Verlag:
Dokumentationsstelle für ost-- und mitteleuropäische Literatur
ISBN:
ISSN:
Publikationsdatum:
22.12. 2018
Ausgabe:
1.
Vorrätig:
YES
E-Mail:
Land: Hungary
|
Katalin Neumer, Budapest:
Verführt auch die ungarische Sprache das Denken
oder
lassen sich auch die Ungarn therapieren?
(Überlegungen, ausgehend von den Problemen der ungarischen und der russischen Übersetzung der Philosophischen Untersuchungen)
1. Einleitung
Zu der Tagung “Wittgenstein übersetzen” wurde ich als die ungarische Übersetzerin der Philosophischen Untersuchungen eingeladen. Ich möchte mich allerdings im folgenden nicht mit den gemeinhin bekannten Qualen des Übersetzens befassen. Meine Ausführungen werden sich statt dessen an einigen Grundfragen der philosophischen Konzeption Wittgensteins orientieren wie die folgenden: Sind die Probleme, die Wittgenstein behandeln möchte, auch in dem Sinne an die Sprache gebunden, daß sie für andere Nationen und andere Sprachen als die deutsche keine philosophischen Probleme sind, oder erscheinen sie für die ersteren zumindest anders als für die letztere? Sind die von Wittgenstein auf diese Fragen gegebenen Antworten für andere Nationen schon aus rein sprachlichen Gründen unzufriedenstellend? Man möchte schon intuitiv alle Fragen verneinend beantworten. Es ist unwahrscheinlich anzunehmen, daß Wittgenstein bloß über Fragen hätte meditieren wollen, die durch die deutsche, oder eventuell auch noch durch die germanischen Sprachen aufgeworfen werden. Ist aber die Wittgensteinsche Methode des Philosophierens in diesem Sinne nicht sprachgebunden, dann erhebt sich die Frage, wie das sich mit Wittgensteinschen Konzepten vereinbaren läßt, wie etwa daß man einfach schauen sollte, wie seine Sprache arbeitet, um die philosophischen Probleme gelöst zu bekommen, oder daß unsere Sprache – ihre falschen Analogien – jene sind, die uns verleiten.
2. Möglichkeiten und Funktionen der Übersetzung von philosophischen Texten – im Vergleich mit der Übersetzung von literarischen Texten
Eingangs möchte ich einige, obschon eh etwas “hausgebackene” Gedanken skizzieren, und zwar aus einer “kontinentalen” Perspektive der Übersetzungs- und Auslegungskultur. Um die letztere zu charakterisieren gebe ich eine Paraphrase der geistreichen Gegenüberstellung von Barry Smith, die er in mehreren Artikeln bezüglich der “angelsächsischen” und “kontinentalen” (und insbesondere der deutschen) philosophischen Tradition im Hinblick auf die Übersetzbarkeit dargelegt hat (Smith 1991a, 1991b, 1992, 1993). In Smith’ Darstellung zeichnet sich die europäische Tradition im Gegensatz zu der angelsächsischen dadurch aus, daß man dem Originalwerk als einem abgeschlossenen Ganzem – innerhalb dessen Systems sowohl die einzelnen Worte als auch die Thesen erst ihre Bedeutung bekommen – einen besonderen Stellenwert beimeßt. Infolgedessen möchte man sich in erster Linie nicht mit einzelnen, “kontextlosen” philosophischen Argumenten auseinandersetzen, sondern vorerst im Kontext des Originals verstehen, was ganz genau gesagt wird. Für diese Tradition scheint sogar jeder Autor (der ja ein auctor ist) eine eigene Welt, eine eigene Sprache zu haben, die man schwerlich in eine andere übersetzen und in dieser verstehen kann. Daher beginnt das Argumentieren erst dann, wenn man sich die Sprache des Originalwerkes angeeignet und sich in das Original sozusagen hineinversetzt hat. Das wird u.a. mittels eingehender Kommentare, durch philologische und historische Arbeit etc. erreicht. In der angelsächsischen philosophischen Tradition schreibt man hingegen keine Kommentare: Die Thesen eines angelsächsischen Autors – ohne eine eigene (sprachliche) Welt gebildet zu haben – erscheinen schon ohne Kommentare als transparent genug, um verstanden und in der gängigen philosophischen Sprache diskutiert werden zu können.
Dieses Bild ist freilich karikaturistisch entworfen. Es scheint trotzdem zumindest einigermaßen treffend zu charakterisieren, wie man im deutschen Sprachraum, an den deutschen Universitäten und in der eigenen Forschungsarbeit meistens mit Texten der Philosophiegeschichte umgeht. Diese Tradition wurde von der ungarischen philosophischen Kultur reibungslos assimiliert – trotz des Umstands, daß die Ungarn (im Gegensatz zu den Deutschen) mit keiner bedeutenden Philosophiegeschichte rühmen können (und selbst jene, die wir haben, wurde teilweise auf Deutsch verfaßt). Dafür haben wir eine lange Tradition der Altphilologie, der ungarischen Philologie sowie der Geschichtschreibung der ungarischen Literatur. Die Idee, daß eine Nationalsprache einen Eigenwert haben kann, ist dem ungarischen Denken ebenfalls nicht fremd: Das Ungarische als Muttersprache, die Pflege und das Schützen der Besonderheiten dieser eigenartigen Sprache, die gleichsam wie eine kleine Insel im Meer der europäischen Sprachen ganz alleine, an sich selbst angewiesen da steht, die dafür eine großartige, aber bedauerlicherweise in andere Sprachen unübersetzbare und somit für andere Nationen auch unverständliche Dichtkunst hervorgebracht hat – all das stellt einen festen Bestandteil des ungarischen Nationalbewußtseins dar.
Im folgenden möchte ich dafür plädieren, daß gerade dank der vorhin skizzierten europäischen Tradition die Grenzen der vermeintlichen Unübersetzbarkeit von philosophischen Texten gesprengt und Möglichkeiten für das Verstehen philosophischer Werke in einer anderen als der Originalsprache eröffnet werden können.
Erstens soll festgehalten werden, daß das Etwas-übersetzen-können nicht mit dem Verstehen-können gleichgesetzt werden kann. Aus dem Tatbestand, daß man nicht imstande ist, etwas zu übersetzen, folgt nämlich nicht, daß man es auch nicht verstehen kann. Fangen wir nicht gleich mit der Übersetzung aus der einen Nationalsprache in eine andere an: Keiner glaubt, man müßte ein mathematisches Problem aus der Sprache der Mathematik in die Alltagssprache übersetzen können, um es zu verstehen. Es ist nämlich ganz normal, daß wir uns in und zwischen mehreren Sprachen bewegen und uns in mehreren Sprachen heimisch fühlen. Gibt es trotzdem einen Grund, etwas zu übersetzen, und stolpern wir dabei an Schwierigkeiten, dann steht uns immer noch die Möglichkeit offen, unsere Übersetzung mit metasprachlichen[1] Erklärungen und Kommentaren zu ergänzen, die sich sowohl auf Ausdrücke in der Ausgangssprache als auch auf jene in der Zielsprache beziehen können. Bei diesem Verfahren greifen wir also sozusagen auf die Kommentartradition zurück.
Die Anwendung einer Metasprache kann freilich wieder auf Grenzen stoßen: So bringt uns z.B. die Umgangssprache als Metasprache in Bezug auf die Mathematik recht wenig – man könnte sagen, die beiden seien unterschiedliche, miteinander nicht kompatible Sprachspiele. In der Philosophie kann dagegen die Anwendung einer Metasprache erfolgreich sein: Bei der Übersetzung von philosophischen Texten könnte es etwa heißen, daß wir zu dem in der Zielsprache verfaßten Text noch weitere Ergänzungen, Kommentare und Erklärungen – z.B. als Fußnoten – hinzufügen. Ein mit erklärenden Fußnoten übergeschmückter Text ist zwar nicht sehr elegant, kann aber gerade dank den unschönen Fußnoten wenigstens verständlich werden. Im Gegensatz zu dem obigen Beispiel bezüglich Mathematik und der Umgangssprache gehört hier die erklärende Metasprache nicht grundsätzlich zu einem anderen Sprachspiel, zu einem anderen Sprachgebrauch als die Objektsprache: Sie ist genauso eine philosophische oder – von dem Inhalt der nämlichen Fußnote abhängig – zumindest eine wissenschaftliche Sprache. Somit wird die Metasprache wie eine zweite Textebene zum Teil des übersetzten Textes.
Welche Funktionen kann die Übersetzung von philosophischen Texten, insbesondere jene der Grundwerke der Philosophiegeschichte haben? Sie dient in der europäischen Tradition nicht dem Zweck, daß die Spezialisten eines Autors oder einer Epoche auf ihrer Grundlage philosophische Werke auslegen und diskutieren – selbst dann nicht, wenn ab und zu Übersetzungsprobleme zum Ausgangspunkt der Diskussionen über Interpretationsfragen dienen können. Diese Diskussionen kehren aber immer wieder zum Originaltext zurück: Sie pendeln sozusagen zwischen dem Originale und der Übersetzung. Sie stellen metasprachliche Streitigkeiten dar, die in der Zielsprache stattfinden, aber sich sowohl auf den Original- wie auch auf den übersetzten Text beziehen.
Verläßt der übersetzte Text den engen Kreis der Spezialisten, so wird er immer unabhängiger von dem Original und kommt zum selbständigen Leben: In den Diskussionen der sich nicht auf das Thema spezialisierten Philosophen und im Unterricht erscheint der Text schon hauptsächlich in Übersetzungen: Über das cartesiansiche Leib-Seele-Problem tauscht man sich aus, auch ohne das französische Original gründlich durchstudiert zu haben. Durch Übersetzungen wird die Terminologie des philosophischen Diskurses in der Nationalsprache gebildet, Themen und Autoren werden dadurch in das Philosophieren der nämlichen Sprache einverleibt. Die erste, 1963 erschienene ungarische Ausgabe des Tractatus logico-philosophicus mit einem umfangreichen Vorwort und ergiebigen Fußnotenapparat des Übersetzers, Georg Márkus hat damals sozusagen die Sprache der Philosophie, die philosophischen Diskussionen, das philosophische Leben in Ungarn verändert. Und schließlich wird ein Teil (oder eine Sorte) der philosophischen Werke auch noch von einem breiteren Publikum gelesen: von Vertretern anderer Wissenschaften, der Künstlerszene, des kulturellen und Geisteslebens. Dadurch wird die philosophische Tradition anderer Länder zum Teil der Kultur – die Übersetzungen dienen also dem Kulturtransfer. Je mehr entfernen wir uns von dem philosophischen Diskurs in die Richtung des im weiteren Sinne genommenenen Geisteslebens, desto geringere Rolle wird die metasprachliche Diskussion über die Übersetzungen spielen, bis sie gar auch verschwindet: nicht nur, weil je breiter die Rezeptionsgemeinschaft ist, desto mehr kann für sie nur noch die Muttersprache als gemeinsame Kommunikationsbasis gelten; sondern weil wir es mit einer immer nahtloseren Interiorisierung der fremdsprachigen Philosophien in den muttersprachlichen Diskurs zu tun haben.
