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Radek Fridrich
Bad/ Siegfrieds erblindete Liebe
Er verband ihr die Augen mit einem schwarzen Schal und führte sie in seine Wohnung.
Die Wanne füllte er dreiviertelvoll und warf in sie
eine Handvoll mahagonirot gefärbte Kastanien.
Dann führte er das Mädchen in das Bad und zog sie aus.
Sie bebte ganz, als sie sich in die Wasserfedern legte.
Die Kastanien drehten sich wild auf der Oberfläche
und klopften dumpf an die Wand der weißen Wanne.
Er wusch sie langsam und stand über ihr,
solange das Wasser nicht kalt war.
Als er ihren zitternden Körper abtrocknete und
Miniaturlappen anzog
fühlte er, wie schrecklich schnell das Herz schlägt.
Mit zittriger Stimme wollte sie etwas sagen,
er legte ihr die Hand auf den Mund und stillte ihre Erwartung.
Er führte sie vor das Haus und riss ihr das Tuch von den Augen
mit solcher Heftigkeit, dass sie vom Schürhaken des Lichts erblindete.
Schnell drehte er sich um und verschwand.
Letzter Brief
Liebe Lederne
Ich schreibe Ihnen aus einer kalten nördlichen Stadt. Aus einer Stadt des Eises, des Schneesturmes und der Schneewehen. Nichts funktioniert hier, alles ist erstorben, der Stra-ßenverkehr bewegt sich nicht. Ich traf nur einige gespenstische in lange Mäntel gekleidete Fußgänger, auf den Köpfen Hauben aus Hundefell, die Hälse eingewickelt in gemusterte Schale.
Ich schreibe Ihnen aus dieser Stadt, weil ich keine andere Möglichkeit des Kontakts habe; der Telegraf wurde vom Gewitter zerstört, die Postpferde fahren nicht aus, aus den Hunden wur-den Hauben. In den Hauseingang fallen mir jeden Tag einige Meter Schnee, die ich wegräu-men muss. Das kostet mich mehrere Stunden, dann ruhe ich mich aus, koche mir Tee und esse Brot mit Zwiebeln.
Die Dämmerung kommt hier bald, ich lese alte Zeitungen, schreibe Notizen und radiere Kreuzworträtsel, damit ich sie wieder lösen kann. Ich habe niemals gewusst, wie grausam diese alte nördliche Stadt ist, und welche Unglücklichen hier leben; egoistische, heuchlerische Bewohner, für die war ich sofort von Anfang an ein zum Scheitern verurteilter Fremder. Glauben Sie nicht, dass ich um Geld, das es mir ermöglicht zurückzukehren, bitte. Nein, ich will das ganz bis zum bitteren Ende ausleben.
Siegfried
Erbschaft/ Siegfrieds Erinnerung
Ich erbte eine Frau von einem entfernten Onkel. Wir haben so eine Tradition, dass die Frauen nach dem Tod ihrer Männer nicht allein bleiben können. Das war eine Bergfrau mit festen Schenkeln, gewöhnt an scharfe Märsche durchs Gebirge, ohne dass sie außer Atem kam. Eine stämmige Vierzigjährige mit dem Gebiss einer Stute und rotem Zahnfleisch. Ich verliebte mich auf den ersten Blick in ihre gelben Zähne, die sie an allen Seiten fletschte. Sie hatte we-nig Gepäck, was mich angenehm erfreute, ich mag nicht, wenn alte Welten in neue Häuser geschleppt werden. Sie warf gleich vom Hauseingang einige, erfahrene Blicke in die Küche und die angrenzenden Zimmer, ohne große Kinkerlitzchen packte sie aus, schaute mich an und fragte mit ihrem Gebirgsdialekt: „Gehen wir aufer.“ Wir legten uns hastig nieder, unge-duldig, und ich muss sagen, der Onkel hatte einen sehr guten Geschmack, sie war nicht totzu-kriegen. Ihr weißer, grindiger Hintern leuchtet in der ganzen Wohnung, als ich ihn so, musste ich in ihn hineinbeißen. Dann ging sie irgendwas zum Essen zu kochen. Stopfte mir auch ein Loch in den braunen Strümpfen und ich konnte endlich zu den anderen ins Kinderzimmer spielen gehen.
Lieber künstlich als tot
An Pavel Š. für das Bild „Hennen auf den Pfeilen des heiligen Sebastians sitzend“
Als Siegfried einmal mit seinen Kumpanen im Wirtshaus zechte, erschien dort ein Mann schwarz angezogen mit einer Melone wie aus einem Bild von René Magritte, zog aus dem Koffer ein Plastebündel und begann es aufzublasen. Siegfried und die übrigen konnten sich nicht genug wundern, als vor ihnen eine große Schwarzhaarige geheimnisvoll, mikadoartig gekämmt, mit drei geheimnisvollen Öffnungen auftauchte. Einen Augenblick starrten sie alle an, so stand sie auf die Schank gestützt und gab sich Bailey’s.
Die Kerle tranken weiter, beschleunigten das Tempo der Stamperl. Bis sich jemand traute und sagte: „Darf ich bitten?“ Und dann ging sie von Hand zu Hand, alle tanzten mit ihr. Mancher erlaubte sich mit zunehmenden Alkohol auch mehr als die reine Umarmung, kraulte ihr die Titten, zuzzelte ihre imaginäre Milch und fuhr ihr mit dem Nagel in den Plastehintern.
Am Morgen eignete sie sich Schlejhar an. Als er mit ihr tanzte, erschien es ihm, dass sie ir-gendwie blöd dreinschaut.
„Eine künstliche, künstliche,“ murmelte er in den Schnurrbart, „Scheißkünstlich.“ Und be-gann sie auszufragen. Sie wies ihn aber so blöd zurecht, wie das Frauen mit Vorliebe machen. Er sagte ihr: „Lass das oder ich gebe dir eine Watschen.“ Sie hörte nicht auf und so hat er ihr eine Watschen gegeben.
Zugabe:
Tauchmann saugt vor Siegfried sein echtes Mark der Welt aus
Unterhalb des Erzgebirges liegt ein tiefer schwarzer See,
der angeblich eine Tiefe von über vierzig Metern hat.
Die Sicht reicht in diesem dunklen Wasser, voller seltsamer
schwimmender Objekte, nur wenige Meter.
Es bewegen sich hier flache grüne Steppen hin und her
in denen riesige pechige Hechte mit Reihen kleiner,
spitzer Zähne in den Mäulern leben.
Ebenso Aale, lange, schwarze, mit grausamen Augen
lassen es sich in den kabelartigen Wurzeln gut gehen.
In den irren Urwäldern finden wir untergegangene Dörfer,
voller erblindeter und ertaubter Häuser.
„Ich schwimme oft durch sie hindurch,“
flüstert mir Tauchmann ins Ohr,
„manchmal finde ich das Skelett eines toten Hundes,
das an eine Hundehütte gebunden ist
oder Klauen von geschlachteten Hühnern.“
„Eine dunkle kalte Welt,“
fährt dieser finstere Taucher fort,
„aber mein wirkliches Leben verläuft schon nur hier,
unter Wasser.
Wenn ich am Wochenende zur Familie zurückkehre,
bringe ich der Frau kleine Kohleklumpen,
aus denen auf den Teppich im Vorzimmer
schwarzes stinkendes Wasser rinnt.“
Aus Radek Fridrich, Žibřid. Host Brno 2006
© Übersetzung: Stephan-Immanuel Teichgräber
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