Durch Nacht und Wind

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Der folgende Vortrag wurde auf Einladung der Gesellschaft kroatischer Schriftsteller am 4. Mai 2007 in Zagreb gehalten

Durch Nacht und Wind

Invarianten der österreichischen Gegenwartsliteratur

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin kein Austrianist und wir beschäftigen uns in den Lehrveranstaltungen in Wien auf der Komparatistik mit der Literatur Centropas und zwar sehr synchron, sodass ich mich eigentlich nur auf die letzten zwei Jahre beziehe. Dabei besteht natürlich die Gefahr, dass die Thesen, die Verallgemeinerungen schon im nächsten Jahr korrigiert werden müssen. Auch das man Tendenzen gesehen hat, die sich dann nicht als solche weiterentwickelt haben. So ist es auch mit der Grundannahme, von der ich ausgehe. Nicht zu ü-bersehen ist, dass sich in den letzten Jahren eine Autorengeneration der 30 und 40-jährigen durchsetzt, deren Bücher sich sehr gut verkaufen. Zugleich gibt es bei ihnen nicht mehr dieses Moralisieren, dieses in Grund und Boden Verdam-men der österreichischen Gesellschaft, wie wir es von Bernhard und Jelinek kennen. Es sind Bücher, denen man eine fehlende gesellschaftskritische Haltung vorwerfen könnte. Aber es kündigt sich vielleicht auch an, dass die scharfe Aus-einandersetzung mit Österreich, mit seiner nicht aufgearbeiteten Vergangenheit, das Leiden unter der furchtbaren Idylle, sich totgelaufen hat, ohne ihr Ziel er-reicht zu haben. Diese Autoren der mittleren Generation pflegen auch einen we-sentlich anspruchsloseres Schreibhandwerk, wobei dies auf Dinev, Franzobel oder Eva Menasse nicht zutrifft.

Ich habe für diese neue Tendenz zwei Beispiele ausgewählt und werde sie zuerst einer Analyse unterwerfen. Dabei hoffe ich Sie nicht zu langweilen, weil die Analyse an sich die Textwerkstatt ist und der Konsument sich für das fertige Produkt interessiert und nicht dafür, wie es produziert wurde. Aus diesem Grun-de sind ja auch so viele Analysen gegenwärtiger Literatur nicht aufzufinden, weil die Wissenschaftler sie sorgfältig auf ihren Festplatten abspeichern, aber dann nur die Interpretationen und die biographischen Details der Autoren der Öffentlichkeit präsentieren.

Die Beispiele werden von Wolf Haas „Das Wetter vor fünfzehn Jahren“ und von Daniel Glattauer „Gut gegen Nordwind“ sein. Das slawische Wort für Wind rus-sisch „ветер“, tschechisch „vítr“ hängt ja etymologisch, weil indogermanisch mit dem deutschen Wetter, dem englischen „wether“ zusammen. So hätte ich als Titel auch von Wind und Wetter sprechen können. Nur wollte ich die Nachtsei-te, die der gegenwärtigen österreichischen Literatur durchaus ebenso eigen ist, nicht unterschlagen. Es gibt auch in der gegenwärtigen tschechischen Literatur Texte in denen die Meteorologie direkt in die Struktur der Texte eingreift, so bei Jaroslav Rudiš „Grandhotel“ oder bei Roman Ludva „Jezdci pod solničníkom“, aber auch in der türkischen Literatur, bei dem Nobelpreisträger Orhan Pamuk „Kar“ [Snijeg]. Doch kommen wir zur Analyse der Texte.

In dem Text von Wolf Haas wird der Text zum Metatext. Der Roman selbst wird nicht präsentiert, sondern es wird ein Interview über den Text, den der Le-ser selbst nicht kennt, geführt. So muss der Leser den eigentlichen Text, damit auch das gesamte Sujet selbst rekonstruieren oder überhaupt erst konstruieren. Das zentrale Motiv, das Wetter oder genauer gesagt das Gewitter, wird also erst durch die Rekonstruktion fassbar. Es gibt weitere Romane in der österreichi-schen Gegenwartsliteratur, wo die Meteorologie nicht so plakativ gleich im Titel des Textes fassbar wird, so bei Arno Geiger „Uns geht es gut“ (schon ins Unga-rische übersetzt) oder Christoph Ransmayr „Der fliegende Berg“. Doch dazu etwas später.

