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Die slowakische Gegenwartsliteratur
Bei der slowakischen Gegenwartsliteratur ist es wichtig zu beachten, dass in der Slowakei im vergangenen Jahrhundert drei Semiosphären existiert haben, die heute zum Teil oder vollständig erhalten sind, sodass wir in den Texten Elemente anderer Semiosphären oder Übersetzungen dieser Elemente finden. Über das Wirken der drei verschiedenen semiotischen Systeme spricht Milan Šutovec in einem unveröffentlichten Artikel, wobei das Nicht-Veröffentlichen auch semiotische Ursachen besitzt, denn die dominante Semiosphäre ignoriert die anderen Semiosphären, was jedoch dem Wesen der Semiosphäre entspricht, dass die Übersetzungsprozesse an ihren Rändern nur in ihrem Resultat zu ihr gehören. Andererseits spricht Lotman davon, dass die Semiosphäre grundsätzlich, von ihrem Wesen her, heterogen ist; sodass die Frage entsteht, ob dies in der Slowakei und über sie hinaus in der Vergangenheit eine Semiosphäre gewesen ist, die nach ihrem Zerfallen aber nicht mehr als solche erkennbar und denkbar ist. Dann wäre der heutige Zustand das Ergebnis einer Vereinheitlichung, einer Homogenisierung, die noch nicht abgeschlossen ist und nach Lotman auch nie abgeschlossen sein wird. Diese drei semiotischen Systeme, seien sie in drei Semiosphären geteilt oder in einer heterogenen Semiosphäre enthalten, waren das deutsche, slowakische und ungarische Zeichensystem.
Wir können die Frage, ob die slowakische Kultur aus drei Semiosphären besteht oder eine heterogene Semiosphäre bildet auch anders angehen: Das slowakische Zeichensystem erfasst nicht die gesamte Semiosphäre, sondern schließt das ungarische und das nur noch in Spuren vorhandene deutsche Zeichensystem aus, doch gehören diese zur gesamten Semiosphäre. Dies würde die heute scheinbar so schwer zu erklärenden, so schwer lösbaren politischen Konflikte semiotisch sehr einfach verständlich werden lassen. Das Beispiel Lotmans -ein Museumsraum, in dem alle Exponate beschriftet sind, als Semiosphäre, finden wir in dem Zeichensystem der Städte gerade in den Straßennamen. So können wir, wenn wir verschiedene Stadtpläne Bratislavas aus unterschiedlichen Zeiten heranziehen en nuce die verschiedenen Kulturen, Semiosphären der Länder verfolgen, zu denen die Stadt in den einzelnen Perioden gehört hat. So gibt es in Bratislava ein Viertel, in dem die Straßen nach verschiedenen slawischen Dichtern benannt sind. Das ist nun ein Bestandteil, der nicht der slowakischen, sondern einer panslawischen Semiosphäre angehört, die durch ihre topologische Situierung zu einer slowakischen wird.
Der innere Raum der Semiosphäre ist nach Lotman – und er nennt es selbst paradox - gleichzeitig ungleichmäßig asymmetrisch und zugleich einheitlich, homogen. Dies führt uns in der Frage, ob die slowakische Kultur eine Semiosphäre darstellt oder aus drei Semiosphären besteht keinen Schritt weiter. (Лотман 2001, 257) Der Raum der Semiosphäre bestimme sich durch die erste Person und stelle das „Eigene“, „Unsere“, „Kulturelle“, „Sichere“ „ihrem Raum“, dem „Fremden“, „Feindlichen“, „Gefährlichen“ und „Chaotischem“ gegenüber. So haben wir in der slowakischen Kultur verschiedene Semiosphären, denn das ungarische Zeichensystem gehört dem „anderen Raum“ an. Das deutsche semiotische System ist schon derartig im Absterben begriffen, dass es nicht mehr als feindlich oder gefährlich eingestuft wird; ganz anders als in der tschechischen Semiosphäre.
Jede Kultur beginne mit einem Zerschlagen der Welt in einen inneren Raum («свое») und einen äußeren Raum. (ebd.) Das beginnt in der slowakischen Kultur mit den Šturovci in verstärkerter, radikaler Weise und zwar nicht nur gegenüber der ungarischen Semiosphäre, sondern auch gegenüber der tschechischen; die deutsche wird dabei nicht so sehr als Gegenpol gesehen.
Wo liegt nun die Periphärie der slowakischen Semiosphäre? Wahrscheinlich eher in Wien als in Šariš, das doch ganz innerhalb, um nicht zu sagen im Zentrum der slowakischen Semiosphäre liegt. Gerade die multikulturellen Städte sind für viele Semiosphären die Peripherie (in Wien z.B. finden wir die Peripherie der phillippinischen, georgischen oder amerikanischen Semiosphäre), ohne dass die Städte es schaffen eine gemeinsame Semiosphäre zu haben, doch wird die Entwicklung zu einer umfassenden heterogenen Semiosphäre nicht aufzuhalten sein. Dadurch entstehen die Konflikte, die sich in Xenophobie äußern, dabei jedoch die Homogenisierung der Semiosphäre zum Ziel hat; zugleich mit der konservativen Tendenz, die Semiosphäre so zu erhalten, wie sie ist, was jedoch ihr die Dynamik nimmt, was charakteristisch für das Zentrum der Semiosphäre ist – sind ja auch die Städte gerade oft die Zentren einer Semiosphäre – andererseits beherbergen sie zahlreiche Periphierien. Im Unterschied zu den großen multikulturellen Städten zeigen, entblößen die politischen Konflikte die semiotische Grenze zwischen der ungarischen und der slowakischen Semiosphäre, wo es nicht nur zu Übersetzungsprozessen kommt, sondern wo diese Übersetzungsprozesse in politischen Auseinandersetzungen realisiert werden.