Aufgrund des Gesagten läßt sich also soviel behaupten, daß in Fremdsprachen verfaßte philosophische Werke nicht übersetzbar sein müssen, um für die Philosophie einer anderen Nationalsprache verständlich zu werden. Es gilt bei der philosophischen Interpretation bzw. beim Philosophieren als berechtigte Verfahrensweise, zwischen zwei natürlichen Sprachen zu wechseln, zwischen ihnen zu pendeln. Diese Möglichkeit hat ihren Grund darin, daß es uns möglich ist, gleichzeitig an mehreren Sprachspielen teilzunehmen, von dem einen in das andere zu übergehen und zurück – und diese Behauptung läßt sich in einer multisprachlichen, im Kontakt von mehreren Sprachen lebenden Welt auch auf die Nationalsprachen übertragen.
Es würde sich zwar lohnen, das Gesagte im Hinblick auf die Parallelen und Unterschiede mit den Übersetzungsproblemen der literarischen Werke ausführlicher zu weiterentwickeln, ich muß mich aber leider auf einige Schlagwörter beschränken.
Erstens gehören Objektsprache (i.e. die Sprache des Originaltextes und der Übersetzung) und Metasprache, die das Verstehen fördern soll, im Falle der literarischen Werke nicht zu demselben Sprachspiel.[2] Erklärende Fuß- oder Endnoten – die das Publikum der Zielsprache zum Verstehen (ob aus sprachlichen Gründen, oder weil es zu einem anderen Kulturkreis gehört oder einer anderen historischen Epoche lebt) helfen sollten – lassen sich zwar selbstverständlich auch zu literarischen Texten hinzufügen. Wird aber der Leser allzu oft gezwungen, Fußnoten zu studieren, so wird das das ästhetische Erlebnis zerstören. Das wird noch mehr der Fall sein, wenn der Übersetzer seine sprachliche Ohnmacht ausdrückt (mit Redewendungen etwa wie “unübersetzbares Wortspiel”). Die erklärende Metasprache wird nicht zum Teil des übersetzten literarischen Textes, sondern sie bleibt im Verhältnis zu ihm bloß ein “Äußeres”. Was von einem literarischen Werk in der Übersetzung selbst nicht zum Ausdruck kommt, das kann in einem Sinne des Wortes gar nicht durchkommen, den Leser gar nicht erreichen.
Was die möglichen Funktionen der Übersetzung von literarischen Texten betrifft: Experten des jeweiligen Themas oder Autors gründen ihre Interpretation auch da nicht auf die Übersetzung – und sogar nicht nur in der europäischen Tradition nicht. Letzteres weist darauf hin, daß die Rolle des Originaltextes in der Literatur sogar größer ist als in der Philosophie. Wir erwarten trotzdem von einer literarischen Übersetzung, daß sie für sich selbst steht: Eine Ausrede, daß man schlimmstenfalls im Original nachschaut, hört sich hier äußerst faul an. “Unübersetzbare”, nicht übersetzte oder stotternd übersetzte literarische Werke werden nicht zum Teil der Zielkultur, werden dieser nicht einverleibt. Mag eine Übersetzung noch so gut auch gelungen sein, sind wir uns auf der anderen Seite trotzdem im klaren darüber, daß das übersetzte Werk im Vergleich mit dem Original auch ein anderes ist, und dies Auch-ein-anderes ist es, was von der Kultur der Zielsprache verinnerlicht wird. Mit so einem Resultat bezüglich philosophischer Werke sind wir nicht geneigt, uns zu begnügen: So sehr wir auch wissen, daß die Übersetzung unvermeidlich an Grenzen stößt, versuchen wir trotzdem die ursprünglichen Argumente des Autors zu diskutieren – und wir können, wie gesagt, auch besser darauf hoffen, daß wir zu diesen Argumenten mittels einer Metasprache näher zu kommen imstande sind, als im Falle der schönen Literatur.[3]
Von einem übersetzten philosophischen Text erwarten wir also nicht unbedingt, daß er “auf den eigenen Beinen” steht und “für sich selbst spricht”: Der Gebrauch einer Metasprache, das Pendeln zwischen dem Originale und der Übersetzung, zwischen der Ausgangssprache und der Zielsprache sind legitime Verfahrensweisen. Unter den Philosophen des 20. Jahrhunderts gibt es allerdings bestimmt zwei, für die das Gesagte höchstens mit Einschränkungen zutrifft, und zwar Heidegger und Wittgenstein. Im folgenden werde ich mich nur mit dem letzteren befassen. Der Fall Wittgenstein ist bestimmt paradox. Auf der einen Seite stellt Wittgenstein einen Spezialfal dar: Seine Philosophie hat selbst in der angelsächsischen Welt einige Kommentarliteratur ins Leben gerufen (Smith 1991a: 3, 6-7). Auf der anderen Seite erhebt sich die Frage, ob seine Art des Philosophierens nicht in dem Maße an die Form und Formulierung gebunden ist, daß es durch metasprachliche Erklärungen an seiner überzeugenden Kraft verliert und weniger einleuchtend wirkt.
Zum Letzteren wird wohl jedem gleich der Wittgensteinsche Spruch: “Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten” (MS 115: 30, MS 146: 50) einfallen. Diese Richtung möchte ich diesmal nicht einschlagen, sondern nur soviel bemerken, daß Wittgensteins Schriften doch keine literarischen Kunstwerke sind, und daß die Sprache, von dem er Gebrauch macht, laut seiner eigenen Bestimmung die für uns alle gewohnte gesprochene Umgangssprache ist. Die gesprochene Umgangssprache an sich sollte uns bei der Übersetzung eigentlich vor eine leichtere Aufgabe stellen als literarische Texte es tun, wenn die Sprache bei Wittgenstein nicht gleich in zweifacher Hinsicht grundlegend wäre: 1/ Die Sprache ist es, die uns verführt, sodaß wir schließlich Unsinn reden. 2/ Die Sprache stellt aber anderseits gleichzeitig auch das Mittel der Theraphie, die uns von unserer Neigung heilt, Unsinn zu reden, dar. Im ersteren Fall geht es Wittgenstein zwar in erster Linie um die Sprache der Metaphysik, in der per se Unsinn gesprochen wird. Das wird aber dadurch ermöglicht, daß wir die Logik unserer Alltagssprache nicht übersehen, weil uns ihre Analogien auf Irrwege führen – und wenn sie das uns antun, dann nur, weil sie es zu tun imstande sind. Im zweiten Fall sollten wir hingegen mit der natürlichen Alltagssprache zu tun haben, wie sie normalerweise gesprochen wird. Diese Sprache ist also sozusagen janusköpfig, die zwei Funktionen hat: Sie soll wie die Alltagssprache beschaffen sein, und sich trotzdem gleichzeitig zu dem Zweck der philosophischen Theraphie eignen. Sie muß ihren Leser überzeugen, ihn zu Einsichten, zu einem “Aha!”-Erlebnis bringen, und zwar nicht durch rationale Argumente, sondern mittels von Hinweisen, von Aufforderungen in der Form: “Schau es Dir so an!”, “Sieh es anders!”. Infolgedessen erhebt sich die Frage nach einer adäquaten Metasprache bezüglich der Wittgensteinschen Philosophie schon unabhängig von ihren Übersetzungsproblemen: Inwieweit kann die Sprache des üblichen Philosophierens bzw. der philosophischen-philosophiegeschichtlichen Interpretation den Intentionen Wittgensteins entsprechen? Anstatt der Sprache der Abhandlung sollte man nicht doch besser das philosophische Sprachspiel von Wittgenstein fortsetzen und weiterspielen?[4]
Im folgenden möchte ich mich nur mit einem einzigen Teil, und zwar mit der Privatsprachenkritik der Philosophischen Untersuchungen befassen, und zwar unter dem Aspekt, inwieweit sie an die deutschen Sprache gebunden ist. Ich werde zwei Übersetzungen miteinander vergleichen: meine eigene ungarische und die 1994 erschienene neue (zweite) russische Übersetzung. Ein Ungar hört bei der ersten Bekanntschaft mit Ausländern meistens die Behauptung: “Oh, die ungarische Sprache ist ja extrem schwer!” Wenn das so wäre (worauf ich hier nicht eingehen, nur kurz bemerken möchte: dann sollten die Ungarn zu den intelligentesten Völkern der Welt gehören: bei uns ist ja jedes Kleinkind imstande, sich diese schwere Sprache anzueignen), dann könnte man die Übersetzungsschwierigkeiten allzu leicht auf das Konto der außerordentlichen Schwierigkeit der ungarischen Sprache schreiben. Deshalb habe ich zum “Vergleichsobjekt” auch noch eine zweite Sprache gewählt, die wenigstens zu dem indoeuropäischen Sprachstamm gehört, und von der einem, der sie nicht als Muttersprache von Haus aus hat, nicht gleich die enormen sprachlichen Barrieren einfallen. Ich will nicht Fragen thematisieren, mit denen man sich bei der Übersetzung eines jeglichen deutschen Textes ins Ungarische, bzw. ins Russische (oder umgekehrt: bei der Übersetzung eines ungarischen oder russischen Textes ins Deutsche) auseinandersetzen muß. Hier möchte ich mich nur auf eine kurze Bemerkung einschränken: Beim Vergleich des deutschen, ungarischen und russischen Textes bin ich auf die unerwartete Entdeckung gekommen, daß ich als ungarische Übersetzerin nicht härter habe mit dem deutschen Text kämpfen müssen, als die russische; mehr noch: uns stellte der Text nicht nur öfters vor ähnliche Probleme, sondern es war mir mehrmals sogar leichter als der russischen Übersetzerin.