Das Wetter wird über eine phonologische Äquivalenz eingeführt: über das Wet-ter reden. Es ist sogleich eine Assonanz. (s. S. 58) Das Missverständnis kommt dann bei der Beschreibung der Fernsehshow. Der Hauptheld, der Erzähler ist mit diesem identisch, wird als Gedächtnisphänomen bei einer Fernsehshow vorge-führt, der das Wetter in einem kleinen Bergdorf von fünfzehn Jahren haargenau kennt. Nun wird er auf einen konkreten Tag angesprochen. Da sagt er, es gab ein „Wetter“. Damit übernimmt er die dialektale Bedeutung, in der ein Gewitter als Wetter bezeichnet wird. Der Moderator, ein bekannter Fernsehstar, versteht ihn zuerst nicht, doch wird dies breit dargelegt, dass er sich vor dem Fernsehpubli-kum vor seinen bayrischen Freunden entschuldigt. Diese Bezeichnung des Pro-tagonisten wird als Versprecher dargestellt, dass er sich bei der Darstellung sei-ner Wettererinnerung zu sehr auf das Vokabular des betreffenden Ortes einge-stellt hat, denn er stammt selbst aus dem Ruhrgebiet. „’Ein Wetter.’ Man hört es bis in die hinterste Reihe der Westfalenhalle, und man hört es in ganz Deutsch-land und in der Schweiz und bis in den hintersten Winkel von Österreich, wie er sagt: ‚Ein Wetter.’“ „Und Gottschalk reagiert eben in seiner launigen Art und sagt: ‚Ein Wetter ist immer, aber was für ein Wetter, das ist die Frage.’ Und Herr Kowalski wiederholt: ‚Ein Wetter.’ Und da klingelt ´s bei Gottschalk. Li-teraturbeilage Ein Gewitter.“ Wolf Haas Genau ‚Ich als Bayer’ sagt er. ‚Und verstehe Wetter nicht’, und so weiter.“ (68f.) Von der Gesprächspartnerin wird das Wetter als das zentrale Motiv angesprochen, doch wehrt sich der (fiktive) Autor dagegen. „Herr Haas, mit dem ‚Wetter’, das Gottschalk unabsichtlich an-gesprochen hat, sind wir beim Kern der Geschichte angelangt.“ (73) Das Wetter in dieser Bedeutung ist bei der Hauptgestalt des nicht vorhandenen Romans fremde Rede, in seiner Rede dürfte es diese Bedeutung nicht geben, da er aus einer anderen Region kommt. Da er sich aber seit fünfzehn Jahren mit dem Wet-ter in diesem Bergdorf und gerade mit diesem Wetter beschäftigt, ist diese Se-mantik in seine parole unauflösbar eingeschlossen. So zeigt sich, dass auch der Titel des Buches anders zu verstehen ist und übersetzt werden kann und muss „Das Gewitter vor 15 Jahren“. Ein Synonym für Gewitter ist im Deutschen Un-wetter, was wir auch in anderen Sprachen finden, also gerade die Negation des Wetters, wobei für die Bergdörfler gerade das Gegenteil gilt. Jede Wetterprog-nose, die sie den Touristen geben, ist eigentlich die Frage, ob und wann es ein Gewitter gib. Der blaue Himmel ist dagegen dem Gewitter entgegensetzt, solan-ge er herrscht, gibt es kein Wetter. (86, 88) Diese Wetterprognosen hängen vom Gespür der Einheimischen, konkret der Jugendliebe des Protagonisten ab. Ein Synonym für spüren, vorausfühlen ist „wittern“, wobei dies phonologisch, mor-phologisch und etymologisch direkt mit der Lexem „Wetter“ zusammenhängt. Phonetisch gibt es zwischen „spüren“ und „schwül“ eine Äquivalenz, die einen semantischen Zusammenhang suggeriert. Die Schwüle, die das Kommen des Gewitters spüren lässt. „Sie beschreiben wie es immer noch schwüler und drü-ckender wird.“ Auch hier werden die beiden Adjektive durch das Phonem ü ver-knüpft. Diese phonetische Steuerung des Sujets zeigt sich schon beim Zustande-kommen des Fernsehauftritts. Der Held wird zu einer Wette über das Wetter in einem Bergdorf über die Distanz von fünfzehn Jahren eingeladen. Hier gilt noch die allgemeinsprachliche Bedeutung des Wortes. Der phonetisch-semantische Zusammenhang von Wette und Wetter wird mehrmals betont und kommt wieder bei dem Spüren des Wetters zum Tragen. Während der Protagonist beim Wett-hören der Hochspannungsleitung seiner Freundin voraus ist, „verlagert sie sich auf das Spüren“ des Wetters, der Hochspannungsleitung etc. Ein weiterer Ge-gensatz zum blauen, wolkenlosen Himmel ist die Dunkelheit bei Tag. „Noch bevor sie oben bei der Stromautobahn sind, ist es schon dunkel.“ „Bei der dritten Bank war es schon praktisch finster.“ „Out of the blue into the dark, wie es bei Neil Young heißt.” (89) Und wenn’s dann doch mitten am helllichten Tag von einem Moment auf den anderen finster wird.“ (90) „Es fängt an mit der plötzli-chen Verdunklung des Himmels“ (91) ist an sich eine Metapher, denn Fenster, Zimmer kann man verdunkeln, aber den Himmel? „[...] während es mitten am Tag finster wird.“ Die Morpheme „dunk#l“ und „finst-“, die an sich homosem sind, wechseln sich im Text immer ab. Da der Text an sich ein deklarierter Me-tatext ist, ein Text über einen nicht vorhandenen Text, kann eine scheinbare oder wirkliche literaturwissenschaftliche Reflexion einbezogen werden. So ist die Dissertation von F.C. Delius wirklich vorhanden und ein Pionierwerk der meteo-rologischen Literaturwissenschaft, während die Dissertation von Haas Fiktion ist.