Die heterogene Semiosphäre der slowakischen Kultur zeigt sich am deutlichsten in den Eigennamen. Hier kommt es zu einer ständigen Übersetzung zwischen den ursprünglich eigenständigen Semiosphären, der slowakischen, ungarischen, deutschen und in besonderen Fällen der tschechischen. Hier ist eine gewisse Hierarchie zu beobachten, auf deren untersten Stufe die Familiennamen stehen; sie werden am seltensten übersetzt, doch gibt es solche Komposita wie Kellner-Hostinský oder Fejérpataky-Belopotocký. Auf der zweiten Stufe stehen die Toponyme, das heißt, dass sie in einigen Texten übersetzt werden, in anderen nicht. Ebenso werden bestimmte Toponyme in der Umgangssprache übersetzt, andere nicht. Ein deutliches Beispiel ist die Hauptstadt der Slowakei, die in den letzten zwanzig Jahren in Österreich den Wechsel von Pressburg zu Bratislava erfahren hat. In der ungarischen Sprache ist die Übersetzung der Toponyme weiterhin gängig, so wird Bratislava weiterhin als Pozsony bezeichnet, Trnava als Nagyszombat usw. Die Personennamen stellen die oberste Stufe dar, hier wird durchgängig der Personenname übersetzt und das erstreckt sich auch auf die Umgangssprache und hier wird sogar die tschechische Semiosphäre wirksam. So heißt der österreichische Kaiser Franz Josef in den slowakischen Texten immer František Jozef, in ungarischen Ferenc Joszef. Die Wirksamkeit der deutschen Semiosphäre lässt immer mehr nach, sodass die slowakischen Toponyme immer mehr slowakisch wiedergegeben werden. Bei den Eigennamen ist dies jedoch nicht der Fall, denn bei der Einbürgerung erhalten die betreffenden Personen meist den deutschen Namen, so wird Michal meist in Michael umbenannt; denselben Prozess beobachten wir in der Umgangssprache.
Eine Semiosphäre versucht sich durch das Tabu bestimmter Eigennamen gegenüber einer anderen durchzusetzen.
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Ähnlich verhält es sich bei dem Streit um die ungarischen Namen in der Slowakei in den neuen Lehrbüchern, wo die ungarischen Namen nicht angeführt werden sollten. Das Namengeben der Dinge, die bis dahin keinen Namen besessen haben, wird als Schöpfung angesehen; wenn also in einer Semiosphäre eine Stadt keinen Namen hat, also administrativ umbenannt wird, kommt es zu einer Wiedergeburt (перерождение), was bei Bratislava der Fall war, aber auch bei kleineren Städten oder Dörfern wie Šturovo, Bernolakovo, Kolarovo oder Sladkovičovo. (s. Lotman 2001, 529) Für die andere Semiosphäre hat diese Wiedergeburt keine Bedeutung, da diese Orte schon einen Namen haben und ihn auch durch die Benennung in der anderen Semiosphäre nicht verlieren. Doch kann dieser neue Name in die andere Semiosphäre eindringen, wie wir es für Bratislava in die österreichische Semiosphäre erwähnt haben.
Bei der Untersuchung der slowakischen Literatur müssen diese drei Semiosphären nicht nur beachtet werden, sondern nur durch sie wird die slowakische Literatur verständlich; bei der slowakischen Gegenwartsliteratur muss dagegen die besondere Heterogenität der slowakischen Semiosphäre beachtet werden, die in den letzten Jahren durch die künstlerischen Texte stärker hervorgekehrt wird, als es früher der Fall war. Dies werden wir etwas später an konkreten Beispielen zeigen, wobei diese aus einer aus einer genauen Textanalyse stammen, die jedoch nicht allumfassend alle Werke der Gegenwartsliteratur umfassen konnte und so auch nicht unangreifbar ist.
