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Schlaf, Kapital, Politik
Aleksej Pensin
Аbstract. In unserem Vortrag zeigen wir, dass der Schlaf – in seinem anthropologischen Sinne der Isolation, der Passivität, der Unproduktivität – die tiefsten Verhältnisse mit der Politik und der kapitalistischen Produktion unterstützt. Die oppositionellen politischen Diskurse fordern, dass die Gesellschaft „erwacht“. Woher kam diese Vorstellung? Unsere Aufgabe ist die Kritik (oder De-konstruktion), einerseits des Naturalismus, der den Schlaf auf physiologische Prozesse reduziert, andererseits der begrenzten Perspektive der Interpretation des Traums. Diese Kritik erlaubt den neuen Raum der Analyse der Repräsentation des Schlafs zu eröffnen. Wir analysieren die Vorstel-lungen des Schlafes, die ihm nicht nur einen biologischen Sinn, sondern auch einen existenziellen, philosophischen und auch einen politischen Sinn geben. Der Schlaf als Erscheinung des Lebens (bios) ist von sozialen Mechanismen der Kontrolle und der Regulierung durchdrungen, wobei er sich auf einige grundlegende Modelle und Bilder stützt. Ein leuchtendes Beispiel ist dabei der Begriff Rex exsomnis, «der nicht schlafende König » der mittelalterlichen politischen Theologie. Für die gegenwärtige Kultur sind die utopischen Motive der „Überwindung“ des Schlafes charak-teristisch. Wir platzieren diese Motive in den Kontext der Analyse der kapitalistischen Produktion mit ihrem immanenten Streben zur Aneignung „der 24-stündigen Arbeit pro Tag“ (K. Marx, „Ka-pital“). Zum Abschluss verweilen wir etwas detaillierter bei der Repräsention des Schlafes anhand des Materiales des Projektes der „Stadt der Schlafarchitektur“ K. Melnikows (1929), indem wir es als Symptom einer biopolitischen Strategie betrachten. Vielleicht ist das der Einschluss unseres Themas in die allgemeineren Debatten, die sich in der gegenwärtigen Philosophie und in der kriti-schen Theorie um das Problem der Passivität und der Konformität als Besonderheit der (post)gegenwärtigen Subjektivität, der Analyse biopolitischer Prozesse und ebenso der Theorien der „immateriellen Arbeit“ entfalten.
I. Politischer Schlaf und Politik des Schlafes: Kontext
Warum habe ich dieses Thema „Schlaf, Kapital, Politik“ für den heutigen Auftritt gewählt? Wenn man auf die Dinge aus dem Blickwinkel der alltäglichen Erfahrung sieht, dann erscheint das Thema auf den ersten Blick exzentrisch. In der Tat, nichts ist weiter von den öffentlichen politischen Debatten oder von den lauten Straßen-demonstrationen entfernt, als der Mensch, der bewegungslos in seinem Schlafzim-mer, in der Konzentration der Privatheit. Wenn wir sagen „Schlaf und Kapital“, so scheint das eine mit dem anderen nicht vereinbart. Ist doch der Schlaf die am we-nigsten produktive Zeit, eine Zeit ohne Arbeit, ohne Produktion eines Mehrwertes. Sogar die Vorstellung von der „Traumarbeit“ im Schlaf, die von der Psychoanalyse eingeführt wurde, zeugt auf paradoxale Weise, dass im Unterschied zum Traum, der Schlaf selbst absolut unproduktiv ist.
Man kann das Problem anders sehen, wenn man es von einer anderen Seite angeht. In vielen politischen Diskursen wird heute die Metapher des Schlafes und des Wa-chens benutzt. Sie kommt ständig vor, sie ist in ihrer Art eine Invariante. Zum Bei-spiel eine Reihe von Rechtsextremisten in Russland, und wie ich glaube auch in vie-len anderen Teilen der Welt, träumen vom „Erwecken der Nation“, die „schläft“, das heißt, sie befindet sich in einem nicht aktualisierten Zustand. Viele Liberale sprechen von der Wachsamkeit, die dazu nötig sei, die „demokratischen Werte“ zu verteidigen. Wenn du „einschläfst“, kannst du deine Freiheit verlieren. Wenn wir vom Kapital sprechen, so erscheint z. B. Die Werbung der Banken „Geld soll nicht schlafen“ auch symptomatisch.
Zuerst zeige ich einige Kontexte meiner Themenwahl, die mit der Erfahrung post-sowjetischer Länder verbunden sind.
1. Erstens, es geht um den unmittelbaren politischen und historischen Kontext der lokalen Situation in Russland. Ich meine ziemlich einfache Sachen. Für viele linke und kritische Intellektuelle stellen die letzten Jahre, genau gesagt, die Epoche der Präsidentschaft Putins eine Zeit einer noch nie dagewesenen politischen Passivität der Bevölkerung dar. Nach dem Anfang der Perestrojka Mitte der 80-iger des 20. Jahrhunderts, nach der Krise und dem Zerfall des „realen Sozialismus“ war die Ak-tivität in der öffentlichen Sphäre sehr hoch. Ständig entstanden neue Parteien und Bewegungen, das soziale Leben gewann eine sehr hohe Intensität. Diese Situation blieb bis Ende der 90-iger Jahre erhalten. Dann brach die Zeit der Passivität an. Während dessen führte und führt die Regierung die Privatisierung und neoliberale Reformen durch, deren Resultat das Entstehen einer Gesellschaft mit einer sehr großen Kluft zwischen Reichen und Armen, aber viele früher privilegierte Gruppen verloren ihren Status. Z.B. die Intelligenzia oder das Akademikermilieu. Zur Cha-rakterisierung der sozialen Lage dieser Gruppe wäre das Wort „Prekarität“ ein viel zu schwacher Ausdruck.
Natürlich kann man für diese politische Melancholie herrufende Situation banale Erklärungen finden. Zum Beispiel darin, dass die Energien eines wesentlichen Teils der Menschen aus der neu entstandenen „mittleren Klasse“ von dem neuen Way of life, den der Kapitalismus mit sich brachte (Business-Karriere, Konsum, Entertain-ment) verschlungen wird. Bis jetzt bleiben diese Dinge interessant und haben ihre Frische und Anziehungskraft für viele Bewohner des früher sozialistischen Staates nicht verloren. Man kann auch davon sprechen, dass die Strukturen der Zivilgesell-schaft, die von der UdSSR geerbt wurden (Räte der Arbeitskollektive, gesellschaft-liche Organisationen usw.), eine Krise erlitten und zerfielen. Darin, dass das Wachs-tum der Preise für Erdöl und Erdgas, wobei Russland einer ihrer größten Exporteure ist, führte wirklich zur Verbesserung des Lebens eines Teiles der Bevölkerung. Dass die Sphäre der Masseninformationsmittel strukturell vom Staat kontrolliert wird, und in ihr kann keine laute Stimme der Kritik und des Protestes zu hören sein.
Die Offiziellen der Staatsmacht nennen das „Stabilität“. Doch das alles erinnert eher an einen gewissen kollektiven politischen Schlaf. In ihm sind die Menschen isoliert, schweigend und bewegungslos, obwohl sie auf den selben Straßen gehen, auf denen früher politische Zusammenstöße stattfanden. Diese Isolation hat auch einen allge-meineren historischen Sinn. Die in den 1990-iger Jahren an die Macht kommenden Gruppen von Liberalen hofften, den größten Teil der Bevölkerung in den Prozess der neokapitalistischen Modernisierung zu ziehen. Er sollte sich mit Unternehmer-tum, kleinem Business beschäftigen, ständig „wachend“ und aktiv sein. In den 2000-der Jahren begannen die politischen Eliten zu begreifen, dass aus objektiven Gründen ein großer Teil der Bevölkerung nicht in die kapitalistischen Verhältnisse in diesem „idealen“ Sinne eingeschlossen werden können. Darum wird die politi-sche Situation in der Zeit des Putinregimes durch den Verzicht der regierenden Gruppen auf das Hineinziehen der Bevölkerung in den Prozess der Modernisierung charakterisiert und der Übergang zu populistischen Methoden der Regierung, die dazu berufen sind, die Bürger in den Zustand des gefügigen Schlafes zu versetzen als Isolation von der universellen und kritischen Dimension der Gegenwart. Zu der Bedeutung des Schlafes als Isolation kehren wir noch zurück.
Das verwundert besonders, wenn man sich an die revolutionäre Geschichte Russ-lands und der UdSSR im 20. Jahrhundert erinnert. In solchen Momenten – „des Ausnahmezustandes“ oder der Revolution – schläft die politische Gesellschaft nicht, sondern befindet sich im Gegenteil am höchsten Punkt des Wachens und der Aktivität.
