht in der Lage, einen Code bereitzustellen, der das gesamte gesellschaftliche Feld abdeckt “ (2015: 32). Um seine Hauptfunktion zu erfüllen, d.h. das gesamte soziale Feld abzudecken (oder zumindest die Illusion davon zu erzeugen), global integrativ zu sein, ist es immer und im Wesentlichen Neokapitalismus:

 

Der Kapitalismus errichtet oder errichtet alle Arten geborgen [residuale] und künstlich neu, imaginäre oder symbolische Territorialität, die er versucht, wie er kann und weiß, neu zu kodieren, aus abstrakten Größen abgeleitet zu besetzen. Alles kehrt zurück, alles kommt wieder: Staaten, Heimaten, Familien. Aus diesem Grunde ist der Kapitalismus als Ideologie ein „buntes Bild von allem, an das geglaubt wurde“ (33).

 

Diese Idee in dem Buch „Kapitalismus und Schizophrenie“ 2. Tausend Plateaus (31980) ausarbeitend, klären Deleuze und Guatarri die Definition des Kapitalismus (wie ihn zum Beispiel der Soziologe Peter Berger sieht) gerade am Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika als konzeptionelle Metapher für materielles Wohlergehen und ein "besseres Leben" schlechthin und des amerikanischen Kapitalismus folgendermaßen:

 

Der Kapitalfluss in ihr erzeugt einen riesigen Kanal, die Quantifizierung der Macht mit unmittelbaren "Quanten", in denen jeder auf seine Weise vom Geldfluss profitiert (woher der reale Mythos von einem Armen, der zum Milliardär wird, um wieder arm zu werden): In Amerika vereinigt sich alles, Stängel und Kanal, Wurzel und Rhizom im selben Augenblick. Es gibt keinen generellen Kapitalismus, einen Kapitalismus als solchen; Der Kapitalismus ist der Schnittpunkt aller Arten von Formationen, er ist immer von Natur aus Neokapitalismus. (2013: 28-29).

 