In der slowakischen Gegenwartsliteratur fällt ein bestimmter Hang zum Exotischen auf, was eigentlich ein Merkmal der Romantik ist, wie wir es aus der Analyse Lermontovs durch Ejchenbaum kennen. Dabei ist dieses Ausweichen ins Exotische – aber vielleicht ist es auch keine Flucht, sondern nur eine Tendenz – in drei Richtungen zu beobachten: Einmal wird die Handlung in fremde Länder verlegt, so bei Ján Litvák nach Indien oder Marek Vadas nach Afrika. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Handlung im Migrantenmillieu einer westlichen Stadt spielt, so bei Svetlana Zuchová. Oder die slowakische Stadt wird von einer exotischen Bevölkerung besiedelt, so bei Michal Hvorecký. Dem ersten Typ, zu dem Litváks „Bratislavské upanišady“ und Vadas‘ Liečiteľ gehört, sind eingehende Studien des Milieus durch die Autoren vorausgegangen, während dem Buch „Yesim“ von Svetlana Zuchová entsprechende Erkundungen offenbar nicht vorausgegangen sind. Es findet eher eine eigenartige Übertragung statt, indem eine türkische Familie ganz mitteleuropäische Gewohnheiten hat, so trifft sich die Verwandtschaft am Sonntagnachmittag, um gemeinsam Kaffee zu trinken und Gugelhupf („babovka“)zu essen. Der dritte Typ grenzt dagegen ans Fantastische oder kann als fantastisch bezeichnet werden, da die Texte eine Projektion in eine zukünftige Zeit darstellen. So finden wir in der inneren Rede der Hauptgestalt der kurzen Erzählung „Ďalšie programy“ von Michal Hvorecký folgenden Satz: „Vždy znova, keď na to myslel, a myslel na to neprestajne, mal toho plnú hlavu, rovnako ako mal plnú hlavu jej, vtedy si opakoval, že toto mesto kedysi naozaj nebolo čínske, ale stredoeurópske.“ (Hvorecký 1998, 100)
In dem Roman Pavol Rankovs „Stala sa prvého septembra“, der an sich ein historischer Roman ist und dreißig Jahre des vergangenen Jahrhunderts Revue passieren lässt, finden wir den ständigen Übergang von einer Semiosphäre in eine andere, der gerade durch die Eigennamen verdeutlicht wird. Die drei Protagonisten des Romans tragen die Namen Peter, Honza, Gabriel, was sich im Verlauf des Romans ändern wird, jenachdem sie einer anderen Semiosphäre angehören. Heißt der Ort, indem sich die Handlung abspielt, im ersten Kapitel Levice (Rankov 2008, 11), so heißt er schon im dritten Kapitel „Epizoda 1940“ Léva und die Protagonsiten „Péter“ und „Gábor“. Der Roman zeichnet sich überhaupt durch zahlreiche ungarische Lexeme und Eigennamen aus, so werden die Pfeilkreuzer in der ungarischen Bezeichnung „Nyilaskeresztes Párt Hungarista Mozgalom“ (27) angeführt. Auch die Ortsangaben werden auf Ungarisch angeführt „Új Telep“, „Kálvin udvar“ oder die Verbotsschilder „Nem zsidó üzlet“. (31)
Die Perspektive, der Standpunkt als Zugang zur Untersuchung des künstlerischen Textes wird in dem neuesten Roman Márius Kopcsays dadurch entblößt, dass sie zu einer Methode der Darstellung wird; dadurch kommt es zur Perspektive in der Perspektive und zur Fokusierung des Blickes des Lesers auf die Perspektive. Ein Kriegsflüchtling mit dem Namen Mehouny wird für zwölf Jahre zum Transkribieren von Videos, die durch eine versteckte Kamera entstanden sind, eingesetzt, wodurch er zwei Perspektiven besitzt, die fremde Perspektive der Kamera und die eigene, mit der er sein Leben beobachtet, das eigentlich eine Art Gefangenschaft ist, da die Gastgeber ihm keine Personaldokumente beschaffen und ihn nicht offiziell anmelden. Die Tragik dieses Zustandes wird jedoch durch die doppelte Perspektive des Erzählers gedämpft und kaum thematisiert. Zugleich kommt es zur Verdopplung der Identität des Erzählers, weil er sich in einer Plattenbauwohnung „v lezunskej izbe“ befindet und die beobachtete Familie ebenso in einer ähnlichen Plattenbauwohnung, sodass er sich nach dem Aufzeichnen der Tagesereignisse und dem Ausschalten der Monitore, in einer zum Verwechseln ähnlichen Wohnung befindet.
Durch das tagtägliche Aufzeichnen des Lebensalltags eines unauffälligen Intellektuellen bekommt dieser einen Rahmen, wodurch auch die bedeutungsloseste Handlung hervorgehoben und damit verfremdet wird. Das Einkaufen mit Baby im Supermarkt wird auf einmal bedeutungsvoll. Die Banalität des Alltags wird entblößt, da das aber schon von vornherein klar ist, wird dem Alltag eigentlich seine Banalität geraubt.
Der erste Abschnitt (Kopcsay 2008, 9-13) lässt von dem Kunstgriff noch nichts ahnen, das Motiv „mißlungenes Teschtelmechtel“ wird direkt unmittelbar erzählt, aber schon der zweite Abschnitt (Kopscay 2008, 13ff.) führt den Erzähler, Beobachter und Protokollanten Mehony ein und ob das „mißlungene Teschtelmechtel“ aufgezeichnet und ob der erste Abschnitt des Textes das Protokoll von Mehony war, bleibt offen. In dem Buch werden mehrmals die schriftstellerische Begabung des Charakters Mehony betont, was angesichts der Tatsache, dass er Kriegsflüchtling ist (Mehony kommt in Bosnien als Vorname vor.) und nicht erwähnt wird, wann und wie er Slowakisch gelernt hat, besonders erstaunlich ist. Mehony ist an sich ein sehr schwacher Charakter und seine eigenen Entscheidungen beschränken sich auf zwei eigenmächtige Ausflüge von der Baustelle des Onkels (strýko Viktor), einen Badebesuch und dem Kennenlernen einer Apothekerin. (s. Kopcsay 2008, 227ff.)
