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Monika Kompaníková Wolfsdunkelheit „Es fällt mir schwer zu atmen. Decke mich bitte zu, aber nur bis zur Taille. Und wenn du gehst, schalte auch schon das Licht im Bad ab, Schatz,“ sagte sie und zog sich müde zurück, damit er wüsste, dass er schon verschwinden soll. Auch so waren schon alle Themen erschöpft, offensichtlich haben sie nichts, worüber sie reden könnten und sie möchte endlich schlafen. Heute war er wieder zu lange hier. Schein-bar gefiel es ihm dort wirklich, auch wenn er versuchte, sie davon zu überzeugen, dass er nur ihretwegen, der Armen, komme. Damit sie wenigstens etwas von ihrem beschissenen Leben habe, damit sie nicht jeden Abend beten gehen und um die Ver-gebung der Sünden und der Erlösung von allem Bösen bitten müsse. Sie betet auch so. Jeden Abend ein Vaterunser und jeden Morgen eine Salve Regina. Und über jedem Teller schneidet sie aus Dankbarkeit ein Kreuz in die Luft. Ihm gefällt ihre Wohnung, auch wenn es so ein kleines Winkerl voller Trödel und Gerümpel ist. Es gelang ihr auch nach drei Monaten, wo sie hier wohnt, nicht den Greisengeruch auszulüften und er wird solange hier sein, bis sie sich nicht von dem Bettzeug, das vom Großvater geblieben ist, trennt. Na aber wer würde so leicht das Tuchent, in dem ein guter Mensch gestorben ist, so einfach wegwerfen. Er würde noch zu ihr spuken kommen. Und dann hat sie auch so kein anderes Bettzeug und braucht auch keins. Sie braucht Töpfe, wenigstens zwei Bügel, zwei Mäntel und sie braucht einen Balkon. Ohne Balkon lässt sich wirklich schwer leben und schwer at-men. Wenn sie einen Balkon mit großen Türen hätte, da könnte man dann anders lüften. Es wäre mehr Licht und das braucht sie sehr. Sie braucht es am meisten und am längsten. Und morgens würde sie auf das Tablett Toasts, Butter, Honig und Milch stellen, die betauten Stühle abwischen und sich mit dem Tablett auf den Knien das verschlafene Gesicht sonnen. Mit kaum geöffneten verklebten, ungewaschenen Au-gen, die zu Spalten zusammengekniffen wären, würde sie ihn beobachten, sich dar-an freuen, dass sie ihn überhaupt sieht und würde ihn in Gedanken mit den einfachs-ten Namen rufen. Sie braucht ihn sehr. Sie würden still essen, denn sie haben sich auch so nichts wichtiges zu sagen. Sie haben es doch hinter den Ohren, denken sie sich selbstbewusst. Wenn die nur wüssten. Einen Balkon gibt’s nicht, und wenn schon. Nicht einmal Rollladen und Vorhänge hat sie, die hat sie als erstes weggeworfen. Das ist auch so nur eine kleine Hilfe, damit es mehr Licht gibt, müssten die Wände völlig niedergerissen werden. Auch die Küche hat nur so eine kleine romanische Schießscharte anstelle eines Fensters. Was hat man von solch kleinen Ritzen? In der Küche ist eine Schlidderbahn. Der Großvater hat weder einen Tisch noch ei-nen Teppich zurückgelassen, dafür hat er es geschafft das Parkett ganz und voll-kommen abzuwetzen und blank zu putzen. Sie musste an die Sohlen der Hausschlapfen immer wieder kleine Stücke von Teppichantirutschstreifen kleben, damit sie nicht zum Krüppel wird. Außer der Schlidderbahn gehört zu ihrer Wohnung ein riesiges Bett, das die Mitte ihres ganzen Lebens ist und sicher der Mittelpunkt der Welt auch ihres Großvaters und seiner Gattin war, solange beide lebten. Ein Riesen-bett mit adäquat großen Tuchenten. Ein schönes Erbstück. Wenn sie nicht solche Augen hätte, wie sie hat, hätte sie dieses Holzstück niemals so gut gekannt. Was würde sie dafür geben, dass sie es nicht so gut kennen lernen muss! Sie weiß von jedem abgebrochenen Stückchen, über alle Tiefebenen, sie hat gezählt wie viel Kubikzentimeter Holz die Holzwürmer gefressen haben und wie viel Quadratzentimeter ihr unter den Nägeln geblieben sind. Das Kopfende des Betts ist fleckig, an den Rändern fettig, von schwitzenden Händen abgegriffen, die sich jede Nacht dagegen stützen, und der dunkelbraune Lack ist abgekratzt. Die Ritzer und Kratzer sehen aus wie Haarbüschel, die dort wachsen, wo es sich nicht gehört. Sie kennt seinen Geruch, seine Struktur, das von den Holzwürmern ausgefressene Laby-rinth von Gängen. Das Fußende ist ganz erhalten, aber ewig mit Kleidungsstücken und feuchten Handtüchern behängt, was es nicht schöner macht. Die Matratze knarrt, aber nur an vier Stellen. Viermal zwanzig Quadratzentimeter Knarren. „Du miese Henne! Kriech aus dem Bett und mach´ wenigstens das Fenster zu, damit die anderen nicht hören müssen, wie du hier schnaxelst! Mieses Dreckschwein! Wenn deine Mutter wüsste...