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Pavel Matejovič
Miroslav Válek – Dichter und Politiker
Miroslav Válek (1927-1991) gehört zweifellos zu den bedeutendsten slowakischen Dichtern des 20. Jahrhunderts. Doch gleich muss man sagen, dass solch eine Feststellung zu allgemein und trivial ist, denn sie gibt nicht die ganze Widersprüchlichkeit zwischen seiner Person und seinem Werk wieder. Zugleich kann man hinzufügen, dass Válek ebenso wie der Prosaist und Essayist Vladimír Mináč zu den umstrittensten slowakischen Schriftstellern gehört. Sein menschliches Schicksal hängt nämlich eng mit dem Verhältnis von Kultur und Macht zusammen, das nach 1989, als der Eiserne Vorhang gefallen war, zu einem der zentralen Themen verschiedener Diskussionen wurde, in denen vor allem die ethische Dimension dominierte. Váleks menschliche und Schaffensgeschichte ist aus dem Blickwinkel der zeitbedingten Zusammenhänge symptomatisch und an ihr kann die Kompliziertheit der Mesalliance des Schriftstellers mit den kommunistischen Machthabern enthüllt werden. Dieses Thema ist auch in der Gegenwart in der Slowakei weiterhin sehr aktuell: einerseits wird auf das amoralische und charakterlose Handeln der Intellektuellen und Schriftsteller, die aktiv daran teilnahmen oder sogar beim Bau der Hauptstützpfeiler der totalitären Ideologie beteiligt waren, andererseits gibt es nicht selten den Versuch, „die Fehler der Großen“, die angeblich keine andere Alternative hatten und manchmal Opfer des politischen Systems wurden, zu entschuldigen. In diesem Zusammenhang kann man zur Illustration an ein anderes menschliches Schicksal – die Lebensgeschichte des Philosophen Martin Heideggers, dessen „Flirt“ mit der nationalsozialistischen Ideologie besonders in der deutschen Kultur auch heute widersprüchliche Reaktionen hervorruft, erinnert werden.
Werde ich konkreter und stelle Válek zuerst als Dichter vor. Ich werde mich weniger auf die eigene Interpretation seiner Poesie konzentrieren, sondern auf einige ausgewählte Aspekte von Literaturkritikern und Literaturhistorikern, die Váleks Poesie seit dem Beginn seines Schaffens werten und interpretieren. Dieses hat einen weiten ästhetisch-axiologischen Rahmen, der auf der einen Seite durch sein frühes Schaffen (40-iger Jahre des 20. Jahrhunderts), das christlich von der Poesie der slowakischen katholischen Moderne beeinflusst war (der Gedichtband „Zápalky“/Streichhölzer/), den Gegenpol bildet die gesellschaftspolitisch engagierte Poesie der 70-iger Jahre (der Band „Slovo“ /Wort/), der von der kommunistischen Ideologie geprägt ist. Solch eine Einteilung klingt vielleicht etwas grob und gefühllos, aber die ideologische Ausrichtung des genannten Bandes gibt schon die Dedikation vor, die da lautet: „Der Kommunistischen Partei, die mich lehrt, ein Mensch zu werden.“
Miroslav Válek debütierte 1959 mit dem Gedichtband „Dotyky“ /Berührungen/, der ein Bruch mit dem dogmatisch verstandenen sozialistischem Realismus der 50iger Jahre darstellte (dieser galt zur Zeit des Stalinismus als die einzige kreative Methode). Nach Stalins Tod 1953 und der folgenden Kritik Chruschtschows am Personenkult auf dem XX. Parteitag der KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) hatten viele Schriftsteller das Bedürfnis, kritisch das Erbe Stalins zu bewältigen. Miroslav Válek tat dies mit einigen Gedichten, besonders würde ich die Gedichte „Kamenní muži“ /Steinmänner/, „Odstraňovanie sôch“ /Die Entfernung des Denkmals/ und die „Verše“ /Verse/ aus der Sammlung „Nepokoj“ /Unruhe/ hervorheben, die 1963 erschienen und in denen der repressive Charakter des stalinistischen Regimes zurückgewiesen wird.
Es wäre jedoch nicht richtig, seine Poesie nur auf irgendeine politische Manifestation zu reduzieren, sein größter Beitrag ist allein die Poetik, die von der Avantgarde und der Moderne Impulse erhält. Wir finden in ihr auch Einflüsse einiger russischer Dichter (A. Wosnessenskij, J. Jewtuschenko) und Rilkeinspirationen. Beim jungen Válek ist die Liebeslyrik stark vertreten, der Dichter entwickelt die Thematik der sinnlichen Unerfülltheit, der unwiederholbaren Beziehung, der Trennung der Partner, der Enttäuschung, der Trauer, des Schmerzes und der Frustration. Aus strukturalkompositorischem Blickwinkel kommt Válek vom sylabotonischen, regelmäßig gereimten Vers zum vers libre, der sich ausdrücklicher in seiner Poesie in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zeigt. Vom semantischen Standpunkt arbeitet Válek mit Assoziativität, spielt mit Bedeutungen, stört die Eindeutigkeit der Bedeutung, gebraucht dabei verschiedene paradoxe, semantisch gegeneinander stehende Verbindungen (besonders beliebt ist bei ihm das Oxymoron), die seiner Poesie den Charakter gibt, nicht greifbar und durch die Symbolik der Elemente (Wasser, Eis, Feuer, Regen) intensiviert zu sein.