Der nicht vorhandene Text beginnt angeblich mit einem Vers aus einem Volks-lied „Mag’s regnen oder winden – oder obaschneibn“, sodass hier die meteoro-logische Volkskunde gefragt ist und einbezogen werden müsste. Aus welchen Elementen besteht das Wetter, eine Wetterprognose, ein Gewitter. Welche Ele-mente davon kommen in Haas fiktiven Text und in dem realen Text vor. Da gibt es Blitz und Donner, das von der „Literaturbeilage“ (eine interessante Metony-mie, die dem Gendermainstream scharf entgegenschwimmt) mit einer Eigenart des Protagonisten verbunden wird, Spannungszustände durch zählen abzubauen. Damit wird die Heirat der Jugendfreundin, genauer ihr Ja-Wort mit dem Donner gleichgesetzt, auf den der Held zuzählt. Wirklich kommt es kurz vor dem Ja-Wort in den Bergen zu einer Explosion, die das Ja-Wort verhindert. „Das Gewit-ter sei rasend schnell näher gekommen“ doch durch das „Runterzählen“ be-kommt es ein Zeitlupentempo. Der fiktive Autor behauptet: „Der Zählende glaubt, das Gewitter kontrollieren zu können.“ Weitere Elemente sind der „Wind“, der „fortwährend gegen das Metall schlägt“. Das Gewitter wird als Be-drohung mit einem Atommülllager gleichgesetzt, wobei es keine Graduierung gibt, sondern dort, wo das eine (A) ist, braucht man nicht noch das andere (G). Bei dem Pärchen übernimmt der weibliche Part mit dem Gewitter die Domi-nanz. Durch die Nähe der Hochspannungsleitung entsteht eine gefährliche Situa-tion, der die beiden schnell entfliehen wollen. Dadurch auch die hohe Frequenz des Lexems Blitz, dass sich schon beim Anblick eines Hochspannungsmasten bzw. des bekannten Warnschildes aufdrängt. „Sie beschreiben einen Blitz, der über den Himmel zuckt [...]“ „[...] dass es eigentlich nur so aussieht, für die Au-gen der ‚Wetter-Normalverbraucher’, als würden die Blitze von den Wolken Richtung Erde zucken.“ „[...] ob es Ihnen bei der Blitzrichtung um eine Mann-Frau-Symbolik geht.“ „Die Blitze zucken genauso von unten nach oben.“ „Sie schreiben, der Blitz, der sekundenlang über den Himmel zuckte [...]“ „Ich dach-te, der Blitz schlägt womöglich in diesen Mast ein oder ürgend so was. (99) Die Literaturbeilage wird phonetisch-graphemisch durch den Wechsel von i zu ü vor r und sch charakterisiert, der in der norddeutschen Standardsprache normiert ist, aber nicht graphemisch dargestellt wird. Die Bedrohung durch das Gewitter und die daraus folgende Angst ist bei dem nicht dominierenden größer, wäre sie ge-ringer, würde er dominieren. Gewitter und Tropfen, bevor es beginnt, gibt es kurze Zeit Regentropfen, aber noch keine Guss, es tröpfelt aber gewittert noch nicht. Die Jugendlichen und das Gewitter vollführen symmetrisch entgegen ge-setzte Bewegungen: sie laufen hinauf, fort von den Hochspannungsmasten, dass Gewitter „kommt“ dagegen „runter“. Irgendwo in der Mitte, auf der Höhe des Schmuggellagers treffen sie sich. Erst dann, wenn etwas Erwartetes nicht ein-tritt, wenn Blitz und Donner nicht aufeinanderfolgen, ereignet sich wirklich et-was. Das Gewitter wird es dadurch zum Motiv. Hier fällt einem unvermittelt die Vorrede Stifters zu „Bunte Steine“ ein, wo er eingehend darlegt, was für ihn ein Motiv ist. Das ein Naturereignis wie ein Gewitter durchaus ein solches darstellt. Steht dann diese am Wetter orientierte Prosa der gegenwärtigen österreichischen Literatur zwangsläufig in der unpolitischen Tradition Stifters? Wendet sie sich damit bewusst von der politischen Auseinandersetzung ab. In den zwei gewähl-ten Beispielen von Haas und Glattauer kann dies durchaus bejaht werden, denn die Allusionen auf die Schmuggler der vergangenen Generation, die durchwegs Nazis waren, ist wohl zu nebensächlich, zu klischeehaft, um in dem Text eine politische Funktion herauszuarbeiten.