Eine leuchtende künstlerische Illustration dieses Kontrastes ist die Arbeit des jun-gen Künstlers Nikolaj Olejnikows aus der Gruppe „Was zu tun“ mit dem Titel „Ein Arbeiter schläft“ (s. Lichtbild 1, 2). Diese Arbeit ist für einen Ausstellungssaal in der Stadt Nischnij Nowgorod (die frühere Stadt Gorki), im Rayon Sormowo. Der historische Subtext der Arbeit ist die Periode der ersten russischen Revolution 1905. Der Künstler kommentiert seine Arbeit so: „Dies ist mein Versuch die Frage über die heutige Lage der Arbeiter aufzuwerfen... Die jetzige Periode der Untätigkeit ist in diesem Falle im räumlichen Äquivalent gleich der Leere. Der Leere an dem Ort, wo hundert Jahre zuvor Ereignisse des Widerstandes und der Befreiung stattfanden. Die Arbeit ist den Aufständen von 1905 gewidmet, den Sormowoer Barrikaden, dem unglaublichen Aufschwung der Selbstorganisation der Arbeiterklasse, der von Gorki im Roman die Mutter beschrieben ist. Im Laufe von 100 Jahren beobachten wir, wie Sormowo von einem revolutionären Rayon zu einem Schlafrayon gewor-den ist“. „Schlafrayone“ (d.h. Rayone für den Schlaf) werden in Russland Rayone an der Peripherie der Stadt, zugespitzt durch mehrgeschossige Häuser eines Typs, genannt.
Ich glaube, diese Situation ist nicht nur für die postsowjetischen Länder charakteris-tisch. Eine charakteristische Repräsentation der Lage sind Filme wie „Matrize“ der Brüder Watschewski, in denen eine Gemeinschaft von Menschen, die durch Ma-schinen in einen künstlichen Schlaf versetzt werden, dargestellt wird. Die Maschi-nen ziehen Energie aus den Körpern der Menschen, wofür diese für sie einen inter-subjektiven Traum erschafft.
Das ist nicht nur eine passende Metapher für die Bezeichnung des politischen Mo-mentes. Vielleicht liegt die Lösung darin, nicht davon zu sprechen, dass die Gesell-schaft „schläft“, politisch passiv ist, sondern zu versuchen, den Schlaf politisch zu begreifen. Ich versuche im folgenden dies zu tun.
2. Dabei – und das schon auf einem anderen Niveau - begleitet den politischen Schlaf eine soziale Schlaflosigkeit. Der postsowjetische Kapitalismus brachte ein nie dagewesenes Erblühen des Nachtlebens in den großen Städten, besonders in Moskau und St. Petersburg. Es entstand eine Infrastruktur des Nachtlebens. Erst nach der UdSSR gingen Radio und Fernsehen zu einem Betrieb rund um die Uhr über. Zum Beispiel wundert es viele meiner Freunde aus Europa, dass in Russland sehr viele Geschäfte und Supermärkte in der Nacht geöffnet sind. Sehr charakteris-tisch, dass in Moskau die Anstrahlung von Gebäuden und die üppige Illumination gerade in der ersten Hälfte der 1990-iger aufkam, dass heißt mit dem Beginn der postsowjetischen kapitalistischen „Modernisierung“. Der Übergang in den postsow-jetischen Zustand war von der Entwicklung eines Netzes von Nachtclubs begleitet. Die ersten Rave-Parties Anfang der 1990-iger Jahre war eines der Symbole des Ab-schiedes von dem „puritanischen“ Lebensstil der sowjetischen Bevölkerung. Die Klubs wurden zum Symbol der demonstrativen Hierarchisierung, die im Kontrast zur früheren relativen Homogenität der sowjetischen Gesellschaft stand.
Der Nachtclub ist vielleicht die grellste Verkörperung der „Politik des Schlafes“, die Veränderungen herbeigeführt hat. Für mich selbst war in meinen Forschungen die Bezeichnung der populären Moskauer Zeitschrift über das Clubleben „Nicht schlafen!“ (s. Lichtbild 3) sehr inspirierend. Der Nachtclub ist eine Art Maschine des kollektiven Antischlafs. Dies ist eine Einrichtung, die das energetisch gesättigte Wachen produziert, reguliert und kontrolliert. Durch eine solche Transposition in der sozio-symbolischen Ordnung maskiert sich der Schlaf geradezu ähnlich einem neurotischen Symptom.
Es sollte auch nicht vergessen, dass die Entstehung dieser Strukturen des Nachtle-bens einen großen Sektor der Nachtarbeit geschaffen hat, und die Veränderung der sozialen Kodifizierung des Schlafes begünstigte. Auf allgemeinerer Ebene kann von einer Etablierung ökonomischer, kommunikativer und technologischer Strukturen der sogenannten „Gesellschaft rund um die Uhr“ (L. Kreitzmann) gesprochen wer-den. Die neuen Praktiken des Nachtlebens demonstrieren ein reflexiveres und indi-vidualisierteres Verhältnis zum Phänomen des Schlafes, als in früheren historischen Epochen. So wird der Schlaf auf der Ebene der sozialen Praxis selbst problemati-siert.
3. Endlich besteht auf der Ebene der außerpolitischen Themen, die die gesellschaft-liche Aufmerksamkeit erwecken, eine klar wahrnehmbare praktische Besorgtheit durch das Problem des Schlafes. Die Pragmatik des Schlafes schließt eine Menge von Fragen ein. Wie lange soll man schlafen? Wann kann man am besten einschla-fen? Wann soll man lieber aufwachen? Welcher Schlaf ist nützlicher? Und zuletzt, wozu ist der Schlaf da? Kann man überhaupt nicht schlafen? Wie kann man das er-reichen? Das sind äußerst materialistische Fragen, die wirklich unter dem Gesichts-punkt der „Ökonomie“ des konkreten Lebens interessant sind, - im Unterschied zur gut bekannten Analyse dessen, „was mein Traum bedeutet?“. Als Hintergrund tritt die allgemeine Klage des seine existentielle Endlichkeit begreifenden Individuums darüber auf, dass der Schlaf «ein Drittel des Lebens raubt.“ Oder es entsteht umge-kehrt die Frage: wie stark kann eine richtige Schlafeinteilung die Länge des Lebens beeinflussen?
Aber auch diese Ebene besitzt ihre politischen Determinanten. Ich bringe ein lusti-ges Beispiel des Lesens des Schlafes aus der Massenkultur. Es gehört in die Zeit der 90-iger Jahre, als Boris Jelzin Präsident Russlands war. Der Text, datiert 1997 und auf einer der Lieblingsseiten über „gesunden Schlaf“ platziert, zieht am Anfang keine größere Aufmerksamkeit auf sich. In ihm wird auf populärwissenschaftliche Art die Physiologie der Schlaf- und Traumprozesse beschrieben, es wird der Begriff „Schlafqualität“ eingeführt... plötzlich passiert eine Katastrophe des Sinnes. Nach einer kurzen Bewegung der „wissenschaftlichen“ Argumentation bricht die Erörte-rung in wahnsinniges Klagen aus: „Wie kann man in diesem Land schlafen?... Wie kann man über die Qualität des Schlafens sprechen, wenn das Land eine gierige Bande von Kapitalisten-Parvenüs ergriffen hat?“.
Ein auffallendes Beispiel dessen, wie die Regulation des Schlafes deutlich zu einer politischen Frage wird, ist die Nationaldiskussion in der Chinesischen Volksrepu-blik in den 80-iger und 90-iger Jahren des 20. Jahrhunderts. Im Laufe dieser Dis-kussion wurden unter dem Einfluss der Kritiker von Seiten westlicher Beobachter die alten Traditionen des Mittagsschlafes untersucht. Diese Traditionen wurden le-gislativ in Gesetzen über die dreistündige tägliche Erholung der Werktätigen, die zur Zeit Mao Tse Dung (50-iger Jahre des 20. Jahrhundert) verabschiedet wurden, fixiert. Jedoch wurde nach einer scharfen Parteidiskussion, die nach einer Reihe von Publikationen, die die „zurückgebliebenen“ Traditionen des chinesischen All-tags als nicht dem Rhythmus gegenwärtiger Ökonomie und dem dem gesellschaftli-chen Lebens entsprechend kritisierten, das Gesetzesprojekt zurückgenommen .
Wenden wir uns nun der Rekonstruktion der Vorstellungen vom Schlaf in Philoso-phie, Anthropologie und Humanwissenschaften zu, um die tiefen Beziehungen des Schlafes und der politischen Ökonomie zu zeigen.
II. Der Schlaf als Ausnahme und als Potentialität
Es gibt zwei grundlegende heutige Formen der Untersuchung des Phänomens des Schlafes: erstens die laboratorartige Forschung des Schlafes in biologischen Wis-senschaften und in der Medizin; zweitens die Hermeneutik des Traumes in humani-tären Disziplinen und Konzeptionen (Psychoanalyse, Semiotik usw.). Diese Analy-setypen haben ihre Grenzen. In der medizinischen und biologischen Wissenschaft über den Schlaf – „Somnologie“ (somnology) fehlt dem Phänomen des Schlafes der anthropologische, kulturelle und politische Inhalt. In den humanitären Disziplinenen wird der Forschungsbereich in der Regel auf die Interpretation des Traumes ver-engt. Diese Besonderheit der humanitären Analyse kann als eine Art „Oneuro-zentrismus“ beschrieben werden . Die grundlegende Aufgabe ist hier die Kritik (o-der Dekonstruktion), einerseits des Naturalismus, der den Schlaf auf physiologische Prozesse reduziert, andererseits der von der oneurozentristischen Perspektive be-schränkten Analyse des Traumes. Diese Kritik gestattet den Analyseraum der Rep-räsentationen des Schlafes und ebenso die praktischen Strategien seiner Regulation zu eröffnen.
