Die vielen Gesichter des Georgi Gospodinov
Der bulgarische Autor ist mit "Natürlicher Roman" auf Lesereise in Österreich
Wien - Erstens: Georgi Gospodinov, 39 Jahre alt, ist der meistübersetzte bulgarische Autor der jüngeren Generation. Er publizierte zwei Gedichtbände, ehe er 1999 mit seinem Prosadebüt "Estestven Roman" über einen Ehebruch und dessen merkwürdige literarische Folgen einem breiteren Publikum bekannt wurde.
Das Buch wurde bislang in zehn Sprachen übertragen und ist in diesem Herbst deutsch als Natürlicher Roman bei Droschl erschienen.
Zweitens: Georgi Gospodinov heißt der Redakteur einer Literaturzeitschrift in Sofia, dessen Ehe zerbricht, als seine Frau ihm mitteilt, sie sei von einem anderen Mann schwanger. Er zieht sich daraufhin zurück und arbeitet an einem wahnwitzigen Schreibunterfangen namens Natürlicher Roman. Einem Werk, das ausschließlich aus Fragmenten und Anfängen bestehen soll:
"Er wird nur den ersten Anstoß geben und taktvoll genug sein, sich in den Schatten des folgenden Anfangs zurückzuziehen und die weiteren Verbindungen der Helden untereinander dem Zufall überlassen. Das würde ich einen natürlichen Roman nennen."
Drittens ist Georgi Gospodinov der Name eines versandelten Schriftstellers, der in einem Park in Sofia lebt. Sein Namensvetter bei der Literaturzeitschrift hat ein anonymes Manuskript erhalten und den Verfasser schließlich ausgeforscht. Bei ihrer Begegnung sagt Gospodinov III., er kenne noch sieben andere Menschen mit diesem Namen.
Möge der echte Georgi Gospodinov nun bitte aufstehen und uns sagen, in welchem Roman wir uns hier eigentlich befinden!? "Ich war einmal verheiratet", sagt er, auf den Realitätsgehalt seines Romanes angesprochen, knapp. "Jetzt bin ich nicht mehr verheiratet." Mehr wird man aus dem Autor nicht herausbekommen. Als Leser sitzt man bei Gospodinov dem alten Dilemma auf, das Autor Werner Kofler einmal so trefflich auf den Punkt gebracht hat: "Sagt der Leser: Literatur, sagt der Autor: Wirklichkeit; / Sagt der Leser: Wirklichkeit, sagt der Autor: Literatur." Man merkt schon schwierig.
Es beginnt mit einem Termin bei der Scheidungsrichterin. Davon ausgehend schwirrt die Imagination des gehörnten Erzählers in seiner einsamen Stube in alle Richtungen aus. So verfällt er bald auf die Idee, Fliegen würden über ihre Flugbahn kommunizieren, und fragt sich, was sie wohl mitzuteilen wüssten.
Das Sonderbare: Je abseitiger die Reflexionen, umso erfrischender gestaltet sich die Lektüre. Gospodinovs Experimente mit dem Roman sind aber keine Experimente um ihrer selbst willen, sondern vergnügliche Spinnereien eines großen Kindes.
Gegen Ende hin zerfällt der Natürliche Roman - natürlich - immer mehr. Sein Held löst sich in Luft auf und kehrt dorthin zurück, wo er hergekommen ist: "Was mit mir passierte, stammte aus einem schlechten Roman, und ich hatte ihn gelesen. (...) Alles passte zusammen, Seite für Seite, Satz für Satz, Wort für Wort. Meine persönliche Apokalypse." Selten war Untergehen so vergnüglich.
Neueste Kommentare