“ Die Stimme brach das Zuschlagen der Fensterladen und das weitere Quietschen des Bettes ab. Sie haben nicht aufgepasst, darum. Die Nachbarn schreien immer so, wenn sie sich lieben und nicht auf die Matratze auf-passen. Wer würde schon aufpassen ...und noch auf die Matratze. „Alte Rakete. Auch du hast die Fenster sperrangelweit offen, wenn ihr euch gegen-seitig anbrüllt. Und alle müssen euch hören! Wenn deine Mutter...“ Sie kehrte ins Bett zurück und zog sich die Tuchent über die Ohren, damit sie nicht höre, was sich hinter dem Fenster abspielte. Das ist ihr auch so egal. Auch so weiß sie, dass sich nichts wesentliches ändert, weder in ihrem Bett noch in ihrem Kopf. Jeden Abend empfängt sie ihn mit offenen Armen und offenem Fenster, damit sie wenigstens für die paar Stunden die Dunkelheit vergisst. Damit sie in der Nacht den Lack des Bettes nicht vor Schmerz und Angst abkratzt, sondern aus Lust, wenn man diese Ausbrüche Lust nennen kann. Und damit sie überhaupt einschlafen kann. Sie kann nicht behaupten, dass sie ihn gern habe, aber er kann sie so müde machen, dass sie nach all dem einschläft und das ist ein guter Grund genug, dass sie ihm wieder zur Vergeltung das bietet, was er braucht. Sie bietet ihm ihre kleine Wohnung und die Schenkel. Und er kann sie von seiner Liebe überzeugen, soviel er will. Sie hustet auf die Liebe. Sie ist müde. Das ist die Hauptsache, das ist der Sinn des gan-zen Spiels. Und man kann auf alle Lust der Welt husten, wenn danach nicht ein Schlaf tief wie der Tod kommt. Heute kann man gut miteinander schlafen, alle Schmerzen überschlafen und morgen kommt wieder Besuch. Soll es der Nachbarin auch den Kopf abreißen. Der Besuch ist gekommen, der Nachbarin wurde der Kopf nicht abgerissen, sodass alle wieder zufrieden waren, was sie nur darin bestätigte, dass solch ein Zusammen-leben kein Gebot Gottes stört und dass sie es sich ohne Gewissenbisse weiter gut gehen lassen können. Sie dürfen nicht zuviel bechern, damit sie keinen Krach ma-chen und müssen auf die vier Stellen an der Seite des Bettes achten, wegen derer die Frau nebenan nicht schlafen kann. Sie dürfen nicht mit den Türen und dem Ge-schirr in der Küche scheppern. Sie dürfen nicht lange das Licht anhaben, was sie am meisten schmerzt. Aber im Grunde ist das egal, dieses Entsetzen, das kommt, lässt sich mit einer grauen Lampe nicht vertreiben. Manchmal borgen sie ihr aus dem Lager Halogenlampen. Unter ihnen hält sie es auch ohne die sonst notwendige Gymnastik aus, aber danach, den ganzen folgen-den Tag hat sie die Hölle in Direktübertragung, denn von den Halogenlampen schmerzen die Augen und dröhnt der Kopf. Und zwar sieht sie dann fast den ganzen Tag nichts. Heute brachte er vier Halogenlampen. Schon das zweite Mal in dieser Woche. Plus sechs dicker Kerzen, offenbar irgendwo auf dem Friedhof geklaut und eine Batterie mit Radio und Sirene. Irgendetwas bereitet sich vor, ich brauche Vorrä-te. „Also, für zwei Wochen? Nach Krakau. Und das muss sein?“ Sofort sprangen sie die Bilder seines letzten Wegfahrens an, als ihr für vier Tage nicht einmal die dreihun-dertseitige Ichthylogie ausreichte, dass sie einschlafen konnte. „Ob ich muss oder nicht, das ist egal. Staatsprüfungen, ein Seminar, Märkte auf dem Rückweg. Ich bringe dir noch ‚Die Geschichte der Frau’ aus der Bibliothek.