Im weiteren Sinne des Wortes waren Repräsentation (Figuren, Bilder, Konzeptio-nen) in der Kultur immer gegenwärtig. Sie finden sich in der antiken Mythologie (Gott Hypnos) und in gut bekannten Äußerungen und Narrativen der Neuzeit. Der Schlaf tritt in der Regel in negativen Kontexten auf, wie der Bezeichnung der Ra-dierung des spanischen Künstlers Francisco de Goya „Der Schlaf des Geistes ge-biert Ungeheuer“, die Figuren des „Dogmatischen Schlummers“ bei Immanuel Kant oder die unglücklichen Abenteuer der „Schlafenden Schönheit“ bei Charles Per-rault.
Um die Quellen dieser negativen Thematisierung des Schlafes zu verstehen, ist es notwendig, die Geschichte des Gedankens vom Schlaf zu rekonstruieren. Die Auf-merksamkeit des theoretischen Gedankens für ähnliche Vorstellungen, aber auch ihr Status änderte sich in verschiedenen Epochen. Bei den altgriechischen Denkern (Platon, Aristoteles) nahm das Phänomen des Schlafes einen sehr bedeutenden Platz ein, aber danach wird er immer mehr aus der Sphäre des philosophischen Interesses ausgeschlossen.
Betrachten wir ein Fragment aus den „Gesetzen“ Platons, in dem er über das „Re-gime von Tag und Nacht“ im idealem Staat nachdenkt .
Platon formuliert hier eine Art Anordnung des Wachens. Die Bürger der idealen Po-lis kümmern sich unaufhörlich um ihre Vervollkommnung. Dafür sind Tag und Nacht zusammen genommen wenig. Die ganze Stadt soll unter Beobachtung ge-nommen werden, wobei es nicht nur darum geht, eine Stadtpatrouille einzuführen. Der ideale Staatsbürger soll den Rahmen des Wachens überwinden. Das nächtliche Wachen, sagt Platon, gebührt allen Menschen, die sich bis zum Ende dem Schutz des Staates geweiht haben. Sogar dem, der kein Wächter ist, gebührt es nicht die ganze Nacht zu schlafen. Der Hausherr soll allen Familienangehörigen und Dienern ein Beispiel geben und als erster erwachen. Besonders wichtig erscheint diese An-ordnung für die Regierenden des Staates. Sklaven, Kinder, Eltern, Pädagogen, Er-zieher sind mit der geregelten Aufsicht, Kontrolle und Prüfung beschäftigt. Zur öf-fentlichen Verpflichtung dieser Art gehört die Polizeipatrouille – die Nachtwacht.
Das Gebäude der Gesellschaft kann nicht ohne die unermüdliche Beobachtung staatlicher Männer existieren. (Vielleicht entsteht gerade aus diesem Gesichtswinkel die spätere Metapher des Staates als wachender „Nachtwächter“ (night watchman state), in den liberalen Konzeptionen der Neuzeit.) Die soziale Bestimmung entsteht und wird, wenn die Funktion der Tag und Nacht dauernde Beobachtung entsteht, wiedererzeugt: Die Soldaten, die Stubendienst haben und die Schildwache, die Nachtstreifen in den Städten und auf den Landstraßen. Das Wachen der Herrscher ist die Basisstruktur, welche die Gesellschaft vor dem Einbruch in das Chaos der Naturgewalten bewahrt.
Das Verhältnis von Macht und Schlafregime enthüllt sich in der Zeiteinteilung des Schlafs: der Herr schläft weniger als der Knecht, er bietet ihm niemals die Gelegen-heit, ihn schlafend anzutreffen, sonst zerstört die „Schande“ die moralische und se-mantische Hierarchie des Staates. Wenn wir die späte Dialektik des Verhältnisses von Herr und Knecht bei Hegel, so erfasst der „Kampf um Anerkennung“, in dem diese anthropologischen Figuren konstituiert werden, auch die Distribution der Schlafregime. Der Herr wacht, ohne fürchten seine Kräfte zu erschöpfen, der Knecht schläft und stellt seine Arbeitsfähigkeit wieder her. Der Herr befindet sich in einem direkten Verhältnis zum Tod (er geht ein tödliches Risiko ein), der Knecht steht eher in einem direkten Verhältnis zum Schlaf. Daher die für unsere politische Kultur typische Identifizierung von Knechtschaft und Schlaf.
Diese normative Ordnung wird durch die anthropologische Schlussfolgerung dar-über, dass der lange Schlaf nicht der „Natur“ der Seele und des Körpers entspricht, weil er ihre Tätigkeit verhindert, begründet. Der Schlaf ist unnütz, wie der schlafen-de Mensch, der „sich durch nichts vom toten Menschen unterscheidet“, unnütz ist. Darum ist es vernünftig nach Möglichkeit mehr zu wachen; und „der Schlaf der Menschen wird“, wenn diese Vorschrift zur Gewohnheit wird, „nicht lang sein“.
Die negative Bewertung des Schlafes als Passivität, Unproduktivität und Isolation (Asozialität) wird zur Grundlage für die politische und moralische Vorschrift des Wachens, welche die Gesellschaft davor bewahrt, in das „Chaos“ der Naturgewal-ten zu stürzen. Der Schlaf wird nur durch negativ markierte Qualitäten bestimmt: er entspricht nicht dem vernünftigen Zustand menschlicher Wesen und ist nutzlos.
Als Grundlage eines solchen Willens zum Wachen erscheinen zweifellos die anth-ropologischen Besonderheiten der Existenz der menschlichen Gemeinschaften. In erster Linie die Schwäche und Verletzlichkeit des Lebens, das Sicherung und Un-terstützung braucht, besonders in der Zeit, wenn sich die Mehrheit als schlafend und ungeschützt erweist. In der utopischen Konstruktion Platons wird dieses faktische Bedürfnis äußerst rationalisiert und universalisiert, wobei es jeden Bürger betrifft.
Doch in der antiken Philosophie existierte auch eine andere grundlegende Perspek-tive, die in sich einen positiven Zugang zum Verständnis des Schlafes akkumulierte. Es geht um die Metaphysik und Naturphilosophie Aristoteles. Seine Auslegung des Schlafes kann man in dem Traktat „Über die Seele“ und im nicht großen Traktat „Über Schlaf und Wachen“ (De somno et vigilia), welches in den gesammelten Texten Aristoteles’ in den Corpus „Parva Naturalia“, wo kleine naturphilosophische Traktate vorgelegt werden, eingeht.
Doch zuerst ist es notwendig, sich der Analyse des äußerst wichtigen Kategorien-paares – den Begriffen des Aktuellen und Potentiellen, der Fähigkeit [δυναμισ] und des Akts [ενερηεια] - in der Lehre Aristoteles zuzuwenden, mit deren Hilfe er ein ontologisches Modell der Veränderung, des Prozesses aufbaut. Der Untersuchung dieser Kategorien ist das 12. Kapitel des 5. Buches und ganz das 9. Buch der „Me-taphysik“ gewidmet. Hier stützen wir uns auf Materialien einiger unlängst erschie-nener Untersuchungen, aber auch auf die innovativen Arbeiten des italienischen Philosophen Giorgio Agamben .
Die Potentialität – das ist der „Anfang der Veränderung des Dings“, die konkrete Möglichkeit, die fähig ist, Wirklichkeit, Aktualität zu werden. Nach Aristoteles geht die Potentialität der Aktualität voraus, doch ist sie ihr auf paradoxe Weise unterwor-fen. Der antike Philosoph misst der Verteidigung der komplizierten ontologischen Autonomie des Potentiellen große Bedeutung zu, wenn es um Erscheinungen der menschlichen Welt geht. So behält der Harfenspieler, selbst wenn er nicht spielt, seine Fähigkeit zum Spiel, der Architekt zum Bau von Gebäuden. Die Potentialität – das ist nicht einfach die abstrakte logische Möglichkeit [δυνατον]. Im Gegenteil existiert sie als ein gewisser wirksamer Modus, d.h. zu einem bestimmten Zeitpunkt und auf eine bestimmte Art. Darum erschöpft sich die Potentialität nicht in der Ak-tualisierung. Das bedeutet, dass sie fähig sein muss, nicht verwirklicht zu werden, d.h. gleichzeitig impotentiell sein. [αδυναμια, Unfähigkeit]. Die eigentliche Exis-tenz der Potentialität besteht in der Unfähigkeit aktuell zu werden. Die Potentialität hat einen doppelten und ambivalenten Charakter. Das ist nicht nur die Fähigkeit zu sein, sich zu verwirklichen, „sich zu realisieren“, sondern auch die Fähigkeit nicht zu sein, auf die Verwirklichung zu verzichten, sie einzustellen. Der Akt wird reali-siert, wenn kein Unvermögen, seine Realisierung zu verhindern, mehr bleibt.