Wie wird also das Gewitter in dem Text dargestellt? Der eigentliche Text liegt uns nicht vor, die zwanzigseitige Beschreibung über das Gewitter, sondern nur der Metatext, der der eigentliche Text ist. „Literaturbeilage Sie beschreiben den Blitz aber nicht als den üblichen Blitzschlag eben. Sondern für mehrere Se-kunden wird die ganze Hügelkette unter ihnen unnatürlich hell erleuchtet, [...]“ „Literaturbeilage Das Mystische kommt ja nicht nur von dem lang anhaltenden Blitzlicht. Sondern es liegt vor allem am ausbleibenden Donner.“ Hier bleibt also das erwartete Moment aus und wird damit zum Ereignis. „Ich hatte den Eindruck, dass Sie mit dieser Satzkette diesen nie verlöschenden Blitz sozusa-gen syntaktisch abbilden oder nachbauen wollten.“ (102) Hier wird also die E-bene des Sujets, das Motiv, mit der syntaktischen Ebene verknüpft. Es bleibt also der Donner aus und aus diesem Grunde schreibt die Interpretin der Situation eine besondere Bedeutung bei, was durch die elliptisch wiederholte Phrase „[...] aber der Donner.“, der ausbleibt unterstrichen wird. (s. 102) „Literaturbeilage ‚Wir drehen unsere Köpfe nach dem nicht verlöschenden Blitz, der den ganzen Hügel und das ganze Tal und das ganze Gebirge und den ganzen Himmel in sein gewaltiges Hochspannungslicht tauchte, aber der Donner.’“ (102f.) Hier kommt wieder die Verbindung, der Verweis auf die Hochspannungsleitung. „Wolf Haas aber der Donner kam nicht.“ (103) Außerdem wird zwischen dem Blitz und der „Stromautobahn“ auf der Basis „Hochspannung“ eine Parallele herge-stellt, wobei die verfremdende Bezeichnung der Hochspannungsleitung dadurch motiviert wird, dass diese Parallele nicht zu plakativ ins Auge springt. Der Blitz, der gerade durch seine Kürze im Deutschen zur Wortbildung herangezogen wird (blitzschnell, Blitzgespräch), wird zur Dauererscheinung. „Das Sie das Abbild des nicht verlöschenden Blitzes lesen, gefällt mir.“ „Es ist ja auch wirklich ge-waltig, wenn so eine ganze Landschaft sekundenlang in so einer irrsinnig hellen Lichtblase steht.“ (103) Hier eine kühne Metapher, die im eigentlichen Text vielleicht gar nicht vorkommt, sondern vom fiktiv realen Autor im Metage-spräch eingeführt wird. „Für mich ist eigentlich schon der Donner, der ausblei-bende Donner, das Bedrohlichste.“ (103) Kurz darauf wird behauptet „’Es blitz-te nicht. Es donnerte nicht. Es regnete nicht.“ (104) Doch führt der fiktive Autor gleich von dieser Unstimmigkeit fort, indem er eine andere behauptet. „Die Stromautobahn hat logischerweise erst eine Sekunde später nicht mehr gesurrt.“ (104) Eine gesteigerte Bedeutung bekommt das Lexem „Wetterglocken“, die wegen des Gewitters läuten. Die Interviewerin zieht die Glocken durch ihre Phonetik leicht ins Lächerliche, in dem sie von Kürchenglocken spricht. Der ausbleibende Donner führt zum absoluten nichts. „Kein Donner mehr. Kein Wind mehr. Kein Regen. Kein Insektensurren.“ Das letztere tritt ein, nachdem die Hochspannungsleitung aufgehört hat zu surren. Aber auch keine Luft mehr. Das Vorhandensein oder das Fehlen hat sogar sujetbildende Bedeutung. Die Mutter muss ihres Asthmas wegen jeden Sommer in die schöne Bergluft dieses Dorfes, in Wirklichkeit ist es das intime Verhältnis zum Gastgeber. Insofern ist es ganz konsequent, dass sein Tod während dieses Gewitters auftritt, wo „die Luft weg ist.“ Die Luftmatratze, von der der Protagonist bei den Ferienfahrten immer gequält wird, in dem sie ihm auf dem Rücksitz die Luft nimmt, sie aus dem Autoinnern saugt, wird jetzt zu einem Äquivalent zum „Wetter“ (Gewitter), das die Luft aus der Landschaft saugt. (s. 106) „[...] wenn Sie seitenlang be-schreiben, wie, bevor’s dann endlich runterkommt, die Luft aus der Landschaft abgesaugt wird.“ (107) So wie die Luft in die Luftmatratze, die auf der Fahrt in die Ferien dem Sohn die Luft nimmt, hineingeblasen wird, wird die Luft rezip-rok aus der Landschaft herausgesaugt. Die Luft wird zur Metonymie für die Fe-rienliebschaft der Mutter. Diese wird nicht genannt, sondern die Mutter möchte „wegen der guten Luft in den Ort fahren.“ Die Interviewerin sieht „eine böse Ironie“, denn dem „Sohn ging regelmäßig die Luft aus.“ (133) Der Luftbedarf der Mutter wird später zur „Hochstilisierten Atemnot.