In dem Buch kommt es nicht nur zur Entblößung der Perspektive in der Perspektive, sondern auch zur Überschneidung zweier Medien, nicht jedoch Kunstarten, denn weder die Videoaufnahmen noch die Aufzeichnungen Mehonys haben einen künstlerischen Anspruch, sondern nur der Text des Buches als solcher. Obgleich das Protokollieren durchaus mit dem Schreiben eines Drehbuches verglichen wird;
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obgleich der Vorgang ein umgekehrter ist: das Drehbuch dient der Herstellung der Aufnahmen, hier sind jedoch die Aufnahmen zuerst vorhanden und dann wird der Text erstellt. Es entsteht so etwas wie ein reziprokes Drehbuch, umgedrehtes Drehbuch, nicht eine Vorlage oder Entwurf, sondern eine Ablage und Abfall, denn die Protokolle sind, solange die Videoaufzeichnungen vorhanden sind überflüssig. Die Perspektive, die der Aufzeichnende durch die Videoaufnahmen bekommt, ist sozusagen eine eingefrorene Perspektive, die von ihm nicht beeinflusst werden kann. Wenn die beobachteten Personen aus dem Bild laufen oder wenn sie durch Nebengeräusche und/oder schlechte Tonqualität nicht zu verstehen sind, muss er auf die fehlenden Informationen verzichten, wobei die visuellen entbehrlicher sind, als die akustischen. Zugleich handelt es sich um eine fremde Perspektive, die dem Protokollanten aufgezwungen wird. Weiters bekommt er die Einstellungen ungeschnitten, was noch eine weitere Möglichkeit wäre, seinen Horizont, seine Perspektive (die ihm an sich aufgenötigt wird) einzuschränken. Die Vielfältigkeit der Perspektiven, die in einem künstlerischen Text möglich sind, wird dadurch bewusst eingeschränkt.
Der Beobachter Mehony vergleicht sich ständig mit dem Beobachteten Kamil, was soweit geht, dass er sich mehr und mehr mit ihm identifiziert und, da er eigentlich über kein eigenes Leben verfügt, ganz in der beobachteten Person aufgeht. Soweit es geht – doch dafür sind die Möglichkeiten eingeschränkt – versucht er parallele, äquivalente Handlungen zu setzen. Wenn Kamil von zu Hause flüchtet, versucht Mehony von der Baustelle des Onkels zu entkommen. Wenn Kamil eine Bekanntschaft unterhält, die er selbst schon als ersten Schritt zur Untreue ansieht, versucht Mehony eine Bekanntschaft mit der Apothekerin anzubahnen. Also auch die wenigen eigenen Entscheidungen sind von außen motiviert, so dass wir hier einen Protagonisten vor uns haben, der sich durch das ganze Buch nicht wirklich zu einem Charakter entwickelt. Am Ende des Buches geht die Identifizierung sogar soweit, dass sogar von einer Doppelgängerkonstruktion gesprochen werden kann, denn es stellt sich heraus, dass Kamil seinen Beobachter nicht nur kennt, sondern seinerseits beobachtet hat – auch wenn es dort nicht viel zu beobachten gab – und so die Funktionen beider vertauscht werden. Die fehlende Charakterisierung, das Ausbleiben einer Charakterentwicklung, wird so auch auf den anderen Protagonisten übertragen und am Ende geht beiden die Luft aus. Es wird ihnen der Stöpsel herausgezogen und sie schrumpfen zusammen wie Plastikflaschen.
Sowohl bei Rankov als auch bei Ota Čenko stoßen wir im Zusammenhang mit dem Staatsoberhaupt auf den kulinarischen Code. Da es sich bei Rankov um einen historischen Roman handelt, haben wir es mit Jozef Tiso zu tun, wichtig ist auch, dass er mit seinem Doktortitel eingeführt wird. „Vodca a prezident Slovenskej republiky Dr. Jozef Tiso sa zohol, aby si rozviazal šnúrky na topánkach.“ (46) Bei Čenko, was übrigens ein Pseudonym ist, geht es um einen nicht näher bestimmten Staat, sodass die Ähnlichkeiten mit der Slowakei der neunziger dem Leser überlassen bleiben. Hier hat der „predseda vlady“ einen Kammerherrn mit einem Doktortitel, was wieder die steife mitteleuropäische Atmosphäre deutlich macht.
Was gehört zum kulinarischen Code in den beiden Texten? Dabei funktionieren die Gerichte zugleich als Zeichen, die die Person des Staatsoberhauptes charakterisieren. „Vtedy sa mu zo žalúdka vrátila sa do úst horkokyslá chuť napoly strávených mäsových knedličiek z polievky, ktoru mal na obed. Striaslo ho. Rychlo zobral zo stola kus orechového koláča na potlačenie odpornej pachuti.“ (46) „ - Budeš dostávať guláš a šolet, - povedal bruchu a koketne ho poštípal.“ (47) Hier sind die ersten zwei Gerichte als eigene den anderen zwei als fremde Gerichte gegenübergestellt. Zugleich wird das Verzehren fremder Gerichte als Strafe dargestellt, unter der ein eingefleischter Ungarnfeind und Antisemit besonders leiden muss, eine Selbstquälerei, die ihm noch größere Befriedigung gibt, als das bloße Nachgeben der Völlerei. Andererseits ist das Essen des Fremden bei der jüdischen Familie Rosenberg strafbar, strafwürdig, da es eine Sünde darstellt:
„ – Zase bravčové? – spýtal sa Gábor a schuťou odhryzol z veľkého kusa šťavnatej pečienky, ktorú držal v rukách.
Áno. Všemohuúcí nám to, hádam, odpusti, keď už na nás dopustil tieto časy, - povedal pán Rosenberg.“ (Rankov 2008, 47)
Bei Ota Čenko nimmt der Premier zum Frühstück gewöhnlich „lev na tymiane“ zu sich, der zwar meist zu kalt serviert wird, doch bei ihm das Gefühl auslöst, mit der Zungenspitze Engelsfinger zu berühren. Dieser Löwenbraten mit Thymian wird mit dem Märchenmotiv der Hinrichtung des schlechten Kochs verknüpft, sodass nur noch zwei Köche übriggeblieben sind, die dieses Gericht zu bereiten können. Am ersten Tag des erzählten Textes muss sich der Premier jedoch mit proletarischen Schinken („proletárska šunka“) zufreiden geben. So wird in „Ty nie si náš, teba zožerieme“ (Der Titel weißt schon auf den kulinarischen Kode hin und dass am liebsten das Fremde gegessen wird.) der kulinarische Code meist dann eingesetzt, wenn Speißen misslungen sind. „[...] predsedu do krvi urazila kombinácia jeseterej paštéty à la House of Romanoff s amurským baklažánom, navyše nepripraveným na soléných hríbikoch, ale s nejakou kečupovou sračkou.“ (Čenko 2008, 7) Mit dem letzten Wort verlässt der Autor schon den kulinarischen Code und wechselt zu den tabuisierten Worten, die vermieden werden, weil sie ordinär sind oder ordinär sind, weil sie vermieden werden.