4. Internationale Privatsprachenkritik
Die einzelnen Schritte der Privatsprachenkritik durchgelaufen habe ich wieder als erstes überraschendes Resultat bekommen, daß ein Teil von Wittgensteins Argumenten sowohl auf Ungarisch als auch auf Russisch ohne weiteres einleuchtend sind (oder wenn jemandem doch nicht, dann eben nicht aus sprachlichen Gründen) – wie etwa die Aufforderungen und Hinweise von der Art: “Sieh es dir mal näher an, ob wir es tatsächlich so gebrauchen!” oder “Du siehst ja, daß wir so was unter normalen Umständen nicht sagen!”. Hinweise dieser Art 1/ sollten entweder eine, von der Frage der Empfindungswörter unabhängige, eigentlich vielmehr allgemeine Einsicht vermittel, daß alles auf den Gebrauch ankommt; 2/ oder sie fordern die Leserschaft schon ganz konkret bezüglich der Empfindungswörter auf, auf den tatsächlichen Sprachgebrauch zu achten; sie wollen die Leser einsehen lassen, daß selbst die Äußerungen eines “Inneren” erst vor dem Hintergrund eines gemeinschaftlichen, “äußeren” Sprachgebrauch verständlich sein können. (Beispiele: PU 247, 250, 252, 257, 265, 275, 284, 296, 303)
Das wäre an sich noch nicht unbedingt eine sensationelle Entdeckung, wenn dadurch nicht auch Fragen bezüglich der Wittgensteinschen Konzeption selbst erhoben würden: Ob es dann nicht auch Universalien geben könnte? Ob sich die allgemeinen Charaktereigenschaften der menschlichen Sprache angegeben werden ließen? Universelle Behauptungen dieser Art lassen sich zwar nicht auf Grund der erwähnten Argumente der Privatsprachenkritik Wittgenstein zuschreiben, soviel läßt sich ihnen trotzdem entnehmen, daß es Wittgenstein um mehr geht als nur um die Beschaffenheiten einer einzigen Nationalsprache.
In Befolgung der Aufforderungen Wittgensteins soll der Leser immer – ob es sich um den Zusammenhang 1/ oder 2/ handelt – auf seine eigenen Erfahrungen hinschauen. Es kommt also immer auf meine Erfahrung an, die aber auch mit derjenigen eines Anderen, der mit mir aus den PU spricht, übereinstimmt. Dieser Andere ist ein Du in dem Sinne, daß die PU in ein dialogisches Verhältnis mit ihrem Leser zu treten, ihn in einen gemeinsamen Kommunikationsraum einzubeziehen trachten. Es geht in den PU aber nicht schlicht um die gemeinsamen Erfahrungen eines Ich und eines Du. Die PU weisen immer wieder auf Erfahrungen hin, die uns gehören, und zwar nicht nur uns beiden, sondern einer Gemeinschaft. Wer soll nun unter diesem Wir verstanden werden?
Wir könnten darunter bloß die deutsche Sprachgemeinschaft verstehen. Wittgenstein macht ja öfters von Argumenten dieser Art Gebrauch: “Wie erkenne ich, daß diese Farbe Rot ist? – Eine Antwort wäre: ‘Ich habe Deutsch gelernt.’” (PU 381; Vorstufen: MS 129: 180, MS 180a: 32v, TS 228: 346, TS 230: 102) Der letzte Satz ist in der ungarischen Übersetzung folgendermaßen zu lesen: “Megtanultam magyarul.” = “Ich habe Ungarisch gelernt.”, während in der russischen steht es: “Я же владею немецким языком.” = “Ich beherrsche ja die deutsche Sprache.” In dem ersten Satz des Paragraphen steht also in den beiden Übersetzungen das deutsche Wort “rot” in die Zielsprache – ins Ungarische bzw. ins Russische – übersetzt. Ohne auf weitere Unterschiede der beiden Übersetzungen einzugehen, soll hier nur eines hervorgehoben werden: Wenn wir im letzten Satz bei der “deutschen Sprache” bleiben, dann müssen wir auch im ersten weiterhin das Wort “rot” auf Deutsch stehen lassen[5]: Ich erkenne nämlich nicht deshalb, daß etwas “красный” [= rot] ist, weil ich Deutsch, sondern weil ich Russisch gelernt habe: weil ich gelernt habe, daß wir das und das “красный” nennen – ebenso, wie ich deshalb erkenne, daß etwas “piros” ist, weil ich Ungarisch, daß etwas “rouge” ist, weil ich Französisch, und daß etwas “rosso” ist, weil ich Italienisch gelernt habe. Sollte die eine von diesen Sprachen nicht ganz dieselben Farben mit dem Wort bezeichnen, dann hätte das zur Folge, daß die Farben einiger Gegenstände bei diesem Volk anders indentifiziert würden als bei den anderen. Insofern ist es also sogar berechtigt, daß Wittgenstein in diesem Satz im Zusammenhang mit dem deutschen Wort “rot” nur die deutschsprachige Kommunikationsgemeinschaft hat meinen können. Anstatt dieses Wortes hätte er aber ein beliebig anderes ebensogut schreiben können, mehr noch: auch eines in einer beliebigen anderen Sprache, nur dann hätte im letzten Satz nicht “Deutsch”, sondern “Ungarisch”, “Russisch”, “Französisch” etc. stehen müssen. Wie uns eben diese Möglichkeiten zeigen: der von Wittgenstein hingewiesene Zusammenhang betrifft nicht bloß die Charakteristika der deutschen Sprache, sondern will die Grenze der deutschen Sprachgemeinschaft überschreiten und auf eine Erfahrung hindeuten, die einem breiter aufgefaßten Wir gemeinsam ist.
Wie weit reicht nun dieses Wir, das durch eine gemeinsame Erfahrung miteinander verbunden ist? Soviel läßt sich schon aufgrund der vorigen Aufzählung der Sprachen sagen, daß außer den Erfahrungen einer einzigen Sprache, nämlich der Muttersprache auch weitere übliche Erfahrungen bezüglich der Sprache, der Kommunikation inbegriffen sind, und zwar möglicherweise Erfahrungen, die wir im normalen Kontakt mit anderen Nationen und Sprachen erworben haben. Wir haben noch nie ein Volk begegnet, das, ohne eine Sprache gehabt zu haben, die Welt kategorisiert hätte, auch keines, bei dem zwischen den Handlungen, Sprechhandlungen und sprachlichen Äußerungen kein regelmäßiger Zusammenhang bestanden hätte, und auch nicht eines, das nur seelenlose Sklaven als Bürger gezählt hätte. Diese Schlußfolgerung ist derjenigen ähnlich, auf die ich in einer früheren Abhandlung zur “gemeinsamen menschlichen Handlungsweise” gekommen bin, nämlich daß menschliche Sprache, menschliche Handlungsweise für Wittgenstein eine Sprache und eine Handlungsweise mit den Beschaffenheiten heißen, die wir im Laufe des gewöhnlichen Kontaktierens mit anderen Menschen, einschließlich der üblichen Kontakte mit anderen Völkern tagtäglich normalerweise erfahren. Solche Erfahrungen erwerben wir freilich zumeist in unserem eigenen Kulturkreis, mit Leuten aus den Nachbarnländern etc. – wir machen nur ausnahmsweise Ausflüge nach Kenia, um dort die religiösen Gebräuche zu studieren. Wenn Wittgenstein in PU 207 die Frage stellt: “Sollen wir sagen, diese Leute hätten eine Sprache; Befehle, Mitteilungen, u. s. w.?”, und darauf die Antwort gibt: “Zu dem, was wir ‘Sprache’ nennen, fehlt die Regelmäßigkeit”, dann versteht er unter “wir” offensichtlich nicht nur die Deutschen, sondern auch alle, mit denen wir gemeinsame Erfahrungen haben. Folglich meint er mit “Sprache” etwas, was von einer Gemeinschaft, die größer als eine Nation ist, “Sprache” genannt wird – und dabei kümmert er sich offenbar nicht darum, daß das Wort Sprache” in jeder Sprache ein anderes Äquivalent hat. (Vgl. Neumer 2010.)
5. Russisch und Ungarisch private Schmerzen haben
5.1. Private Schmerzen besitzen
Die Privatsprachenkritik hat freilich auch noch andere, weniger allgemeine Ebenen, und zwar im Hinblick auf den konkreten Gebrauch der Empfindungswörter. Diesbezüglich möchte ich mich nur mit zwei Momenten befassen: 1/ Mit Sätzen wie “Ich habe Schmerzen” weist man laut Wittgenstein “nicht auf eine Person, die die Schmerzen hat” (PU 404), schon deshalb nicht, weil es hier “von einem Subjekt, also auch vom Ich, nicht die Rede” ist. Aber auch nicht ”von einem ‘Haben’” (PU 398): Es geht hier nämlich weder um einen Besitzer, noch 2/ um einen Besitz. Unsere Empfindungen zählen nicht zu den Gegenständen, über die wir auf die Weise sprechen könnten wie etwa über ein Buch – auf das wir wie auf einen Gegenstand mit der Fingerspitze zeigen, über das wir als ausschließlicher Besitzer verfügen, das wir in einer dunklen Schublade vor den Anderen verstecken und ganz geheim, für uns alleine lesen könnten; von dem wir sogar das verheimlichen könnten, daß wir es überhaupt haben. Reden wir nach diesem Schema über unsere Empfindungen und meinen: wir könnten sie in unserem Inneren verschlossen, fern von fremden Blicken “privat” aufbewahren, dann lassen wir uns eben von gewissen Analogien unserer Sprache irreleiten. Wie ist das überhaupt möglich? So, daß wir bei der “Oberflächengrammatik”, “was sich uns am Gebrauch eines Worts unmittelbar einprägt”, stehen bleiben: bei der Sprache im engen Sinne, bei der Grammatik, wie sie in den Schulgrammatiken (etwa als Satzbau, Valenzsystem etc.) dargestellt wird; dabei, was “man mit den Ohren” unmittelbar “erfassen kann” – anstatt uns zu der Tiefengrammatik zuzuwenden. (PU 664)
Um die letztere zum Vorschein kommen zu lassen, wendet Wittgenstein verschiedene Methoden an. So will er uns einleuchtend machen, wie die Befolgung einer falschen Analogie zu absurden Konsequenzen führt; oder er bringt – wie in einigen Manuskripten noch vor den Philosophischen Untersuchungen – die irreführenden Ausdrücke nach dem Muster der Mathematik auf eine andere Form, sodaß ihre Tiefengrammatik sozusagen schon auf der Oberfläche sichtbar wird. Dem letzteren Prinzip zufolge sollte auch der gewohnte Satz “Ich habe Schmerzen” derart umformuliert werden, daß er an der Stelle des Subjekts nicht das “ich”, sondern das unpersönliche Pronomen “es” hat: “so hat es ja wirklich {keinen Sinn von ‘meinem Schmerz’ zu reden / keinen Sinn zu sagen ‘ich habe Schmerzen’}, sondern man würde dann etwa sagen: ‘es schmerzt jetzt’.” (MS 116: 153); oder derselbe Gedanke anders formuliert: “Ich kann mir eine Schmerzäußerung denken, in der der Klagende den Arm hebt und nach oben zeigt und sagt ‘es schmerzt ihn es schmerzt ihn!’.” (MS 158: 18r-18v) Diese Ausdrucksweise ließe sich auch in Bezug auf andere persönliche Erlebnisse anwenden:
Es wäre möglich, eine Sprache zu haben, in der “ich” aus Sätzen, die ein persönliches Erlebnis beschreiben, ausgespart wird. {Anstelle von “Ich denke” könnte man sagen “Es denkt” (wie “Es regnet”), und anstelle von “Ich habe Schmerzen”: “Es gibt Schmerzen”. Unter bestimmten Umständen könnte man sehr stark versucht sein, den einfachen Gebrauch von “ich” abzuschaffen. […]} (VL 172)
Unsere Frage ist nun, ob uns auch die ungarische bzw. russische Sprache auf dieselben Irrwege führt wie die deutsche? Inwieweit ist das von Wittgenstein skizzierte philosophische Dilemma in den ersteren Sprachen formuliert, bzw. für Sprecher, deren Denkweise durch diese Sprachen kondizioniert ist, nachvollziehbar? Inwieweit können die Ungarn und die Russen Wittgenstein auf dem Weg, den er als Ausweg vorschlägt, folgen?