Auf anthropologischer Ebene entfaltet sich diese schwierige Deutung der Potentiali-tät im Traktat „Über die Seele“ (De anima), wo die Eigenschaften und Eigenschaf-ten der Seele zu fühlen, wahrzunehmen und zu denken, analysiert werden. Wenn das Denken nur die Fähigkeit, diesen oder jenen begreifbaren Inhalt zu denken, wä-re, dann würde diese Fähigkeit aktuell werden und sich erschöpfen. Aber das Den-ken, in seinem Wesen, ist die reine Potentialität, d.h. ebenso auch die Impotentialität zu denken. Gerade dank der Impotentialität (der Fähigkeit konkrete Objekte zu den-ken) kann sich der Intellekt an sich selbst wenden, sein eigenes Denken denken.
In diesem Kontext bekommt der Schlaf seine Bedeutung als eine gewisse Potentiali-tät und gleichzeitig Impotentialität, αδυναμια. Der Schlaf wird durch eine Reihe von Unfähigkeiten, Impotentialitäten bestimmt – wie die Unfähigkeit zu empfinden, wahrzunehmen und zu denken. Im Traktat „Über Schlaf und Wachen“ spricht Aris-toteles über den Schlaf als „das Fesselnde und Lähmende“, als „Passivität“ und letztendlich als „Unfähigkeit“ und „Impotentialität“ [αδυναμια]. Der Schlaf ist der Zustand der Potentialität des Lebens. Der Schlaf ist für Aristoteles nichts anderes als ein Zustand, welcher in seiner Metaphysik als „erste Entelechie“ beschrieben wird, das Beherrschen einer Fähigkeit ohne ihre Aktualisierung oder ihren Gebrauch.
Die Seele ist im Schlaf eher potentiell als aktuell, wie auch der Intellekt. Und um-gekehrt ist der höchste (göttliche) Intellekt als reine Potentialität (oder als Impoten-tialität) des Gedankens dem Intellekt des schlafenden Menschen gleich. Wie sagt Aristoteles, „er denkt nichts, aber ist dem Schlafenden ähnlich“. Auf diese Weise gibt der Mensch, der schläft, eine anschauliche Vorstellung des Intellektes, der kei-nen Gegenstand zum Verstehen besitzt. Da die Impotentialität auch die Begrenztheit der menschlichen Fähigkeiten bezeichnet, erklärt sich die Notwendigkeit des Schla-fes, der ihre Potentialität, die sonst durch das unaufhörliche Wachen erschöpft wer-den würde, bewahrt.
Also gibt die Aristotelische Interpretation den Anfang einer anderen Linie von Ge-danken alternativ zum Ausschluss des Schlafes bei Platon. Aristoteles versteht die-ses Phänomen nicht als Isolierung, als Fehlen (des Sinnes, der Verbindung mit dem Allgemeinen, dem Logos), sondern als eine konkrete Möglichkeit, indem er sie nicht mit der Rationalität, dem Logos, dem Sinn, sondern mit dem Leben und sei-nen Funktionen verbindet.
Auf diese Weise erhält der Schlaf eine doppelte Wertung, die man mit einigen Ver-einfachungen in Gestalt zweier Modelle summieren kann:
(1). Einerseits in einem Schema, als dessen grundlegende Termini sich „Verstand“, „Sinn“ und „Logos“ erweisen, erscheint der Schlaf als Negativität, Isolation, Aus-schluss aus der allgemeinen Ordnung, als Bruch mit der Ordnung. Dieser Aus-schluss ist innerlich und äußerlich. Er erweist sich innerlich als Isolation, wenn er die Verbindung zur Welt verliert, und äußerlich als Ausschluss des Schlafes im Raum intellektueller Operationen, des Wissens und der Theorie und als utopisches Fantasieren über seine Aufhebung in der idealen Ordnung allgemeinen Wachens. Das Erwachen wird als Rettung vor dem lästigen Joch des Schlafes und als Ein-schluss in die Ordnung der Universalität, des Logos und des allgemeinen wechsel-seitigen Zusammenhangs.
(2). Andererseits in einem Schema, als dessen grundlegende Termini sich „Leben“, „Potentialität“, „Impotentialität“, erscheint der Schlaf als positive Kraft, als Lebens bewahrend, und erlaubt es nicht, seine Potentialität zu vergeuden. Das Erwachen wird als Befreiung der Energien des Lebens, das auf seine Rückkehr wartet, gese-hen.
Diese Modelle sind in gemischten und komplizierten Formen in späteren Analysen der klassischen Philosophie, bis zum heutigen Denken, gegenwärtig.
So führt in der „Anthropologie“ Kants der Schlaf vom Leben fort, wobei dies er-laubt, Kräfte für neues Wachen zu akkumulieren. In seiner Vorstellung erweist sich als Potentialität eher der Traum. Der Traum erweckt das Spiel dieser Kräfte auf mi-nimaler Schwelle, ohne sie letztendlich verlöschen zu lassen. Der Schlaf, obwohl er mit keiner Art von Rationalität vereinbar ist, wird trotzdem in eine gewisse nützli-che Funktionalität der Erholung eingefügt.
In den „Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie“ erörtert Hegel den alten Aus-spruch Heraklits „Für den Wachenden existiert eine allgemeine Welt, aber bei den Schlafenden wendet sich jeder [ηεκατος, singularis] seiner eigenen Welt zu“. Der Schlafende ist eine verdächtige und gefährliche Figur, die sich in einer Box, in Iso-lation befindet, losgelöst von den Beziehungen zur äußeren Welt. Sie steht in Oppo-sition zur Struktur der klassischen Repräsentation als allgemeiner Vermittlung. Schlafen heißt aus der Ordnung des Allgemeinen ausgeschlossen sein, in seine ei-gene Welt eingeschlossen, in der eigenen abgesonderten Einzigartigkeit. Um in der heutigen philosophischen Sprache zu sprechen, die Funktion des Schlafes erweist sich negativ als Singularität des Schlafenden, als das Ausschließen von ihm aus der Repräsentation in der „Meta-Struktur“ der Universalität des Geistes. In dem vor kurzem erschienenen Aufsatz „Art somni“ („Die Kunst des Schlafs“) kommentiert der französische Philosoph Jean-Luc Nancy ein Fragment über den Schlaf aus He-gels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ Nancy sagt, dass die Existenz des Schlafenden „... zu Recht absolut genannt werden muss: ab-solutum, d.h. losgelöst [détaché] von allem, d.h. alle Verbindungen, Beziehungen, Gelenk-verbindungen, Nahtstellen von ihm sind ausgeschaltet und aufgegeben.“ .
Folglich wird der Schlaf einerseits negativ markiert – als isolierter, aus der univer-sellen Ordnung ausgeschlossener Zustand, andererseits sehen wir, wie sich der Ge-danke von der Bedeutung des Schlafes abzeichnet, die mit der höchsten Form des Absoluten in Wechselbeziehung steht.
Es ist klar, dass im Rahmen des Vortrages nicht alle Arten der Konzeptualisierung des Schlafes erfasst werden können, darum werden wir uns mit dem beschriebenen Schema begnügen. So kann man im 20. Jahrhundert die Linie des Nachdenkens ü-ber den Schlaf, die die von uns betrachteten Motive verbindet, in den Arbeiten des französischen Philosophen Emmanuel Lévinas sehen. Bei Lévinas wird der Schlaf in die philosophische Überlegung als einer der wichtigen Formen der Passivität (ne-ben der „Müdigkeit“, „Faulheit“ u.a.) eingeschlossen. Es geht nicht um eine psy-chophysiologische Interpretation, sondern um das Hervorheben der „ontologischen Bedeutung des Schlafes“. Im Buch „Von der Existenz zum Existierenden“ (De l'E-xistence à l'Existant, 1947) ist der Schlaf ein Phänomen der „Existenz ohne den, der existiert“, eines gewissen anonymen „Es gibt“ [il y a]. Dieses anonyme Sein ist un-erträglich und „schrecklich“ für die Subjektivität, da es ihre Existenz nicht voraus-setzt. Als ob der Schlaf das ursprüngliche Treffen der Subjektivität mit dem uner-träglichen „il y a“ suspendiert, blockiert. Im Schlaf ist der Mensch eine Art Flücht-ling, ein Migrant, der den Grenzen des anonymen Seins, aus dem er auch so ur-sprünglich ausgeschlossen ist, entschlüpft. Der Schlaf hat für Lévinas als besonde-res Territorium, isoliert vom Druck des anonymen Seins, eher topologischen Cha-rakter. „Sich schlafen legen“ heißt einen Raum der Existenz als Ort und Position abzugrenzen. Der Ort wird zu einer Art Zuflucht und Grundlage: „Unsere ganze Arbeit des Seins besteht dann im Schlaf“, in welchem „das Sein kurze Zeit stehen bleibt, ohne zerstört zu werden.“
Unter den nicht gerade zahlreichen zeitgenössischen Untersuchung sollten ebenso die Arbeiten des österreichischen Philosophen Walter Seitter erwähnt werden. Das sind die Bücher «Geschichte der Nacht» (1999) und «Kunst der Wacht. Träumen und andere Wachen» (2001). Seinerzeit war es für mich angenehm festzustellen, dass ich unabhängig zur Auswahl einiger Materialien gekommen bin, mit denen auch der verehrte Kollege gearbeitet hat.
