Arrhythmie

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Delimir Rešicki

Arrhythmie

Knaben aus alten österreichisch-ungarischen Kasernen

Krakau, Kazimierz

für Bruno Schulz

Niemals hat Gott Vergangenheit und Gegenwart

mit so festem Klebstoff zusammen gefügt

wie ich ihn überall in der Luft

an der Weichsel eingeatmet habe

oh du, yingele

die Zimtläden suchend

in denen einst die Ahnen vor langer Zeit

flüsternd und qualvoll

ihre Morgensterne verfluchten

die ihnen an den Ärmeln für immer

angenäht blieben und deine Schneeaugen

jetzt küsse den Tintenfisch

der die süße Schwärze des Todes vertintet

damit der Traum

erneut den Weg auf hohe See nicht findet.

Bete zu den Erscheinungen welche am Himmel

für jemanden anderen

das Polarlicht zeichnet

und niemandem erzähl

was du im Weißen gesehen hast

oh, yingele

Und wer einmal marschiert ist

irgendwessen Spuren nach im Schnee

der weiß dass niemand den selben Weg zurückkehrt

auf dem er einmal versuchte

die Zeit zu betrügen

im Schnee sieht uns Gott noch deutlicher

der Schnee fällt erst wenn ihm die Sicht verdunkelt wird

Gott heilt mit Schnee seine unheilbare Angst.

Nebel nördlicher Meere

wandern schon lange und weit

immer südlicher und südlicher in die Ebene

damit der Erstgeborene in ihnen

seine müde Armee versteckt.

so ist

dachte ich immer

Polen entstanden

und wann auch immer

sich der Nebel

des Spätherbstes auf Kazimierz senkt,

sehe ich wieder viele Erscheinungen

wie sie versuchen

wie schmutzige Fetzen

ihre eigenen Schatten zu verbrennen

die Namen aller

oh du, yingele

meiner Bekannten aussprechend

und deiner unbekannten Toten.

Und wer einmal marschiert ist

irgendwessen Spuren nach im Schnee

wird darum einmal wenigstens im Schlaf

am Ende seines Weges

Kazimierz erreichen

Da ist zu sagen Daheim

warum verlässt du mich

oh du, yingele.

Jahreszeit

Heute Nacht werden wir wieder

die Zeiger auf der Uhr umstellen.

Um zwei wird es in Wirklichkeit drei schlagen.

Genau um drei werden drei Fackeln

die Quelle dieses eisigen Flusses erleuchten

der nachts das alte Silber aus deinen Hüften stahl.

Der Morgen kommt eine Stunde früher, der Abend ebenso.

Es gibt mehr Zeit für die Wolken, Silizium und Halbschlaf.

Vier Hirschkühe die ich sah

ein paar Kilometer vor Osijek

auf der Reise aus der Baranja

werden in der Nebelmilch verschwimmen

jedes Mal wenn ich wünsche

wie damals, deinen Namen zu verschweigen.

Meine Toten auf dem alten Dorffriedhof

flüsterten mir am Abend vorher in vier Sprachen

ganz einfache Wörter zu.

Als ob sie mich, ohne Lippen

abermals und abermals lehren von sich selbst zu sprechen

junge Mädchen mit meinem Nachnamen

die als verwitwete Dienstmädchen geendet haben

und alte Burschen die Fuß aus dem Krieg

zurückgekommen sind und manchmal besoffen

von Russland, dem Kaukasus und Taschkent

erzählten im Spiegel überhaupt nicht mehr zu sehen.

Wie ein an der Kette schlafender Hund

hielt das stählerne Seil das Floß

damit es nicht ablegt den Fluss hinunter.

Vergangen sind hunderte von Jahren.

Im Sack von Getreidekörnern

versteckte ich die Grille

damit sie die eisige Tür öffne.

Schließ sie zu wenn noch einmal

der Sommer kommt.

Wer stromabwärts ablegt

wird vor dem Herbstmorgen ein Mädchen gebären

stiller als der Mondschein.

Wer gegen den Strom zu all dem zurückkehrt

was ihn nicht mehr erwartet.

Diese Felder die dich mit einem Schleier

aus gefrorener Erde bedecken, sind

hinter dem Schleier der Öllampen

in der Öllampe Frühling

Frühling zählt deine Zeit

du bist der erste der Eingeschlafenen

in ihrer Flamme.