Ich werde mich auf zwei Sätze konzentrieren, und zwar auf “Ich habe Schmerzen” und “Ich habe Bücher”. Meine Verfahrenrensweise wird die folgende sein: Ich werde vorerst mögliche ungarische bzw. russische Übersetzungen und Paraphrasen für die beiden angeben. Sodann werde ich probeweise in diese Sätze an die Stelle des einen Wortes (“Schmerzen” bzw. “Bücher”) auch noch das andere einfügen und für jede Version eine möglichst texttreue deutsche Übersetzung geben. Diese Sätze wollen keine grammatisch richtigen deutschen Sätze sein, sondern den unmittelbaren Sinn und gewissermaßen auch die Struktur der ungarischen und russischen Sätze für die darauf folgende Analyse in einer möglichst verstehbaren Form wiedergeben.
5.2. Ungarische Schmerzen
Nehmen wir zuerst die ungarischen Versionen von “Ich habe Schmerzen” und “Ich habe Bücher”. Die alltäglichste Übersetzung der beiden lautet wie folgt:
U1. (a) “Fájdalmaim vannak.“ (‘Schmerzen-[von mir] sind.’)
(b) “Könyveim vannak.“ (‘Bücher-[von mir] sind.’)
In einer ersten Annäherung scheinen diese Behauptungen etwas ähnliches zu vermitteln wie die deutschen Sätze “Es gibt meine Schmerzen/Bücher”. Und soviel ist schon daran, daß es hier nicht durch ein haben-Verb ausgedrückt wird, das man etwas im Besitz hat, wie es hingegen in den deutschen Sätzen “Ich habe…” der Fall ist. Um letzteres Moment hervorzuheben, gibt es freilich auch ungarische Verbe, sogar mehrere. Mit diesen würden die Sätze folgendermaßen lauten:
U2. (a) “Fájdalmakat birtokolok.“ (‘Besitze Schmerzen.’)
(b) “Könyveket birtokolok.“ (‘Besitze Bücher.’)
U3. (a) “Fájdalmakkal rendelkezem.“ (‘Verfüge über Schmerzen.’)
(b) “Könyvekkel rendelkezem.“ (‘Verfüge über Bücher.’)
Über diese drei Versionen läßt sich als erstes folgendes festhalten: Während die beiden Sätze unter U1 nicht nur sprachlich richtig, sondern sogar die alltäglichsten ungarischen Formulierungen dafür sind, daß jemand Schmerzen hat, bzw. einen Gegenstand besitzt, ist unter U2 und U3 jeweils nur (b) richtig. U2(a) und U3(a) sind Behauptungen, die keiner, der das Ungarische als Muttersprache beherrscht, in einer normalen Situation aussprechen würde: Obschon selbst Muttersprachler Fehler begehen können, gehören U2(a) und U3(a) nicht einmal zu den Fehlern, die einem unterlaufen kann. Was U2(b) und U3(b) betrifft: Es ist zwar nicht sprachwidrig, in diesem Zusammenhang die beiden Verben zu benutzen, diese kommen aber nur in bestimmten, eh spezifischen Kontexten vor; keines von den beiden zählt also zu dem alltäglichen Sprachgebrauch, noch weniger zur gesprochenen Umgangsprache. Sowohl an U2 als auch an U3 ist noch eine grammatische Eigenschaft des Ungarischen zu beobachten: Sie enthalten kein Personalpronomen “ich”, um das Subjekt des Satzes zu explizieren. Das ist nämlich als Folge der agglutinierenden Natur des Ungarischen gar nicht nötig: Das Subjekt wird schon im Personalsuffix der ersten Person Singular am Ende des Verbes “birtokolok”, “rendelkezem” unmißverständlich identifiziert.
Nun zurück zu U1(a): Das grammatische Subjekt des ungarischen Satzes ist im Gegensatz zu dem deutschen “Ich habe Schmerzen” nicht die Person, die die Schmerzen fühlt, sondern die Schmerzen selbst. Darüber hinaus kommt in ihm das Besitzverhältnis – zumindest aus der Perspektive von Sprachen wie der deutschen oder der englischen betrachtet – nicht nur deswegen weniger betont zum Vorschein, weil kein “haben” in ihm vorkommt, sondern auch deshalb, weil der Umstand, daß es um meine Schmerzen geht, nicht durch ein Possessivpronomen vor dem Wort ausgedrückt wird. Wieder von der agglutinierenden Natur des Ungarischen herrührend wird stattdessen ein kleines Personalsuffix an das Ende des Wortes angehängt: “fájdalmaim”. So legt die Oberflächengrammatik des Satzes etwas ähnliches nahe, was auch Wittgenstein hören möchte, und zwar daß es hier nicht auf das Ich, sondern auf die Schmerzen ankommt, die “es gibt”. Wenn wir dazu auch noch die Lehre von U2(a) und U3(a) hinzunehmen, nämlich daß das Ungarische auch keine anderen sprachlich richtigen Formulierungen für das Schmerzen-haben anbietet, in denen der Platz des grammatischen Subjekts von der Person eingenommen werden könnte, der die Schmerzen hat, so scheint es, daß man ungarisch denkend schwerlich auf den Irrweg gelangen kann, über private Schmerzen und deren Besitzer zu vernünfteln.
Ein sprachlicher Ausdruck bekommt seine Bedeutung immer im Verhältnis zu den anderen Möglichkeiten derselben Sprache. Am Beispiel von U1(b) haben wir gesehen, daß das Ungarische das Besitzen eines Gegenstandes auch mit derselben Struktur ausdrücken kann wie das Schmerzen-haben, noch mehr: das ist der alltäglichste Ausdruck für das Etwas-haben. Wollen wir also auf unserer vorigen Argumentation beharren, dann können wir nicht umhin zu behaupten, daß die Ungarn einen sehr unterentwickelten Sinn fürs Haben, Privateigentum etc. haben müssen (und so vielleicht auch kein Habgier haben können? etc.) – sie führen ja nur in spezifischen Fällen wie U2(b) und U3(b) den Besitzer als Subjekt des Satzes an, und selbst in diesen wird das Subjekt nicht selbständig durch ein Personalpronomen, sondern nur durch Personalsuffixe genannt. Diese Schlußfolgerung ist sicher absurd – sie widerspricht jeder Alltagserfahrung unter meinen Landsleuten.
Die ungarische Sprache verfügt auch über Ausdrucksmöglichkeiten, den Umstand, daß ich es bin und kein anderer, der etwas hat, zu betonen, und zwar eben dadurch, daß das Personalpronomen in den Satz eingefügt wird:
U2. (bb) Én birtokolom a könyveket. (‘Ich besitze die Bücher.’)
U3. (bb) Én rendelkezem a könyvekkel. (‘Ich verfüge über die Bücher.’)
(Auf weitere Unterschiede zwischen diesen und den früheren Formulierungen will ich hier nicht eingehen.)
U1 kann ebenfalls dahingehend ergänzt werden, daß dadurch auf die Person, die die Schmerzen bzw. die Bücher hat, nachdrücklich hingewiesen wird:
U1. (aa) Nekem vannak fájdalmaim. (‘Mir sind Schmerzen-[von mir].’)
(bb) Nekem vannak könyveim. (‘Mir sind Bücher-[von mir].’)
Solche Sätze kommen allerdings höchstens nur in Grammatiken vor. Im Sprachgebrauch brauchen sie eine Ergänzung, wie etwa:
U1. (aaa) Nekem fájdalmaim vannak, neked meg örömed. (‘Mir sind Schmerzen-[von mir], dir aber Freude-[von dir].’ = Ich habe Schmerzen, du aber Freude.)
(bbb) Nekem könyveim vannak, neked meg könyvespolcod – cseréljünk. (‘Mir sind Bücher-[von mir], dir hingegen Buchregale-[von dir] – tauschen wir. = Ich habe Bücher, du dafür Buchregale – lassen wir uns tauschen.)
Was den richtigen Sprachgebrauch bzw. die Umgangsprachlichkeit betrifft: U1(bbb) hört sich schon recht natürlich an; um für U1(aaa) eine geeignete Situation herauszufinden, braucht man hingegen etwas Phantasie – die Aufgabe läßt sich aber bewältigen. Mehr Problem bereitet schon der Umstand, daß U1(aaa) keine Äußerung eines Schmerzgefühls, sondern eine Mitteilung ist, während Wittgensteins Ausführungen auf die Schmerzäußerungen der ersten Person Singular Präsens gerichtet sind.