Als Resümee dieses Teiles des Vortrages möchte ich die Verhältnisse von Schlaf, Wachen und Traum darstellen, wobei ich ein Schema des gegenwärtigen französi-schen Philosophen Alen Badiou verwendet habe, die er in seinem Buch „Sein und Ereignis“ vorgestellt hat. In der Mengenlehre wird die Mitgliedschaft [members-hip] und die Eingeschlossenheit [inclusion] unterschieden. Der Terminus kann in die Menge eingeschlossen werden, ohne ihr Mitglied zu werden. Badiou vergleicht die Mitgliedschaft mit der „Präsentation“ und die Eingeschlossenheit mit der „Rep-räsentation“. Der Termin erweist sich als Element, als Mitglied der Situation. Zum Beispiel auf politischer Ebene sind das einzelne Individuen, insofern, als sie der Ge-sellschaft angehören. Aber der Terminus kann in die Situation eingeschlossen wer-den, wenn er in einer gewissen Metastruktur (z.B. im Staat) repräsentiert ist. In die-ser Metastruktur wird in der Spezifität dieser Situation mit Hilfe eines einzigen Terminus berechnet z.B. Individuen insofern, als sie vom Staat in Klassen oder „E-lektorate“ gruppiert sind. Der Terminus wird als normal betrachtet, wenn er sich gleichzeitig als Teilnehmer der Situation erweist und gleichzeitig im oben gezeigten Sinne „eingeschlossen“ ist, als überflüssig, wenn er eingeschlossen (repräsentiert) ist, aber kein Teilnehmer der Situation (nicht präsentiert) ist, als singulär, wenn er Teil der Situation ist, aber nicht repräsentiert (ein Element, aber nicht in die Meta-struktur der Repräsentation eingeschlossen) ist.
Im Rahmen dieses Schemas können auch die Verhältnisse von Schlaf, Traum und Wachen untergebracht werden: es kann der Schlaf als singulärer Terminus betrach-tet werden (Präsentation ohne Repräsentation), der Traum als überflüssiger Termi-nus (Repräsentation ohne Präsentation) und das Wachen als „normaler“ Terminus.
III. Schlaf, Souveränität und kapitalistische Produktion
Jetzt, wo wir wissen, dass der Schlaf, unabhängig vom Traum, keine leere, sinnlose, biophysische Faktizität ist, dass er in verschiedenen Kontexten der Philosophie mit besonderen anthropologischen Qualitäten ausgestattet wurde, wenden wir uns der Frage nach dem Verhältnis von Schlaf, Politik und Kapital.
Erinnern wir uns an das Fragment aus den „Gesetzen“ Platons, das die Regel der Begrenzung und Kontrolle des Schlafes einführt. In diesem System wird die Figur des Souveräns, des Wächters des Staates als Figur des Wachenden bestimmt. Wir bemerken, dass in vielen Sprachen die Worte „beaufsichtigen“ und „wachen“ sich in dem Sinne von Aufsicht und Kontrolle einander annähern. (Darauf verweist Kol-lege Walter Seitter.) So sind auf Deutsch „überwachen“, „bewachen“ und „wachen“ Worte einer Wortwurzel und nahe in der Bedeutung. In der russischen Sprache die Lexikonbedeutungen des Wortes „wachen“ – „nicht schlafen, wachsam sein; wach, im Wachen, nicht im Schlaf sein; wachen, kein Auge zudrücken; beobachten, ü-berwachen, unermüdlich schauen“.
Diese Figur des nicht schlafenden Souveräns, die zuerst normativ bei Platon formu-liert, erhält seine Entwicklung im späteren philosophischen und politischen Gedan-ken. Die Funktion des Wachens konzentriert sich symbolische in der Person des Souveräns. Ernst Kantorowicz bringt in seinem bekannten Buch „Die zwei Körper eines Königs: Untersuchung mittelalterlicher politischer Theologie“ eine charakte-ristische Äußerung eines mittelalterlichen Theologen im Zusammenhang mit der wichtigen Vorstellung über den sowohl räumlich als auch zeitlich „überall anwe-senden Imperator“: „Ich schlafe, aber mein Herz, das heißt mein König, schläft nicht“. Charakteristisch für die mittelalterliche politische Theologie, die das norma-tive Bild des Regierens vorgab, war auch der Begriff rex exsomnis (vigilance) – der nicht schlafende (wachende) König. Wie Kantorowicz bemerkt, schon der mittelal-terliche Scholastiker Albert der Große forderte, dass „der König nicht verschlafen, nicht apathisch, sondern lebendig und in der Gerechtigkeit wachsam sei“ .
Charakteristisch, dass eben solche symbolische Verbindung der souveränen Macht und der Verweigerung des Schlafes auch in der östlichen Tradition existiert. Die al-lerdeutlichsten Bestimmungen dieses Verhältnisses geben die religiös-philosophischen Kodexe „der vornehmen Herrscher“. Die Spezialisten für altchine-sische Literatur heben hervor, dass die Strenge in der Einschränkung des Schlafes zusammen mit dem sozialen Rang anwächst. Im Idealfall wird vorausgesetzt, dass die Spitze der Machtpyramide überhaupt nicht schläft. Jede beliebige Erwähnung des Schlafes in Verbindung mit dem vorbildlichen Herrscher trägt negativen Cha-rakter. Er wird wachend zu nächtlicher Stunde dargestellt, da erwartet wird, dass er seine Nächte im Nachdenken über das Wohl seiner Untertanen und über die Ver-vollkommnung seines Regierens verbringt. .
Die Vorstellung von dem wachenden Souveräns kann man als Antwort der Macht auf die unterbewussten Phobien die mit dem Schlaf als eine der Grenzen des Sozia-len, als Möglichkeit der Destruktion der Gesellschaftsordnung. Der Schlaf ist mit dem Sozialen als negative Figur, die seine Grenze konstituiert, in Wechselbezie-hung gebracht. Ihn kann man als den radikalsten Ausschluss aus der sozialen Welt sehen. Darum gewinnt das Wachen in Momenten allgemeinen Schlafes (traditionell nachts) eine besondere Bedeutung – als Funktion der Aufrechterhaltung der sozio-symbolischen Ordnung. Gerade damit kann man den Ausschluss des Themas des Schlafes aus der sozial-politischen Betrachtung verbinden, seine Naturalisierung, die den Schlaf auf den Bereich der Naturwissenschaften beschränkt.
Die Kontrolle und Normalisierung des Schlafs kann man der allgemeineren Strate-gie der Normalisierung aller Lebenserscheinungen, die Michel Foucault „Biopoli-tik“ nannte, zurechnen. Er verband sie ebenso mit der „Pastoralmacht“ – einer Figur des Souveräns als Hirte, der die Menschenmasse lenkt, sie führt und beschützt. Die-se Figur, wie es aus der umfangreichen Forschung über die Macht, die Foucault durchgeführt hat, bekannt ist, war ein beharrliches Thema in der griechischen und römischen Antike, wie auch in anderen uralten Gesellschaften. Die in politisch-theologischen Vorstellungen, die vom Alten Testament kommen, erhaltene Figur verbreitete sich im christlichen Westen. Gerade mit dieser beharrlichen und wieder-erzeugt werdenden Form ist die Funktion des Wachens verbunden. Der Hirte wen-det an seinen Stamm, sein Volk die unermüdliche Aufmerksamkeit, dabei jedem „Schaf der Herde“ einzeln. Seine Macht trägt individualisierenden Charakter: „Wenn alle träumen, wacht er [der Hirte]“, - merkt Foucault an. In der Perspektive der Pastoralmacht wird die Gesellschaft als eine Menge „schlafender Zöglinge“ ge-sehen.
Daher stammt allem Anschein nach das Bild der „schlafenden Gesellschaft“ die wir schon mehrfach erwähnt haben. Folglich ist dies keine zufällige Metapher: die Figur der „schlafenden“ Gesellschaft geht in das System der Hypothesen der Technologie der Biomacht ein. Diese Vorstellung stützt sich, wie wir annehmen können, auf eine ganz konkrete anthropologische Erfahrung, die von der historischen Erfahrung kommt. Offensichtlich vollzog sich eine Art „Urszene“ einer ähnlichen Macht: die schlafende menschliche Gesellschaft, die vor zahlreichen Gefahren der nächtlichen Welt von speziell ausgesuchten Wacht-„Hirten“ beschützt wird.