“ Etwas zurückhaltend und etwas entschuldigend. Sie weiß, was sie ihm alles bietet und aus körperlich gesundheitlicher Sicht bietet sie ihm höchste Qualität. Das muss er zugeben. Auch Fero beneidet ihn darum, auch wenn er vielleicht tauschen würde. Muss oder nicht, tauschen oder nicht. Er muss nicht, aber er tauscht nicht. Er braucht eine Pause. Zwei Wochen hält sie aus, nur dass sie die Halogenlampen nicht ver-brennt. Das wäre dann ein anderes Licht. Das ewige Licht. „Aber nein, Schatz. Schau, die Steckdose und hier der Schalter. Dass dir nur nicht einfällt, sie zu betatschen, du brauchst doch nur Licht, keine Verbrennungen. Nimm keine Tabletten, auch dann nicht, wenn es dir, ich weiß nicht wie, ins Hirn kriecht. Auch so habe ich sie zur Sicherheit schon vor einer Woche weggespült. Der Doktor hat es gesagt. Halt aus und danach freust du dich. Romantiker. Auch Duftkerzen bringe ich dir. Vanillegeruch,“ faselte er mit dem Finger auf den Lippen und ver-schwand schnell aus ihrem Blickfeld. Soll sie sich gewöhnen, das Mädchen. Das Sendezeichen meldete einundzwanzig Uhr dreißig. Der Großvater würde mir sagen: „Das wird eine Wolfsdunkelheit, so, die Wolfsdunkelheit. Das heißt, dass du mit dem Löffel nach acht die Koschen nicht mehr findest. Diese Stelle da, ließ mir vor. Siehst du, nix kannst du vorlesen. Wolfsdunkelheit.“ Einundzwanzig Uhr dreißig bedeutet im Juni, dass man entweder schlafen gehen soll, um so die Trugbilder zu verscheuchen, oder überall Licht anschalten, wo es geht, um etwas Sinnvolles zu machen. Wenn sie das Licht nicht andreht, muss sie nicht einschlafen. Wenn sie nicht einschläft, muss sie beleuchten und den Tag ver-längern, sonst wird sie blind und bekommt vor Angst graue Haare. Und wenn sie vor Angst keine grauen Haare bekommt, so haut sie sich minimal den Kopf am Türrah-men auf und verbringt die Nacht bewusstlos am Boden wie ein Sandsack. Drei Mo-nate sind zu kurz dafür, dass sie sich genau gemerkt hätte, wo die Kredenz beginnt und wo die Tür. Zum Teufel mit dem Orientierungssinn. Wenn sie blind wird, hat sie Angst wie ein kleines Kind. Sie kann sich nicht daran gewöhnen. Im Sommer ist sie ungefähr acht Stunden pro Tag blind, im Winter ist sie doppelt solange blind, je nach dem, ob es schneit oder nicht. Das ist keine Gaudi. Heute – damit der Übergang zum Leben eines einsamen Menschen nicht ganz so schwer wäre – erbittet sie sich zwei Halogenlampen. In der Früh wird sie wieder schrecklich klug sein, denn sie hat in einer Nacht vielleicht ein ganzes Buch gelesen und tagsüber kann sie auf den Hauptplatz gehen und den sich sonnenden Weibern Weisheiten verteilen. Morgen reicht dann vielleicht nur eine und übermorgen muss sie glatt einschlafen, nach zwei durchwachten Nächten wird das der Körper doch selbst verlangen. „Und was werden wir uns im kleinen spielen, nehmen wir gleich alle vier auf einmal. Steckdose, Schalter, eins zwei drei vier, Licht wie zum Mittag. Der Teufel soll ganz Krakau holen.“ „Gottes Straf ist kummen, Leut‘, des is doch die Straf für diese Hure vom Zweier-haus! Ruft die Feuerwehr, wer ein Telefon hat! Schaut, wie viel Federn hier fliegen, wie viel Federn, Leute!“ Brüllt ein alter Veteran, läuft im Pyjama über den Hof und wirft Steine in die Fenster der anderen Wohnungen, damit sich alle vor diesem Got-teszorn retten. Die Federn heben sich gegen alle Naturgesetze zum Himmel und se-hen unter der Lampe wie Schnee aus. Sie hat das Tuchent hinaus aus dem Fenster geworfen, damit sie ins Weiche fällt. Die Leute vermehren sich und jeder kreischt, jeder flucht und jeder ist fast nackt. Sie blinken rot und blau, rot von den Flammen und blau vom Blaulicht. „Hände weg von ihr, lassen sie sie dort, sie wälzt sich doch gerne in Tuchenten“, schreit eine Frau im Bademantel halb bis zu den Knien, und springt um den Polizis-ten herum. Der Bademantel klebt ihr am Körper, die Federn am Bademantel, sie schwitzt vor Zorn und Aufregung und der Polizist verliert langsam den Kopf. „Viermal tausend Volt hat das einfach nicht ausgehalten. Die Leitung ist durchge-brannt, Polizeihauptmann. Eine schlechte Leitung. Wie spät ist es? Ist schon hell?“ fragt sie verwirrt und stiert auf den Burschen, der sich bemüht, sich aus den Tuchen-ten zu wickeln. Die Federn kriechen ihm in die Nase, in den Mund, er niest und rudert mit den Armen und wirbelt noch mehr weichen Schnee auf. Das ist vielleicht ein Schlamassel! „Nein, Mädchen, es ist etwas nach Mitternacht und es ist dunkel. Halogenlampen. Na, das ist ein Einfall!“ Es ist nach Mitternacht und es ist dunkel. Sie kann sich nicht am Dunkel satt schau-en, es satt haben. Halogenlampen, das ist ein Einfall. © Übersetzung: Stephan Teichgräber Erzählung aus dem Buch Monika Kompaníková: Miesto pre samotu /Ein Platz für Einsamkeit/ L.C.A. Levice
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