“Nekem” und “neked” sind sowohl in U1(aaa) wie auch in U1(bbb) Personalpronomen in Dativus possessivus[6]. Diese Verfahrensweise, um die Person hervorzuheben, läßt sich mit derjenigen in U2(bb) und U3(bb) in Parallele setzen: Sie hat also im ungarischen Sprachsystem (in einer Reihe der Ausdrucksmöglichkeiten, die Person mehr oder weniger hervorzuheben) ihren Platz – zu dem ähnlich, wie es auch im Deutschen dafür Ausdrucksmöglichkeiten gibt. Im Vergleich mit den anderen Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache betrachtet läßt sich also zumindest über U2(b) und U3(b) schwerlich behaupten, daß das Ich in ihnen verlorengehen würde. Wie steht es aber mit den U1-Sätzen? In diesen wird ja die Stelle des grammatischen Subjekts in allen Versionen von den Schmerzen bzw. von den Büchern, und nicht von dem Ich eingenommen.
Das Ich der Ungarn ist aber zu retten, und zwar durch die Distinktion zwischen dem grammatischen und dem logischen Subjekt. Die ungarische Sprache gehört nämlich zu jenen, in denen das grammatische und das logische Subjekt bei weitem nicht zusammenfallen muß.[7] In den Sätzen U1(a), (aa), (aaa) und U1(b), (bb) und (bbb) stehen zwar an der grammatischen Subjektstelle die “Schmerzen” bzw. die “Bücher”, sie spielen aber nicht die Rolle des logischen Subjekts. Das letztere ist das “ich”, das die Schmerzen fühlt bzw. die Bücher in seinem Besitz hat. Die analoge Oberflächengrammatik der Sätze U1(a) und U1(b), ihr ähnlicher Satzbau können also einen Ungar zwar nicht verführen, wenn er aber nur einen Schritt tiefer – wenn auch nicht bis zur “Tiefengrammatik” im Wittgensteinschen Sinne – geht, so kann er sich schon im Labyrinth der Sprache verlaufen.
Der Vollständigkeit halber füge ich zur Aufzählung noch eine Paraphrase für “Ich habe Schmerzen” hinzu:
U4. (a) “Fájdalmat érzek.“ (‘Fühle einen Schmerz.’)
(b) “Könyvet érzek.“ (‘Fühle ein Buch.’)
U4(a) ist ein ganz normaler Satz der Umgangsprache, man drückt aber mit der Redewendung “ich fühle x” (ähnlich wie auch im Deutschen) kein Besitzverhältnis aus: Für “x” kann in dieser Wortverbindung kein Gegenstand stehen, über den wir wie über unser Eigentum verfügen – so wenig nicht, daß U4(b) (in dem wenigstens ein Gegenstand vorkommt, den man besitzen könnte) von der Sprache im Normalfall nicht einmal erlaubt ist; er wäre höchstens im metaphorischen Sinn, etwa in Dichtungen vorstellbar). Wenn sich uns hier also irgendwelche Analogie einflüstert, dann könnte diese nur eine grammatische sein, die darauf basiert, daß wir auch da – wie auch beim Besitzverhältnis – Akkusativ zu gebrauchen pflegen. Würden sich die Ungarn von der Sprache auf diese Weise verführen lassen, so würde das freilich von ihrem außerordentlichen Abstraktionsvermögen zeugen.
Die ungarische Übersetzung der PU wendet in den meisten Fällen U1(a) an. Ab und zu macht sie aber auch von U4(a) (PU 288), darüber hinaus auch von U2(a) und U3(a) Gebrauch, die letzteren aber nich im Kontext der “Schmerzen”, sondern in demjenigen von “Empfindungen” (PU 261) und “Erlebnissen” (PU 272). In den beiden letzteren Stellen mokiert sich Wittgenstein über den unsinnigen Sprachgebrauch, in Bezug auf Empfindungen bzw. Erlebnisse von “besitzen” und “verfügen” zu reden – was diese Übersetzung auch berechtigt.
5.3. Russische Schmerzen[8]
Die Verfahrensweise der russischen Übersetzung unterscheidet sich von jener der ungarischen: Diese gibt die Wortverbindung “ich habe Schmerzen” auf unterschiedliche Weisen wieder, unter diesen mit den folgenden zwei Formulierungen am allerhäufigsten:
R1. Мне больно. (‘Mir [ist] schmerzhaft.’)
R2. (a) Я испытываю боль. (‘Ich erfahre Schmerz.’ / ‘Ich empfinde Schmerz.’ /‘Ich nehme einen Schmerz wahr.’)
(b) Я испытываю книгу. / (‘Ich erfahre ein Buch.’ / ‘Ich empfinde ein Buch.’ / ‘Ich nehme ein Buch wahr.’)
R1 stellt in der russischen Sprache den häufigsten und alltäglichsten Ausdruck dafür dar, daß man Schmerzen hat. Das Wort “больно” ist ein Umstandswort der Art und Weise; der Satz entbehrt das grammatische Subjekt und auf den ersten Blick auch das Prädikat. Letzteres rührt aber nur von der Gegenwartsform her. Sowohl in der Vergangenheits- als auch in der Zukunftsform würde schon ein Verb, und zwar “быть” (‘sein’) in der dritten Person Singular stehen: “мне было больно” (‘mir war schmerzhaft’), “мне будет больно” (‘mir wird schmerzhaft’). Die neutrale Endung der Vergangenheitsform im ersten Satz verrät uns sogar, daß wenn der Satz überhaupt ein grammatisches Subjekt hätte, dann wäre dies ein neutrales, unpersönliches Subjekt: ein “es”. Somit könnte die russische unter unseren drei Sprachen noch am ehesten Wittgenstein gerecht werden: Die alltägliche Schmerzäußerung stellt sich im Russischen am allerwenigstens von einer Person als Agent beherrscht dar. Es hat nicht nur kein grammatisches Subjekt, sondern wenn es eins haben könnte, so wäre dies ein neutrales “es”. Ein logisches Subjekt kann dennoch auch im Russischen, ähnlich wie im Ungarischen, ins Spiel kommen. Für das “logische Subjekt” führen russische Grammatiken meistens ein Lermontow-Zitat aus dem Gedicht “Выхожу один на дорогу…” (‘Ich gehe alleine auf den Weg hinaus…’) mit der Redewendung “мне больно” an: “Что же мне так больно и так трудно?” (Meine hervorhebung, K.N. – ‘Was ist mir denn so schmerzhaft und so schwierig?’).
Ein logisches Subjekt hätten wir also schon, aber leider nach wie vor kein Objekt, auf das das Subjekt wie auf einen Gegenstand zeigen und über das es als über sein Privateigentum verfügen könnte. Im Satz kommt nämlich kein Hauptwort vor, das einen Gegenstand bezeichnen könnte. Das war auch der Grund dafür, warum wir zu dem Satz kein Paar gefunden haben, in dem “Bücher” hätten vorkommen können.
Die Übersetzung R2(a) will offensichtlich an diesem Problem helfen: ohne einen geeigneten Gegenstand ist ja nicht klar, wie wir überhaupt auf die Idee gekommen sind, in unserem Inneren auf etwas zu zeigen. Die dritte russische Lösung folgt ebenfalls diesem Schema:
R3. (a) Я ощущаю боль. (‘Ich empfinde/spüre Schmerz.’)
(b) Я ощущаю книгу. (‘Ich empfinde/spüre ein Buch.’)
Vorerst soll bemerkt werden, daß wenn wir schon nach einer Lösung dieser grammatischen Struktur trachten, so würde für R3(a) die folgende viel natürlicher, umgangsprachlicher klingen:
R4. (a) Я чувствую боль. (‘Ich fühle Schmerz.’)
(b) Я чувствую книгу. (‘Ich fühle ein Buch.’)
Die russische Übersetzerin hat möglicherweise diese Lösung deshalb nicht gewählt, weil sie nach einer gesucht hat, in der die Schmerzempfindung als weniger subjektiv erscheint. R2(a) und R3(a) könnten schon diesem Anspruch soweit gerecht werden, daß sie – aufgrund einer gründlichen Internetrecherche, die ich durchgeführt habe – in erster Linie in der Besprechung von gesundheitlichen Problemen, wenn man nach medizinischen Ratschlägen sucht, benutzt werden. Die Redewendung kommt öfters mit einer Ergänzung, wo ganz genau man den Schmerz fühlt, vor. So legen die beiden Ausdrücke mehr Sachlichkeit nahe als R4(a). Darüber hinaus tauchen die beiden in Kontexten auf, wo man über seine Schmerzen etwas umständlicher, “erhabener”, manirierter reden möchte (sie kommen häufig in der Besprechung der Probleme im Sexualleben vor), oder aber ich Fachtexten, bei der Darstellung einer wissenschaftlicher Frage (z.B. ob die Fische Schmerzen fühlen). Das Verb “ощущать“ in R3 kann den philosophisch informierten Leser auch noch an Ernst Mach erinnern, dessen Die Analyse der Empfindungen schon seit 1908 in Russisch zu lesen gewesen ist. Das Wort “Empfindung“ wurde ins Russische mit dem Substantiv “ощущение“ – das vom Verb “ощущать“ herzuleiten ist – übertragen. Auf eine Mach-Konnotation können die Russen eigentlich auch ohne eine gründliche philosophische Ausbildung assoziieren, nachdem sie generationenlang die Möglichkeit gehabt haben, Machs Ideen durch die Mach-Kritik von Lenins zum ersten Mal ebenfalls 1908 erschienenem Materialismus und Empiriokritizismus kennenzulernen – auch wenn nicht unbedingt unmittelbar aus Lenins Buch, sondern durch die Teilnahme an den obligatorischen Marxismus-Leninismus Kursen. Auf der anderen Seite kommen die Verben von R2(a) und R3(a) in Texten vor, die von Gefühlen geladen sind, so etwa in solchen, die über ein mystisches Erlebnis berichten, darüber hinaus in Dichtungen, in sentimentalen Prosastücken und Schlagern, aber sogar auch in harten Tracks der Rapmusik.[9]
Wie dem auch sei, R2(a) und R3(a) entfernen sich von der Alltäglichkeit des deutschen “Ich habe Schmerzen“, und es läßt sich von ihnen ebenfalls nicht behaupten, daß sie als spontane Äußerungen eines Schmerzes gebräuchlich wären. Darüber hinaus haben wir hier dieselbe Schwierigkeit wie bei U4(b): Die Objektstelle kann nicht von einem Gegenstand, den wir besitzen könnten, eingenommen werden. Dasselbe gilt für R4(a). R2(b) und R3(b) – ähnlich wie früher U4(b) – kann man sich in umgansprachlichen Redewendugen schwerlich vorstellen, zu ihnen lassen sich höchstens philosophische oder metaphorische Kontexte, zu R4(b) nur noch die letzteren kreieren. So können sich auch die Russen nur von grammatischen Analogien irreführen lassen (etwa durch die Analogie mit dem Ausdruck “я имею книгу” [‘ich besitze ein Buch’] – s. später unter R8).