Diese Konstellation des Schlafes und der Macht kann man auch mit Hilfe der Un-tersuchungen Giorgio Agambens, der eine Reihe von Vorstellungen über die Biopo-litik entwickelte, interpretieren. Der schlafende Mensch verweist in der Minimali-sierung aller seiner Lebensfunktionen auf die politisch-religiöse Figur des homo sa-cer, die noch im Alten Rom bekannt war. So wurde ein Mensch genannt, der so sehr seines Wertes beraubt war, dass man ihn töten konnte, ohne dafür bestraft zu wer-den. Dabei würde die mögliche Tötung auch keinen religiösen Charakter des Opfers tragen. Er war auf diese Weise sowohl aus dem menschlichen, als auch aus dem göttlichen Gericht und Gesetz ausgeschlossen. Dieses Phänomen des „Ausnahme-zustands“, in dem sich die menschliche Subjektivität befindet, nennt Agamben, in-dem er einen Begriff aus dem Essay „Kritik der Gewalt“ von Walter Benjamin ent-lehnt, „bloßes Leben“. Die Normalisierung des Ausnahmezustands im massenhaften Maßstab, als paradigmatischer Fall dessen dient das Konzentrationslager, nennt A-gamben, Foucault folgend, „Biopolitik“ als Strategie der politischen Kontrolle, der Aufsicht und der Analyse des menschlichen Lebens.
Gerade zu diesem Ausnahmezustand des „bloßen Lebens“ führt der Schlaf täglich. d.h. auf der sozialen Ebene ist der Zustand des Schlafs der Bestimmung des Aus-nahmezustandes als Moment der „Suspendierung“, des kurzen Außer-Kraft-Setzens des Gesetzes und der sozialen Normen analog. Wie die Anthropologen hervorhe-ben, gilt in einigen archaischen Stämmen, dass die zufällige Beunruhigung eines schlafenden Menschen der ganzen Gemeinschaft Unglück bringt. In dem größten Teil der heutigen Gesellschaften sind zum Beispiel späte Telefonanrufe, die die Ru-he des schlafenden Menschen stören können, nicht angebracht. In offensichtlicherer Weise erweist sich die Beunruhigung der Macht durch das Problem des Schlafes und des Nachtlebens im Phänomen des Ausgehverbots, die unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes den Bürgern das Erscheinen auf der Straße nach einer be-stimmten Zeit verbietet. Darin zeigt sich deutlich der Imperativ der Macht: „Schlaft, geht nicht auf die Straßen!“ Beschäftigt euch nicht mit Politik.
Aus biopolitischer Sicht ist die fixierte Lokalisierung des Schlafs wichtig, die dem Individuum einen konstanten Ort des Schlafengehens vorschreibt, welcher den Kern seines stabilen Lebensraumes bildet. Für E. Lévinas, dessen Konzeption des Schla-fes wir schon erörtert haben, ist die Verbindung des Schlafs mit dem Ort eine natür-liche und besitzt sogar eine „ontologische Bedeutung“. Aus biopolitischer Sicht er-weist sich diese Lokalisierung des Schlafs als einer der Effekte seiner gebieteri-schen „Territorialisierungen“, wie G. Deleuze sagen würde. In nomadischen, noma-disierenden Gemeinschaften der Vorzeit wie auch im Alltag heutiger Marginalisier-ter, der Obdachlosen, erscheint die Verbindung von Schlaf und Lokalisierung nicht „natürlich“.
Zur Illustration des Verhältnisses von Schlaf und Macht kann das unschuldige Kin-dermärchen „Die schlafende Schöne“ von Charles Perrault dienen. Ich hoffe, sie un-terhält uns ein wenig. Ich rufe in kurzen Zügen das Sujet in Erinnerung. Einem Kö-nig und einer Königin wird nach langem Warten eine Tochter geboren. Zum Festtag anlässlich dieses Ereignisses vergessen sie die Zauberin einzuladen. Die Zauberin war gekränkt und versprach: wenn die Prinzessin heranwächst, sticht sie sich mit der Spindel und stirbt. Die gute Fee verwandelt den Fluch. Die Prinzessin stirbt nicht, sondern fällt für hundert Jahre in einen tiefen Schlaf, bis sie ein schöner Prinz weckt. Alles geschieht auch so. Die junge Prinzessin sticht sich mit der Spindel, schläft ein und mit ihr der ganze königliche Hof. Den Hof schläferte die gute Fee ein, damit es der Prinzessin nach hundert Jahren nicht langweilig sei. Doch charak-teristisch, dass sie alle bis auf König und Königin einschläfert, „denn sie hatten Dinge zu tun, die sich nicht hundert Jahre verschieben ließen“. Das schlafende Schloss verwandelte sich in ein verzaubertes, aus der übrigen Welt ausgeschlosse-nes Territorium. Solange die Prinzessin nicht endlich ein anderer Souverän, der jun-ge Prinz weckt.
Es gibt zum Beispiel psychoanalytische Interpretationen dieses Märchens. Doch wir würden gerne auf die Momente hinweisen, die unserem Schema entsprechen. Auf dem Feld der Biopolitik ersetzt der Schlaf den Tod. Die Prinzessin schläfert alle ein außer dem König – welcher der Rex exsomnis ist. Das schlafende Schloss gerät in Isolation, in eine Zone der Ausnahme, in einen Ausnahmezustand. Nach hundert Jahren weckt die Prinzessin und das Hofgesinde ein Prinz – der andere Rex exsom-nis. Der Schlaf bewahrt Leben, er potentialisiert es auf hundert Jahre.
Das Sujet des Märchens ist nach unserer Ansicht mit der Biographie Perraults selbst verbunden. Der berühmte Märchenerzähler diente am Hof Ludwig XIV. bekannt als „Sonnenkönig“ (Louis XIV – Le Roi Soleil). Perrault nahm an der ideologischen Prägung des französischen Absolutismus im 17. Jahrhundert teil. Neben der literari-schen Tätigkeit war er, um in der heutigen Sprache zu sprechen, ein Spezialist für Public Relations. Er prägte das Bild des Monarchen und dichtete teilweise Wahl-sprüche und Aufschriften auf Gedenkmedaillen. Auf diese Weise wusste er aus der persönlichen Erfahrung, was ein Souverän ist. Die Biographen führen folgende Epi-sode an. Als Ludwig noch nicht volljährig war, war die Macht des Königs sehr wa-ckelig. Während einer der Unruhen verbreitete sich das Gerücht, dass der minder-jährige König aus Paris geflohen sei. Der „Pöbel“ stürzte in den Palast und forderte, dass man ihm den König zeige. Die Mutter von Ludwig Anna von Österreich sagte, dass der König schläft und gestattete der Gruppe der Aufrührer, ihn anzusehen. Beim Anblick des schlafenden Monarchen wandelte sich die Aggression der Pariser in Ehrfurcht. Es wurde gesagt, dass gerade die Tatsache des Schlafes den jungen Ludwig rettete. Wie die Biographen mitteilen, erfuhr Perrault aus den Gesprächen bei Hof, dass der König in Wirklichkeit nicht schlief, sondern sich schlafend gestellt hatte. Zweifellos ist diese Szene eine existentielle Grundlage aller Geschichten von der schlafenden Schönen.
Aber wie ist die andere Verbindung des Schlafs und des Kapitals, auf die wir zu Anfang hingewiesen haben? Hier beschränken wir uns der Kürze halber auf einige Thesen.
(1) In dem Kapitel des „Kapitals“, das der Arbeitszeit gewidmet ist, charakterisiert Marx den Einfluss der Logik des Kapitals auf die Zeit des Schlafes:
„Die Verlängerung des Arbeitstags über die Grenzen des natürlichen Tags in die Nacht hinein wirkt nur als Palliativ, stillt nur annähernd den Vampyrdurst nach le-bendigem Arbeitsblut. Arbeit während aller 24 Stunden des Tags anzueignen ist da-her der immanente Trieb der kapitalistischen Produktion.“
[Marx: Das Kapital, S. 379. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 3688 (vgl. MEW Bd. 23, S. 271)]
„Den gesunden Schlaf zur Sammlung, Erneuerung und Erfrischung der Lebenskraft reduziert es auf so viel Stunden Erstarrung, als die Wiederbelebung eines absolut erschöpften Organismus unentbehrlich macht.“
[Marx: Das Kapital, S. 391. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 3700 (vgl. MEW Bd. 23, S. 280)]“
Marx beschreibt den praktischen Mechanismus, der das Problem der 24-stündigen Aneignung der Arbeit löste, - das Schaffen des Schichtbetriebes, zuerst der Tages- und Nachtschicht. Die metaphysische Losung der Minimierung des Schlafes und der Ausweitung des Raumes der nächtlichen Aktivität erhält eine konkrete ökono-mische Basis und ihre historische Notwendigkeit. In der frühen Periode war dieser Imperativ ausschließlich auf die Maximalisierung des Profits durch die direkte Aus-beutung der Arbeitskraft orientiert:
„Schmelzöfen und Arbeitsgebäude, die des Nachts ruhen und keine lebendige Ar-beit einsaugen, sind „reiner Verlust“ („mere loss“) für den Kapitalisten. Darum kon-stituieren Schmelzöfen und Arbeitsgebäude einen „Anspruch auf die Nachtarbeit“ der Arbeitskräfte.