In der Spur des Angeführten, auch die Erfahrung mit kapitalistischen politischen und wirtschaftlichen Formationen, die in sozialistischen und postsozialistischen Kulturpraktiken im ehemaligen Jugoslawien eingeschrieben ist, hofft es analytisch besonders faszinierendes Material zu sein, was durch die im Buch "Das kulturelle Leben des Kapitalismus in Jugoslawien: Postsozialismus und sein Anderes" gesammelten Forschungsergebnisse bestätigt wird. Die achtzehn Arbeiten dieses Bandes zeigen, dass der Kapitalismus in seinen politischen und ökonomischen und besonders in den kulturellen Konnotationen ein integraler Teil des jugoslawischen sozialistischen Imaginativen war, und besonders nach Titos Bruch mit Stalin und der Resolution des Informbüros 1948. Über diesen „dritten“ Weg des sozialistischen Jugoslawiens (dieser „dritte“ ist allerdings im Kontext in der zugespitzten binären Aufteilung des Kalten Krieges in erste Welt, der „Westen“, und zweite Welt, der „Osten”[3], zu sehen) sprechen auch zahlreiche populäre Metaphern, die anschaulich die ökonomische, politische und kulturelle Hybridität des jugoslawischen Sozialismus, seine Verortung "jenseits", jenseits symbolischer binärer Grenzen. beschreiben. So spricht Tvrtko Jakovina in seiner Studie der jugoslawischen Außenpolitik zwischen 1948 und 1963 vom "Sozialismus durch amerikanischem Weizen"; in einer Studie über die Amerikanisierung der jugoslawischen Kultur in den 1960er Jahren schreibt Radina Vučetić über den "Coca-Cola-Sozialismus", während Branislav Dimitrijević beispielsweise mit der Titelmetapher des berühmten Films von Srđan Karanović aus dem Jahr 1983 den grenz- oder grenzüberschreitenden kulturellen Zustand des jugoslawischen Sozialismus beschreibt. Etwas dazwischen. Ich werde zwei Beispiele nennen, um den "dritten Weg" Jugoslawiens zu veranschaulichen - eine Werbung und ein Beispiel aus der Literatur.  Im Jahr 1977 gratulierte die Coca-Cola Corporation, zum Tag des Aufstands der kroatischen Bevölkerung, Coca-Cola am 27. Juli mit einer Glückwunschbotschaft durch die "Radnički Novine" (* Werbebeispiel *). Die Marke Coca-Cola selbst ist symptomatisch, weil Coca-Cola im globalen Kulturbewusstsein nicht nur eng mit der Vorstellung der Vereinigten Staaten von Amerika verbunden ist, sondern auch als Symbol des Kapitalismus par excellence gilt. Wie wir sehen können, ist in der minimalistisch geformten Grußkartenwerbung etwas weniger als die Hälfte des Platzes mit dem Coca-Cola-Markenlogo belegt, während der andere verbale Teil der Grußkarte lautet: "Coca-Cola und Flaschen mit Coca-Cola-Getränken in Belgrad, Zagreb, Sarajevo, Lipjan und Žalec gratulieren allen Werktätigen und Bürgern der SR Kroatien zum Aufstandstag - 27. Juli". Ein Blick auf diese Werbung offenbart allerdings, dass, wie Maša Kolanović betonte, „weder der visuelle noch der verbale Aspekt dieser Werbung explizit die Imagination des Konsumenten noch den Konsumimperativ ansprechen. Darüber hinaus betont die Glückwunschanzeige die Anzahl der Unternehmen in verschiedenen Zentren der Republik und apostrophiert insbesondere die Arbeiterschaft als emanzipatorische Ebene der Staatsbürgerschaft “ (Kolanović 2019: 27). Obwohl im Sozialismus zweifellos unterschiedliche Anzeigen für diese Marke zu finden waren, ist es heute sicher, dass der Aufstandstag - der Beginn des NDH-Widerstands - kein Feiertag mehr ist, und Coca-Cola und andere Unternehmen in Kroatien beglückwünschen die Bürger nicht mehr zu antifaschistischen Feiertagen und die Arbeiterschaft wird nicht mehr als relevantes gesellschaftliches Subjekt hervorgehoben. Die Werbung erscheint in einer Zeit des Spätsozialismus, "anlässlich eines sozialistischen, genauer gesagt antifaschistischen Feiertags, zu dem Coca-Cola den Arbeitern und Bürgern Jugoslawiens gratuliert" (27). Obwohl die Werbung selbst nicht zum Kauf und Konsum einlädt, "ist das Erscheinen eines Unternehmenslogos im öffentlichen Raum eine indirekte Art der Werbung" (26).

Ein anderes Beispiel ist der "dritte Weg" in dem Essay "Die kommunistische Perspektive oder was ich in New York gesehen habe?" aus dem Buch "Wie wir den Kommunismus überlebt haben und doch lachten" von Slavenka Drakulić. Obwohl der Kommunismus in osteuropäischen Ländern zusammengebrochen ist, bringen die Bürger dieser Länder, so Kolanović, "immer noch eine spezifische soziale Perspektive mit, die für Klassenungleichheiten sensibel ist und die die Verfasserin des Essays gerade im Kontakt mit der amerikanischen Kultur des entwickelten Kapitalismus scharf entwickelt" (Kolanović 2019: 46) ):

