Der Observatorul Cultural Nr. 274 (23. – 29. 6. 2005) präsentiert auf dem Titelblatt den französischen Schriftsteller Pascal Bruckner aus Anlass seines Besuches in Bukarest und bringt im Blattinnern ein Porträt, ein Interview sowie die Besprechung seines soeben ins Rumänische übersetzten Romans „L’amour du prochain“ (Iubirea faţă de aproapele, Editura Trei 2005).
Mehrere Artikel widmen sich Nicolae Manolescu, dem am 17. Juni neugewählten Präsidenten des Schriftstellerverbandes und der Sisyphos-Arbeit, die ihn erwartet. Reformen wünscht man sich vom neuen Präsidenten, er möge das Vertrauen der jungen Schriftsteller zurückgewinnen, seiner Institution Gehör in der Zivilgesellschaft verschaffen, literarische Qualität fördern statt mit dem Schöpflöffel Suppe nach Dienstalter zu verteilen, Transparenz bei Stipendien- und Preisvergaben herstellen. Im Leitartikel fragt Ovidiu Şimonca, ob Manolescu es riskieren werde, aus dem Verband das Ferment einer literarischen Zukunft zu machen, die der rumänischen Literatur auch im Ausland die Anerkennung verschafft, die andere osteuropäische Literaturen schon genießen.
Sabina Fati befasst sich anlässlich der tödlich verlaufenen Teufelsaustreibung im Kloster „Heilige Dreifaltigkeit“ in Tanacu (Judeţ. Vaslui) mit den Sünden der Orthodoxen Kirche Rumäniens. Die Hauptsünde sei die Ignoranz und die Strategie der Vertuschung, sei es bei den immer noch unter Verschluss gehaltenen Securitate-Akten (wie viele Kollaborateure gab es im Klerus, und wie weit gingen sie?), sei es beim Desinteresse an der Verantwortung für den qualvollen Tod der 23jährigen Novizin.
Die Nationalkirche berausche sich am raschen Wachstum nach 1989, die Inflation an neuen Kirchen und Klöstern bringe schlecht ausgebildete und kaum kontrollierte Kleriker mit sich: keiner der Teilnehmer am Exorzismus in Tanacu war älter als 30 Jahre.
Sorin Alexandrescu beschreibt sehr plastisch das „wamperte“ Rumänien – eine neue Klasse von 30jährigen Geschäftsleuten, die Rumänien regiert. Diese führende Schicht fällt durch demonstrative Hässlichkeit und Grobschlächtigkeit auf, durch Fettsucht als Zeichen des Erfolgs. Die Wampe als Statussymbol fehlt hingegen ihren subalternen Mitarbeitern, erst recht den blutjungen überschlanken Begleiterinnen.
Die Beilage widmet sich dem 100. Geburtstag des Volkskunde-Museums „Nicolae Minovici“ und stellt die Frage, ob das alte Bukarest von damals stirbt.
Florian Roatiş schreibt unter dem Titel „Mittelmäßigkeit und Fehlschläge in der Philosophie“ über Alexandru Dragomir (1916 – 2002), einen weniger bekannten Noica-Schüler.
Schließlich findet sich noch die Übersetzung eines ursprünglich im „Times Literary Supplement“ erschienen Artikels von Vladimir Tismăneanu: „Entgegengesetzte Wege“. Er vergleicht die unterschiedliche Entwicklung des Kommunismus in Rumänien und in Ungarn nach Chruschtschows Kritik am Stalinismus anhand von 2 Büchern, der Dokumentation „Imre Nagy – Aufzeichnungen aus Snagov“ (Polirom 2004) und Adrian Cioroianus in Bukarest in französischer Sprache erschienener Studie „Ce Ceauşescu qui hante les Roumains. Le mythe, les représentations et le culte du Dirigeant dans la Roumanie communiste" (Editura Curtea Veche 2004). Tismăneanu lobt beide Bücher: die von Ileana Ioanid mühevoll aus den SRI-Archiven geborgenen Dokumente über Nagys „politisches Exil“ in Snagov vor seiner Exekution und Cioroianus unerbittliche und genaue Analyse der wichtigsten symbolischen und institutionellen Bestandteile des Ceauşescu-Sozialismus. Cioroianu platziere den Conducător in der Tradition der rumänischen politischen Kultur, die Langzeiteffekte seien auch nach 1989 noch sichtbar.
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