Der Tempel Salomos

Noch einmal würde ich ein Zelt errichten wollen

in der Nähe deines Herzens.

Der Bauer im Feld

wirft einen jungen Getreidesamen

in die aufgepflügte Furche.

Jedes Korn, einen Augenblick bevor

es die Erde berührt,

verwandelt sich in einen Nachtfalter

der Gnade und Ungnade

des Tageslichts überlassen.

Ich habe diesen Zauber gesehen

einmal in deinen Augen

auf dem Einband des geschenkten Buches.

Der Hund markiert mit Harn

die Grenzen seiner Welt.

Pythogoras machte dies mit Asche.

Alle meine Angeln habe ich

im geweihten Wasser gewaschen

bevor ich zur Zille hinabging

grub ich mit den Händen

aus dem Schlamm des Flusses

ein lange verborgenes Ruder aus.

Die unsichtbare Menora

brannte im Licht des Augusts

am Eingang in den Tempel.

Einer nach dem anderen

verloschen die fernen

Sterne der Melancholie.

Alt sind die Stämme

die sie zuerst sahen

wie sie im milchigen Nebel

am Himmel geboren wurden.

Niemals mehr erhoben sie ihr Haupt.

Alle die über deine Gedichte

Diplomarbeiten schrieben

können jetzt bequem ins Paradies.

Ohne Angst ihre Namen

in die Rinde der jungen Birke schneiden.

In die Höhe werfen

eine Handvoll Staub

und warten

damit ihnen das einfällt

was ihnen trotz aufgerissener Augen

nicht aufgefallen ist.

Schwalben in der Baranja

Vergangen sind

jetzt schon vier und

vierzig Jahre

Aus fernen Tagen

sind mir allein

zwei silberne Kugeln

geblieben versteckt in einer alten Fibeln

eine nach der anderen

für jede Schläfe.

Ich prüfe ob sie noch an ihrem Platz sind

jedes Mal wenn die Sonne auf und untergeht.

Einmal werde ich mit ihnen ins Leere wegfliegen

wie ein Schuss den sie dem betrunkenen Idioten

auf einer Dorfhochzeit abfeuern ließen.

Niemals wusste ich wohin würde ich.

Auf eine Seite des Feldes

breche ich morgens mit der Sichel auf

auf die andere abends mit wildem Mohn

den ich dir der gerade geborenen

auf dem Polster zurückließ.

Das was alle Abende

über der Ebene verlöscht

war nicht der mir und dir

geschenkte Stern.

Ich sehe Gewässer diese träumenden Gewässer.

Aus diesem Schlamm

erschuf Gott die Wasserrose

den Weihrauchschwenker und die Schwalbe.

Aus diesem Schlamm baut

die Schwalbe das Nest auf einer alten Veranda

unter deinen Lippen

und fliegt am Ende des Sommers nach Hause fort

an den Anfang der Welt

damit sie ihm die erste Witwe werde.

Nostalgie

für Bartch

Es besteht eine geheime Regel

in allen Gedichten

die aus Pannonien kommen.

Sie kennen seit eh und je

alle Witwen und Jungfrauen aus der Ebene.

Ich habe das überprüft

im Zug aus Osijek

in den Norden Polens reisend.

Etwas sagte mir

schau auf deine Hände

solange ich verschlafen auf

die gespannten Fischernetze schaute

übervoll mit Morgentau und Fischschuppen

in einem Dorf in der Nähe des Balatons

und ruhte mich mit meinem Blick

ins Leere zum Horizont aus.

Nicht der Wind ist es, was plötzlich

das Getreidefeld in Schwingung bringt im Fieber dessen

der es im Traum als er ein Knabe war

nicht schaffte mit Schnee die Augen zu bedecken.

In nebligen Schwaden

die vor der Dämmerung quellen und unhörbar schweben

über diese dunkle Erde der Kindheit

jahrelang unberührt in Minenfeldern

duften wunderbare Pflanzen.

Dein Gesicht verschwand im Augenblick

auf dem gekräuselten Wasser.

Es gab es nicht mehr

als wieder für einen Moment

sich der See beruhigte

unter den Weiden und den erblühten Pappeln.

Der Erlkönig trank gierig Absinth

von seiner Oberfläche kümmert es ihn nicht viel

dass die Sonne schon hochsteht

in den Augen der getöteten Prinzessin

in fortgeschrittener Schwangerschaft.

