"Wo bin ich? Oder: Wo ist du?" - Ferdinand Schmatz im Interview
Über die Schönheit des Nebels: Der Roman "Durchleuchtung" findet sich seit Wochen auf den Bestenlisten von ORF und SWF
Wien – Franz wird durchleuchtet. Vom Röntgengerät des Krankenhauses, vom fragenden Geist des behandelnden Arztes Pokisa, von der eigenen Selbstkritik, von der Stimme des Erzählers. Von Danja.
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Ferdinand Schmatz' Roman "Durchleuchtung. Ein wilder Roman aus Danja und Franz" folgt den Spuren der Festschreibung und Zuschreibung, die das Selbstbild eines Menschen, sein Handeln bestimmen. Franz, sein Protagonist, setzt sich der Durchleuchtung aus – und forscht nach den Wegen der Befreiung aus den ihn einmauernden Verfestigungen. Einer Befreiung, die er beispielsweise in der Irritation des Fehlers findet ...
STANDARD (Cornelia Niedermeier) : Von der Kurzform des Gedichts kommend, erfordert die Arbeit an einem 300-Seiten-Roman eine vollkommen neue Herangehensweise.
Schmatz: Im Lauf der Entwicklung meines Schreibens, glaube ich, dass auch in der Dichtung eine gewisse Veränderung festzustellen ist. Die würde ich als ein verstärktes Interesse am persönlichen Erkennen – des Autobiografischen – bezeichnen. Diesem Interesse in einer größeren Form und mit einem anderen idealen Werkzeug – wobei die Sprache, das Grundwerkzeug, bestehen bleibt – nachzuspüren, das hat mich sehr herausgefordert und hat andere Räume eröffnet. Nicht nur Schreibräume, sondern individuelle Räume, Erinnerungsräume.
STANDARD: Die Figur des Franz hat starke autobiografische Anklänge. Der Roman als eine Form psychoanalytischer Selbst-"Durchleuchtung"?
Schmatz: Es ist mehr ein prozessuales In-Gang-Setzen als ein Freilegen von verborgenem Inhalt. Da ist die Sprache nicht Instrument des Auffindens von verdrängten Inhalten, verlorengegangenen Erinnerungen, sondern auch ein Mittel der Erzeugung von Erinnerung. Einer Erinnerung, die man hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts mehr als infrage stellen kann. Also weniger das Hervorlocken eines verdrängten Inhalts, sondern eher ein prozessual-sprachlich konstruktives Erzeugen von Inhalten in Bezug auf bereits feststehende, geprägte.
STANDARD: Auf feststehende, vorgegebene (Selbst-)bilder und Verhaltensmuster?
Schmatz: Franz hat ja viele Probleme. Und eines davon ist sicher eine Art Festgefahrenheit in vorgegebenen Verhaltensmustern, die auch Schreibmuster genannt werden können. Zugeschriebene, aber auch eingebildete. Ich glaube, das ist bei uns allen so, wenn wir durch das Leben schreiten, dass wir uns aufgrund dieser Selbstbildnisse, die auch Fremdbildnisse oder Spiegelbildnisse sind, auf die Suche begeben oder uns mit der Frage konfrontieren: Wo bin ich? Oder: Wo ist du? Und dieses Ich-Du-Verhältnis erforschen möchten in Bezug auf die nächststehenden Personen. Das sind im Fall des Romans Danja und als Stellvertreter der äußeren Gruppe, einer Form des Denkens und Wahrnehmens, der Arzt Pokisa.
STANDARD: Pokisa, der Arzt, der nach einer Diagnose sucht – einer Form von Festschreibung.