In den sechziger Jahren gab Válek seine bedeutendsten Sammlungen „Príťažlivosť“ /Anziehungskraft/ (1961), „Nepokoj“ /Unruhe/ (1963) und „Milovanie v husej koži“ /Lieben in Gänsehaut/ (1965). Besondere interpretative Aufmerksamkeit widmete ihm gleich nach dem Erscheinen der einzelnen Bände der Literaturkritiker Milan Hamada. Zuerst war das die positive Aufnahme der Sammlung „Anziehungskraft“, in der er Váleks Anknüpfen an die nadrealistische, symbolistische und poetistische Tradition und den programmatischen Versuch der sogenannten konkreten Poesie, das Bestreben zur unmittelbaren Realität, zu Vitalität und Überzeugungskraft zurückzukehren, würdigt. Trotz der thematischen Dekomposition und der semantischen Desintegration, die ich persönlich als einen der Impulse der Avantgarde ansehe, erkennt Hamada Váleks Bemühen um die Einheit und Integration eines neuen Sinnes der Wirklichkeit an. Dagegen beurteilte Hamada die Sammlung „Lieben in Gänsehaut“ schon kritisch und polemisch, wobei er auf das Fehlen einer ganzheitlichen Sicht und einer festen Form hinwies, laut Hamada ist die Poesie des Dichters „von Amorphität, Torsohaftigkeit und Fragmentarität infiziert“. Mit diesem Vorbehalt Hamadas ließe sich natürlich auch polemisieren – auch hier lässt sich von Erscheinungen moderner bzw. postmoderner Ästhetik sprechen. Hamadas Interpretationen sind jedoch zum Verständnis, welche Richtung Váleks Poesie in den sechziger Jahren verfolgt, wichtig, wobei sie gewisse Indikatoren ihrer kompositionellen Lockerung und eines höheren Maßes „poetischer Chaotik“ haben und zugleich zu verstehen geben, dass sie sich weiter zu einer Poesie des Nihilismus hinbewegt (hin und wieder klingt in diesem Zusammenhang auch der Vergleich von Váleks Poesie mit dem Nihilismus Nietzsches an). Nach Hamada ist Váleks dichterischer Nihilismus ohne eigentlichen Inhalt, wobei er gegenüber Becketts Nihilismus proklamierte Reduktion „des Falls des abgeschossenen Sterns“ auf „den Fall“, in „die Dunkelheit unter dem Hut“ ist, eine Verwandlung der Menschen in Tiere u.ä.
In dem Band „Lieben in Gänsehaut“ (1965) beginnen zugleich existenziale Motive zu dominieren, aber wir finden hier auch Hinweise, die an aktuelle Realien der Zeit anknüpfen, z.B. bearbeitet das Gedicht „Skaza Titanicu“ /Untergang der Titanic/ (Die Titanic als Symbol des Kapitalismus) thematisch das Attentat auf den amerikanischen Präsidenten J.F. Kennedy, den Válek metaphorisch als „steinernen Engel des Kapitalismus“ bezeichnet. In der Sammlung erscheinen oft Motive der Entfremdung, des Nichts, der Absurdität, des Todes, der Depression wegen der Leere, dabei ist sie zugleich auch eine Kritik der übertechnisierten Welt und der Konsumzivilisation, die den Menschen brutalisiert und dehumanisiert. Nach dem Literaturwissenschaftler F. Matejov befindet sich Váleks Poesie in diesem Band in der Nähe der Beatgeneration in ihrem Ekel vor der Welt ihrer Zeit.
Nicht nur Váleks Poesie, sondern auch seine Ansichten werden in den sechziger Jahren Bestandteil der aktuellen künstlerischen, literarischen und philosophischen Suggestionen, die z.B. in Westeuropa in den Studentenrevolten mündeten. Seine Inspirationsquellen befinden sich einerseits im Existenzialismus, andererseits im reformierten, nicht dogmatisch verstandenen Marxismus. Válek sagt in einer literarischen Diskussion: „Der Mensch befindet sich in einer fremden Welt. Im Wesen in einer ganz fremden Welt, denn er ist einerseits von der Natur – gebrauchen wir den konventionellen Ausdruck – getrennt, andererseits hat ihn die Entwicklung der Technik und der übrigen Wissenschaften weit überholt. Der Terminus Entfremdung ist meiner Meinung nach passend, und ich glaube, dass sie auch unter den Bedingungen des Sozialismus existiert. Man muss sich seiner selbst in der Welt bewusst werden, in ihr seinen Platz suchen und mit allen Schlägen der Umgebung zurechtkommen. Das macht man jetzt und das hätte auch die Poesie zu machen.“
Nach der Gedichtsammlung „Lieben in Gänsehaut“ verstummt Válek dichterisch für längere Zeit und begann sich im öffentlichen und politischen Leben zu engagieren: In den Jahren 1967-68 wurde er Vorsitzender des Verbandes slowakischer Schriftsteller, nach 1968 wirkte er sowohl als Abgeordneter als auch in hohen Funktionen der kommunistischen Partei. In der Periode politischer Reformen in der Tschechoslowakei, die als Prager Frühling bekannt sind, stellte er sich auf die Seite der Konterreformkräfte, als er aus Protest gegen die politisch liberalere Orientierung der Zeitschrift „Kultúrny život“ /Kulturleben/ aus ihrem Redaktionsrat austrat. Im Jahre 1969, nach der Invasion der sowjetischen Armeen in die Tschechoslowakei, die gewaltsam den Versuch einer Reformierung des kommunistischen Systems abbrach, wurde Válek Kulturminister und begann ein neostalinistisches Modell der Kulturpolitik durchzusetzen. Zu ihr gehörte die politische existentielle Diskriminierung tausender Leute, die sich entweder im Reformprozess der sechziger Jahre engagiert hatten oder nicht mit der Invasion der sowjetischen Truppen im August 1968 einverstanden waren.