[Marx: Das Kapital, S. 457. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 3766 (vgl. MEW Bd. 23, S. 329)]“
Diese Grausamkeit und Gewalt beschreibt der Text Marxens selbst gut. In den An-merkungen zum „Kapital“ kann man konkrete Beispiele – sentimentale Prosafrag-mente, die in der Intonation an Romane von Charles Dickens erinnern, finden. Eines von ihnen gibt uns einen unerwarteten Prototyp der heutigen Losung „Nicht schla-fen!“ aus der Kultur der Hochglanzbroschüren. Marx beschreibt den Tag in einer Spinnmanufaktur. Arbeiterinnen, deren Schlaf vier bis fünf Stunden betrug, schlie-fen ständig an ihren Arbeitsplätzen ein, aber der Meisteraufseher schrie sie warnend an: «Don’t sleep! Wake up!».
(2) Später in der Epoche des welfare state und der beginnenden Formierung der Konsumgesellschaft wird die Intensivierung des Verbrauchs zur strukturellen Ursa-che, utopische Bilder des „ewigen Wachens“ zu produzieren. Der Verbrauch und Gebrauch der Waren, Bilder und Dienstleistungen im Laufe von 24 Stunden Tag und Nacht wird zu einem immanenten Streben des kapitalistischen Systems. Die di-rekte Gewalt im Verhältnis des Schlafes als höchste Ausbeutung der Arbeitskraft wird durch das Fantasieren über seine Minimierung und die Überwindung des Schlafes ersetzt. Mit diesen Fantasien ist die heutige Massenkultur gefüllt. Auf die-se Weise erfasst die politökonomische Logik der Produktivität auch das Phänomen des Schlafes als ein Teil der „Lebenswelt“. Aus ihr folgen immer hartnäckigere Fragen über die Dauer des Schlafs, seine Nützlichkeit, sein optimales Regime, die Versuche ihn zu steuern, aber auch alle utopischen Vorstellungen seiner Aufhe-bung.
Auf diese Weise sehen wir, dass hinter der Figur oder der Metapher des Schlafs im politischen und gesellschaftlichen Diskursen eine sehr wesentliche anthropologische und politische Erfahrung. Selbstverständlich zwingt uns in der Wirklichkeit nie-mand zu schlafen oder nicht zu schlafen (ausgenommen einiger Gefängnispraktiken und Folter). Aber zwischen der Realität und dem Diskurs kommt eine Art archai-sches Phantasma der Kontrolle des Schlafs zum Vorschein, das sie gegenseitig strukturiert, wobei indirekt das eine das andere bestimmt.
Wie wir sehen, zwingt die biopolitische Logik dazu wir, dass der Souverän und sein Hof d.h. die Minderheit - trotzdem eher symbolisch - nicht schlafen. Die politöko-nomische Logik zwingt, dass die, die arbeiten, nicht schlafen d.h. die Mehrheit. Diese zwei Logiken decken sich im bestimmten Sinne und gehen zur selben Zeit auseinander. Die eine braucht das politische Wachen der Minderheit, die andere das unterworfene Wachen der Mehrheit. Die Revolution als totales politisches Wachen aller Bürger, fordert offensichtlich, dass die Gesellschaft, die sich entschieden hat, sich selbst nach den Prinzipien der Gerechtigkeit zu regieren, die Logik der Produk-tion der Logik des politischen Wachens unterwerfen soll, nach dem sie das Moment der Ausbeutung auf Kosten der Zeit des Schlafes abgeworfen hat. Aber war das im Falle des sowjetischen postrevolutionären Experimentes so? Wir erörtern das zum Abschluss an einem besonders grellen Beispiel.
IV. «Die Schlafende Sonate» Konstantin Melnikows: der andere Schlaf unter den Bedingungen des Sozialismus?
Betrachten wir das folgende bezeichnende historisch-kulturelle Material – das Pro-jekt „Schlafende Sonate“ des hervorragenden sowjetischen Architekten Konstantin Melnikow (1890–1974), dessen Arbeiten an vielen internationalen Ausstellungen teilgenommen haben (s. Lichtbild 4). Für uns ist es wichtig, dass das Projektieren der „Schlafende Sonate“ sich unter den Bedingungen der sozialistischen Alternative dem Kapitalismus sich entfaltet hat. Dieses Projekt ist nicht gerade sehr bekannt, da es nicht realisiert wurde.
Melnikow nannte sein Projekt, als er 1929 am Wettbewerb für die „Stadt der Erho-lung“ im Grüngürtel Moskaus, „Stadt der schlafenden Architektur“ oder „Schlafen-de Sonate“ (s. Lichtbild 5).
Der Architekt beschreibt mit Ironie eine interessante Phänomenologie der sowjeti-schen Zeit, die mit dem Schlaf verbunden ist, aber auch semantische Motive seines Projekts. Ich verzichte nicht darauf, den Autorenkommentar, geschrieben in einer avantgardistischen Stilistik, fast ganz zu zitieren. Dieser Text ist eine wirkliche Hymne an den Schlaf und zur selben Zeit ein Versuch ihn unter Kontrolle zu brin-gen. Er reflektiert viele Motive, von denen ich gesprochen habe.
«Die schlafende Sonate ... wird die Folge dieser Arbeit des unaufhörlichen Druckes fast bis zum Verlust des letzten Tropfen Bewusstseins – ein blendendes Beispiel da-für war, als 1924 der Sarkophag gebaut wurde (Nach dem Tode Lenins 1924 war nach einem Projekt Melnikows eine erste Variante des Mausoleums – ein Raum des ewigen Schlafens – aus Eiche gebaut worden – A. P. s. Lichtbild 6) … Es war ein sonniger Mittag, … ich schlief sofort ein, wobei ich die Verbindung zur Außenwelt aufrecht erhielt, als aus weiter Ferne Kinderstimmen zu mir drangen: „Nun, soll er noch ein bisschen schlafen, wir warten.“
Und jetzt, wenn ich höre, dass für unsere Gesundheit die Ernährung notwendig ist, sage ich, der Schlaf ist notwendig. Alle sagen, die Erholung braucht Luft, das ist wieder nicht das, was ich meine, ohne Schlaf ist die Luft unfähig unsere Kräfte wieder herzustellen. Wenn ich die Expansion in der Architektur entwickle, wunder-te ich mich und bewundere Euch wegen eurer Arithmetik: ein Drittel seines Lebens schläft der Mensch. Wenn wir 60 Jahre nehmen, dann sind das 20 Jahre Schlaf, 20 Jahre liegt man ohne Bewusstsein... (s. Lichtbild 7: Ein Melnikows Plakat mit der Losung: “Schlaf ist ein Heilfaktor!”)
Mehr als das – die ganze Welt ist eingeschlafen: man schläft stehend auch beim Es-sen, arbeitet einschlafend, schaut und kein Licht in den Augen – vom Schlaf ist alles in der Gegenwart mit allen seinen unheilvollen Entdeckungen dünn überzogen – ohne an das Opferfeuer der Kunst zu glauben. Möge ich vorläufig ein über dem Ab-grund wohltuender Naturkräfte der uns verstärkten Ernährung Erwachter sein, in ei-nem kurzen und tiefen Schlaf ohne Narkose.
Dem feierlichen SCHLAF projektiere ich PALÄSTE – Palais aus fünf Arten der Wir-kung durch: die PHYSIK – des Drucks und der Feuchtigkeit der Luft, der Wasser-ströme mit der Massage bis zum Maniküren der Fersen; thermische Palais – von der Wärme russischer Saunas bis zum eisigen Frost; die CHEMIE – die Aromata von Waldmassiven, Wiesen, duftendes Heu, Frühlinge, Herbste; die MECHANIK – mit Lagern in der Bewegung des Drehens, des Ziehens, des Schaukelns, des Umkip-pens; die PSYCHE – das Rauschen der Blätter, die Meeresbrandung, der Gewitter, der Nachtigall, das Lesen, die Musik...