Es gibt einen tieferen Grund, warum sich ständig Armut zeigt, warum wir Bettler, Obdachlose, Landstreicher, kleine Diebe, Betrunkene, Kranke, Drogenabhängige erkennen, warum wir sie so persönlich erleben, warum es uns verletzt. Weil wir ein kommunistisches Auge haben. Wie das dritte spirituelle Auge in der Mitte der Stirn scannt dieses Auge nur eine bestimmte Art von Phänomen; es nimmt selektiv Ungerechtigkeit wahr. Obwohl die sozialistischen Staaten auseinanderfielen, taten dies die Ideale von Gleichheit und Gerechtigkeit nicht. Sie sind immer noch bei uns, eingebaut wie ein Chip. Wir erinnern uns an sie aus der Schule, aus Filmen, aus der Literatur, die die Idee der Gerechtigkeit preist, wie auch an die Straßen unserer Städte ohne Bettler. [...] In die USA verpflanzt, tragen wir diese Idee mit uns, eher wie ein Zusatzgepäck, das wir gerne wegwerfen oder am Eingang zu dieser anderen, versprochenen Welt ablegen möchten (Drakulić 2005: 286–287).

Das obige Zitat verdeutlicht nicht nur den "dritten Weg", sondern auch, dass nach seinem Einfluss - emotional und sozial - auf die Zeit nach dem Zerfall Jugoslawiens der Sozialismus wirklich institutionell und politisch vertrieben wurde - dies bezieht sich jedoch nicht auf seine Echos im kulturellen Bereich.

Das Buch "Das kulturelle Leben des Kapitalismus in Jugoslawien" zeigt, dass die Hybridität des jugoslawischen Systems aus der Offenheit der geopolitischen Grenzen Jugoslawiens (insbesondere in Bezug auf die Ostblockländer) resultierte, so wie Susan Woodward in der Studie "Sozialistische Arbeitslosigkeit" schrieb, das jugoslawische Modell war ein Versuch, sozialistische Ideale und Politik mit der Offenheit der Weltwirtschaft, vor allem mit Auslandsmärkten, in Verbindung zu bringen, mit dem Ziel, inländische Strategien für die Industrialisierung und der Systematisierung der supranationalen Souveränität zu entwickeln. In diesem Sinne fiel dem Modell der Arbeiterselbstverwaltung ein sehr wichtiger Platz zu, dank dessen sich der jugoslawische Sozialismus ganz wesentlich nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis vom Modell, das die sowjetische Elite vorgab, unterschied. Das Selbstverwaltungsmodell trug wesentlich zur Entwicklung der Marktwirtschaft bei, zur Vertiefung der hybriden Natur des Sozialismus, der exponentiellen Entwicklung der Verbraucherpraktiken und vergleichend der kulturellen und der Klassendifferenzierung [raslovanje]. Dieses Modell vertiefte nämlich, unter anderem die sozialen Untergliederungen, trug zum Entflammen des politischen Fortschritts am Ende der sechziger Jahre und am Anfang der siebziger Jahre bei  und trugen – wie einige neue Analysen zeigen – im Wesentlichen einfach zu Ungleichheiten auf der ökonomischen Ebene (und nicht nur auf der ideologischen und nationalen) und zur Desintegration des Staates bei. Der Politikwissenschaftler P.H. Liotta betont im Text „Das verlorene Paradigma: die jugoslawische Selbstverwaltung und die ökonomische Katastrophe“, dass gerade mit dem Modell der Arbeiterselbstverwaltung die ökonomischen und politischen Reformen unter den wichtigen Faktoren waren, die ein Überleben Jugoslawiens unmöglich machten. Übrigens ist daran zu erinnern, dass die Widerstände gegen das Modell der Selbstverwaltung in der Partei selbst enorm waren und insbesondere in den sechziger Jahren unter den Kritiker stärker wurden, vor allem unter den Philosophen der Praxisgruppe. Diese Kritiken richteten sich größtenteils gegen jene verpassten Aspekte des Selbstverwaltungssystems, die letztendlich nicht zur Stärkung der Souveränität der Arbeiterklasse beitrugen. Diese Kritiken waren zu einem großen Teil auf diese verpassten Aspekte des Selbstverwaltungssystems gerichtet, die – letztendlich – nicht zur Ermächtigung der Souveränität der Arbeiterklasse beitrugen.