An die hundert Kilometer weiter in Tschechien

war am Vorabend eine Polka aus den letzten Tagen

ihrer Mädchenjahre zu hören.

Die Narben auf den Armen der Vorfahren

beschrieben seit langem ein Mandala

in ihren Pupillen

an den Wänden des aufgeschlossenen Kerkers

niemand schrieb ihr jemals den Namen auf.

Pyjamas auf der Krebsstation

für Onkel Andrija

Das was in ihnen verdunstet ist

das was in ihnen aufgefressen ist

schaut mich jeden Augenblick an

aus meinen eigenen Augen.

Neben jedem von diesen Pyjamas

blieben, sagte ich, die aussichtslosen Schlitten

Nacht und Bellen in diesen fernen Dörfern

haben mich für immer eingeholt.

Schwestern

Manchmal

wenn sich alles zur Ruhe setzt

ins Damals

meine Gattin und ich

würden unser Heim

ein bisschen im Spaß

ein bisschen im Traum

Museum der müden

Schatten nennen.

Und tatsächlich

haben diese dunklen Schwestern

unserer Jugend

während ihnen von den Hüften

spurlos die Tücher aus

Damast und Staub fielen

noch inniger an den Wänden

ihren abendlichen Fado tanzten.

Gleich den Spatzen

die betrunkene Knaben geblendet haben

flochten ihre Flügel in

der Luft noch stillere Spitzen

aus weißem Heilschwamm

von unseren Lippen.

Die Lichter in den Fensterscheiben des Spitals

das ganz in der Nähe in unserer

Nachbarschaft angesiedelt ist,

brannten vom Anbruch des Abends

als ein etwas unwirkliches Licht.

Jedes Gesicht außer eines

konnte ich in den Scheiben herbeirufen.

Sofort hinter der ersten Schwelle der Stadt

fiel der Tau auf die unüberblickbaren

duftenden Felder an der Grenze

die uns einmal früher das Augenlicht aß.

Seit langem gab es dort niemanden mehr.

Nur die Schwärme der Leuchtkäfer

die in die Augen

des letzten Tageslichtes fallen

dabei feiern sie die Schläfer

die nichts träumen werden

nicht einmal an diesem Johannistag.

Das Flämmchen unbekannter Herkunft

brennt, ich weiß, auch heute

Irgendwo auf den Fingerspitzen deiner Hände

G. Meyrink sah es

über den Köpfen verschlafener

Münchner Schönheiten

auf nächtlichen Straßen

die einmal auch mir alle Pathetik

des niemals träumerischeren

bayrischen Winters schenkten

der von den Alpen herabkam

um den mit Honig und Nüssen

geschmückten Marienplatz zu verschütten.

Tot sind

sagt der Meister

die Schwerter in der Erde.

Die Lebenden können sie nicht erheben

ohne dabei durch die Flammen zu sterben.

Kindheit

So ist das Schicksal des Kindes

Tag und Nacht zu küssen

die Hand die es schlägt

auf den sorgsam versteckten blaue Fleck

unter dem Feiertagshemd

irgendwann früher

flog die Meise hinab nach Brot.

Das Grab der Dora Pejačević in Našice

Wovon habe ich geträumt?

Dass die Sonnenblumen Spiegel sind

vom dunklen Schleier meiner Haare bedeckt?

Diese Blumen waren Sphinxe

die Sphinxe haben mich nachts gelehrt

wann schnell zu sprechen

und wann lange zu schweigen ist

wann in der Flamme nichts wegen

nicht zu erkennen ist der eigene Staub.

In meinen Händen waren leichte

hohle Vogelknochen

deshalb konnte ich niemals

weit öffnen die schwere Tür des Traums

wenn ich mitten am Tag irgendwo

und irgendwann die Augen schlösse.

Hinter jedem meinen Schritt

stürzte lautlos die alte träumende Welt ein.

An Sommerabenden

zählte ich die Fliegen

auf seiner Bahre

diese Söhne und meine Töchter

die in Schwüle und Hitze

die Kunde verbreiten werden

über alles was ich dir niemals

wünschte zu sagen.

Diadem

Vom Himmel auf die Felder im Frühling

fällt unsichtbares Mana /unsichtbare Schwäche/

Das wie eine Spinnwebe ist

in welche verwundert Mondsüchtige schauen

tote Knaben aus alten

österreich-ungarischen Kasernen.

