Während die Jazzgeschichte im schwarzen Amerika das Klischee bestätigt, daß diese Musikrichtung schon immer die der unterdrückten Klassen war, erhob sich der Jazz in Europa zu einer akademischen Disziplin, für deren Existenz eine schon höhere Klasse zuständig ist. Durch das Vergleichen mehrerer Autobiographien, die von bekannten Jazzmusikern geschrieben wurden, kommt man eigentlich unumgänglich zu dem Schluß: den europischen Jazz kann man absolut nicht mit negativen Konotationen verbinden, eigentlich mit gar nichts, was etwas wahrhaft Schwieriges an sich hätte. In Europa ist Jazz viel mehr Ausdruck des Hedonismus einer bestimmten Elite als ein trauriger Hillfeschrei." Vojislav Bubiša Simić, geboren 1924, ist der Autor und Kompositor vom Jazzensemble Radio Beograd, das schon über die Hälfte des Jahrhunderts ein Synonym für Jazz in Serbien ist. Seine Memoiren unterscheiden sich von der Hoffnungslosigkeit eines Charlis Mingas, der seine ersten Tage, in der damals geschriebenen fiktionalen Autobiographie "Bedniji od šugavog psa" – (Elender als der verlauste Hund) - niederlegte. Simićs Buch der Erinnerungen (Susreti i sjećanja; Narodna knjiga Beograd 2005) fesselt den Leser mit den faszinierenden und rührenden Szenen der vor dem zweiten Weltkrieg familiären und sozialen Idylle, in der der junge Simic zusammen mit seinen Eltern sorglose Tage sowohl in Vrnjačka Banja als auch in einem kleinen, aber doch bürgerlichen Belgrad, demjenigen vor der Invasion der Barbaren, verbrachte. Simić, ein delikater und mäßiger Mensch, so Pančić, würde dies natürlich nicht so ausdrücken, aber genauso klingt das nostalgische Hervorrufen der Erinnerungen eines sensiblen Sprößlings der vernichtenden Klasse, das mit dem Schrecken des Krieges und der Okkupation, und somit dem Grauen, der Repression und der Depression des Kommunismus kontrastiert ist. Gerade aber auf diesem Gebiet ist Simić am meisten zu Hause, und obwohl lyrisch, stellt er übersichtlich eine verschollene familiäre und gesellschaftliche Umgebung dar. Vojislav Simić schreibt nicht nur Insider-Memoiren für irgendwelche Jazzfanatiker. Obwohl nicht zu übersehen ist, daß sich in seinem Buch "Susreti i sjećanja" alles um den Jazz dreht – und der unter anderem der Anlaß seiner unzähligen Reisen und seiner vollkommen verrückten Begegnungen war – sticht vor allem eine absichtlose und unsystematische Kollektion der autobiographischen Sammlungen eines "Beteiligen und Zeugen" des zwanzigsten Jahrhunderts ins Auge, der die anstrengende, blutige, dafür aber sehr spannende Epoche gerade in diesem verbrachte. Er wechselte die Staaten, die politischen Systeme und "die Einzigrichtigen" Doktrinen, die Okkupatoren,, die Befreier, die Verräter und die Gerechten ohne sich dabei von der Stelle rühren zu müssen. Vojislav Simić ist auf keinen Fall ein Schriftsteller des "geschriebenen Wortes" und das spürt man. Er kümmert sich nicht allzu sehr um die sprachliche Schönheit. Trotzdem ist sein Schreiben ökonomisch und artikuliert und seine Darlegung konzentriert und klar, so daß ihm auch der wählerische Leser gewisse mißlungenen Stellen im Text verzeihen würde. Denn das, was in "Susreti i sjećanja" wichtig ist, ist das Leben als Geschichte, d.h. Simićs Fähigkeit aus seiner Autobiographie das herauszunehmen, was dem Leser interessant, bedeutungsvoll, illustrativ, oder wenn nichts anderes, dann "süß" vorkommen könnte. Oder sogar bitter. Simić macht den Leser mit der Zeit, in der er nicht lebte, und mit den Menschen, die er nie kennenlernen wird, bekannt – der zeitliche Raum diesbezüglich ist breit und bewegt sich von Josip Broz Tito bis Duke Elington. Simić ist ein solider, obwohl auf dem ersten Blick "geiziger" Reiseberichter, besonders wenn er sich mit den Begebenheiten der Belgrader Jazzmusiker in den "brüderlichen" sowjetischen Lagern auseinandersetzt. Er ist ebenfalls ein amüsanter Porträtmaler der berühmten Persönlichkeiten, aber gleichzeitig ist er ein dezenter Verbündete des "kleinen Menschen", der sich im Laufe der Geschichte übers Wasser halten mußten. Dabei ist er ein ehrlicher Autoporträtmaler, der nicht zu verheimlichen versucht, daß er selbst vor der Macht und den Mächtigen zurückschrecken wußte, wo das notwendig gewesen wäre, oder ihm die Sicherheit für seinen Kopf oder Job garantieren würde: "Druže Tito, jel istina da vi ne volite džez?" - (Genosse Tito, stimmt`s, daß sie den Jazz nicht mögen?). Nichts destoweniger zeigt sich Simić durch seine anscheinend beiläufig politischen Ansichten - sprich "mi Srbi, vazda zapostavljeni", - ( wir Serben immer vernachläßigt) - als ein typischer Vertreter der "slawischen Intelligenz", die so unspektakulär in ein historisches fade out eingefahren ist, weil es ihr nicht gelang, sich etwas besseres einfallen zu lassen. Sogar aber darauf hat man das Recht, solange die Köpfe nicht fallen. Der Autor von "Susreti i sjećanja" ist trotzdem nicht daran interessiert, irgendjemanden zu verurteilen oder die Lektionen zu erteilen. Sein Buch ist vor allem ein inspiratives "Unter-der-Rechnung-einen-Strich-Ziehen" eines menschlichen Jahrhunderts, gleichzeitig aber ein - "subjektives Als-ob, da niemand anderer existieren würde"?!" – Porträt einer Epoche. Man kann der Ansicht sein, daß es sogar um mehrere Porträts geht, in denen sich verschiede "ismen" abwechseln, mit dem Beibehalten des Willens zur Macht als den gemeinsamen Grundsatz, oder der Unerträglichkeit bzw. der Gleichgültigkeit dem Jazz gegenüber. Das aber, was das Buch "Susreti i sjećanja" lesenswert macht ist eben die Tatsache, daß der Schriftsteller weder ein Denkmal noch ein Profil für die Geschichte aufbaut, sondern er spielt nur dezent mit einer Lebensgeschichte und der Leser soll schauen, was er mit ihr weiter machten wird. Solo eines Dirigenten. Jazz-Memoiren Bubiša Simićs. Teofil Pančić. Vreme # 763, 18.08 2005, Seite 48, 49.
Neueste Kommentare