DVORSKÝ, Stanislav

DVORSKÝ Stanislav

Der Dichter und Essayist Stanislav Dvorský wurde am 14. Juli 1940 in Prag geboren. Sein Studium an der Tschechischen Technischen Universität beendete er nicht. Während seiner Studienzeit betätigte er sich als Jazzmusiker, später arbeitete er als technischer Redakteur und Gestalter bei der staatlichen Schallplattenfirma Supraphon. In den Sechzigerjahren war er an den Aktivitäten des postsurrealistischen Kreises UDS beteiligt. Er ist Mitautor einer Reihe von Sammelbänden, Tonbandanthologien und Ausstellungen. Er lebt in Prag.

Das dichterische Werk von Stanislav Dvorský erreicht die Leser – aufgrund ungünstiger Umstände der Zeit – verspätet, fragmentarisch und oft gegenläufig zur Chronologie. Bis heute ist es nicht nur nicht angemessen gewürdigt, sondern auch nicht ausreichend reflektiert worden. Wir müssen allerdings auch einräumen, dass hierbei auch die Tatsache eine Rolle spielte, dass sich Dvorskýs Poesie ihren Rezipienten nicht leicht und augenblicklich erschließt, schon allein deshalb, weil sie in erheblichem Maße an die „Generationensensibilität“ der Sechziger- und Siebzigerjahre gekoppelt ist.

Oder noch anders: Dvorskýs Texte sind sowohl zeitübergreifend, verankert in der imaginativ-existenzialistischen Linie der Kunst, als gleichzeitig auch eng mit der Zeit ihrer Entstehung verknüpft. Die langsame, statische, beschreibende, weitschweifige Erkundung der Welt, die – um mit Teige zu sprechen – nicht mehr duftet, steht im Wechselspiel mit den aktuellen Trends der absurden und existenzialistischen Literatur. Zum Patron für Dvorský hätte in einer gewissen Etappe seines Schaffens z. B. Samuel Beckett werden können, zu einem gemeinsamen Thema die Möglichkeiten der Verständigung bzw. die Untersuchung des Missverstehens, wenn unser Schöpfer nicht auf komplizierte Weise an viele weitere Einflüsse gebunden wäre und wenn er letztlich und endlich nicht die Maxime von Maurice Blanchot erfüllt hätte, die da lautet: „Das Werk bedeutet immer: nicht zu wissen, dass bereits irgendeine Art von Kunst existiert, nicht zu wissen, dass die Welt bereits existiert.“ Vereinfacht können wir sagen, dass der Ex-Surrealist Dvorský sich de facto in die aktuelle Strömung absurder Literatur eingeklinkt hat, die er durch seinen heimtückischen imaginativen Lyrismus mit gesellschaftskritischem Stachel bereichert hat. Die Nähe zu den Absurden liegt vor allem in der Methode: Kann ich die Welt nicht sinnvoll beschreiben und erkennen, dann beschreibe ich wenigstens einen kleinen, oft nichtigen Ausschnitt von ihr. Zusammen mit seinen postsurrealistischen Weggefährten „hütet“ sich der Autor andererseits, nicht dem Staunen, der Schönheit und den strahlenden Metaphern der Avantgardisten zu verfallen, die so enttäuscht haben, oder besser gesagt: die die Realität nicht mehr erfassen.

Wenn wir uns bemüht haben, die Einflüsse aufzuzeigen, die die Poetik von Stanislav Dvorský mit bestimmt haben, müssen wir auch die moderne bildende Kunst, die Fotografie und vor allem die Jazzmusik erwähnen. Der Einfluss des Jazz ist bei Dvorský eher atmosphärisch spürbar als durch materielle Attribute. Der Dichter bemüht sich, sozusagen unbenennbare Stimmungen in Worte zu fassen, vor allem die eigenartige Melancholie jener Zeit und die stille Wut, Stimmungen, die z. B. ein Jazzsaxofonist ausdrücken kann – ein Wortkünstler muss dann schon auf „Jazzhaluzinationen“ zurückgreifen oder gar auf eine „Wortmusik“, wie Petr Král, Angehöriger derselben Generation wie Dvorský, schreibt. An anderer Stelle heißt es bei Král: „[Dvorský] nennt diese Poetik ‚Konstellation von Wörtern‘ und es geht in ihr um die konsequente Nutzung der spezifischen, nur einem Gedicht eigenen Ausdruckskraft der einzigartigen Begegnungen zwischen den Wörtern selbst: betörender Wortverbindungen, in denen der verbale – halb begriffliche, halb rein klangliche – und grafische Aspekt alle anderen (reflexiver, bildlicher und Handlungsaspekt) verdeckt, er verselbstständigt sich, und das Wesen der Mitteilung verschiebt sich in das statische ‚Spiel‘ der Echos, die von Wort zu Wort ausgesandt werden wie Signale von Leuchttürmen.“ Auch dank dieser semantischen Gelockertheit ist es Dvorský gelungen eine Art von „Generationssensibilität“ einzufangen, wie Petr Král oft wiederholt – aber genau hier liegen auch die Grenzen des Verständnisses für weitere Leser. Hinter Dvorskýs Worträtseln kann man das Gefühl der Ironie, der Vergeblichkeit, des Marasmus der Zeit, des Misstrauens gegenüber Wörtern, aber auch des Glaubens an die Kunst und wieder der Ironie erahnen – Gefühle, die der heutige Leser nicht mehr unbedingt identifizieren, sich auf sie einstimmen, sie völlig begreifen muss. Trotzdem provozieren und beunruhigen sie. Wodurch?