Scharf politisch-normativen Charakter haben die Worte, die Válek aus der Position eines öffentlichen Funktionärs kurz nach dem Antritt als Kulturminister vortrug. Die künstlerische Freiheit wird die Dienerin der Politik der kommunistischen Partei und ist de facto zum ideologischen Propagandainstrument deklassiert: „(...) der Staat wird solche Kunst unterstützen, die im Einklang mit den grundsätzlichen Ideen, auf die sich der Staat stützt, stehen.“
Besonders zwischen 1970-1974 publiziert Válek eine ganze Serie normativer Texte, die von Parteirhetorik dieser Zeit geprägt sind, was direkt mit den Aktivitäten und der Strategie des Normalisierungsstaates zusammenhing. Die Zeit von 1969 bis November 1989 wurde in der Slowakei als Periode der sog. „politischen Normalisierung“ bezeichnet – unter der angeblichen Normalisierung und Konsolidierung der politischen Verhältnisse in der Gesellschaft verbarg sich das Bestreben der völligen staatlichen Beherrschung durch die kommunistische Partei. Váleks Texte bilden einen Korpus grundlegender Parteidokumente, zu denen „Lehre aus der krisenhaften Entwicklung in Partei und Gesellschaft (Dezember 1970) und besonders Bericht des Ausschusses für den II. Kongress des Verbandes der slowakischen Schriftsteller (1972), wobei Válek diese Dokumente nicht nur „ideell entwickelt“, sondern an vielen auch aktiv partizipiert. Auf dem II. Kongress des Verbandes der slowakischen Schriftsteller, der gesellschaftlich und menschlich eine Reihe von „politisch unzuverlässigen“ Schriftstellern disqualifizierte, hielt er aus der Position der Funktion des Kulturministers einen Diskussionsbeitrag, in dem er mit Hilfe eines Leninzitats die eigene Vorstellung „schöpferischer Freiheit“ skizzierte, beziehungsweise ihre staatlich-zynische Karikatur: „Ich weiß, wir sind alle für den Frieden, gerade so wie wir für die Freiheit sind. In unserer Literatur waren schließlich alle immer für Frieden und Freiheit. Blättern Sie das „Kultúrny život“ /Kulturleben/ der letzten Jahre durch und sie finden zweifellos, dass nirgendwo so mutig „nicht“ für die Freiheit „gekämpft wurde“ wie auf seinen Seiten. Aber wie sagte Lenin, zwar in anderen Zusammenhängen, aber passend: ‚Wer der Sache der Freiheit im Allgemeinen dient und nicht speziell darum, dass diese Freiheit gerade dem Proletariat nutzt, dass diese Freiheit zum Nutzen des proletarischen Kampfes für den Sozialismus sei, der kämpft damit nur mehr im Endeffekt für die Interessen der Bourgeoisie und nichts anderes...‘ Ich glaube, dass es klar ist, auf welcher Seite in diesem Kampf der sozialistische Schriftsteller stehen muss.“ Váleks Worte erinnern nicht selten an die politische Rhetorik der fünfziger Jahre der Stalinzeit: „Für engagiert halten wir also solche Werke, die zutreffend und packend den Kampf der Werktätigen in Vergangenheit und Gegenwart für Freiheit und sozialen Fortschritt darstellen, die die Veränderungen, die unter der Führung der kommunistischen Partei erreicht wurden, in unserem Land zeigen.“
In der Periode der „politischen Normalisierung“ kann man auch von dem menschlichen Versagen Váleks sprechen. Neben dem Denunzieren einiger Kulturschaffender übte er auf sie politischen Druck aus, damit sie öffentlich Selbstkritik übten. Andere verfolgte er politisch persönlich, wobei die Missgunst des Staates gerade besonders den erwähnten Literaturkritiker Milan Hamada traf, der den politischen Säuberungen zum Opfer fiel, wobei er seine Anstellung an der Slowakischen Akademie der Wissenschaften verlor, nicht publizieren konnte und sein Name aus den Büchern und Lehrbüchern ausradiert wurde. Im Zusammenhang mit Miroslav Válek erinnert er sich heute an diese Periode in einem Gespräch: „Er selbst fragte mich persönlich, ob ich nicht bereit sei, moralische Kompromisse zu machen und als er sah, dass ich kein Interesse daran hatte, machte er genau das Gegenteil als im Falle mit anderen, denen „er half“. Válek verfolgte mich sehr gründlich bis zum Ende. Er schickte mir Leute, zum Beispiel auch Rúfus, der mich überzeugen sollte, dass ich eine Selbstkritik schriebe. Ebenso Pavol Števček, der mir eine Nachricht von „Miro“ brachte, dass angeblich nur vier Sätze reichen. Wenn ich später irgendwo eine Beschäftigung fand, zum Beispiel in der Technischen Bücherei, wurde mir gleich am nächsten Tag erklärt, dass sich die Situation geändert habe und sie angeblich keinen Platz mehr haben. Bis ich später erfuhr, dass dies direkt auf eine Intervention Váleks zurückzuführen war.“
Nach 11 Jahren Schweigen gab Válek 1976 den Gedichtband „Slovo“/Wort/, der eigentlich nur ein propagandistische raffinierte „poetische Illustration“ seiner kommunistischen Ansichten – der Band beginnt mit der schon erwähnten Dedikation „An die kommunistische Partei, die mich lehrt ein Mensch zu werden“. Der Dichter Ján Zámbor, der zugleich auch ein Interpret der Poesie Váleks und auch ein großer Bewunderer von ihm ist, schreibt über diesen Band: „Mit Bedauern verfolgen wir, wohin ein Dichter von Váleks intellektuellem Niveau gekommen ist. Wenn wir bei ihm auch vorher manchmal gewisse Dimensionen des offiziell Durchsetzten beobachtet hätten, das Weltbild, das seine Poesie brachte, hörte gewöhnlich nicht auf, kompliziert, widersprüchlich und beunruhigend zu sein. In dieser Komposition finden wir jedoch ein Verschmelzen einer vereinfachten Weltsicht, die irgendwie der Abdruck der offiziellen kommunistischen Ideologie der Zeit ist. Der Autor bemüht sich nicht, die universelle Wahrheit zu ergründen, die Poesie ist für ihn eine Dienerin der Ideologie – „erschlägt“ mit ihr vielversprechende Ansätze und bildet im Rahmen ihrer Optik ideell tendenziöse und falsifizierte Bilder der Wirklichkeit (von den Teilen der Komposition kann man als ganzes nur den ersten Teil akzeptieren, fallweise auch den zweiten mit dem doppelteinzigartigen Motiv von Poesie und Frau). Die Poesie identifiziert sich hier mit der Propaganda, ein beträchtlicher Teil des Buches bilden funktional didaktische Gedichttexte zum Rezitieren bei festlichen Gelegenheiten, geschrieben nach den Intentionen der offiziellen Anforderungen der Zeit. Im Kontext der slowakischen Poesieentwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht es um eine Revitalisierung des sozialistischen realistischen lyrischen Schematismus aus der ersten Hälfte der fünfziger Jahre.“ Nach dem Erscheinen dieses Bandes folgten zwei Zyklen intimer Lyrik mit „Vody“ /Wasser/ (1977) und „Obrazáreň“ /Gemäldegalerie/ (1980), die an die Poetik der sechziger, aber auch an die der vierziger Jahre anknüpft.
Nach 1989, als sich Platz für freie Diskussion und freies Forschen bot, bildeten sich im Verhältnis zum Werk M. Váleks zwei scheinbar gegeneinander gerichtete Anschauungen, die einerseits auf seiner Persönlichkeit (seine gesellschaftlichen und politischen Standpunkte), andererseits auf seinem Werk (der unbestreitbare Wert seiner Poesie) gegründet ist. Aus dieser Ausgangslage erwuchsen zwei Zugänge, die oft subjektiv und emotional mit politischen Verästelungen gefärbt waren. Einerseits treffen wir auf einen pietätvolles Verhältnis zu Váleks dichterischem Schaffen; nach dieser Meinung sollte die Poesie und seine politischen Aktivitäten nicht nebeneinander gestellt werden, sondern getrennt wahrgenommen werden – hier überwiegt das Bemühen, Váleks öffentliche und kulturpolitische Aktivitäten, die angeblich die Persönlichkeit des Autors menschlich diskreditieren, zu marginalisieren oder völlig aus der Betrachtung auszuschließen. Der andere Zugang unterstreicht das Moment des institutionalisierten Funktionieren des Autors, die mit der Produktion normativer-politischer Texte, die den Autor nicht nur als Dichter, sondern auch als Mensch disqualifizieren, verbunden sind – hier ist dagegen das Bemühen, in der poetischen Lektüre des Dichters Momente, die aus seiner marxistisch und kommunistisch-utopischen Inspiration erwachsen, zu finden. Das Vorhandensein ideologischer Momente finden einige Kritiker fast in seinem ganzen Schaffen, dabei sind sie einmal mehr, einmal weniger verdeckt, beziehungsweise in verschiedenem Maße poetischer Überzeugungskraft für den Leser ausgeführt.