Rankovs Text zeichnet sich auch durch eine hohe Frequenz ungarischer Lexik aus, die zugleich die Perspektive charakterisiert. „Keď oveľa neskôr prišla oficiálna sprava, že tisedes Rónai Károly je nezvestný, […]“ (ebd. 50) Zu der Perspektive gehört ebenso auf syntaktischer Ebene die Position des Taufnamens und des Familiennamens. Das angeführte Zitat zeigt nicht nur den Standpunkt der Familie Ronai, sondern gerade die offizielle Perspektive, denn Levice/ Leva ist zu dieser Zeit Betsandteil des ungarischen Staates und der Sohn darum auch Korporal in der ungarischen Armee.
Ebenso tritt die ungarische Lexik in den Toponymen auf (Új telep/ neue Siedlung), wobei daran gedacht werden muss, dass Eigennamen eine eigenartige Natur besitzen, da sie gleichzeitig verschiedenen Systemen angehören, einerseits dem Sprachsystem, andererseits einem sekundär modellierenden System, dem mythologischen. (Lotman/Uspenskij, Mif – imja – kultura). Der Arbeitsdienst wird ebenso in der ungarischen Bezeichnung geführt, wodurch die Eigenschaft des Lexems als Eigenname verstärkt hervorgehoben wird. „Munkaszolgálat sa Gáborovi zdalo oveľa lepšie, než očekavával.“ (51) Aber es treten auch ganze Sätze auf Ungarisch auf. „Győznek a demokráciák.” = /Die Demokratien siegen./ Mitunter besteht fast der ganze Satz aus ungarischer Lexik, wodurch eine hybride Sprache entsteht. „ – Kaszárnya, - uzavrel törzsőrmester. – Bal, jobb, bal, jobb, egy, kettő, egy, kettő!“ /- Kaserne, - schloss der Oberstabsfeldwebel. – Links, rechts, links, rechts, eins, zwei, eins, zwei!“/ (Rankov 2008, 51) Zwischen dem Frühling und den deutschen Truppen wird durch eine syntaktisch-lexikalische Parallele eine ironische Äquivalenz hergestellt: „Do Podunajskej nížiny prichadzala jar. Do Podunajskej nížiny prichadzáli nemecké vojská.“ (ebd., 52)
Ein entscheidender Schritt der drei Protagonisten, Gábor oder Gabriel, ist die Flucht aus dem Arbeitsdienst und das Verstecken bei der Witwe Irén Csányi, wobei es zu einer – wenn es soetwas überhaupt gibt – lächerlichen Metapher.
„Musím sa pripojiť k slovenskému povstaniu, - vykrikol nadšene Gábor.
- Kdeže, ešte by sa ti tam niečo stalo, - mávala mu ukazovákom pred očami Irén.
Potom si oboma rukami chytila mohutné poprsie a dodala:
- Toto je tvoje bojisko, tu musíš vykrvácať.
Gábor jej objal boky a začal boj.“ (Rankov 2008, 59)
Dabei lasse ich es offen, ob es eine lächerliche Metapher geben kann, da dies schon eine Wertung enthält, die ich eher gern vermeiden würde. Dabei entsteht die Metapher hier nicht innerhalb des Satzes, wovon Paul Ricoeur grundsätzlich ausgeht, sondern entwickelt sich erst durch einen größeren Kontext, durch den die Slowakei dem Busen der Witwe gleichgesetzt wird.
Durch eine morphologische Äquivalenz kommt es zu einer Identität zwischen dem Charakter Gábor und einem ungenannten Körperteil, wobei das eingeschobene ungarische Lexem beachtet werden sollte.
„ – Vstavaj.
- Áno, už som hore.
- Ty si už hore, kedvesem, ale toto sa ti zatiaľ nepostavilo.“ (Rankov 2008, 58)
Obwohl Rankovs Roman in der nahen Vergangenheit spielt, bleibt er doch ein historischer Roman, in dem nicht nur Jozef Tiso, sondern auch weniger bekannte Politiker genannt werden wie Miklós Kallay und Döme Sztótay.
Die Eigennamen zeigen immer die Perspektive, aus der erzählt wird. So haben die Orte für Gábor ungarische Namen. „Vlak, ktorým Gábor cestoval, sa zastavil ďaleko pred železničnou stanicou v Érsekújvári.” (61) Doch werden diese Namen ganz in die slowakische Sprache integriert, wobei die gewählten Deklinationsmuster manchmal, wie im letztgenannten Beispiel, überraschend sind, da so eine Palatalisierung des auslautenden r angenommen wird. Ebenso wenn die Pfeilkreuzler ihre ungarische Bezeichnung behalten, wobei dies nicht als Eigenname angesehen wird, wie die Kleinschreibung zeigt. „Cez privreté viečka pozoroval, ako nyilasi prechádzajú vagónom.” (Rankov 2008, 62)
In dem jüngsten Buch von Jana Beňova tritt dass Stadtviertel Bratislavas Petržalka als Unort, als Dystopie auf. Als einziges Gebiet der Slowakei, dass rechts der Donau liegt,
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ist diese größte Plattenbausiedlung der ehemaligen Tschechoslowakei in diesem Buch ein eigenartiges Jenseits. Dabei spielte bei den Entwürfen für Petržalka die Idee der idealen Stadt, wie wir sie aus der Renaissance kennen und wie sie in den Gartenstädten der zwanziger Jahre wieder aufgegriffen wurde, durchaus eine Rolle.