 

3

 

Die interdisziplinären Arbeiten im Buch Das kulturelle Leben des Kapitalismus in Jugoslawien problematisieren die verletzten Vorstellungen nicht nur des Sozialismus, sondern auch des Kapitalismus, weil sie zeigen, dass in jener Zeit verschiedene kulturelle Werte angerechnet wurden, die wir aus heutiger Sicht zweifellos mit  Praktiken kapitalistischer Formationen verbinden würden. Abgesehen von Verbraucherpraktiken, die nicht nur kein subversiver Widerstandsakt waren, sondern im erheblichen Maße auch politisch getrieben [poticane] waren – wovon unter anderem auch zeugt, dass die Parteiführung aus ökonomischen Gründen die Migration der Gastarbeiter unterstützte -   war im jugoslawischen Sozialismus einer der zentralen Imperative der Imperativ des Erfolgs, in einer etwas verengten Form eng verbunden mit dem Leben des Bestarbeiters (wie man zum Beispiel in den damals populären Versen sagt: „wohin auch immer die Leute von Skoj gehen, die ganze Erde zittert/ von der starken Arbeit, die damit beginnt“).  In diesem Sinne bilden die Vielfalt (also in der Terminologie Deleuzes und Guattaris die Vielfalt) und Heterogenität – nicht Singularität oder Homogenität, wie gewöhnlich angenommen wird – den Kern sowohl sozialistischer als auch kapitalistischer kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Praktiken.

Ebenso lohnt es sich zu betonen, dass die Untersuchung der kulturellen Praktiken, die auf dem Gebiet des Dialogs zwischen kapitalistischen und sozialistischen Werten strukturiert sind, auf besonders intrigante Art besonders die Prozesshaftigkeit und die ontologische Hybridität der Kategorien des „Ökonomischen“ und des „Kulturellen“ hervorheben. In diesem Sinne bietet das Buch „Das kulturelle Leben des Kapitalismus in Jugoslawien“ methodologisch einen analytischen Rahmen, welcher eine klare Sichtbarkeit der politischen und ökonomischen Anomalien, Abweichungen und Widersprüche in Bezug auf das, was sich eingewurzelt hatte und als Normativ angesehen wurde, ermöglicht. Es lohnt sich hervorzuheben, dass diese Anomalien, Abweichungen und Widersprüche weder den Sozialismus als politisches System dekonstruiert noch die im Sozialismus geschaffene materielle Kultur, sondern gerade im Gegenteil: sie schaffen einen fruchtbaren Boden für ihre spezifische und originale Artikulation am Schnittpunkt, das heißt an der Verkopplung [procjep] des „Sozialistischen“ und des „Kapitalistischen“.

Im Folgenden werde ich unsere Forschungen vorstellen, indem wir uns auf die drei darin enthaltenen Anhänge konzentrieren, für die Tanja Petrović und Ana Hofman; Sven Cvek und Gal Kirn verantwortlich zeichnen.  Abschließend werde ich einige wichtige Erkenntnisse aus dem Nachwort Boris Budens anführen.