Wie kann man also den Dichter Válek und den Politiker Válek begreifen? Geht es hier nur um ein Problem des Genres, bzw. der Konstatierung, dass Válek außer der Poesie auch politisch tätig war, oder sollten wir über sein Werk und Leben als einem Korpus aus einem Guss nachdenken, wo sich beide Komponenten gegenseitig beeinflussen und überkreuzen, indem sie nicht nur die „Persönlichkeit“ des Autors vollenden, sondern auch die poetologisch-noetische Grundlage seiner Schaffensmethoden? Das Problem, das in diesem Kontext auftritt, ist die Frage der „Widersprüchlichkeit“ oder umgekehrt der „Integralität“ des Werkes des Autors, bzw. existiert im Werk Váleks ein verborgenes oder offenes Verhältnis zwischen dem „reflexiv-intimen“ und dem „gesellschaftlich-engagierten“ Pol. Geht es um keine bestimmte Form der Überwindung des Nihilismus, von der Milan Hamada im Zusammenhang mit dem Band „Milovanie v husej koži“ spricht? Oder anders gesagt – während im poetischen Werk oft das existenzielle Motiv – die Konfrontation des Menschen mit Grenzsituationen – dominiert, ist in der Sphäre politischer Aktivitäten das Motiv des Todes, der Endlichkeit der menschlichen Existenz, umtransformiert in die Gestalt der ideologischen Rhetorik (erklingt zum Beispiel in der Form des Bedürfnisses „über das grausame Verfließen der Zeit zu siegen und verbindet sich mit gelegentlichen politischen Jubiläen – „Leninjubiläumsjahr“, „Monat der tschechoslowakischen Freundschaft“ u.a.) Das Gefühl der Entfremdung, des Ekels, Nichtseins, des Verderbens und der Unabwendlichkeit des Todes sind also einmal „überwunden“ durch die schöpferische Leistung, der nicht abzuleugnenden Expressivität und Existenzialität seiner dichterischen Sprache, andermal durch die aktive Partizipation an dem Spiel der Mächtigen, mit dem Bestreben sich aus der Profanität und Alltäglichkeit zu befreien.
Das Problem der Widersprüchlichkeit bzw. Integrität zwischen zwei Modi der Persönlichkeit Váleks und des Werkes kann man auf viel prosaischer Ebene betrachten – Bestandteil der Antwort müsste nicht einmal ein komplizierter philosophischer oder literaturtheoretischer Apparat sein, mit dessen Hilfe wir die Konturen dieser Verknüpfung suchten, vielleicht würde die Feststellung reichen, dass Válek Form und Maß des „politischen Staatsbürgerstatus‘“ utilitär immer der gesellschaftlichpolitischen Situation bzw. der eigenen Agenda des öffentlichen Funktionärs anpasst. Schließlich spricht er selbst davon in einem seiner Gespräche aus dem Jahre 1966: „Der Schriftsteller ist doch öffentlich tätig, wird ein öffentlicher Funktionär von dem Zeitpunkt der Publikation seines Werkes, von dem Augenblick, wenn dieses Werk zu einem gesellschaftlichen Phänomen wird und wenn es als solches beginnt zu wirken. Die öffentlichen Verpflichtungen des Schriftstellers folgen daraus.“ Diesen Widerspruch zwischen Intimem und Öffentlichem empfindet dabei Válek nicht als negativen Zug, er hat zu ihm eher einen ambivalenten Standpunkt, wobei die dialektisch-komplementäre Verknüpfung beider Momente seiner Meinung nach auch einen inspirierenden Aspekt enthalten kann: „Und so widmen wir uns dem einen und fühlen schmerzhaft die Abwesenheit des anderen, sodass möglich ist, dass diese Spannung natürlich und nützlich ist, dass das eine das andere bedingt und dass der Widerspruch, von dem ich sprach, nur relativ ist.“
In Váleks Fall also musste es überhaupt nicht um ein Opfer oder von den äußeren Umständen aufgezwungene Haltungen, die er als Spitzenvertreter des kommunistischen Staates auf den Altar „des öffentlichen Dienstes“ bringen „musste“, handeln, sondern um eine absichtlich gezielte Geste. Nach dem Literaturkritiker Valér Mikula „können wir hier von der Präsenz einer ‚selbstdestruktiven Tendenz‘, von Selbsterhaltungsfluchten ‚vor dem eigenen starken Wahrnehmen der Irrationalität und Leere des menschlichen Seins zu überpersönlichen ‚Gewissheiten‘“. Lassen wir jedoch die Frage unbeantwortet, was diese „überpersönlichen Gewissheiten“ sein können nehmen wir seine Poesie auch mit seiner Widersprüchlichkeit auf, denn Válek bleibt auch trotz allem vor allem ein Dichter.
© Übersetzung: Stephan Teichgräber
Verwendete Literatur:
Dialógy o odcudzení v poézii. In: Kultúrny život, roč. 19, 1964, č. 4.
Hamada, M.: Spor s básnikom. In: Kritika 66. Bratislava: Slovenský spisovateľ, 1967.
Hamada, M.: Významový rozbor poézie Miroslava Válka. In: Slovenská literatúra, roč. 9, 1962, č. 1.
Matejov, F.: Dotyky. In: Slovenská literatúra, roč. 45, 1998, č 4.
Matejovič, P., Muránsky M.: Som človek písanej kultúry. Slovo, 6, 27.4. 2004.
Mikula, V.: Rovina (Interpretácia prvej časti zbierky Miroslava Válka Dotyky). In: Slovenská literatúra, roč. 49, 2002, č.1
Zambor, J.: Miroslav Válek. In: Portréty slovenských spisovateľov 3, Bratislava, Univerzita Komenského 2003.