Schmatz: Der Begriff der Diagnose ist mir sehr wichtig. Weil er mit dieser Zuschreibung oder Einbildung, Vorbildung sehr viel zu tun hat. Mit dieser vorgesetzten Diagnose hat man sich dann zu identifizieren – und die hat natürlich verschiedene Zeichenträger. Es kann eine Diagnose in Form eines schwer zu durchschauenden Textes sein, mit Fachbegriffen. Oder durch bildliche Momente, früher Röntgen oder jetzt mit digitalen Möglichkeiten, der "bildgebenden Diagnose". Und das sind genau die drei Momente, die in dem Buch eine ganz wesentliche Rolle spielen: die Schrift oder das Mündliche, das physikalisch geordnete Weltbild im Sinn einer analogen Technik – es wird eine Strahlung auf dich gerichtet und dann prallt etwas ab, und das, was sich im Schatten zeigt, ist die Welt oder du –, und dann die dritte Form des hochgerechneten, digitalisiert ausgerechneten dritten Bildes. In der Welt leben wir. Und jeder versucht auf seine Weise, hier eine andere Möglichkeit der Festschreibung zu finden.
STANDARD: Festschreibungen, denen Sie auch in Ihrer Dichtung Widerstand entgegensetzen. "Das Scheitern des Einordnens und Festhaltens als Gelingen" heißt es im Roman. Die Wahrung des Geheimnisses, des Undurchleuchtbaren?
Schmatz: Geheimnis ist fast das Gegenwort zu Diagnose. Das ist ja auch das Schönste, der Mangel im schönen Sinn des Entbehrens, dass der nicht ganz aufgehoben werden kann oder soll. Dass da etwas im Nebel bleibt – seit Priessnitz wissen wir, dass das ein Anagramm von Leben ist ...
STANDARD: Sie nennen "Durchleuchtung" im Untertitel einen "wilden Roman" – ein Aufbegehren gegen die Einordnung?
Schmatz: Der Titel spielt auf Brentano an, der seinen Roman Godwi im Untertitel einen "verwilderten Roman" nannte. Dieses Wilde ist in einer gewissen Weise in der Form behandelt worden. In der universalen Poesie der Romantik werden Gattungen aufgelöst. Es wird versucht, die Welt zu poetisieren und das in diesen Formen auch zu zeigen, in der Verschmelzung von Drama, Lyrik und Prosa. Das ist ein Ansatz, den ich mehr oder minder übernommen habe.
STANDARD: Noch ein Zitat: "Das sogenannte Richtige verwendet eher uns als dass wir es verwenden", heißt es an einer Stelle.
Schmatz: Den Fehler suchen. Das "richtige Falsche" herauszulocken, in der Poesis, der Hervorbringung. Die sogenannten Diskurse bedeuten ja immer auch einen Moment der Selektion und der Kontrolle oder dann auch der Kanalisierung. Diese drei Momente, die das Vertragliche ausmachen, ohne die ein Miteinanderleben gar nicht so leicht wäre. Die gleichzeitig aber die Gefahr bergen zu einem Willen zur Wahrheit zu führen ...
STANDARD: Der Wille zur Wahrheit als Gefahr?
Schmatz: Dieser Wille trägt Ausschluss- und Selektionsmechanismen in sich. Ihn zu brechen und durch eine andere Art der Wahrheit zu ersetzen, ist immer ein Anliegen der Kunst.
STANDARD: Aber ist diese "andere Wahrheit" nicht eine vor-gedankliche, vor-sprachliche, und liegt nicht ein Widerspruch darin, sie in der Poesie auszudrücken?
Schmatz: Das ist das große Dilemma. Dass das Denken sprachliche Muster annimmt, die dem vorsprachlichen Wahrheitsgehalt vielleicht nicht entsprechen. Da verschiebt es sich gleich wieder. Das kann aber spannend sein. Es ist auch wunderbar irgendwo, da noch woanders hinzugelangen. Liebesbrief-Schreiben etwa. Man hat ein Gefühl und man schreibt einen Brief – wo geht der hin? Der wird auf dem Weg von den Gespenstern ausgetrunken, hat Kafka gesagt. Aber er kommt trotzdem irgendwie an. Das ist ja dann Leben. Geschichte in Form von Geschichten, die den nebulosen Anteil, sprachlich gesehen, immer mittragen ... (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.1.2008)
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