“ (173) Die Metapher „die geballte Luft“ (108) wird später durch den Vergleich mit „der Faust eines Bo-xers“ motiviert. „ Die Luft hat sich entfernt wie die Faust eines schwitzenden Boxers [...]“ (108) Ein weiterer unerwarteter Vorgang ist das nicht kontinuierli-che Voranschreiten des Gewitters. „[...] wenn ein Gewitter einen Sprung macht.“ (wieder eine Metapher) „Vor fünf Minuten war noch der herrlichste Sommertag. Vor drei Minuten ist es erst dunkel geworden.“ (109) Hier kommt wieder der Lichtkontrast vom blauen Himmel zur nächtlichen Dunkelheit am Tag. Nun der Regen, der in einer toten Metapher dargestellt wird, die aufgrund der unterschiedlichen Phraseologie des österreichischen und des deutschen Deutsch wieder aufgedröselt werden muss. „Es regnet Leinentücher. Literatur-beilage Was sind Leinentücher? Wolf Haas Bettlaken. Sheets. Literaturbeilage Ach ja, it’s raining sheets!” Wolf Haas Es regnet Bettlaken, Leintücher, […]” (109) Dadurch wird die tote Metapher zugleich belebt. Es zeigt sich damit eine Tendenz, der außerliterarischen Wirklichkeit, dass durch den verstärkten Eng-lischunterricht in den deutschen Ländern dialektale Differenz durch das Engli-sche verständlich gemacht werden und dass die Chance die österreichischen Dialekte zu erhalten nur durch ein Umsteigen auf Englisch als Standardsprache möglich wird. Aber das nur am Rande. Zu dem Kontrast Licht >< Dunkelheit tritt der Wärme >< Kälte. „Luft weg. Temperaturabfall, [...]“ „So ein ruckartiger Temperaturabfall, das hat schon was.“ (110) Gleichzeitig wird die Bedeutung dieses Kontrastes von dem fiktiven Autor herabgesetzt. „Aber darum ging es mir nicht. Sondern eben um die paar feinen Tropfen, [...]“ „[...] nicht Regen, es reg-net ja noch nicht, sondern statt dem Wind spritzen diese feinen Tropfen, [...]“ Diese „feinen Tropfen“ hatten wir oben schon erwähnt. Donnern, Regen, Blitzen wird als Nullstelle syntaktisch gleichgestellt. (s. 111) Die Lebensgefahr, der das Pärchen ausgesetzt ist, wird nun durch die Tafel der Hochspannungsmaste, kon-kretisiert und metaphorisiert, denn sie tanzt jetzt durch Landschaft, durch die Szenerie. „’Nur die gelbe Blechtafel mit der Aufschrift Lebensgefahr! Tanzte laut scheppernd über den Hügel.’“ „Diese Bewegung der Blechtafel, die über den Hügel hüpft.“ (111) Es reiht sich jetzt eine Metapher an die andere. Das Scheppern wird den Regnen, das ausbleibt, entgegen gesetzt. (112) Dann trifft der kaum noch erwartete Donner ein. „ Und im selben Moment ging eine gelbe Neonlampe am schwarzen Himmel an. Und im selben Moment, wenn nicht eine Spur von Licht, krachte ein Donner los, und wenn der Donner im selben Mo-ment, wenn der Donner eine Spur“ (hier ist wieder das Spüren) „vor dem Blitz ertönt, stehst du mitten im Wetter.“ (112) Das Spüren der Geliebten wird noch einmal am Ende angesprochen. „Na klar, mit dem Spürterror!“ Hier ist aber also wieder die dialektale Semantik von Wetter. Nun ein Luftstoß, wo bisher eher der Mangel an Luft betont wurde. „[...] bevor den beiden richtig bewusst wird, dass der Luftstoß sie fünfzig Meter bergauf geschleudert hat.“ (113) Nun wird eher retrospektiv, nachdem das Pärchen in dem „Schmuggellager“ Sicherheit gefun-den hat, die wiederbelebte Metapher „Lakenregen“ und die phonetische Äquiva-lenz von Wetter und Wetten repetiert. (116f.) Bei der Beschreibung des Zugrun-degehens des Vaters der Geliebten wechselt der fiktive Autor von der dialekta-len Semantik zur hochsprachlichen. „Er klopft einfach wie verrückt, weil er auch in das Wetter geraten ist. Er ist in Panik. Er will sich vor dem Wetter retten [...]“ (118) Hier wieder die Sujet bestimmenden phonetischen Assonanzen, bei-nahe ein Anagramm „Wetter retten“. Dies wird später noch einmal aufgenom-men „um die beiden Kinder vor dem Unwetter zu retten.“ Hier ist das Lexem semantisch hochsprachlich bestimmt. (167) Später wieder aus der Sicht des ein-heimischen Quartiergebers wird wieder die dialektale Semantik aktualisiert. „Und Annis Vater war eben schon fast oben, als das Wetter aufgezogen ist, und wollte sich in sein Schmugglerlager retten.“ Die Interviewerin bringt an der zu-vor zitierten Passage das andere Lexem, das Synonym ein. „Es ist ja nicht klar, ob sie die Klopfzeichen in dem Gewitterlärm gehört haben.“ Und der Interview-te nimmt es auf „Es ist nur der Gewitterlärm.“ (118)