Miroslav Válek (1927-1991) gehört zweifellos zu den bedeutendsten slowakischen Dichtern des 20. Jahrhunderts. Doch gleich muss man sagen, dass solch eine Feststellung zu allgemein und trivial ist, denn sie gibt nicht die ganze Widersprüchlichkeit zwischen seiner Person und seinem Werk wieder. Zugleich kann man hinzufügen, dass Válek ebenso wie der Prosaist und Essayist Vladimír Mináč zu den umstrittensten slowakischen Schriftstellern gehört. Sein menschliches Schicksal hängt nämlich eng mit dem Verhältnis von Kultur und Macht zusammen, das nach 1989, als der Eiserne Vorhang gefallen war, zu einem der zentralen Themen verschiedener Diskussionen wurde, in denen vor allem die ethische Dimension dominierte. Váleks menschliche und Schaffensgeschichte ist aus dem Blickwinkel der zeitbedingten Zusammenhänge symptomatisch und an ihr kann die Kompliziertheit der Mesalliance des Schriftstellers mit den kommunistischen Machthabern enthüllt werden. Dieses Thema ist auch in der Gegenwart in der Slowakei weiterhin sehr aktuell: einerseits wird auf das amoralische und charakterlose Handeln der Intellektuellen und Schriftsteller, die aktiv daran teilnahmen oder sogar beim Bau der Hauptstützpfeiler der totalitären Ideologie beteiligt waren, andererseits gibt es nicht selten den Versuch, „die Fehler der Großen“, die angeblich keine andere Alternative hatten und manchmal Opfer des politischen Systems wurden, zu entschuldigen. In diesem Zusammenhang kann man zur Illustration an ein anderes menschliches Schicksal – die Lebensgeschichte des Philosophen Martin Heideggers, dessen „Flirt“ mit der nationalsozialistischen Ideologie besonders in der deutschen Kultur auch heute widersprüchliche Reaktionen hervorruft, erinnert werden.
Werde ich konkreter und stelle Válek zuerst als Dichter vor. Ich werde mich weniger auf die eigene Interpretation seiner Poesie konzentrieren, sondern auf einige ausgewählte Aspekte von Literaturkritikern und Literaturhistorikern, die Váleks Poesie seit dem Beginn seines Schaffens werten und interpretieren. Dieses hat einen weiten ästhetisch-axiologischen Rahmen, der auf der einen Seite durch sein frühes Schaffen (40-iger Jahre des 20. Jahrhunderts), das christlich von der Poesie der slowakischen katholischen Moderne beeinflusst war (der Gedichtband „Zápalky“/Streichhölzer/), den Gegenpol bildet die gesellschaftspolitisch engagierte Poesie der 70-iger Jahre (der Band „Slovo“ /Wort/), der von der kommunistischen Ideologie geprägt ist. Solch eine Einteilung klingt vielleicht etwas grob und gefühllos, aber die ideologische Ausrichtung des genannten Bandes gibt schon die Dedikation vor, die da lautet: „Der Kommunistischen Partei, die mich lehrt, ein Mensch zu werden.“
Miroslav Válek debütierte 1959 mit dem Gedichtband „Dotyky“ /Berührungen/, der ein Bruch mit dem dogmatisch verstandenen sozialistischem Realismus der 50iger Jahre darstellte (dieser galt zur Zeit des Stalinismus als die einzige kreative Methode). Nach Stalins Tod 1953 und der folgenden Kritik Chruschtschows am Personenkult auf dem XX. Parteitag der KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) hatten viele Schriftsteller das Bedürfnis, kritisch das Erbe Stalins zu bewältigen. Miroslav Válek tat dies mit einigen Gedichten, besonders würde ich die Gedichte „Kamenní muži“ /Steinmänner/, „Odstraňovanie sôch“ /Die Entfernung des Denkmals/ und die „Verše“ /Verse/ aus der Sammlung „Nepokoj“ /Unruhe/ hervorheben, die 1963 erschienen und in denen der repressive Charakter des stalinistischen Regimes zurückgewiesen wird.
Es wäre jedoch nicht richtig, seine Poesie nur auf irgendeine politische Manifestation zu reduzieren, sein größter Beitrag ist allein die Poetik, die von der Avantgarde und der Moderne Impulse erhält. Wir finden in ihr auch Einflüsse einiger russischer Dichter (A. Wosnessenskij, J. Jewtuschenko) und Rilkeinspirationen. Beim jungen Válek ist die Liebeslyrik stark vertreten, der Dichter entwickelt die Thematik der sinnlichen Unerfülltheit, der unwiederholbaren Beziehung, der Trennung der Partner, der Enttäuschung, der Trauer, des Schmerzes und der Frustration. Aus strukturalkompositorischem Blickwinkel kommt Válek vom sylabotonischen, regelmäßig gereimten Vers zum vers libre, der sich ausdrücklicher in seiner Poesie in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zeigt. Vom semantischen Standpunkt arbeitet Válek mit Assoziativität, spielt mit Bedeutungen, stört die Eindeutigkeit der Bedeutung, gebraucht dabei verschiedene paradoxe, semantisch gegeneinander stehende Verbindungen (besonders beliebt ist bei ihm das Oxymoron), die seiner Poesie den Charakter gibt, nicht greifbar und durch die Symbolik der Elemente (Wasser, Eis, Feuer, Regen) intensiviert zu sein.