Man kann auf Russisch Schmerzen auch zu dem Analog haben, wie man etwas besitzt. Die russische Übersetzung der PU macht auch von dieser Möglichkeit Gebrauch:
R5. (a1) У меня [была] боль. (‘Bei mir [war] Schmerz.’)
(b1) У меня [была] книга. (‘Bei mir [war] ein Buch.’)
(a2) У меня никакой боли нет. (Vergangenheistform: “У меня не было никакой боли.” (‘Bei mir sind/waren gar keine Schmerzen.’)
(b2) У меня никакой книги нет. (Vergangenheitsform: “У меня не было никакой книги.” (‘Bei mir sind/waren gar keine Bücher.’)
All diese Wortverbindungen haben den Vorteil, daß sie umgangsprachlich sind. Im täglichen Umgang fügt man allerdings zu R5(a1) meistens hinzu, wo – etwa im Fuß oder im Rücken – man den Schmerz fühlt, und so bedeutet es ungefähr: “Mein Fuß / mein Rücken etc. tut mir weh.” Anstatt R5(a2) wäre die Formulierung “У меня ничего не болит” (‘Bei mir weht nichts.’) gebräuchlicher (diese entbehrt aber leider das Substantiv “Schmerz”). Dafür haben sowohl R5(a1) als auch R5(a2) in R5(b1) und in R5(b2) die Parallelfälle, in denen man das Besitzen von Gegenständen auf Russisch einwandfrei auszudrücken vermag. Die Person, die die Schmerzen oder die Bücher hat, steht leider in keinem von den vier Sätzen an der Stelle des grammatischen Subjekts. Letztere wird von den Schmerzen bzw. den besitzten Gegenständen besetzt, und für die Person bleibt nur noch die Position des logischen Subjekts. Diese russische Lösung läßt sich also mit den ungarischen U1(a) und U1(b) vergleichen, die zumindest auf der Ebene der Oberflächengrammatik ebenfalls als neutral, sozusagen als unpersönlich erschienen sind.
Den Russen, ähnlich wie den Ungarn, stehen freilich auch Ausdrucksmöglichkeiten für die Possession zur Verfügung, in denen der Besitzer als grammatisches Subjekt des Satzes auftritt:
R6. (a) Я обладаю болью. (‘Ich verfüge über einen Schmerz.’)
(b) Я обладаю книгой. (‘Ich verfüge über ein Buch.’)
R7. (a) Я владею болю. (‘Ich besitze einen Schmerz.’)
(b) Я владею книгой. (‘Ich besitze ein Buch.’)
R8. (a) Я имею боль. (‘Ich habe einen Schmerz.’)
(b) Я имею книгу. (‘Ich habe ein Buch.’)
Bedauerlicherweise haben alle drei Verben den Schönheitsfehler, daß sie nicht so sehr zu der gesprochenen Alltagssprache als vielmehr zu der Schriftsprache gehören. Darüber hinaus lassen sich weder das Zeitwort in R6 noch jenes in R7 auf Schmerzen beziehen. Es bereitet dann wohl schon weniger Sorgen, daß die beiden als Rektion das Genitiv haben, d.h., der Gegenstand, den man besitzt bzw. über den man verfügt, steht nicht in Akkusativ. Dafür hat R8 das Substantiv sehr brav in Akkusativ, noch mehr: das Verb “иметь” kann auch mit Schmerzen verkuppelt werden, nur eben meistens derart, daß man auch den Ort, d.h. den Körperteil nennt, wo man die Schmerzen spürt. R8(a) wird leider auch nicht gerade häufig benutzt: es kommt – ähnlich wie R2(a) und R3(a) – meistens bei Besprechung von Gesundheitsproblemen vor. R6(a) und R7(a) sind in dem Maße ungebräuchlich, daß mit ihnen die russische Übersetzung nicht einmal einen Versuch macht (im Gegensatz zu der ungarischen, die sich, wenn auch begrenzt, aber trotzdem mit den ungarischen Analoga hat bedienen können). In den russischen PU kommt das Verb von R8 nur einmal vor, und selbst dort im Zusammenhang mit “Empfundungen” und nicht mit “Schmerzen” (PU 272).
Der Ordnung halber füge ich noch zu der Liste eine letzte Übersetzung hinzu, die mal in den russischen PU in der Tat auftaucht:
R9. “У меня что-то болит.“ (‘Bei mir weht etwas.’)
Der Satz ist umgangsprachlich, hat aber wieder nicht die Schmerzen fühlende Person, sondern ein “etwas”, was ihm weh tut, als grammatisches Subjekt. In dieser Konstruktion wird also genannt, häufig sogar auch ganz konkret, was einem weh tut, ähnlich wie in den entsprechenden deutschen Wendungen: “Es tut mir weh” oder “Mein Kopf tut mir weh”. Für die Person bleibt nur noch die Rolle des logischen Subjekts offen.
Die Ausdrucksmöglichkeiten der Schmerzen durchgelaufen kommen wir also zu einem traurigen Schluß: Es steht um eine Privatsprache auf Russisch noch schlimmer als auf Ungarisch. Ihre Sprache will nicht die Russen irreführen, und wenn schon, so müssen sie etwas tiefer unter die pure Grammatik, unter die Oberfläche graben als die Deutschen und auch sogar tiefer als die Ungarn.
6. Konklusion (Ausweg)
Diesen traurigen Schicksal müssen die Ungarn und die Russen auch noch mit anderen Nationen teilen. Die Linguisten unterscheiden nämlich im Hinblick auf die Ausdrucksformen der Besitzrelation mittels eines Prädikats zwischen den haben- und den sein-Sprachen (Isačenko 1974). Zu den letzteren gehören u.a. die finnisch-ugrischen und ein Teil der slawischen Sprachen. Mehr noch: “Ein explizites ‘haben’ Verb ist […] eher selten in den Sprachen der Welt. Statt dessen werden eine Reihe unterschiedlicher Konstruktionen verwendet […]. der prädikative Ausdruck von Possession [kann] auf eine begrenzte Menge kognitiven Schemata zurückgeführt werden […]: (a) Aktion: X nimmt Y, (b) Lokation: Y ist lokalisiert bei X, (c) Begleitung: X ist mit Y usw.” Dabei ist es nicht ungewöhnlich, daß “haben” mit einem Existenzprädikat ausgedrückt wird. Bei dem Typ (a) – unter den auch die deutsche Wendung “Ich habe x” fällt[10] – ist die “Prädikationsbasis” der aktive “Possessor, der typischerweise [+belebt] ist”. Bei dem Typ (b) steht der Possessor im Dativ oder in einem Lokalkasus, wie etwa im Hebräischen (‘Le-yóav hayú harbé’ = ‘zu-Yoav waren viele Freunde’) (Serzisko 2004: 1091-1092) – und auch im obigen russischen Beispiel R5(b) und im ungarischen U1(b). Zu dem parallel wird freilich auch der Inhalt “Schmerzen haben” in vielen Sprachen nicht mit einer haben-Konstruktion ausgedrückt, und unter diesen auch mit solchen, in denen die Subjektstelle von einem Lebewesen und die Objektstelle von den Schmerzen besetzt wird. (Vgl. z.B. Löbner 2003: 235-239) Wären also wirklich die Analogien der Oberflächengrammatik diejenigen, die einen in die Sackgasse der Privatsprachenkonzeption treiben, so wäre ein Teil der Nationen außer Gefahr.
Auf der anderen Seite ist es aber bei weitem nicht selbstverständlich, daß der deutsche Satz “Ich habe Schmerzen” durch die Analogie mit Sätzen wie “Ich habe Bücher” irreführend wird. Warum ausgerechnet diese Analogie sollte hier wirksam sein? “Die haben-Konstruktion kann im Deutschen für ein weites Spektrum abstrakter Beziehungen der Zugehörigkeit verwendet werden, darunter ist der Besitz nur eine. Personen ‘haben’ einen Namen, ein Alter, einen Beruf, Wörter ‘haben’ eine Form, eine Aussprache, eine Bedeutung oder einen Ursprung, das Badewasser ‘hat’ eine Temperatur.” (Löbner 2003: 235) Mit Sätzen “Er hat einen neuen Hut an”, “Er hat Verstand”, “Ich habe die Ehre”, “Ich habe Fieber”, “Ich habe den Auftrag…”, “Wir haben Gäste” drückt man kein Besitzverhältnis aus. Mit “Der Wirt hatte einen Bleistift in der Hand” behauptet man nicht, daß der Wirt der Besitzer des Bleistifts wäre. (Schlachter 1974: 511-515) “Ich habe das Auto” heißt nichts mehr als “Das Auto befindet sich bei mir”. Das “haben” hat auch “den Bedeutungsinhalt des augenblicklichen Sich-Befindens-von-etwas-bei-jemand”. (Harweg 1968: 289-291) Mit ihm kann weiterhin eine “Befindlichkeit”, eine “Seinsweise” ausgedrückt werden, wie mit “Hunger, Glück haben” (Schlachter 1974: 511) – und freilich auch mit “Schmerzen haben”. Unter den vielen möglichen Gebrauchsweisen überwiegen aber statistisch bei weitem die Fälle, in denen “haben” als Hilfsverb – und das heißt: ohne einen bestimmten semantischen Inhalt – benutzt wird. (Schlachter 1968: 408) “Haben” ist also weitgehend polysemantisch. “Wir müssen somit sagen, daß die Annahme, das Deutsche habe” – etwa im Gegensatz zu dem Ungarischen – “ein eigenes, d. h. spezifisches Wort für den Begriff ‘haben’, nicht haltbar ist” (Harweg 1968: 289).