Der „Hotelkoller“ wird wiederum als „eine Art Donnergrollen“ beschrieben. Hier zeigt sich wieder die phonologisch bedingte Assoziation „Donnergrollen“ „Hotelkoller“ (137) Als der Protagonist während der Eheschließung in dem Schmuggellager eingeschlossen ist und versucht sich zu befreien, „dachte er die ganze Zeit an das Wetter.“ (180) Das Retten wird nun wieder phonologisch be-dingt, auch wieder anagrammartig, mit der Kletterleistung des Protagonisten verbunden. (s.183) Ein für die österreichische Literatur typischer Neologismus, ein Neokompositum wird mit diesem Klettern verbunden „Der war als Kind [...] ein absoluter Kletterverweigerer.“ (184) Das Gewitter als Grenzüberschreitung wird direkt im Text als solche bezeichnet „All die vorherigen Countdowns, wie er sich auf der Autobahn der Grenze nähert, die dann wegen der EU nicht mehr da ist, wie das Gewitter heranrückt und die lineare Entwicklung überspringt, [...]“ (188) Beide, Grenze und Gewitter, werden durch das ständige Zählen mit-einander gleichgesetzt. Das Licht, das bei dem langanhaltenden Blitz so eine große Rolle gespielt hat, verknüpft nun die Hochzeitsszene und den verzweifel-ten Rettungsversuch des Helden. „Während Annis Brautkleid in der wundersa-men Lichtstimmung leuchtet, wird Vittorios (der Held) Kopflampe in der Fins-ternis des Schmuggellagers [...] immer schwächer.“ (192)