In den sechziger Jahren gab Válek seine bedeutendsten Sammlungen „Príťažlivosť“ /Anziehungskraft/ (1961), „Nepokoj“ /Unruhe/ (1963) und „Milovanie v husej koži“ /Lieben in Gänsehaut/ (1965). Besondere interpretative Aufmerksamkeit widmete ihm gleich nach dem Erscheinen der einzelnen Bände der Literaturkritiker Milan Hamada. Zuerst war das die positive Aufnahme der Sammlung „Anziehungskraft“, in der er Váleks Anknüpfen an die nadrealistische, symbolistische und poetistische Tradition und den programmatischen Versuch der sogenannten konkreten Poesie, das Bestreben zur unmittelbaren Realität, zu Vitalität und Überzeugungskraft zurückzukehren, würdigt. Trotz der thematischen Dekomposition und der semantischen Desintegration, die ich persönlich als einen der Impulse der Avantgarde ansehe, erkennt Hamada Váleks Bemühen um die Einheit und Integration eines neuen Sinnes der Wirklichkeit an. Dagegen beurteilte Hamada die Sammlung „Lieben in Gänsehaut“ schon kritisch und polemisch, wobei er auf das Fehlen einer ganzheitlichen Sicht und einer festen Form hinwies, laut Hamada ist die Poesie des Dichters „von Amorphität, Torsohaftigkeit und Fragmentarität infiziert“. Mit diesem Vorbehalt Hamadas ließe sich natürlich auch polemisieren – auch hier lässt sich von Erscheinungen moderner bzw. postmoderner Ästhetik sprechen. Hamadas Interpretationen sind jedoch zum Verständnis, welche Richtung Váleks Poesie in den sechziger Jahren verfolgt, wichtig, wobei sie gewisse Indikatoren ihrer kompositionellen Lockerung und eines höheren Maßes „poetischer Chaotik“ haben und zugleich zu verstehen geben, dass sie sich weiter zu einer Poesie des Nihilismus hinbewegt (hin und wieder klingt in diesem Zusammenhang auch der Vergleich von Váleks Poesie mit dem Nihilismus Nietzsches an). Nach Hamada ist Váleks dichterischer Nihilismus ohne eigentlichen Inhalt, wobei er gegenüber Becketts Nihilismus proklamierte Reduktion „des Falls des abgeschossenen Sterns“ auf „den Fall“, in „die Dunkelheit unter dem Hut“ ist, eine Verwandlung der Menschen in Tiere u.ä.
In dem Band „Lieben in Gänsehaut“ (1965) beginnen zugleich existenziale Motive zu dominieren, aber wir finden hier auch Hinweise, die an aktuelle Realien der Zeit anknüpfen, z.B. bearbeitet das Gedicht „Skaza Titanicu“ /Untergang der Titanic/ (Die Titanic als Symbol des Kapitalismus) thematisch das Attentat auf den amerikanischen Präsidenten J.F. Kennedy, den Válek metaphorisch als „steinernen Engel des Kapitalismus“ bezeichnet. In der Sammlung erscheinen oft Motive der Entfremdung, des Nichts, der Absurdität, des Todes, der Depression wegen der Leere, dabei ist sie zugleich auch eine Kritik der übertechnisierten Welt und der Konsumzivilisation, die den Menschen brutalisiert und dehumanisiert. Nach dem Literaturwissenschaftler F. Matejov befindet sich Váleks Poesie in diesem Band in der Nähe der Beatgeneration in ihrem Ekel vor der Welt ihrer Zeit.
Nicht nur Váleks Poesie, sondern auch seine Ansichten werden in den sechziger Jahren Bestandteil der aktuellen künstlerischen, literarischen und philosophischen Suggestionen, die z.B. in Westeuropa in den Studentenrevolten mündeten. Seine Inspirationsquellen befinden sich einerseits im Existenzialismus, andererseits im reformierten, nicht dogmatisch verstandenen Marxismus. Válek sagt in einer literarischen Diskussion: „Der Mensch befindet sich in einer fremden Welt. Im Wesen in einer ganz fremden Welt, denn er ist einerseits von der Natur – gebrauchen wir den konventionellen Ausdruck – getrennt, andererseits hat ihn die Entwicklung der Technik und der übrigen Wissenschaften weit überholt. Der Terminus Entfremdung ist meiner Meinung nach passend, und ich glaube, dass sie auch unter den Bedingungen des Sozialismus existiert. Man muss sich seiner selbst in der Welt bewusst werden, in ihr seinen Platz suchen und mit allen Schlägen der Umgebung zurechtkommen. Das macht man jetzt und das hätte auch die Poesie zu machen.“
Nach der Gedichtsammlung „Lieben in Gänsehaut“ verstummt Válek dichterisch für längere Zeit und begann sich im öffentlichen und politischen Leben zu engagieren: In den Jahren 1967-68 wurde er Vorsitzender des Verbandes slowakischer Schriftsteller, nach 1968 wirkte er sowohl als Abgeordneter als auch in hohen Funktionen der kommunistischen Partei. In der Periode politischer Reformen in der Tschechoslowakei, die als Prager Frühling bekannt sind, stellte er sich auf die Seite der Konterreformkräfte, als er aus Protest gegen die politisch liberalere Orientierung der Zeitschrift „Kultúrny život“ /Kulturleben/ aus ihrem Redaktionsrat austrat. Im Jahre 1969, nach der Invasion der sowjetischen Armeen in die Tschechoslowakei, die gewaltsam den Versuch einer Reformierung des kommunistischen Systems abbrach, wurde Válek Kulturminister und begann ein neostalinistisches Modell der Kulturpolitik durchzusetzen. Zu ihr gehörte die politische existentielle Diskriminierung tausender Leute, die sich entweder im Reformprozess der sechziger Jahre engagiert hatten oder nicht mit der Invasion der sowjetischen Truppen im August 1968 einverstanden waren.