Ich habe alle Geschenke verloren

die sie für dich aufgehoben haben

in den Augen die den

Pusteblumen im Wind gleichen.

Vielleicht warst du mir zu sehr

vielleicht zu wenig ähnlich.

Geboren im Wind von der vereisten Donau.

Besiegte ich die Angst vor den Menschen

als ich dich für immer verlor.

Was ist so traurig am Ton der Zimbal

wenn nicht die Stimme des Verirrten

zwischen ganz verschiedenen Welten?

Die Brücken in Budim

haben mich immer an deine Hände erinnert.

Nichts ist auf ihnen geblieben

und alles was ich hatte

eilte einmal auf ihnen dir ein Diadem

im Schnee zu zeichnen

vor dem Abend anzukommen

zu küssen das Haar

mit der Farbe der Glühlampen in den Straßenlaternen

die die Ufer erleuchteten

aller Welten die ich niemals mehr

zu sehen wünsche

außer von Zeit zu Zeit

in den Augen dieser Knaben

aus allen österreich-ungarischen Kasernen

auf den Fotos von denen ich wollte

dass sie mir manchmal

wenigstens ein bisschen ähneln.

Die die einmal die tote Zeit berührte

Das Schloss

Nur deswegen weil nicht

genug Schnee herabgefallen ist

fand Lacan nicht den Weg zum Schloss.

Nur Zwei, ohne Frage

schenken in perfekt regelmäßigen

Abständen das Leben:

der Gott und das Vergessen.

So hat man es auf der Schultafel geschrieben.

Das Schloss betrügt den Schläfer einen Augenblick.

Diesen Morgen

erwachte er als erster

verschlafen blickte er auf die weißen, unendlichen Felder.

Es platzen vor Kälte

die Bäume im Wäldchen

wie tote Knochen

in Plastiksackerln.

Es ist noch nicht Zeit aufzustehen

obwohl, wenn man erneut einschläft,

der Anblick des Schlosses nicht zurückkehren wird.

Seichte Spuren im Schnee, unsichtbare

Wündchen auf der Zunge. Stille.

Im Hotel schlafen umgedrehte

Stühle auf den Tischen und

blauen, karierten Tischdecken.

Das Porträt eines Menschen erhobenen Hauptes.

Warm ist es in den Ställen.

Vereiste Zweigerl

im zur Hälfte zerstörten Nestes des Zugvogels

das Herz ist eine einsame Gnosis. (?)

Der Todesengel, sagt die Legende

die ich selbst für dich erfunden habe

hat eine Stimme die Schellen an

einsamen Schlitten in der Nacht gleicht

wenn die Brücke zum Eingang des Schlosses herabsinkt.

Lange hast du nicht mehr gefragt wer ich bin.

Im Winterschlaf

sind Fledermäuse in dem verfallenen Kirchturm versteckt

aufgehängt am Himmel wie heilige Buchstaben

die niemand zu lesen versteht.

Wenn sie wieder abfliegen wirst du

nicht wissen dass dort geschrieben stand

ob es gibt oder nicht gibt

den Weg zum Schloss.

Fanfaren, Heilige und Nutten

Totes Meer

Jeden Tag

lerne ich etwas

von meinem Kind

von meinem Computer.

Das Kind sagt

heute habe ich wieder angezogen

das Kleid aus Waldfrüchten.

Der Computer

ich soll nur ein bisschen warten

in der Wasseruhr auf dem Bildschirm

zerrinnt salzig virtuelles Gold.

Gott spielt wieder

mit dem vermoderten Laub in der Walhalla

ich bin kein totes Meer

dass auf mir die auserwählten Völker surfen

wenn sie ihre zerissenen Segeln waschen.

Alzheimer Pillen

Oh, du Doktor, Vater

Edi Popović & Zvonka Karanović

We´ll set you up in the desert

to the disquotece that call paradise…

(Crime & City Solution, The Last Dictator)

Herr Alzheimer

verkauft jeden Freitag Pillen

in alten

verlassenen Fabrikhallen

ich kaufe eine

gute Leute schenken mir zwei

Samstagmorgen tanzen die Proleten

dort waschen sie aus den Augen

graue Kristalle der Zukunft

und das Licht ist wieder jung wie Gottes Getreide

ich lese in der Dämmerung

verschlafen Gedichte des Fischroggen

der auf den Grund des Ozeans fällt.

nur Verrückte, die von veralteten

schadenfrohen Mentoren gelenkt werden

versteckt in den U-Booten, Satelliten

und Tresoren ihrer Banken

mit Erinnerungen an den Sommer des Herrn 1968

protestieren sie gegen Freihandel

in Ekstase (zeigend) und mit ihrem Tod.

denn das ist unsere Goldene Zeit

meine einzige

unser Lamm schlief niemals auf dem Broadway

Komödie und Tragödie sind Schwestern aus Siam

die Politik ist das einzige Gewerbe auf Empfehlung

für die goldmundigen Knaben

und die alten kroatischen Schönheiten.

