Olga Flors Roman spielt in einem Supermarkt. Mit der „Presse“ sprach sie über sinnentleerte Schönheit, Terroranschläge, Marcel Reich-Ranicki und einen Toten.
Die Presse: Ihr neuer Roman „Kollateralschaden“ spielt in einem Supermarkt. Ist der Supermarkt für Sie ein Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Probleme?
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Olga Flor: Eigentlich nicht. Er ist ein ganz banaler Alltagsort für die meisten Menschen. Natürlich hat sich das Kaufen fast schon zur ersten Bürgerpflicht in finanziellen und anderen Krisensituationen gemausert. Aber mich hat diese Vorstellung der reinen Warenanhäufung fasziniert. Dann bin ich mitten im Schreiben an dem Buch vor einem phänomenalen Bild von Andreas Gursky in der Tate Modern gestanden, „99 cent“, das mir die Abstraktion des Überangebots praktisch identischer Waren und die vollkommen sinnentleerte, aber doch vorhandene Schönheit davon eindrücklich vor Augen geführte hat.
Ein vergleichsweise harmloser Streich eines Jugendlichen wird in Ihrem Roman zum Terroranschlag hochstilisiert. Halten Sie die Angst vor Terroranschlägen für überschätzt?
Flor: Zumindest für typisch für unsere Zeit. Eine gewisse Angstlust scheint mir auch eine Rolle zu spielen, die Lust an der Sensation, die auch die Orte von Unfällen und Naturkatastrophen zum Anziehungspunkt macht. Vielleicht möchte man sich auch des eigenen Weiterlebens angesichts des Sterbens anderer versichern? Aber der Begriff des Terrorismus und die Angst davor kann dazu führen, dass Kriege geführt werden, die keiner mehr beenden kann, wie man gesehen hat, und dass Bürgerrechte eingeschränkt werden. Deshalb muss man eigentlich schon alarmiert sein, wenn der Begriff Terrorismus fällt.
Nach welchen Kriterien haben Sie das knappe Dutzend an Figuren, die Sie im Supermarkt aufeinandertreffen lassen, ausgesucht? Nach politischen, sozialen oder anderen?
Flor: Die Politikerin Luise und ihre Dreieckskonstellation gibt es schon länger; sie beschäftigte mich seit der Erzählung „die rechte Braut“, die 2004 erschienen ist. Das Interessante war, dass mich die meisten, die die Erzählung lasen und die mich diesbezüglich ansprachen, fragten, wie es denn nun mit ihr weiterginge. Und auch in mir bewegte sich die Figur weiter. So spazierte sie mir einfach ins Bild, wenn Sie so wollen. Und das gilt eigentlich auch für die anderen Figuren, nämlich, dass sie mir so über den Weg liefen.
Ihr Roman endet mit einer Pointe, die ich nicht verraten möchte. Aber sie legt die Frage nahe, welche Rolle Ihrer Ansicht nach den Medien in unserer Gesellschaft zukommt.
Flor: Nun, manche Medien „machen“ bestimmte Ereignisse erst zu solchen, was nicht zu der Rolle als beobachtende und kommentierende Instanz passt. Prinzipiell denke ich allerdings, dass man den Stellenwert von kritischen, beobachtenden und kommentierenden Qualitätsmedien in einer Demokratie gar nicht zu hoch einschätzen kann.
Sie waren mit Ihrem neuen Roman auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Daniel Kehlmann meinte unlängst, dass Autoren hier „wie Schlagersänger in einer Castingshow“ vorgeführt werden. Empfinden Sie die Prozedur auch als „demütigend“?
Flor: Die Kommentare haben sich wohl auf die Tatsache bezogen, dass die Autorinnen und Autoren, deren Bücher auf der Shortlist sind, gezwungen sind, in Frankfurt aufzutreten, wenn sie ihre Nominierung nicht aufs Spiel setzen wollen. Da kann ich nicht mitreden. Aber es gibt auch im Literaturgeschäft einen großen Druck in Richtung Show-Kompatibilität, das hat man ja zuletzt sehr deutlich auch bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur gesehen. Ich bezweifle sehr, dass das der Literatur oder ihrer Rezeption sonderlich guttut.
Marcel Reich-Ranicki hat wegen der geistlosen Show drum herum den Fernsehpreis abgelehnt. Halten Sie das für richtig?
Flor: Ich habe die Show nicht gesehen, aber ich denke, das ist sein gutes Recht. Allerdings muss man bedenken, dass er selbst die Medien als Bühne der Medienkritik benutzt hat.
Sie haben sich immer wieder zu politischen Themen zu Wort gemeldet und sich dabei auch gegen den Rechtspopulismus geäußert. Was bedeutet der Tod Jörg Haiders für Sie?
Flor: Ich würde mir wünschen, dass er in Ruhe und Würde begraben werden kann. Statt an Mythen zu bauen, sollte man dann mit gebührender emotionaler Nüchternheit die Gründe und Konsequenzen des ausgeprägten Hangs der österreichischen Wahlberechtigten zu rechten (sogenannten) „Protestparteien“ analysieren und endlich einmal Schlüsse daraus ziehen. Klar ist, dass der Versuch, Rechtspopulisten rechts zu überholen, nur dem rechten Lager nützt. Dass selbst immer restriktivere Aufenthaltsgesetze für manche Leute nie restriktiv genug sein werden, liegt in der Natur der Sache. Wo führt das hin? Zu rechtsfreien Lagerräumen in den Bergen? Was hat das zu bedeuten, wenn ein gewählter Vertreter der Republik ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs wie in der Ortstafelfrage einfach ignorieren kann, ohne dass das irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht? Ein Schelm, der Böses dabei denkt wie etwa: Aushöhlung des Rechtsstaates? In Österreich ist dringend und besonders in Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit, der berechtigten Angst um Arbeitsplätze und vor sozialem Abstieg der Mut zu Positionen, Konzepten und politischer Streitkultur nötig. Der Mangel daran nährt nur den Populismus, und zwar, im Falle Österreichs, den Rechtspopulismus.
Ihre bisherigen (immerhin bereits drei) Romane haben alle einen sozialkritischen Impetus, obwohl Sozialkritik in der Literatur seit den 1970er-Jahren „abgesagt“ ist. Glauben Sie angesichts der Finanzkrise, dass Sie Ihrer Zeit damit eigentlich voraus waren?
Flor: Ich habe mir diese Frage nicht gestellt. Meine Literatur wächst auf meiner Wahrnehmung der Situation rund um mich. Dass da soziale Schieflagen und Konsumgeizgeilheit eine Rolle spielen, ist kein Wunder. Und die Finanzkrise zeigt deutlich, dass der Kult der Raffgier nicht unbedingt die beste Basis für ein funktionierendes Gesellschaftssystem darstellt.
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