Scharf politisch-normativen Charakter haben die Worte, die Válek aus der Position eines öffentlichen Funktionärs kurz nach dem Antritt als Kulturminister vortrug. Die künstlerische Freiheit wird die Dienerin der Politik der kommunistischen Partei und ist de facto zum ideologischen Propagandainstrument deklassiert: „(...) der Staat wird solche Kunst unterstützen, die im Einklang mit den grundsätzlichen Ideen, auf die sich der Staat stützt, stehen.“
Besonders zwischen 1970-1974 publiziert Válek eine ganze Serie normativer Texte, die von Parteirhetorik dieser Zeit geprägt sind, was direkt mit den Aktivitäten und der Strategie des Normalisierungsstaates zusammenhing. Die Zeit von 1969 bis November 1989 wurde in der Slowakei als Periode der sog. „politischen Normalisierung“ bezeichnet – unter der angeblichen Normalisierung und Konsolidierung der politischen Verhältnisse in der Gesellschaft verbarg sich das Bestreben der völligen staatlichen Beherrschung durch die kommunistische Partei. Váleks Texte bilden einen Korpus grundlegender Parteidokumente, zu denen „Lehre aus der krisenhaften Entwicklung in Partei und Gesellschaft (Dezember 1970) und besonders Bericht des Ausschusses für den II. Kongress des Verbandes der slowakischen Schriftsteller (1972), wobei Válek diese Dokumente nicht nur „ideell entwickelt“, sondern an vielen auch aktiv partizipiert. Auf dem II. Kongress des Verbandes der slowakischen Schriftsteller, der gesellschaftlich und menschlich eine Reihe von „politisch unzuverlässigen“ Schriftstellern disqualifizierte, hielt er aus der Position der Funktion des Kulturministers einen Diskussionsbeitrag, in dem er mit Hilfe eines Leninzitats die eigene Vorstellung „schöpferischer Freiheit“ skizzierte, beziehungsweise ihre staatlich-zynische Karikatur: „Ich weiß, wir sind alle für den Frieden, gerade so wie wir für die Freiheit sind. In unserer Literatur waren schließlich alle immer für Frieden und Freiheit. Blättern Sie das „Kultúrny život“ /Kulturleben/ der letzten Jahre durch und sie finden zweifellos, dass nirgendwo so mutig „nicht“ für die Freiheit „gekämpft wurde“ wie auf seinen Seiten. Aber wie sagte Lenin, zwar in anderen Zusammenhängen, aber passend: ‚Wer der Sache der Freiheit im Allgemeinen dient und nicht speziell darum, dass diese Freiheit gerade dem Proletariat nutzt, dass diese Freiheit zum Nutzen des proletarischen Kampfes für den Sozialismus sei, der kämpft damit nur mehr im Endeffekt für die Interessen der Bourgeoisie und nichts anderes...‘ Ich glaube, dass es klar ist, auf welcher Seite in diesem Kampf der sozialistische Schriftsteller stehen muss.“ Váleks Worte erinnern nicht selten an die politische Rhetorik der fünfziger Jahre der Stalinzeit: „Für engagiert halten wir also solche Werke, die zutreffend und packend den Kampf der Werktätigen in Vergangenheit und Gegenwart für Freiheit und sozialen Fortschritt darstellen, die die Veränderungen, die unter der Führung der kommunistischen Partei erreicht wurden, in unserem Land zeigen.“
In der Periode der „politischen Normalisierung“ kann man auch von dem menschlichen Versagen Váleks sprechen. Neben dem Denunzieren einiger Kulturschaffender übte er auf sie politischen Druck aus, damit sie öffentlich Selbstkritik übten. Andere verfolgte er politisch persönlich, wobei die Missgunst des Staates gerade besonders den erwähnten Literaturkritiker Milan Hamada traf, der den politischen Säuberungen zum Opfer fiel, wobei er seine Anstellung an der Slowakischen Akademie der Wissenschaften verlor, nicht publizieren konnte und sein Name aus den Büchern und Lehrbüchern ausradiert wurde. Im Zusammenhang mit Miroslav Válek erinnert er sich heute an diese Periode in einem Gespräch: „Er selbst fragte mich persönlich, ob ich nicht bereit sei, moralische Kompromisse zu machen und als er sah, dass ich kein Interesse daran hatte, machte er genau das Gegenteil als im Falle mit anderen, denen „er half“. Válek verfolgte mich sehr gründlich bis zum Ende. Er schickte mir Leute, zum Beispiel auch Rúfus, der mich überzeugen sollte, dass ich eine Selbstkritik schriebe. Ebenso Pavol Števček, der mir eine Nachricht von „Miro“ brachte, dass angeblich nur vier Sätze reichen. Wenn ich später irgendwo eine Beschäftigung fand, zum Beispiel in der Technischen Bücherei, wurde mir gleich am nächsten Tag erklärt, dass sich die Situation geändert habe und sie angeblich keinen Platz mehr haben. Bis ich später erfuhr, dass dies direkt auf eine Intervention Váleks zurückzuführen war.“
Nach 11 Jahren Schweigen gab Válek 1976 den Gedichtband „Slovo“/Wort/, der eigentlich nur ein propagandistische raffinierte „poetische Illustration“ seiner kommunistischen Ansichten – der Band beginnt mit der schon erwähnten Dedikation „An die kommunistische Partei, die mich lehrt ein Mensch zu werden“. Der Dichter Ján Zámbor, der zugleich auch ein Interpret der Poesie Váleks und auch ein großer Bewunderer von ihm ist, schreibt über diesen Band: „Mit Bedauern verfolgen wir, wohin ein Dichter von Váleks intellektuellem Niveau gekommen ist. Wenn wir bei ihm auch vorher manchmal gewisse Dimensionen des offiziell Durchsetzten beobachtet hätten, das Weltbild, das seine Poesie brachte, hörte gewöhnlich nicht auf, kompliziert, widersprüchlich und beunruhigend zu sein. In dieser Komposition finden wir jedoch ein Verschmelzen einer vereinfachten Weltsicht, die irgendwie der Abdruck der offiziellen kommunistischen Ideologie der Zeit ist. Der Autor bemüht sich nicht, die universelle Wahrheit zu ergründen, die Poesie ist für ihn eine Dienerin der Ideologie – „erschlägt“ mit ihr vielversprechende Ansätze und bildet im Rahmen ihrer Optik ideell tendenziöse und falsifizierte Bilder der Wirklichkeit (von den Teilen der Komposition kann man als ganzes nur den ersten Teil akzeptieren, fallweise auch den zweiten mit dem doppelteinzigartigen Motiv von Poesie und Frau). Die Poesie identifiziert sich hier mit der Propaganda, ein beträchtlicher Teil des Buches bilden funktional didaktische Gedichttexte zum Rezitieren bei festlichen Gelegenheiten, geschrieben nach den Intentionen der offiziellen Anforderungen der Zeit. Im Kontext der slowakischen Poesieentwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht es um eine Revitalisierung des sozialistischen realistischen lyrischen Schematismus aus der ersten Hälfte der fünfziger Jahre.“ Nach dem Erscheinen dieses Bandes folgten zwei Zyklen intimer Lyrik mit „Vody“ /Wasser/ (1977) und „Obrazáreň“ /Gemäldegalerie/ (1980), die an die Poetik der sechziger, aber auch an die der vierziger Jahre anknüpft.
Nach 1989, als sich Platz für freie Diskussion und freies Forschen bot, bildeten sich im Verhältnis zum Werk M. Váleks zwei scheinbar gegeneinander gerichtete Anschauungen, die einerseits auf seiner Persönlichkeit (seine gesellschaftlichen und politischen Standpunkte), andererseits auf seinem Werk (der unbestreitbare Wert seiner Poesie) gegründet ist. Aus dieser Ausgangslage erwuchsen zwei Zugänge, die oft subjektiv und emotional mit politischen Verästelungen gefärbt waren. Einerseits treffen wir auf einen pietätvolles Verhältnis zu Váleks dichterischem Schaffen; nach dieser Meinung sollte die Poesie und seine politischen Aktivitäten nicht nebeneinander gestellt werden, sondern getrennt wahrgenommen werden – hier überwiegt das Bemühen, Váleks öffentliche und kulturpolitische Aktivitäten, die angeblich die Persönlichkeit des Autors menschlich diskreditieren, zu marginalisieren oder völlig aus der Betrachtung auszuschließen. Der andere Zugang unterstreicht das Moment des institutionalisierten Funktionieren des Autors, die mit der Produktion normativer-politischer Texte, die den Autor nicht nur als Dichter, sondern auch als Mensch disqualifizieren, verbunden sind – hier ist dagegen das Bemühen, in der poetischen Lektüre des Dichters Momente, die aus seiner marxistisch und kommunistisch-utopischen Inspiration erwachsen, zu finden. Das Vorhandensein ideologischer Momente finden einige Kritiker fast in seinem ganzen Schaffen, dabei sind sie einmal mehr, einmal weniger verdeckt, beziehungsweise in verschiedenem Maße poetischer Überzeugungskraft für den Leser ausgeführt.