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Der Stadtteil wird entgegen seines jungen Alters in eine ferne Urzeit oder in eine mythische Zeitlosigkeit verbannt. „Petržalka je územie, kde čas nehrá rolu. Žijú tu tvory, o ktorých si ostatná časť zemegule myslí, že už neexistujú, že vyhynuli. Dobré aj zlé. Tváre švábov pripomínajú dinosaury, susedov hlas nevychádza z hrdla, ale z očných zubov šelmy.“ (Beňová 2008, 9f.) Eine solche mythische Zeit ist nicht nur für das Paradies bezeichnend, sondern auch für totalitäre Gesellschaftssysteme und nicht umsonst wird die Idee der idealen Staat bei ihren Gegnern mit totalitären Strukturen in Verbindung gebracht. So ist in Petržalka aus unerklärlichen Gründen der reale Sozialismus noch gegenwärtig, so die Angst vor der Bespitzelung „V petržalských bytoch hrajú a rozprávajú steny.“ (Beňová 2008, 10) und im Radio werden noch die alten Formate gespielt „Elza zistila, že v rádiu ešte dnes funguje program Hráme jubilantom. Pamätala si ho z detstva. Za socializmu ho mali naladený v každom kaderníctve.“ (Beňová 2008, 10) Der Raum ist mythisch strukturiert, über die Alte Brücke, die einen Abgrund überspannt, in dem sich der Fluß wälzt, der die Grenze markiert, gehen nur Erwachsene. „Starý most je začiatok nevyspytateľnej cesty – chodník ľavej ruky zavesený nad priepasťou, v ktorej da valí hnedá rieka. Hranica, kde sa nedeľná prechádzka mení na boj o holý život.“ (11) Doch dies úberschreitet Elza als Kind noch nicht.
Aus dieser räumlichen Strukturierung entsteht auch zwischen den Bewohnern auf beiden Seiten des Flusses ein unterschiedlicher semiotischer Code. Während für Bewohner, für die der Fluss eine klare Grenze ist, das Gebiet dahinter nicht mehr zur Stadt gehört, sehen sich die Bewohner Petržalkas als Einwohner Bratislavas.
„Mama so starou mamou o pár rokov neskôr v Petržalke zablúdia. […] Už nikdy sa nedostanú domov, už nidky netrafia von. ‚Prosím vás, ako sa dostaneme do Bratislavy?‘ vyhŕkne mama na slečnu na zastávke. ‚Ale veď už ste v Bratislava,‘ čuduje sa slečna.
Mama bemocne usmeje. ‚Ja myslím do mesta Bratislava.‘“ (Beňová 2008, 12)
Wenn wir daran denken, dass uns drei Codes zur Verfügung stehen – der deutsche Name des Ortes Petržalka ist Engerau, auf ungarisch Ligetfalva – so wären noch ganz andere Missverständnisse möglich, die durch die verschiedenen Codes bedingt wären. Das Buch Jana Beňová bleibt jedoch innerhalb der slowakischen Semiosphäre.
Wenn wir auf das schon erwähnte Buch von Oto Čenko zurückkommen – es handelt sich hier übrigens um ein Pseudonym und im slowakischen Feuilleton wird diese Mystifikation weitergeführt, indem sich die Kritiker mit fiktiven Kritikern in den USA auseinandersetzen, die sich über das Werk geäußert haben sollen – dann haben wir eine Satire auf die politischen Zustände in der Slowakei der neunziger Jahre vor uns. Doch da der Name des Landes und auch nicht der des Regierungsvorsitzenden und des Präsidenten, wird die Satire auf eine allgemeinere Ebene gehoben und ein Modell für ein beliebiges Land in Mittel- oder Osteuropa in der Tarnsformation vom Sozialismus zum Kapitalismus. Damit wird auch der ganze Transformationsprozess in diesen Ländern parodiert, wobei die Substitution der alten Phraseologie durch die neue in einigen Fällen ganz deutlich wird. In der inneren Rede des Regierungsvorsitzenden: „To považoval za nehorázne, uražalo to jeho majestát, spochybňovalo význam jeho historickej úlohy v dejinách krajiny.“ (6)
Das Buch „Ty nie si náš, teba zožerieme“ könnte als Farce (fraška) bezeichnet werden, wenn es sich um ein Theaterstück handeln würde, wobei eine Transformation in ein Theaterstück oder Drehbuch ein leichtes wäre. In dieser Form ist der Text eine Satire, wobei ihr jeder Tiefgang fehlt, was auch besser zu einem Theaterstück, einer Farce, passen würde. Der Text kann und sollte auch in der Nachfolge Tatarkas „Démon súhlasu“ gesehen, wobei Tatarkas Buch eine gespenstische Satire des realen Sozialismus war, während Čenkos eine leichtgewichtige Parodie ist und der Ästhetik der Identität folgt; der Leser erkennt leicht die außerliterarischen Vorlagen, soweit er das politische Geschehen der 90-iger Jahre in der Slowakei kennt. Doch wäre bei einem Theaterstück oder Film die Pseudonymität des Autors von wesentlich geringerer Bedeutung; es sei denn sie wird durch weitere Stücke forciert und der Name mythologisiert, wie es bei Jara Zimmermann der Fall ist.