In dem zweiten Beispiel, Daniel Glattauers „Gut gegen Nordwind“ (Wien 2006), ist das Wetter, eines seiner Elemente nicht so sehr sujetbestimmend, sondern charakterisiert einen der beiden Haupthelden. Es ist ein Emailroman, in dem ein Frau und Mann nicht zu einander findet. Das Fehlen des Wetters wird von der Schreiberin nach einem Viertel des Textes extra betont. „[...] wir kommen sogar weitgehend ohne Wetterbestimmungsberichte aus.“ (80) Nach einer Hälfte des Textes tritt nun auch das Wetter in den Emails auf: „Wahnsinnig heiß heute.“ (114) „ Auch ganz gut. Bis auf die Hitze. Ist das normal? Wir haben Ende Mai. 35 Grad im Mai – hätte es das früher gegeben?“ „Ja, danke Emmi, so weit alles bestens. Da haben Sie Recht. 35 Grad gab es früher Ende Juli, Anfang August, vielleicht ein zwei Tage im Jahr, nicht mehr. Ich sage Ihnen, das mit der Erder-wärmung, das wird noch ein heißes Thema werden. Das ist keine Fadesse-Aktion der Klimaforscher.“ „Ja, Leo, die Temperaturunterschiede werden immer extremer.“ (120) „Die ökonomischen und ökologischen Folgen der Klimaverän-derung sind noch gar nicht abzuschätzen.“ (121) Diese Anspielungen auf das Wetter scheinen nur den Zweck zu haben, eine zeitliche und jahreszeitliche Ein-ordnung zu ermöglichen. „Gute Nacht. Sie haben es nicht allzu drückend heiß in ihrem Schlafzimmer.“ „Schöne heiße Nacht, vergnügen Sie sich gut, Emmi.“ Sie sollten unbedingt das Thema ‚Klimaveränderung’ zur Sprache bringen.“ (122) Hier zeigt sich, dass das Ansprechen des Wetters mit einer Eifersuchtsphase der Protagonistin koinzidiert. „Für mich ist ein Hagelsturm wie eine Brise Weltun-tergang. Da hängt so ein seltsamer ockergelber Schleier über dem Himmel, [...]“ Dies wird lexikalisch wieder aufgenommen. „Ich habe Ihnen nicht ein halbes Jahr“ (halbes Jahr, halbes Buch) „die Treue gehalten, [...] damit wir jetzt begin-nen , uns über Regengüsse und ockergelbe Schleier zu unterhalten.“ „Aber für Dialoge über das Wetter bin ich mir zu schade.“ (123) Damit scheint das Thema erschöpft, doch die Heldin kommt selbst auf Wetter zurück. „Ich kann heute nicht schlafen. Habe ich Ihnen eigentlich schon einmal vom Nordwind erzählt? Ich vertrage keinen Nordwind, wenn mein Fenster offen ist.“ (140) „Da kann der Nordwind jetzt blasen, wie er will.“ „Leo, ich hab Sie sehr, sehr gern. Sie sind phantastisch gegen Nordwind.“ (142) Damit erhält der Held ein Epitheton, das dem Buch auch den Titel gibt. „Hindert es den Nordwind, bei ihrem Fenster hineinzublasen, sodass Sie nicht einschlafen können?“ (144) „Und der Nacht-wind ist abgeflaut. Sie können den Kopf beim Fester lassen.“ (phonetische Sub-straktion) Bleibt der Email-Dialog über das Wetter aus, fühlt sich der Held gleich in die Luft gestellt, dem Wetter schutzlos ausgesetzt, was durch lexikali-sche Äquivalenz stark unterstrichen wird. „Liebe Emmi, man kommt sich ziem-lich jämmerlich vor, wenn man zwei Tage so in der Luft hängt, wie ich in der Luft hänge, weil sie mich in der Luft hängen lassen.“ (145) Der Held versucht die Gesprächspartnerin durch das Ansprechen des Wetters aufzumuntern. „Bläst der Nordwind? Gute Nacht.“ (153) „Westwind. Der lässt mich kalt.“ (154) Ver-setzt sich in ihr Denken hinein, gibt also eine fremde Rede vor, die diejenige, der sie zugeordnet ist, kontrollieren, korrigieren oder bestätigen soll. „Und in der Nacht, wenn ich nicht einschlafen kann, wenn der Nordwind bläst, dann komme ich nicht zur dir (phonetische Addition), Schatz. Nein, dann schreibe ich diesem Mann eine E-Mail. Und er schreibt mir zurück. Der Typ tut nämlich verdammt gut gegen Nordwind in meinem Kopf.“ (165) Das Gespräch über das Wetter wird also sei es Hitze, sei es Wind, durch Eifersucht motiviert. „Wieso haben Sie gewusst, dass ich Ihnen noch schreibe? [...] Weil der Nordwind bläst.“ (168) „Ich werde mir vor dem Schlafengehen noch ein paar Mal Leo [...] Leike geben. Das ist sicher gut gegen Nordwind.“ (177) „Südwind – ich wälze mich dennoch im Bett herum. Ein einziger Buchstabe von Ihnen, und ich würde sofort ein-schlafen.“ (191) „Welche Spuren hat der jahrelange, nächtliche Nordwind an ihren Wangen hinterlassen?“ (209) „Soll ich ihnen eine vom Nordwind ausge-bildete Wange entgegenwuchten?“ (210) Und wieder der Anlass für Eifersucht für den Ehemann Bernhard. „Ich glaube, ich liebe dich. Und Bernhard hat es ge-spürt. Mir ist kalt. Der Nordwind bläst mir entgegen.“