Wie kann man also den Dichter Válek und den Politiker Válek begreifen? Geht es hier nur um ein Problem des Genres, bzw. der Konstatierung, dass Válek außer der Poesie auch politisch tätig war, oder sollten wir über sein Werk und Leben als einem Korpus aus einem Guss nachdenken, wo sich beide Komponenten gegenseitig beeinflussen und überkreuzen, indem sie nicht nur die „Persönlichkeit“ des Autors vollenden, sondern auch die poetologisch-noetische Grundlage seiner Schaffensmethoden? Das Problem, das in diesem Kontext auftritt, ist die Frage der „Widersprüchlichkeit“ oder umgekehrt der „Integralität“ des Werkes des Autors, bzw. existiert im Werk Váleks ein verborgenes oder offenes Verhältnis zwischen dem „reflexiv-intimen“ und dem „gesellschaftlich-engagierten“ Pol. Geht es um keine bestimmte Form der Überwindung des Nihilismus, von der Milan Hamada im Zusammenhang mit dem Band „Milovanie v husej koži“ spricht? Oder anders gesagt – während im poetischen Werk oft das existenzielle Motiv – die Konfrontation des Menschen mit Grenzsituationen – dominiert, ist in der Sphäre politischer Aktivitäten das Motiv des Todes, der Endlichkeit der menschlichen Existenz, umtransformiert in die Gestalt der ideologischen Rhetorik (erklingt zum Beispiel in der Form des Bedürfnisses „über das grausame Verfließen der Zeit zu siegen und verbindet sich mit gelegentlichen politischen Jubiläen – „Leninjubiläumsjahr“, „Monat der tschechoslowakischen Freundschaft“ u.a.) Das Gefühl der Entfremdung, des Ekels, Nichtseins, des Verderbens und der Unabwendlichkeit des Todes sind also einmal „überwunden“ durch die schöpferische Leistung, der nicht abzuleugnenden Expressivität und Existenzialität seiner dichterischen Sprache, andermal durch die aktive Partizipation an dem Spiel der Mächtigen, mit dem Bestreben sich aus der Profanität und Alltäglichkeit zu befreien.
Das Problem der Widersprüchlichkeit bzw. Integrität zwischen zwei Modi der Persönlichkeit Váleks und des Werkes kann man auf viel prosaischer Ebene betrachten – Bestandteil der Antwort müsste nicht einmal ein komplizierter philosophischer oder literaturtheoretischer Apparat sein, mit dessen Hilfe wir die Konturen dieser Verknüpfung suchten, vielleicht würde die Feststellung reichen, dass Válek Form und Maß des „politischen Staatsbürgerstatus‘“ utilitär immer der gesellschaftlichpolitischen Situation bzw. der eigenen Agenda des öffentlichen Funktionärs anpasst. Schließlich spricht er selbst davon in einem seiner Gespräche aus dem Jahre 1966: „Der Schriftsteller ist doch öffentlich tätig, wird ein öffentlicher Funktionär von dem Zeitpunkt der Publikation seines Werkes, von dem Augenblick, wenn dieses Werk zu einem gesellschaftlichen Phänomen wird und wenn es als solches beginnt zu wirken. Die öffentlichen Verpflichtungen des Schriftstellers folgen daraus.“ Diesen Widerspruch zwischen Intimem und Öffentlichem empfindet dabei Válek nicht als negativen Zug, er hat zu ihm eher einen ambivalenten Standpunkt, wobei die dialektisch-komplementäre Verknüpfung beider Momente seiner Meinung nach auch einen inspirierenden Aspekt enthalten kann: „Und so widmen wir uns dem einen und fühlen schmerzhaft die Abwesenheit des anderen, sodass möglich ist, dass diese Spannung natürlich und nützlich ist, dass das eine das andere bedingt und dass der Widerspruch, von dem ich sprach, nur relativ ist.“
In Váleks Fall also musste es überhaupt nicht um ein Opfer oder von den äußeren Umständen aufgezwungene Haltungen, die er als Spitzenvertreter des kommunistischen Staates auf den Altar „des öffentlichen Dienstes“ bringen „musste“, handeln, sondern um eine absichtlich gezielte Geste. Nach dem Literaturkritiker Valér Mikula „können wir hier von der Präsenz einer ‚selbstdestruktiven Tendenz‘, von Selbsterhaltungsfluchten ‚vor dem eigenen starken Wahrnehmen der Irrationalität und Leere des menschlichen Seins zu überpersönlichen ‚Gewissheiten‘“. Lassen wir jedoch die Frage unbeantwortet, was diese „überpersönlichen Gewissheiten“ sein können nehmen wir seine Poesie auch mit seiner Widersprüchlichkeit auf, denn Válek bleibt auch trotz allem vor allem ein Dichter.
© Übersetzung: Stephan Teichgräber
Verwendete Literatur:
Dialógy o odcudzení v poézii. In: Kultúrny život, roč. 19, 1964, č. 4.
Hamada, M.: Spor s básnikom. In: Kritika 66. Bratislava: Slovenský spisovateľ, 1967.
Hamada, M.: Významový rozbor poézie Miroslava Válka. In: Slovenská literatúra, roč. 9, 1962, č. 1.
Matejov, F.: Dotyky. In: Slovenská literatúra, roč. 45, 1998, č 4.
Matejovič, P., Muránsky M.: Som človek písanej kultúry. Slovo, 6, 27.4. 2004.
Mikula, V.: Rovina (Interpretácia prvej časti zbierky Miroslava Válka Dotyky). In: Slovenská literatúra, roč. 49, 2002, č.1
Zambor, J.: Miroslav Válek. In: Portréty slovenských spisovateľov 3, Bratislava, Univerzita Komenského 2003.
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