In der letzten Zeit fällt es auf, dass einige Romane im Theatermillieu spielen und ich möchte nur auf zwei kurz eingehen; auch weil ich noch nicht weiß, was es bedeutet, wenn zwei Genre enger zusammengehen. Auch die Farce von Čenko ist eigentlich eine Vorlage für ein Drehbuch und einen Film. Das eine Buch stammt von Peter Krištúfek und stellt einen Soffleur in den Mittelpunkt, der von einem karrikierten Politiker in seinen Dienst gestellt wird. Die Satire auf die Politiker der neuen kapitalistischen Demokratie finden wir hier also wie bei Čenko, nur ist es hier nur ein einfacher Abgeordneter namens Berger. Krištufek, der bisher vier Bücher geschrieben und zwanzig Dokumentarfilme gedreht hat, legt hiermit seinen zweiten Roman vor. In letzter Zeit ist scheinbar auch eine Tendenz gebrochen, dass in der Slowakei seit 1989 kaum Romane geschrieben wurden; doch ist das auch eine Frage des Genres, ob die Bücher von Pišťanek als Romane bezeichnet werden und die Werken von Johannides durchgängig Novellen sind.
Schon der Einstieg des Romans parodiert die slowakische politische Praxis, in der die Parteien nicht nur in Zeiten des Wahlkampfes auf Billborden werben, so die bekannte Werbung von Smer für den EU-Beitritt. Die Aufarbeitung der Reklame ist für die Slowakistik, sowohl der Produktwerbung als auch der politischen Werbung, ist ein unverzichtbarer Teil der Slowakistik, sodass die Medienwissenschaft zur Hilfswissenschaft der Slawistik wird. Die Integration von Fremdworten zeigt sich in ihrem Wildwuchs gerade in diesem Text, so gibt es „softvér“, copywritery“, „artdirector“ und „account manager“
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zu finden, wobei das erste durchaus schon ganz ins Slowakische integriert ist, während die anderen beiden Fälle noch Fremdkörper sind, was auch graphemisch deutlich wird.
Zum Abschluss möchte ich noch auf einen ungarischen Roman, der 2005 erschienen und in der Slowakei geschrieben wurde, eingehen, um zu zeigen, dass die Literatur in der Slowakei durchaus zwei Semiosphären angehört oder einer Semiosphäre mit einer sehr markanten inneren Grenze. Dadurch entstehen Übersetzungsprozesse, die in dieser Weise vielleicht nur in der Schweizer Literatur auftreten. Das betreffende Buch von Lajos Grendel „Mátyás király New Hontban“ wurde schon im selben Jahr ins Slowakische von Karol Wlachowský übersetzt. Die Hauptfigur Mihály Schiller heißt in der slowakischen Übersetzung Mišo Šiler. Dabei ist die Tatsache, dass die Namen übersetzt werden eine alte mitteleuropäische Tradition und deswegen wäre das keine Devianz
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, aber hier haben wir keine Übersetzung vor uns Mišo ist der Kosename von Mihál und Mihály ist kein Kosename; die phonetische Schreibung von Schiller in der slowakischen Fassung finden wir im Orginal nicht, dadurch geht jedoch die Assoziation mit dem deutschen Dichter verloren. Dagegen entspricht die Übersetzung Király elvtárs durch „súdruh Kráľ” korrekt der mitteleuropäischen Tradition.
Als die Hauptfigur – es handelt sich um einen relativ schwachen Charakter, dessen Entscheidungen darin bestehen ein erfolgloser Dichter zu sein und sich nicht dagegen wehrt, das sich eine Prostituierte bei ihm einquartiert und eine Beziehung mit ihm beginnt – aufgefordert wird, ein Gedicht von Petőfi mangels eigener Produktion vorzutragen, und zwar „Anyam tyúkját” (29), wird er in der slowakischen Übersetzung aufgefordert einmal das genannte Gedicht zu rezitieren oder „Smrť Jánošíkovu“ von Ján Botto. Hier findet also der Versuch statt einen Code durch einen anderen zu ersetzen, wobei den beiden Gedichte und auch ihren Schöpfern ein entsprechender Stellenwert in diesem Code zugewiesen wird oder er zu mindest behauptet wird. Entsprechende Knoten – wo also der Übersetzungsmechanismus in ein sekundär modellierendes System reicht – treten im Text mehrmals auf. So muss der Vater der Hauptgestalt, als er in die Kleinstadt als Lehrer kommt, seinen Namen ändern. Er heißt Béla Döbrögi (34), was eine Anspielung auf den Hajduken Döbrögi aus der ungarischen Folklore ist. Der Vorname wird nun konventionell übersetzt mit Vojtech, der Nachname jedoch wird in Révay transformiert, was in der slowakischen Folklore keine funktionelle Entsprechung besitzt. Um diese Transformation zu begründen, muss der Übersetzer eine ganze Passage einschieben. „Lebo to už vedia aj škôlkari, že Révay bol statkár, ktorý zdieral slovenský ľud a dal obesiť za rebro ľudového hrdinu Jura Jánošíka.“ (32) Dabei bezieht sich dies mehr auf einen Film aus dem Jahre 1921 als auf die Folklore.