Im Text von Tanja Petrović und Ana Hofman wird die These ausgestellt, dass die Forschung der Klassenverhältnisse wegen der allgemein akzeptierten Meinung, dass die jugoslawischen Gesellschaft eine klassenlose sei, eine Marginale blieb, aber statt dessen stand in der Regel die Frage nach der nationalen Identität im Vordergrund.   Ausgehend davon behaupten die Autorinnen, dass die Klasse in den analytischen Brennpunkt gestellt einige der Lücken [procjep] aufdecken wird, sowohl im Inneren des jugoslawischen Sozialismus selbst, als auch im Kontext seiner externen, kontextuellen Beziehungen, aber auch eine Reihe allgemein akzeptierter distinktiver Mechanismen destabilisieren wird, welche voraussetzen dass die Berührung zwischen dem „Östlichen“ (beziehungsweise „Sozialistischen“) und dem „Westlichen“ (beziehungsweise „Kapitalistischen“) anomal, widernatürlich und unnatürlich war. Petrović und Hofman definieren Klasse als Produkt, beziehungsweise als Wirkung kultureller Repräsentierung und Vorstellungen einerseits und moralischer und affektiver Ökonomien andererseits, welche sich nicht nur zwischen verschiedenen sozialen Gruppen etablieren, sondern auch innerhalb dieser. Analytisch zwei  gesellschaftlich und kulturologisch äußerst relevante Figuren der ehemaligen jugoslawischen Realität nebeneinander stellend, den Bergmann (Kumpel) und die Kaffeehaussängerin, Petrović und Hofman unterstreichen ihren einerseits ikonischen Status (der sie verbindet), und anderseits eine Reihe von Unterschieden, die sie auf entgegengesetzten Polen des damaligen kulturellen Feldes verortet.  Nämlich die offizielle jugoslawische Ideologie platzierte die Bergleute – in ihnen die Verkörperung der Arbeiterklasse par excellence sehend – in die Mitte des kulturellen Imaginären, während die Kaffehaussängerinnen (mit dem „natürlichen“ liminalen Chronotop des finsteren und verrauchten Cafés) auch im moralischen und ideologischen Sinne an seinen Rändern verortet war. Um diese Unvereinbarkeit dieser zwei ikonischen Figuren geht es auch in dem populären Film Jovan Živanović‘ „Und Gott schuf die Kaffeehaussängerin“ aus dem Jahr 1972, in dem gerade die ethischen und ideologischen Unterschiede zwischen der Kaffeehaussängerin und dem Bergmann dermaßen unüberbrückbar sind, dass ein positiver Ausgang ihrer Liebeserzählung unmöglich wird. Doch untergruben die häufigen Streiks der Bergleute, wie die Autorinnen zeigen, im wirklichen Leben ihren symbolischen Status privilegierter sozialistischer Subjekte: offiziell gefeiert als „Helden der sozialistischen Arbeit“, waren sie in Wirklichkeit materiell (finanziell) beraubt und marginalisiert. Beziehungsweise auf der Ebene der Lebenserfahrung, die oben erwähnte Kluft zwischen ihnen als ideale soziale Vertikale auch der verachteten Figuren vom Rande ist weder so tief noch so unüberbrückbar.  In Anbetracht der obigen Ausführungen  ist es interessant, dass die Bergleute auch als Beispiel in dem Dokumentarfilm von Rudolf Sremec „Ereignis in Raša“ aus dem Jahre 1950 auftauchten als starker, attraktiver, nackter Körper, was nicht nur auf eine geschlechtskodierte Sichtweise hinweist, sondern – was noch wichtiger ist – aus einer Klassenperspektive: nämlich eine solche Repräsentationen der Körperlichkeit sind das Produkt  bestimmter Autostereotypen und Heterostereotypen, wie Petrović und Hofman zeigen, so verhielt sich die Mittelklasse jener Zeit gegenüber der Realität des Alltags der Bergleute und gegenüber der Realität der eigenen Wirklichkeit. Weil diese Darstellungen in einem großen Maße das Verlangen der damaligen Mittelklasse widerspiegeln, sind die wesentlichen Aspekte der Realität, wie Alkoholismus, Armut oder Krankheit ausgenommen. Auf der anderen Seite objektivierte, idealisierte und ästhetisierte damals die Mittelschicht genauso den Bergarbeiterkörper, um die Glaubwürdigkeit und die Relevanz des dominanten ideologischen kulturellen Imaginären zu bestätigen, so wurde auch der Körper der Kaffeehaussängerin in einem Ausmaß, der keinen Raum für echte, erlebte Erfahrungen von Angst, Erschöpfung oder Krankheit ließ, objektiviert. In diesem Sinne wirken die künstlerischen Repräsentationen der Streikenden ganz umgekehrt als analytisch integral (integrierend), Beispiele sind die Fotografie Serien von  Boris Cvjetanović aus dem Jahre 1987, auf denen der Bergarbeiterkörper als beweglich [pomično] und zum Schweigen gebracht dargestellt ist und wo der Bergmann nicht die Verkörperung des idealisierten männlichen „Helden der Arbeit“ ist, sondern es geht mehr um ein fragmentarisches Subjekt fragiler Körperlichkeit, die  die Spuren der schweren Arbeit  und schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen bewahrt. Solche Fotografien tragen im Licht oft einen unausgesprochenen,   zum Schweigen gebrachten, und klassisch  unverwechselbaren Aspekt der Lebenserfahrung  im sozialistischen Jugoslawien und betonen, dass die Wahrnehmung dieser Erfahrungen in der Bevölkerung weniger eine Reflexion der Realität entsprach,  und mehr Ausdruck  der gesellschaftlichen Realität war. Das Bemerken der Klassendynamik aus der Perspektive, wie sie Petrović und Hofman vorlegen, ermöglicht die De-Essentialisierung des jugoslawischen Sozialismus, weil gezeigt wird, wie sich das sozialistische Jugoslawien mit seiner von  Klassen determinierten (und  Klassen determinierenden) kulturellen Produktion und Konsum nicht so sehr von kapitalistischen Gesellschaften der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert unterschied.

