Die Zensur liest keine dicken Bücher
Andrej Bitow hätte ohne Zensur nicht anders geschrieben: Zur Deutsch-Übersetzung seines Romans "Das Puschkinhaus" war der russische Autor in Wien – Im Interview
Standard: Es hat viele Jahre gedauert, bis Ihr Roman 1989 in Russland veröffentlicht werden konnte.
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Andrej Bitow: Ich habe selbst nicht mehr geglaubt, dass dieses Buch in meiner Heimat gedruckt wird. Meine Theorie war all die Jahre: Entweder bin ich verrückt oder die sind verrückt. Wenn man nicht glaubt, dass es den KGB gibt, dann halten sie einen für verrückt. Aber wenn man glaubt, dass es ihn gibt, dann wird man verrückt. Darum war die Wahl für mich eigentlich einfach. Lieber war ich in deren Augen verrückt als real.
Standard: Zuvor ist das Buch 1978 in den USA im russischen Original erschienen. Allerdings ohne Ihr Einverständnis.
Bitow: Ich hatte einem amerikanischen Slawisten den Text gegeben. Mit der Bitte, ihn erst zu veröffentlichen, wenn ich ihm das Signal dafür gebe, und unter der Bedingung, dass gleichzeitig ein Übersetzung ins Englische erscheinen würde. Damit die Welt das Buch gleichzeitig lesen kann, was für mich einen gewissen Schutz bedeutet hätte.
Dann kam ich eines Tages aus dem Sommerurlaub zurück und musste feststellen, dass sie es ohne meine Einwilligung und nur auf Russisch veröffentlicht hatten. Der Verlag ist einfach so verfahren, wie es für ihn vorteilhaft war. Denen war unsere Existenz damals egal und ist es ja eigentlich bis heute.
Standard: Es gab Ende der 80er bereits eine deutsche Fassung von "Das Puschkinhaus". Warum nun eine Neuübersetzung?
Bitow: In der ersten Übersetzung hat der Kommentarteil gefehlt, den ich ein paar Jahre später noch verfasst habe. Das ist kein normaler Kommentar, sondern ein zentraler Bestandteil, der fast ein Fünftel des Buches ausmacht. Die Übersetzung hat auch darunter gelitten, dass sie auf zwei Übersetzerinnen aufgeteilt war. Die Teile hatten einen ganz anderen Duktus. Dass das Buch jetzt von Rosemarie Tietze noch einmal übersetzt wurde, ist ein Wunder in der heutigen Verlagslandschaft. So etwas passiert einem Autor ganz selten zu Lebzeiten.
Standard: Woran kann ein Autor die Qualität einer Übersetzung ermessen?
Bitow: An der Qualität der Fragen, die einem der Übersetzer stellt. Außerdem beutet mich meine Übersetzerin auf geradezu deutsche Weise aus. Es verhält sich in etwa so wie mit dem Helden meines Romans Mensch in Landschaft, einem Verhaltensforscher. Er stellt sich die Frage: Was ist eine Symbiose? Seine Diagnose: Symbiose gibt es nicht, es gibt nur gegenseitiges Parasitentum.
Standard: Man könnte auch sagen: Sie beuten in Ihren Romanen die klassische russische Literatur aus, spielen mit diesen Vorbildern. Wie ist Ihr Verhältnis zu den Klassikern?
Bitow: Sie sind immer noch das Beste, was geschrieben wurde. Für mich gab es in sowjetischer Zeit nichts anderes. Wir waren durch den Eisernen Vorhang abgeschlossen von der zeitgenössischen westlichen Literatur und sogar von der zeitgenössischen russischen. Darum habe ich versucht, aus der russischen Klassik eine Art von Moderne herauszulesen. Auch eine Art von Ehrlichkeit und Freiheit. Und natürlich den grandiosen Umgang mit der Sprache.
Heute meinen viele, Das Puschkinhaus sei der Beginn der Postmoderne in Russland. Aber das ist schon der Eugen Onegin von Puschkin. Man muss ihn nur mit anderen Augen lesen. Streng genommen gab es nach unserem Goldenen Zeitalter in der Literatur nichts Neues mehr. Alles geschah von 1820 bis 1840. Daran arbeitet man sich bis heute ab.
Standard: Welchen Stellenwert hat Literatur im Russland von heute?
Bitow: Die Zahl der Leser nimmt ab. Als es keine Glasnost gab, hat die Literatur auch diese Rolle übernommen. Die Leute haben vielleicht gar nicht so sehr aus Liebe zur Literatur gelesen, sondern um ein bisschen Wahrheit zu finden. Wirkliche Leser waren immer eine seltene Kategorie.
Standard: Wie sieht es heute mit der Zensur aus?
Bitow: Wenn der regierenden Gruppe irgendetwas als bedrohlich erscheint, wird es unterdrückt. Auf die Literatur bezieht sich das jedoch kaum. Zensur passiert mehr auf der Ebene der Massenmedien. Es gab früher schon eine sehr gute Regel: Die Zensur las in der Regel immer nur die Anmerkungen. Bücher von ein paar hundert Seiten wurden oft gar nicht gelesen, weil sie sowieso nicht für die Massen gedacht waren.
Standard: Haben die politischen Veränderungen Ihr Schreiben beeinflusst?
Bitow: So wie ich früher geschrieben habe, schreibe ich jetzt auch. In den ganzen letzten Jahren sind nur zwei Kommentare von mir, die ich für eine Zeitung geschrieben habe, nicht gedruckt worden. Und ich glaube auch nicht deshalb, weil sie zu giftig waren. Ich habe die Themen wahrscheinlich zu intellektuell oder abstrakt angefasst. Meine persönliche Beziehung zu denen, die an der Macht sind, ist nicht existent. Ich habe neulich einem hochrangigen Beamten, einem, der noch menschenähnliche Züge hat, gesagt: Endlich habe ich verstanden, wie die Machthaber sich an mir gerächt haben. Ich habe sie nicht bemerkt, und sie haben mich nicht bemerkt. Wer in Russland als Autor sehr bekannt ist, hat entweder einen offenen Konflikt mit den Mächtigen oder wird von ihnen unterstützt. Auf die Art habe ich auf größeren Ruhm verzichtet. Dafür ist meine Währung fest.
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