Vor diesem Hintergrund erscheinen die sein-Verben in U1 und R6 schon als weniger eigenartig. Das Verb “ist/sein” (HU ‘van/lenni’, RU ‘есть/быть’ ) ist nämlich auch im Ungarischen bzw. im Russischen – zu dem deutschen “haben” ähnlich – polysemantisch: Es kann u.a. als Existenzverb, als Kopula, als Hilfsverb und auch als Besitzverb[11] auftreten. Was das letztere betrifft: das Verb kann auch im Russischen und im Ungarischen recht trügerisch sein, und trotz der mit dem Besitzsatz analogen Konstruktion dennoch kein Besitzverhältnis bezeichnen. Da ich die Geduld des deutschen Lesers nicht überstrapazieren möchte, führe ich nur einige Beispiele, für die sich leicht deutsche Äquivalente finden lassen, an:
У меня насморк. – Náthás vagyok. – Ich habe Schnupfen.
У Маши аллергия. – Marinak allergiája van. – Mascha hat eine Allergie.
Сегодня у меня урок. – Ma órám van. – Heute habe ich Unterricht.
У него вечером были гости. – Este vendégei voltak. – Er hatte Gäste am Abend.
У них была интересная поездка. – Érdekes útjuk volt. – Sie hatten eine interessante Reise.
У вас будет праздник. – Ünnepségetek lesz. – Ihr werdet ein Fest haben.
Bis auf das erste Beispiel sind die Sätze in allen drei Sprachen zu einander parallel: Sie “geben sich aus” als ob es um einen Besitz gehen würde, das ist aber trotzdem nicht der Fall. Nur im ersten Beispiel erweist sich das Ungarische “klüger” als die beiden anderen Sprachen: Es spricht nicht darüber, daß einer Schupfen hat, sondern daß einer “schnupfrig” ist, wodurch es gleich verrät, daß es sich um den Gesundheitszustand von jemand handelt. Die Struktur der russischen und ungarischen Sätze entspricht jeweils jener unter U1 und R5: In allen Sätzen unterscheidet sich das grammatische Subjekt von dem logischen und spielt das eigentliche Objekt die Rolle des grammatischen Subjekts. Oben haben wir festgestellt, daß die Ungarn und die Russen etwas tiefer unter die Oberflächengrammatik gehen müssen, um von ihrer Sprache verführt zu werden, mehr noch: um das Problem der Privatsprache überhaupt wahrzunehmen. Dazu kommt als zweites Hindernis dasselbe wie oben bezüglich der deutschen Sprache: Nachdem sich die russischen und ungarischen Verben ebenso polysemantisch erwiesen haben, wie das deutsche haben-Verb, so erhebt sich die Frage, warum ausgerechnet die Besitz-Analogie auf die Ungarn und die Russen wirken sollte, und wenn schon diese wirksam wird, was könnte dann der Grund dafür sein.
Ob wegen der Analogien, ob aus anderen Gründen, soviel läßt sich festlegen, daß sowohl das Konzept einer Privatsprache als auch die Wittgensteinsche Kritik darüber nicht nur von den Deutschen, sondern auch von Bürgern anderer Sprachgemeinschaften durchaus rezipiert worden ist: Das Wittgensteinsche Privatspracheargument gehört ja zu den meistbesprochenen Themen nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Wittgenstein-Literatur. Ob man mit ihm einverstanden ist, gehört auf ein anderes Blatt – die Diskussionen zeigen jedenfalls, daß es um ein lebendiges Problem geht. Letzteres gilt auch außerhalb der Philosophie. Blättert man etwa in ungarischen Literaturkritiken, Essays und Abhandlungen zur Literaturgeschichte, so stößt man immer wieder auf den Ausdruck “Privatsprache”. Wittgenstein und seine Privatsprachenkritik wurden von dem ungarischen Geistesleben zweifellos interiorisiert, sogar bis zum Gemeinplatz zu werden. Um das Problem selbst wahrzuhaben, ist es freilich nicht obligatorisch, es mit Wittgensteins Namen in Zusammenhang zu bringen. In russischen Internetseiten stöbernd bin ich auf ein Zitat (leider ohne Quellenangabe), mal der Zarin Katharina der Großen, mal ihrem General Suworow zugeschrieben, gestolpert. In diesem geht es zwar um das Gewissen, könnte man trotzdem kaum eine bessere Formulierung für das Konzept des Inneren des Menschen als eines isolierten, sprachlosen Privatraumes finden: “Das Gewissen ist eine Kerze – eine innere, abgeschlossene, die ausschließlich den Menschen selbst beleuchtet und zu ihm in einer stillen, tonlosen Stimme redet; sie bringt die Seele, indem sie zart berührt, zu Gefühlen, und dadurch, daß sie dem Menschen überall folgt, erbarmt sich seiner in keinem Fall.”[12] Das Zitat kommt in zahlreichen Aphorismensammlungen, aber auch in Blogs und Forums, sogar in Werbebroschüren von Firmen vor. Es ist also Teil des Alltagslebens geworden – keine schlechte Leistung für eine Sprache, die für private Schmerzen kaum einen Raum offen läßt.
Worauf läßt sich dann das Konzept einer privaten Sprache, des Inneren als abgeschlossenen privaten Raumes, der nur dem Individuum selbst zugänglich ist, zurückführen? Das Konzept des in diesem Sinne genommenen Inneren gab es bekanntlich nicht immer, sondern erst als Resultat einer aus vielen (geschichtlichen, soziologischen, geistigen, kulturellen, psychologischen, kommunikationstechnologischen etc.) Komponenten zusammengesetzten vielschichtigen historischen Entwicklung – einer Entwicklung, in der sich das Einzelne von der Gemeinschaft losgelöst hat und das bürgerliche Individuum entstanden ist. Wenn man also unabhängig von der unmittelbar wahrnehmbaren Struktur der jeweiligen Muttersprache geneigt ist, das Privatsprachenargument als wahres oder zumindest diskutables philosophisches Problem anzuerkennen, dann wohl aus dem Grund, daß man an einer Gesellschaft, einer Lebensform und Kultur teil hat, in der der Individualität, dem Individuum, das ein inneres mentales Leben lebt, eine Rolle zugeschrieben wird. Kommt es aber an die Lebensform und Kultur an, dann ist eben nicht die Oberflächenstruktur der Sprache schuld daran, daß man sich im Labyrinth der Sprache verläuft, sondern vielmehr die Tiefengrammatik im Wittgensteinschen Sinne.
Auf welcher Grundlage könnte man sich dann aber von der Privatsprache retten? Wittgenstein hat seine Gedanken als unzeitgemäß betrachtet, die in eine frühere Epoche gehörten und deshalb nur von wenigen verstanden werden könnten. In dem oben dargelegten Zusammenhang könnte dies heißen, daß diese Epoche eine noch vor dem Enstehen des Individuums mit einem privaten Inneren wäre. Das mag als privates Bekenntnis eines Autors am Platz sein, nicht aber als konzeptuelle Lösung des Problems: Die philosophische Therapie wirkt ja u.a. dadurch einleuchtend, daß sie auf die gemeinsamen Erfahrungen eines Wir apelliert. Laut Wittgenstein ist aber eben diese zwischen ihm und seinen Lesern verlorengegangen. Eine bessere Lösung wäre zu sagen, selbst die moderne, individuumzentrische Lebensform müsse zur Grundlage eine gemeinschaftliche, von öffentlichen Regeln organisierte Basis haben, sonst würde sie zerfallen, könnten die Sprachspiele gar nicht funktionieren. Somit wäre die Privatsprachenkritik darauf zugespitzt, daß die Sprachspiele nach dem Modell der Privatsprache nicht funktionieren könnten: Die Behauptung einer Privatsprache zieht absurde Folgerungen nach sich – das soll dem Leser einleuchten. Die vorhin hingewiesene Basis der Sprachspiele wäre dann als eine “noch tiefere” Tiefengrammatik auszulegen, die nicht nur als eine sprachüberschreitende gemeinsame Grundlage der Sprachspiele, wie unter Punkt 4 dargelegt, sondern auch als eine epochenüberschreitende dienen könnte. Eine ausführliche Analyse zum Thema, was unter “epochenüberschreitend” zu verstehen wäre, sprengt leider den Rahmen dieses Aufsatzes. Soviel soll jedenfalls bemerkt werden, daß eine historische Perspektive eine “zeitliche” Untersuchung nach sich ziehenn würde. Das ließe sich aber mit Wittgensteins Anliegen, unter philosophischen Untersuchungen grammatische, und dies heißt, unzeitliche Betrachtungen zu verstehen, nicht einfach – obschon vielleicht nicht ganz unmöglich – vereinbaren. So wäre es wohl besser, in der Richtung “unzeitlich” nach einer geeigneten Bedeutung für das Wort suchen.
Zum Schluß noch eine kurze Bemerkung zum Thema Übersetzung in einer mehrsprachigen Welt machen. Eingangs habe ich eine Wechselbeziehung zwischen dem Original- und dem übersetzten Text beschrieben, die aber höchstens nur mit Bedenken auf Wittgenstein übertragbar wäre. Auf Grund des vorhin Gesagten ist aber Wittgensteins Argumentation nicht so sehr an die Formulierungsmöglichkeiten der jeweiligen Sprache gebunden, als an die Lebensform, in der sie ihren Platz haben. Ein Vergleich der sprachlichen Formulierungen in verschiedenen Sprachen kann dennoch auf Wittgensteins Leser einleuchtend wirken. Liest jemand mit dem Hintergrund einer sein-Sprache die deutsche Privatsprachenkritik mit den haben-Konstruktionen, so wird er sozusagen unmittelbar von der Oberflächengrammatik den Kern der Privatsprachenkonzeption ablesen können, nämlich daß man einem Subjekt unsinnigerweise einen Schmerz als ob sein Privateigentum zuschreibt. Durch die Vermittlung der Originalsprache wird dem Leser also möglicherweise leichter einleuchten, woran es Wittgenstein bei seiner Kritik an einer Privatsprache ankommt. Daher kann das eingangs beschriebene Pendeln zwischen Ausgangs- und Zielsprache der Übersetzung selbst in Wittgensteins Fall nicht so sehr die einleuchtende Kraft seiner Argumentation nehmen, sondern wenigstens ab und zu eben umgekehrt.
a/ Philosophische Untersuchungen
ai/ Deutsche Originalversion:
Philosophische Untersuchungen / Philosophical Investigations. Revised 4th edition by P. M. S. Hacker and Joachim Schulte. Wiley-Blackwell 2009 = PU
aii/ Ungarische Übersetzung:
Filozófiai vizsgálódások. Übers. v. Katalin Neumer. Budapest: Atlantisz 1992, 1998.
aiii/ Russische Übersetzung:
Filosofskije issledowanija. In: Wittgenstein, Ludwig, Filosofskije raboty. Moskau: Gnosis 1994, Bd. 1, 75-320. Übers. von M. S. Koslowa und J. A. Asejew.
b/ Vorlesungen 1930-1935. Frankfurt: Suhrkamp 1984 = VL
c/ Wittgenstein’s Nachlass: The Bergen Electronic Edition, Oxford: Oxford University Press 2000. – BEE
Ich zitiere zwar die “normalisierte” Version der BEE, ergänze sie aber aufgrund der Faksimileaufnahmen der BEE mit allen Textvarianten, die Wittgenstein nicht gestrichen, sondern stehen gelassen hat. Textvarianten werden in geschwungenen Klammern {…/…} und Unterstreichungen in Kursivschrift wiedergegeben. In den angeführten Zitaten verwendet Wittgenstein keine von seinen anderen üblichen Hervorhebungsarten.