Der zweite ausgewählte Artikel aus dem Band „Das kulturelle Leben des Kapitalismus in Jugoslawien“ ist der Text von Sven Cvek über das Verhältnis von Klasse und Kultur am Beispiel der Wochenzeitschrift der Fabrik in Borovo. Die erwähnte Zeitschrift ist ein paradigmatisches Beispiel, welches zeigt unter welchen Bedingungen, in welcher Aufmachung (Lay-out) und zu welchem Preis sie bis zum Ende des Sozialismus in Jugoslawien und dem Ende Jugoslawiens erschien. In der Inhaltsanalyse des erwähnten Presseartikels stützt sich der Autor auf das Konzept des Kulturmaterialismus Raymond Williams, der eine anthropologische Kulturkonzeption begründet, auf der Idee, dass die Kultur alles ist, was den Alltag ergreift (durchtränkt). 

Nach Williams ist die Schriftkultur seit ihrer Entstehung ein wichtiger Faktor [čimbenik] und Indikator der dominanten kulturellen Muster, wobei häufig gerade die provokantesten Werke, welche nur in Form von Spuren erhalten blieben, die sind, die verschwiegen, übersprungen oder verworfen werden. Diese verschwiegenen, übersprungenen oder ausgeworfenen kulturellen Elemente oder Formen beziehen sich auf die partikulären Interessen aufstrebender Klassen. Cvek wendet diese Präferenzen auf die Analyse und Interpretation der Borovo - Wochenzeitung an und stellt fest, wie aus der Analyse hervorgeht, dass der von Zeitung geförderte Sozialismus, der auf den Imperativen der Produktion und Organisation des gesellschaftlichen Lebens um die Arbeit herum insistiert, tatsächlich dem floristischen Modell folgte (wie übrigens auch andere europäische sozialistische Projekte des 20. Jahrhunderts). Während das distinktive Merkmal des jugoslawischen Sozialismus war, dass die Arbeit nicht nur wegen der Imperative der Produktivität und Effizienz, sondern auch wegen seines emanzipatorischen Wertes gefeiert und gefördert wurde (und damit die hundertzwanzigjährigen sozialistischen Formationen in mehr oder weniger hohem Ausmaße die lokale Arbeiterbewegung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fortsetzten). Andererseits hatte die sozialistische Druckindustrie, wie Cvek folgert, sehr klare, oft offen didaktische Ziele, und ihre Presse spiegelte nicht nur ein im Vorhinein definiertes "Klassenbewusstsein" wider, sondern formte und schuf die sozialen Klassenbeziehungen, in denen sie entstanden war.