Wieder ein Paradox: Dvorskýs Texte provozieren durch ihre Unexaltiertheit, Leidenschaftslosigkeit, Antiromantizität, durch kafkaeske Kühle, in deren Innern wir das Feuer ahnen, sie provozieren durch das, was in ihnen fehlt. Lange „Litaneien“, wie wir sie beim Autor oft vorfinden, werden in der Regel durch Leidenschaft oder Raserei vorangetrieben. Nicht bei Dvorský: Der murmelt seltsam mit ruhiger, nahezu stoischer Stimme und grübelt über scheinbare Selbstverständlichkeiten und demaskiert auf diese Weise u. a. so manche Illusionen der modernen Kunst und auch die Sprache selbst, die sich diensteifrig in jedes beliebige Joch einspannen lässt. Sich selbst, sein eigenes Leben, versucht der Dichter vermittels der Kunst zu mythisieren, und gleichzeitig tut er alles dagegen. Das ähnelt dem Gehen mit von vornherein angesägten Stelzen: „die zugvögel funkeln bis jetzt in den gängen des windbaus / der am ende dieser zeile bereits verfault“ (aus „Jista nemoc“ [Gewisse Krankheit]).

Und wie setzt sich Dvorskýs Poetik mit dem Surrealismus auseinander? Nehmen wir nur die eigenartigen Vergleiche des Dichters: „er hatte […] ohren züchtig wie der morgige fischfang“ oder „die nacht […] frostig wie eine mit kreide beschriebene stirn“. Das ist keineswegs schriller Surrealismus, sondern ein irreführendes Verwischen der Beziehungen zwischen den Wörtern. Vom glänzenden Gebäude der Kunst und Wissenschaft bleiben nur „schimmel des verstandes“, Sarkasmus und Reste von Imagination übrig: „unsere adern haben sich unter den wurzeln erhabener bäume verheddert / und dort wanden sie sich wie zerhackte Regenwürmer“. Den einstigen Eroberern „schimmern am horizont jetzt hoffnungsvoll irgendwelche fauligen baumstümpfe“ entgegen.

Ja, Dvorský hat nicht die Schlagkraft eines Karel Šebek oder die Farbigkeit eines Pavel ?ezní?ek (die er programmatisch auch gar nicht haben möchte), aber unter seinem „verblichenen grau“, unter seiner Unbestimmtheit oder eigentlich Vieldeutigkeit kann der Leser eigene tief gegründete „untermeeresbauten“ finden. Und mehr noch: Bei Dvorský spüren wir auf paradoxe Art und Weise die Genauigkeit der Bilder und die Strenge der Imagination, wenngleich das auch scheinbar in Widerspruch zum Beispiel zu psychischem Automatismus und Jazzimprovisation steht. Es ist keine Anhäufung von schönen oder bizarren Bildern, sondern ein imaginatives Nachdenken über die Welt. Es ist keine schöne Literatur, sondern das „dunkle Donnern unter dem Fußboden der schönen Literatur“, wie eins Vratislav Effenberger schrieb.

Bibliographie:

Zborcené plochy Torst 1996 tschechisch

Dobyvatelé a pa?ezy Kloko?í a Knihovna Jana Drdy 2004 tschechisch

Hra na ohradu Torst 2005 tschechisch

Oblast ticha Nakladatelství Pavel Mervart a Knihovna Jana Drdy 2006 tschechisch

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Herr DVORSKÝ, Stanislav
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