É. Kiss, Katalin 2002. The Syntax of Hungarian. Cambridge: Cambridge University Press.
Harweg, Roland 1968. “Besitzanzeigendes ‘haben’ und die Doppeldeutigkeit der nominalen Personalsuffixe im Ungarischen“. Acta Linguistica Academiae Scientiarum Hungaricae, 18 (3-4), 287-307.
Isačenko, Alexander V. 1974. “On have and be languages: a typological sketch”. In: Flier, Michael, ed., Slavic Forum: Essays in Linguistics and Literature. The Hague/Paris: Mouton, 43-77.
Jakobson, Roman 1979. “Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen“. In: ders., Aufsätze zur Linguistik und Poetik. Frankfurt/M, Berlin, Wien: Ullstein, 117-141. (Erstauflage des Aufsatzes: 1956)
Löbner, Sebastian 2003. Semantik. Eine Einführung. Berlin/New York: Walter de Gruyter.
Neumer, Katalin 1987. “Sprachspiel und Tradition”. Semiotische Berichte, 3-4/1987, 299-339. – Doxa, Bd. 13, 39-79. (gemeinsames Heft)
Neumer, Katalin 2010. “´Die gemeinsame menschliche Handlungsweise´ in Wittgensteins Nachlass”. Wittgenstein Studien. Internationales Jahrbuch für Wittgenstein-Forschung. Berlin: Walter de Gruyter. Bd. 1, 2010, 71-120.
Schlachter, Wolfgang 1968. “Subjektivität und Energie in der ‘haben’-Konstruktion der finnisch-ugrischen Sprachen“. In: ders., Arbeiten zur strukturbezogenen Grammatik auf der Grundlage finnisch-ugrischen und indogermanischen Materials. Hg. v. Björn Collinder, Hans Fromm und Gerhard Ganschow. München: Wilhelm Fink, 405-443.
Schlachter, Wolfgang 1974. “Die ungarische und die deutsche habeo-Konstruktion“. Nyelvtudományi értekezések, 83: 508-515.
Serzisko, Fritz 2004. “Possession”. In: Booij, Geert E./Lehmann, Christian / Mudgan, Joachim (Hg.), Morphologie. Ein Internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung. Berlin: de Gruyter, Bd. 2, 1091-1103.
Smith, Barry 1991a. “Textual Deference”. American Philosophical Quarterly, 28: 1, 1-13.
Smith, Barry 1991b. “German Philosophy: Language and Style”. Topoi, 10: 155-161.
Smith, Barry 1992. “Zur Nichtübersetzbarkeit der deutschen Philosophie”. In: Papenfuss, Dietrich / Pöggeler, Otto, Zur philosophischen Aktualität Heideggers. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, Bd. 3, 125-147.
Smith, Barry 1993. “Über die Grenzen der Übersetztbarkeit: Eine philosophische Fallstudie”. In: Frank, Armin Paul et al. (Hg.), Übersetzen, verstehen, Brücken bauen: Geisteswissenschaftliches und literarisches Übersetzen im internationalen Kulturaustausch. Berlin: Erich Schmidt, Bd. 2, 295-301.
Sokuler, Sinaida Alexandrowna 1995. “Wittgenstein und die Wittgenstein-Forschung in Rußland“. Wittgenstein-Studies, 2/1995, 19-2-95.TXT (ISSN: 0943-5727) Online: http://sammelpunkt.philo.at:8080/465/1/19-2-95.TXT
Szabolcsi, Anna 1992. A birtokos szerkezet és az egzisztenciális mondat [Die Besitzkonstruktion und der Existenzsatz]. Budapest: Akadémiai Kiadó.
Szabolcsi, Anna 1994. “The Noun Phrase”. In: Kiefer, Ferenc, É. Kiss, Katalin (eds.), The Syntactic Structure of Hungarian. (= Syntax and Semantics 27) New York: Academic Press, 179-275.
Ulrich, Miorita 1997. Die Sprache als Sache: Primärsprache, Metasprache, Übersetzung : Untersuchungen zum Übersetzen und zur Übersetzbarkeit anhand von deutschen, englischen und vor allem romanischen Materialen. Tübingen: Gunter Narr Verlag. (= Romanica Monacensia 49)
[1] Ich werde den Ausdruck “Metasprache” etwas salopp verwenden, zu dem ähnlich wie es Roman Jakobson – zwar von der Carnapschen Distinktion “Metasprache-Objektsprache” ausgegangen – getan hat: Ich werde darunter nicht mehr verstehen, als daß man Redewendungen und andere Äußerungen einer Sprache in derselben oder in einer anderen Sprache mit Hilfe von Synonymen, Paraphrasen, Umschreibungen, Ergänzungen, Auslegungen, Erklärungen usw. – indem man “das fragliche Zeichen durch ein anderes Zeichen oder durch eine ganze Gruppe von Zeichen […] ersetzt” – leichter zugänglich, besser verständlich macht. (Jakobson: 1979: 126) Eine Metasprache in diesem Sinne ist eher nur “ein Sprechen über Sprache, das, was man ‘Metakommunikation’ nennen könnte” (Ulrich 1997: 314).
[2] Das ist freilich komplizierter, wozu ich hier nur zwei Momente erwähnen möchte. In einer ersten Annäherung erscheint es als selbstverständlich, daß man Vers in Vers und Prosa in Prosa übersetzt. In der Tat gibt es allerdings reichlich Gegenbeispiele, wenn Vers in Prosa übersetzt werden – man könnte also formulieren, daß man dabei das Sprachspiel wechselt. Auf der anderen Seite ist die Sprache der Interpretation, der Genre der metasprachlichen Erklärungen und Diskussionen ebenfalls keine Selbstverständlichkeit. Unter den ungarischen Literaturhistorikern und -theoretikern wird jedenfalls immer wieder lebendig diskutiert, in welcher Sprache man über literarische Werke adäquater sprechen sollte: in der Sprache der Abhandlung, oder aber in einer essaystischen Sprache, die derjenigen der Literatur näher steht und in der z.B. Erlebnisse bzw. das ästhetische Erlebnis möglicherweise leichter zu vermitteln ist.
[3] Damit möchte ich das hermeneutische Prinzip nicht bestreiten, daß eine “Verschmelzung der Erwartungshorizonte” auch im Fall der philosophischen Texte geschieht. Die philosophische Diskussion wird aber unmittelbar nicht dadurch reguliert. Wenden wir uns zu einer philosophischen Argumentation hin, so ist nicht das unser Anliegen: Wir wollen nicht unsere Argumente, sondern jene des Anderen diskutieren.
[4] In einer frühen Arbeit habe ich mich mit dieser Frage – die ich heute noch für wesentlich halte, obschon ich sie seitdem eigentlich ignoriert habe – auseinandergesetzt. (Neumer 1987)
[5] Mit meiner gelegentlichen Kritik an der russischen Übersetzung will ich freilich nicht die positive Rolle der Übersetzerin, Maria S. Koslowa in der russischen Wittgenstein-Forschung in Frage ziehen. (Vgl. Sokuler 1995.)
[6] Ich benutze den Termin “Dativus possessivus” nur, um mich dem deutschen Leser verständlich zu machen. Die Frage also, ob dieser Termin für das Ungarische überhaupt einen Sinn hat, lasse ich beiseite.
[7] Vgl. É. Kiss 2002: 8-26. É. Kiss legt hier auch einen weiteren Zusammenhang dar: Sie zergliedert den ungarischen Satz auf zwei Einheiten: “topic” und “predicat”, und argumentiert dafür, daß die “topic” im Ungarischen – ungleich als im Englischen – nicht den Platz des grammatischen Subjekts einnehmen muß, sondern sie kann in jeder grammatischen Funktion stehen.
[8] Ich bedanke mich bei Erzsébet Vári für Auskünfte bezüglich der umgangsprachlichen Benutzung einiger russischen Ausdrücke.
[9] So schreibt z.B. ein verliebtes Bloggermädchen: “Я ощущаю его боль, чувствую что ему плохо.” (‘Ich spüre seinen Schmerz, ich fühle, daß es ihm schlecht geht.’). Damit liefert es gleich ein schönes Beispiel dafür, daß man die Schmerzen eines Anderen durchaus fühlen kann, und daher erweist sich eine Privatsprachekonzeption für jemanden, der verliebt ist, als unhaltbare, graue Theorie. Oder in dem Popsong “Без тебя” (‘Ohne dich’) von Olga Ashasha: “Больше я не заплачу,/ Не ощущаю боль.” (‘Ich weine nicht mehr, / fühle keinen Schmerz.’) (http://www.realmusic.ru/songs/90737/); oder aber im bitter-arroganten Lied “Боль” (‘Fájdalom’) des Rapbands T1One: “Я имею мощь, но испытываю боль.” (‘Ich habe Macht, empfinde aber Schmerz.’) (http://www.youtube.com/watch?v=4A9Fjz8hUpw).
[10] “Possessive Prädikate sind z. B. dt. haben/gehören […]. Diese Verben gehen in aller Regel auf ein aktives, transitives Verb zurück (‘erfassen’, ‘halten’) […]. (Serzisko 2004: 1091).
[11] Ich möchte hier nicht auf die Frage eingehen, daß Sätze mit einem für das Besitzen verwendete “van”-Verb Existenzsätze sind. (Vgl. Szabolcsi 1992: 87-109, Szabolcsi 1994.)
[12] “Совесть есть светило внутреннее, закрытое, которое освещает единственно самаго человека, и речет ему гласом тихим без звука; трогая нежно душу, приводит ее в чувство, и следуя за человеком везде, не дает ему пощады ни в каком случае.”
Neueste Kommentare