Das Thematisieren des Wetters, das Reden darüber, ist also in beiden Bücher kaum verdeckt reale oder nicht konkretisierte Untreue, sie sind metonymisch miteinander verknüpft, ohne Untreue gibt es keinen Anlass über das Wetter zu reden. – Mit dieser Mikroanalyse hoffe ich Ihnen einen kleinen synchronen Ein-blick in die österreichische Gegenwartsliteratur gegeben zu haben; war die öster-reichische Literatur vor zwei Jahren noch von Familienromanen geprägt, zeich-net sich heute eine Tendenz zur witterungsbedingten Literatur ab, wobei dies nicht unbedingt die Flucht vor der sozialkritischen, ideologischen Funktion sein muss. Vielleicht ist auch darum der neue Roman Christoph Ransmayrs gerade jetzt erschienen, geht es doch dort nicht nur ständig um das Wetter, sondern es ist auch mit der Eifersucht des Bruders auf die Geliebte des anderen und mit der des Vaters verbunden. Hier wird die Eifersucht durch die Bezeichnung „Verrat“ kaschiert und zugleich thematisiert. Der homosexuelle Bruder wirft dem Prota-gonisten Verrat an den Bergen vor, der Vater seiner Frau Vaterlandsverrat. Der Vater flüchtet sich dann mit seinen Söhnen in ein ständiges Bergwandern bei Wind und Wetter. Das können wir erst in zwei oder fünf Jahren oder vielleicht sogar noch später endgültig feststellen. Was heißt das für die Literaturwissen-schaft. Die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Meteorologie schlägt schon seit einigen Jahren Pavel Matejovič in Bratislava vor. In seiner Dissertation „Synoptici“ schlägt er vor, die synoptische Karten der Meteorologie auch für die Literaturwissenschaft fruchtbar zu machen. Diese Karten enthalten nicht nur eine synchrone Beschreibung des Wetters, sondern geben auch Aus-kunft über Verborgenes. So könnten entsprechende Beschreibungen, die viel-leicht sogar Karten sein könnten, nicht nur synchron die Literatur beschreiben, sondern auch Prognosen für künftige Entwicklungen literarischer Texte wagen.

Stephan-Immanuel Teichgräber

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