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Ein Gegner des Volkshelden Jánošík, eine historisch bezeugte Gestalt und eine Art Robin Hood der slowakischen Kultur,
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hat natürlich einen ganz anderen Stellenwert als ein bloß ungarischer Name, sodass die Namensänderung durch die Übersetzung umso dringlicher gemacht wird. Bei der Suche nach einem neuen Namen für Döbrögi/Révay schlägt der Lehrer den Namen seiner Gattin vor: Tóth. Dies ist die historische Bezeichnung für Slowaken im ehemaligen Königreich Ungarn, was von dem Funktionär Király elvtars sofort als unzeitgemäß abgelehnt wird. Dabei genügt es der Übersetzung nicht, diesen nur als veraltet zu bezeichnen. „A Tóth elavult.“ (36) Der Übersetzer fügt noch eine Erklärung hinzu. “Dnes sa už každému Tóthovi hovorí Slovák.” (34) Ebenso bei den Bezeichnungen der anderen Ethnika. “Az Oláh is elvult. A Rácz is elavult.” (36) “Aj Oláh je zastarané. Aj Rácz. Ten prvý je dnes Vlach a druhý zasa Srb.” (34) Hier wird sehr deutlich, dass der Übersetzer damit rechnet, dass der slowakische Leser die historischen Namen nicht kennt, also diesen Code nicht kennt, obgleich dieser nicht nur der ungarischen Sprache angehört, sondern zu einem übergeordneten System gehört.
Die Stadt Budapest wird auf Ungarisch meist nur als Pest bezeichnet, was in einem ungarischen Text nicht merkmalhaft ist, wird in der Übersetzung merkmalhaft, da so der fremde Code übernommen wird. „ – Pesten vettem – mondta az állomásfőnök.“ (79) „ – Kupil som si ich v Pešti, - povedal náčelník železničnej stanice.” Dieser Bahnhofsvorsteher heißt übrigens Bajza Vilmos oder in der slowakischen Übersetzung Vilo Bajza, was nicht ganz unwichtig ist, da ein ungarischer romantischer Dichter, Kritiker und Politiker Bajza Jozsef (1804-1858) heißt und in der slowakischen Literatur der Schriftsteller Jozef Ignác Bajza (1755-1836) sogar ein Zeitgenosse Schillers ist. So gehört der Eigenname Bajza verschiedenen literarischen Codes an und das Spiel mit den Eigennamen führt zu verschiedenen Konnotationen, wobei in der Übersetzung die Verbindung zwischen den nomina propria enger ist. Wenn dagegen von Budapest gesprochen wird „[...] s valamelyik szekrény mélyéről előkotort két pár budapesti zoknit [...]” (79) „[...] a z útrob akejsi skrine vyhrabal dva páry budapeštianských ponožiek […]“ (74), nimmt der Autor die Perspektive des Genossens König (Király/ Kráľ) ein, der den ungarischen Code vehement bekämpft.
Primärliteratur:
Beňová, Jana: Plán odprevádzania (Café Hyena) Levice 2008
Čenko, Oto: Ty nie si naš, teba zožerieme. Bratislava 2008
Grendel Lajos: Mátyás király New Hontban. Pozsony 2005
Grendel, Lajos: Kráľ Matej v New Honte. Bratislava 2005
Hvorecký, Michal: Silný pocit čistoty. Bratislava 1998
Litvák, Jan: Pijem vodu z Dunaja. Bratislava 2006
Litvák, Jan: Bratislavské upanišády. Bratislava 2007
Rankov, Pavol: Stalo sa prvého septembra (alebo inokedy). Bratislava 2008
Vadas, Marek: Liečiteľ. Bratislava 2006
Zuchová, Svetlana: Yesim. Bratislava 2006
Sekundärliteratur:
Лотман, Ю. М. Семиосфера. СПб. 2001
Успенский Б.А. Поэтика композиции. - М. 1970
[1]
Ein eklatantes Beispiel erlebte ich in den neunziger Jahren bei der Vorbereitung einer Konferenz über die Freiheit der Medien in Südosteuropa. Bei der Nachfrage nach der Vorwahl von Banja Luka bei der Telefonauskunft in Sarajevo bekam ich die Antwort, das eine solche Stadt nicht existiere.
[2]
Der Wohnungs- und Arbeitergeber Mehonys sagt zu ihm: „Naučím ťa s tým zaobchadzať, budeš teraz rozhovory prepísovať aj s obrazom, doslova ako filmové scenáre.‘“ (Kopcsay 2008, 39)
[3]
Neben der kompakten Plattenbausiedlung mit 120 000 Einwohnern gehören noch zum Stadtbezirk drei Dörfer, die ihren eigenständigen Charakter behalten haben.
[4]
Der Wettbewerb zur Projektierung des Stadtviertels wurde 1967 ausgeschrieben und „Na ocenených maketách vyzerala Petržalka ako ideálne mesto utopené v zeleni a rozvíjajúce sa pozdĺž dunajských ramien, […]“ (Týždeň 2008/ 13)
[5]
Das Getrenntschreiben ohne „account“ mit einem Suffix zu versehen, was wir bei „softvérový“ finden können, betont die Fremdartigkeit der Entlehnung, so finden wir es auch in den Anzeigen „Medialna agentura hlada account managerov“
[6]
In der Übersetzung von Ingo Schulze „Neue Leben“ von Marián Hattala werden die Eigennamen durchwegs übersetzt.
[7]
Im Moment ist gerade der Film „Pravdivá história o Jurajovi Jánošíkovi a Tomášovi Uhorčíkovi“ von Agnes Holland eine der wichtigsten Filmpremieren in der Slowakei. Dieser neue Kontext mit Jánošík entsteht allein durch den Eingriff des Übersetzers.
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