Wenn der neue Gott wirklich DJ ist

was wird mit denen sein

für die der alte

einen Rollstuhl, bezeichnete

Plätze auf einem Parkplatz, und Extra

kabinen auf den öffentlichen WC bestimmte

damit sie nicht ihren eigenen

Verhökerer und Mörder stören

frage ich mich manchmal

bevor mir wieder

Flügel wachsen

Votzlöcher die

aus der eigenen Feigheit

ein lebenslanges Business gemacht haben

halten uns Reden über Zivilcourage

und tanzen mit uns am Rande der Unendlichkeit

aber auch sie werden bald

nach Pantovčak abgesiedelt

oder nach Tuškanac

oder auf der Nazorstraße

in stillen herbstlichen Vorabenden spazieren

zusammen mit berühmten Schatten.

während die Züge vom Hauptbahnhof

langsam und unfreiwillig

der Provinz entgegen kriechen

die auf ihren finalen Ausverkauf wartet

verabschieden sich nur kurz von dem König

der morgen auf sie dort warten wird

mit erhobenen Zepter

hier wird, Schwester!

vor schlaftrunkenen Ministern

vor ihren Geliebten und Geheimagenten

noch immer für einen Zuckerwürfel getanzt

und was soll ein 44-jähriger Klon

des eigenen Schicksals tun

der mit Judy Teen und dem

suizidgefährdeten Bruder aufgewachsen ist

in der Satinkapuze des Glamrocks

wie ein giftiger Schmeterling, der danach

auf dem dünen Eis des Punks tanzt

statt sich den nachfolgenden Tänzern anzuschließen

aber nur wegen dir

o Doktor Alzheimer

warte ich anspruchlos

schon ziemlich viele Jahre

daß Sie zu mir sagen, welche Zahl, meine Glückzahl ist

und ich stand

lange im Licht

aber dieser Tag kam nicht

warum brauche ich dieses dritte Jahrtausend

wenn sich alle die ich irgendwann treffe

nur immer an das eine erinnern

was vor kurzen verging

frage ich wie auch alle im

Blumenschlamm der sechziger geborenen

als die Bomben der RAF

und der Rotenbrigaden sprossen

darin ist vielleicht

meine Kraft und mein lebenslanger Vorteil

für immer erinnere ich mich nur daran

was schon verging

und ich muß mich nicht verbeugen

vor den goldenen Kälber der Zukunft

die in einem Viehwaggon schlafen

auf dem Weg zum neuen europa

und in seine alten Schlachthäuser

die in Discoclubs umgewandelt sind

in denen wir auf dich Doktor

bis zum späten Nachmittag warten

am Freitag

damit du uns heute gibst

was von gestern blieb

und ein bisschen von morgen

für alle Fälle

wenn wir entscheiden

erneuet die Würfel auf den Boden zu werfen

mitten in die einsame Masse.

O Doktor

alles so schrecklich bekannt

sagt man in sechs Millionen Jahren

wird die Sonne explodieren

aber was geht uns das an

wir werden sowieso vorher übersiedeln

zusammen mit unseren

Stangen aus Gold

Tempeln und Schrecken

in weiten Fernen

in denen du schon

der lachende Ureinwohner bist

mit überfüllten Hosentaschen

und uns wieder die gleichen Pillen verteilen wirst

damit wir diesen Weg vergessen

und zeigen

wie man unter dem neuen Himmel tanzt

ich werde einmal auf deinem Schoß einschlafen

o Doctor, Vater

hilf mir

dich zu vergessen.

Übersetzung © Melica Bešlija/ Stephan Teichgräber

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Author

Rešicki, Delimir

Rešicki, Delimir geb.

 

Translator

Melica Bešlija

Melica Bešlija, 1973, Sarajevo, Bos