Im letzten zu diesem Anlass herausgenommenen Text des Buches Das kulturelle Leben des Kapitalismus in Jugoslawien interpretiert Gal Kirn den jugoslawischen Marktsozialismus anhand einer Analyse des Films Wenn ich tot und weiß bin aus dem Jahr 1967 von Živojin Pavlović. Ausgehend von der anfänglichen Subversivität der Filme der schwarzen Welle geht Kirn davon aus, dass Želimir Žilnik und Živojin Pavlović (und in diesem Sinne auch der Film, der genauer interpretiert wird) eine ausgefeilte Kritik des Sozialismus entwickelt haben. Mittel dieser Kritik war die filmische Ästhetik, wie Kirn sie nennt, des "selbstverwalteten Realismus", die sich zum Teil auf die Poetik des italienischen Neorealismus, aber auch auf die Doktrin des sozialistischen Realismus stützte.  temeljenog dijelom na poetici talijanskoga neorealizma, ali i na doktrini socijalističkog realizma. Das "Realistische" in Kirns Interpretation bezieht sich auf jene Merkmale von Žilnikovs und Pavlović’ Filmen, in denen die jugoslawische Realität, insbesondere nach dem Durchbruch des Marktsozialismus nach 1965, in einer "unverarbeiteten", groben Form dargestellt wird und so die tiefen Widersprüche des Systems visuell auffallen. Schwellenchronotope nehmen sowohl in ästhetischer als auch in ethischer Hinsicht einen sehr wichtigen Platz ein, da sie die Funktionsweise der Marktlogik des jugoslawischen Sozialismus in den 1960er Jahren aufzeigen und den Eindruck erwecken, dass ein solches System die Tür zum von Unsicherheit geprägten Dasein öffnete - befristete und saisonale Jobs, Arbeitslosigkeit und halblegale Aktivitäten.

Im Rahmen des damaligen jugoslawischen Filmes war Pavlovics Innovation, dass er die Realität des sozialistischen Alltags nicht in binäre Gegensätze ("für" oder "gegen" das System) formte, sondern den erwähnten Binarismus mit seinen Filmen ästhetisch (und ethisch) überschritt und sogar widersprach und versuchte, es mit Hilfe verschiedener künstlerischer Verfahren zu realisieren. In diesem Sinne bringt "Wenn ich tot und weiß bin" die tiefgreifenden Widersprüche der sozialistischen Industrialisierung nach den Marktreformen von 1965 ans Licht, die sich auf die intensive Ausbeutung der Arbeiterklasse sowie auf die staatliche Politik beziehen, die die Arbeitslosen auf subtile Weise ächtete (proskribierte). Alle diese Tendenzen - so Kirn - sprechen von der bedingten, problematischen Natur des Präfixes "post-" im Begriff des Postsozialismus: Seine Untersuchungen zeigen nämlich, dass der Übergang vom Sozialismus zum Postsozialismus, d.h. zum Kapitalismus, während des Sozialismus selbst stattfand. Eine solche Annahme greift in den etablierten, linear strukturierten historischen Narrativ der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung vom Sozialismus zum Kapitalismus ein und betont, dass der Sozialismus nicht das Andere des Kapitalismus, ebenso wie der Kapitalismus nicht das Andere des Sozialismus ist. Es geht vielmehr darum, dass der Sozialismus den Kapitalismus in dem Maße bestimmt und prägt, wie der Kapitalismus den Sozialismus bestimmt und prägt. Wenn der Postsozialismus während des Sozialismus begann, bedeutet dies außerdem, dass sich der Begriff des soziokulturellen und politischen Übergangs weniger auf die objektive Realität als vielmehr einerseits auf das durch die zeitgenössischen Ängste hervorgerufene Unfähigkeit, die "Gespenster Marxens", die über den europäischen Kulturraum kreisen, zu kontrollieren und andererseits auf die tiefe Unzufriedenheit mit der neoliberalen kapitalistischen Realität.