… Das Projekt belustigte die Ärzte und in der Gegenwart nährt die Medizin ihre Methoden dem Schlaf als eine heilende Quelle an... und ich glaube, dass ich so mit meinem Projekt nicht mehr so weit bin und dass bald zur Wissenschaft mit der Technik Poeten und Musikanten kommen und mit ihnen der Mensch und sie meinen Traum, die SCHLAFENDE SONATE zu bauen, vollenden.“
Das Projekt Melnikows war das unerwarteteste und originellste Projekt bei dem Wettbewerb des Baus der „Stadt der Erholung“ für die Arbeiter, es rief stürmische Resonanzen in der Presse hervor. Die Idee bestand darin, die Erholung auf Kosten des Schlafs zu rationalisieren. Melnikow schrieb in der erklärenden Mitteilung:
„Die hauptsächliche Art der Erholung, die Grundlage ihrer Basis ist der Schlaf. So entsteht vor uns das Problem der Rationalisierung des Schlafs... Hier entsteht die Frage nicht über die Andauer des Schlafs, sondern über die Verbesserung seiner heilenden Qualitäten. Hier können spezielle Kammern mit verdünnter Luft am Plat-ze sein; Kammern, gesättigt mit irgendeinem Äther oder Kammern, in denen der Schlaf eine notwendige Festigkeit gewinnen und den höchsten qualitativen Effekt für die Erholenden infolge der Begleitung des Schlafes durch eine entsprechende Musik haben kann... Ausgehend von diesen Voraussetzungen schlagen wir vor, ei-nen Typ Kasernengebäude, Schlafzimmerpalais zu bauen, aber dies mit einem Kol-lektiv zu bauen: mit Musikanten, Ärzten u. a.“
Im Endergebnis projektierte der Architekt einen Komplex von Gebäuden von Schlafsälen in der Form einer gigantischen Membran. Es bestand aus im Kreis an-geordneten Gebäuden – Laboratorien des Schlafs „SCHLAFender SONaten“. Ge-spannte biegsame elastische Membranen teilen einen riesiges Schlafgebäude in ei-nige Zellen. Die Wände sind fast durchsichtig. Der Raum wird von diagonalen Auf-fahrtsrampen geteilt. Die Konstruktion ist ähnlich zweier schaukelnder Lamellen, die symmetrisch an zwei Achsen fixiert sind. An den Enden sind spezielle „Laut-muscheln“ fixiert, die für die Übertragung von Symphonien und Tonimitationen, von Tönen der Natur bestimmt sind. Hier wurde in der Zeit der „Schlaftherapie“ der Mensch den verschiedensten physischen, chemischen, thermischen und sogar psy-chologischen „Einwirkungen“ unterzogen. In das Programm soll ab und zu ein biss-chen Schaukeln, in die Höhe-Werfen, Massage und sogar das „Kitzeln der Fersen“ eingeschlossen werden. In den „Schlafenden Sonaten“ sind spezielle Zimmer vor-gesehen, die mit Düften erfüllt sind, mit Äther, entladener oder komprimierter Luft. Die Schlafzimmer sollten mit drehenden und schaukelnden Betten ausgestattet sein (s. Lichtbild 8, 9).
Wie einer der Journalisten über das Projekt Melnikows schrieb, „...Alle Arbeiter sollen eine obligatorische Heilung durch den Schlaf durchlaufen, wobei vorge-schrieben wird in speziellen Werkshallen zu schlafen.“ Dies ist eine Art „Schlaffab-rik“. Die Jury fasste den Beschluss, dass sie das Projekt nicht annehmen, da sie sei-ne Idee, dass die ganze Einteilung des Alltags in der „Heilung durch den Schlaf bis zur Veränderung des Charakters (!)“ bestimmt werden soll, nicht annehmen kann.
Einige Elemente der Projektbeschreibung: die kreisförmige Anordnung der Gebäu-de, die Durchsichtigkeit der Wände, die Funktionen der Korrektion und Therapie erinnern an das frühere Projekt Jeremia Bentams, das von Michel Foucault in dem Buch „Überwachen und Strafen“ analysiert wurde. Dieses Projekt untersuchte Fou-cault als Modell eines bestimmten Typs der „mikrophysischen“ Macht.
Der rationalisierte disziplinierte Raum für den Schlaf folgte organisch aus der gan-zen Ideologie der 1920-iger Jahre in der UdSSR. Erstens die Idee, alle Alltagsstruk-turen (Essen, Hygiene usw.) in den kollektiven Raum hinauszutragen. Zweitens die Idee der Rationalisierung des Alltags, die der „wissenschaftlichen Organisation der Arbeit“ (WOA) in der neuen Gesellschaft, die eine stürmische Industrialisierung durchführte, entsprechen sollte.
Wie wir aus den Kommentaren des Autors ersahen, erscheint das Bild des Schlafes bei Melnikow als negative Charakterisierung der sozialen Umwelt. Es ist nicht ver-wunderlich, dass in dieser Logik, die einen bestimmten Satz von Einstellungen und Einschätzungen des Schlafs reproduzieren, über den wir schon gesprochen haben, der Schlaf als gefährliche und „nicht poetische“ Erscheinung, die sich ironischer-weise in der Figur des „Triumphes“ des Schlafes zeigt, der architektonischen Isolie-rung unterworfen wird.
Auf diese Weise sehen wir, dass die Basiseinstellungen zum Schlaf denen ähnlichen waren, die in anderen kapitalistischen Gesellschaften existierten. Übrigens ungeach-tet der architektonischen Rationalisierung des Schlafes aus dem Blickwinkel der Formen, wollte der Autor dennoch inhaltsreich ein eigenartiges „Paradies des Schla-fes“ schaffen.
Als Kontrapunkt zu dem Projekt Melnikows können die heutigen kommerziellen Charakter tragenden Projekte dienen. Zum Beispiel wurde vor kurzem mitgeteilt, dass die amerikanische Kompanie «Power Nap Sleep Centers» plant, eine Minute guten Schlafs für 70 Cent zu verkaufen. Den Käufern wird eine Auswahl themati-scher Zimmer – „Tropische Insel“, „Ferner Kosmos“, „Oase“ und einige andere – zum Erholen angeboten. Jedes von ihnen wird auf besondere Weise ausgestattet sein. Die Besitzer der Kompanie versprechen streng die Regel einzuhalten, nach der die Besucher nur einzeln in die Zimmer eingelassen werden.
Wie wir sehen, realisieren diese Projekte die Idee Melnikows – unter den neuen Be-dingungen der Individualisierung und des Konsums „immaterielle“ Güter.
V. Abschluss: Schlaf und „allgemeiner Intellekt“ (general intellect)
Zweifellos ist es unumgänglich, die Analyse des Verhältnisses von Schlaf, Politik und Kapital zu entwickeln und dabei die neuesten Transformationen der Gesell-schaft zu berücksichtigen. Die postsowjetische Situation stimmt mit den wichtigen Veränderungen in der Politökonomie der traditionellen kapitalistischen Ländern ü-berein. In unserer Analyse berührten wir im wesentlichen die so genannten indus-triellen oder „fordistischen“ Formen der Organisation der Produktion. Eine Reihe heutiger Philosophen (A. Negri, P. Virno u.a.) sprechen von der neuen, „postfor-distischen“ Form der Organisation . Vor allem entsteht eine Tendenz zur Hegemo-nie der so genannten „immateriellen Arbeit“ (immaterial labor). Sie ist auf dem In-tellekt, der Kommunikation, der Affekte gegründet, d.h. es wirken alle unsere anth-ropologischen Fähigkeiten. Diese Arbeit ist dem menschlichen Leben selbst imma-nent. Zum Beispiel, das schöpferische gründliche Durchdenken eines schwierigen Problems unterliegt nicht der Aufteilung in Arbeits- und Nichtarbeitszeit.
Entsprechend verliert das frühere Pressing im Verhältnis zum Schlaf von Seiten der Produktion, das eine ständige Vergrößerung und Regulierung der produktiven Zeit forderte, einen Teil ihrer strukturellen Motivation. Wird doch selbst die Opposition Arbeitszeit / Nichtarbeitszeit immer mehr verwischt. Daher die Möglichkeit eines neuen Status des Schlafes, seiner positiven Organisation unter dem Zeichen der Po-tentialität. Wenn die Arbeit de facto sich auf die ganze Sphäre des aktiven, wachen-den Lebens mit ihren intensiven Kommunikationen, intellektuellen Operationen und Affekten erstreckt, wird der Schlaf die einzige Art und Weise des Anhaltens der al-les ergreifenden Aktualisierung der Kräfte und Fähigkeiten des Menschen, d.h. die einzige Nichtarbeitszeit. In der Tendenz der Bildung des „allgemeinen Intellekts“ (K. Marx) der unmittelbaren Produktionskraft ist die Verwirklichung der Figur des Schlafes bei Aristoteles möglich – als reine Potentialität des Gedankens und der Sprache, als „höchster Intellekt“, der dem „Intellekt des Schlafenden ähnlich ist.“
Ich möchte wieder zu dem Lichtbild von der Arbeit des Künstlers Nikolaj Olejni-kow „Ein Arbeiter schläft“ (s. Lichtbild 10, 11) zurückkommen, um die ursprüngli-che Frage zu stellen: Wie kann der Arbeiter aufgeweckt werden? Oder ist unter den heutigen Bedingungen der Schlaf als Ausstieg aus der Logik der Produktivität auch Widerstand oder sogar Klassenkampf?
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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