Eine ähnliche Linie des Nachdenkens verfolgt der Autor des Nachwortes Boris Buden, der der Meinung ist, dass Das kulturelle Leben des Kapitalismus in Jugoslawien in seinen Beiträgen die Notwendigkeit einer Problematisierung der teleologischen Idee des postkommunistischen Übergangs vorsieht, da dies niemals im wahrsten Sinne des Wortes geschah. Laut Buden handelt es sich um ein Buch, das trotz seiner Suggestion im Titel und trotz der Tatsache, dass die meisten seiner Texte von der sozialistischen Zeit der jugoslawischen Kulturgeschichte sprechen, nicht von der Vergangenheit handelt. Gegenwart Im Gegenteil: Die grundlegende thematische und analytische Verankerung des Buches liegt in der Gegenwart, da es in der Darstellung der Funktionsweise kapitalistischer Formationen in einem sozialistischen politischen Umfeld tatsächlich eine Reihe kultureller Praktiken des zeitgenössischen Kapitalismus beschreibt. Das heißt, auch wenn es um vergangene Ereignisse geht, behandelt das Buch die Geschichte in ihrer Gegenwart und nicht in ihrer Vergangenheit, mit der Erkenntnis, dass historische Erfahrung niemals das ist, was ein für alle Mal gegeben ist. Oder historische Erfahrung ist kein Wissen, dessen Bedeutung ein für alle Mal festgelegt ist und dass uns relevante, glaubwürdige Anweisungen für die zukünftige Entwicklung gibt. Im Gegenteil, Buden weist darauf hin, dass historische Erfahrungen entstehen, wenn die sozialen und kulturellen Praktiken, die an ihrer Gestaltung mitgewirkt haben, aus der hermeneutisch herausfordernden und vielleicht heute nur möglichen Perspektive von aktiv neu interpretiert und umgeschrieben werden. Die Bedeutungen der Erfahrungen, die chronologisch hinter uns liegen, sind in der Tat Räume der "Zukunft", also mehr oder weniger unbegrenzte Veränderungsmöglichkeiten, denn jeder kritische Eingriff in die Vergangenheit dieser Vergangenheit wirkt performativ - er schafft sie, indem er sie benennt.

Übersetzung©Stephan-Immanuel Teichgräber

 

 

 

 

[1] In dem Buch Dreamworld and Catastrophe: The Passing of Mass Utopia in East and West (2002) führt S. Buck-Morrs die ideologischen Projekte „Ost und West“ an, wobei sich beide darauf konzentrieren, dass beide eine Massenutopie nutzen, den kollektiven Traum und das Fortschrittsstreben der industriellen Modernisierung.

[2] Vujica, D. 2017. Interview mit Gáspar Miklós Tamás: Ganz einfach, wir Linken sind besiegt.15. 8. 2017. http://www.prometej.ba/clanak/intervju/intervju-s-g-sp-rom-mikl-som-tam-som-jednostavno-mi-ljevicari-smo-porazeni-3248

[3] Možda je zanimljivo naglasiti da neki istraživači, poput primjerice sociologa Petera L. Bergera, smatraju kako ne postoji nešto poput trećeg puta između socijalizma i kapitalizma. Kako autor navodi, “tržišni socijalizam „je tek težnja 'empirijskih iluzija'“ (po Kolanović 2019: 39).

 

Autor

Danijela Lugarić

Danijela Lugarić Vukas ist Assistenzp

 

Übersetzer

Stephan-Immanuel Teichgräber (kurz)

Literaturwissenschaftler und Übersetz

 
O kulturnom kapitalizmu na (post)jugoslavenski način: socijalizam i njegovo Drugo