Augenzwinkern einer Männergesellschaft"

Augenzwinkern einer Männergesellschaft"

Der Band "Warum wurden die Stanislaws erschossen?" sammelt Reportagen von Martin Pollack. Am Mittwoch liest der Autor in der Wiener Hauptbücherei – Im Interview

Wien – Seit mehreren Jahren lebt Martin Pollack in Bocksdorf, einer kleinen, 800 Einwohner zählenden Gemeinde im Südburgenland. Dies zu erwähnen, heißt nicht, ein wohlgehütetes Geheimnis preiszugeben. Was indirekt mit der Weltwahrnehmungs-Intensität des Autors, Übersetzers und einstigen Journalisten zusammenhängt.

Mehr zum Thema

einfach

Einfache Software-Entwicklung

bezahlte Einschaltung

Martin Pollack nämlich bemerkt auch die leisen Spuren der Geschichte auf seinen Wegen. Beispielsweise also in Bocksdorf – auf dem Friedhof. An dessen Eingang ein wohlgepflegtes Grab die Namen zweier polnischer junger Männer trägt, Stanislaw Grzanka und Stanislaw Medrek, die 1945 in dem Ort zu Tode kamen. In Gesprächen mit seinen Nachbarn, deren Cousinen und weiteren Bocksdorfern erfuhr der Autor nach und nach Einzelheiten über das Leben der beiden Stanislaws in Bocksdorf. Vergessene Fotos wurden aus Schubladen wieder hervorgekramt. Warum wurden Stanislaw Medrek und Stanislaw Grzanka erschossen? ist einer von 24 Reportage-Texten Martin Pollacks aus über zwanzig Jahren, die der eben im Zsolnay Verlag erschienene, (fast) gleichnamige Band versammelt. Immer wieder werden burgenländische Alltagserfahrungen darin zum Ausgangspunkt der Recherche.

Standard: "Unheimliche Normalität" nennen Sie eine Ihrer Reportagen, ähnlich könnten manche heißen. Etwa die Auszüge aus den Berichten der vier burgenländischen Gemeinden "über die Ereignisse 1945 bis 1956", in welchen diese, nebenbei, die Deportation der "Zigeuner" notieren.

Pollack: Es ist auffällig, dass die Zigeuner auch nirgends als Kriegsopfer auftauchen. Dieser Ton, wie etwa in Goberling: "1955 gelang es, die letzten zwei Zigeunerfamilien aus Goberling wegzubringen." In der Nähe von Bocksdorf gibt es den Ort Kemeten. Von dort wurden 200 Zigeuner deportiert. Und seit Jahr und Tag ist das eine SP-Gemeinde. Dennoch gibt es keine Gedenktafel – nichts.

Standard: Nicht immer erlöschte das Leben der Minderheiten im Burgenland durch Deportation. Die kroatische Bevölkerung assimilierte sich in den Achtzigerjahren durch den Verzicht auf die eigene Sprache, wie Sie schreiben.

Pollack: Die Roten, die SPÖ, waren damals für Assimilation total. Kein Kindergarten kroatisch, keine Schule. Das war natürlich auch ein Unterschichten-Problem. Früher arbeiteten beispielsweise sehr viele Burgenländer als Maurer in Wien. Und diejenigen, die aus kroatischen Gemeinden kamen, haben untereinander kroatisch geredet. Bis die Jugoslawen kamen. Mit denen sie nicht verwechselt werden wollten, als Österreicher. Ab da: kein Wort mehr Kroatisch.

Standard: Kulturelle Vielfalt einer Region, das wird in den Reportagen Ihres Buches deutlich, findet ihren Ausdruck auch im Reichtum der Sprachen. Über das Galizien von einst etwa schreiben Sie: "Es war nicht ungewöhnlich, dass jemand Jiddisch, Hebräisch, Polnisch, Ukrainisch und Deutsch sprach, und wenn man ihn fragte, ob er eine Fremdsprache beherrsche, verneinte er das bedauernd." Andererseits äußert sich Machtpolitik über die Unterdrückung der Sprache, wie heute in Weißrussland, wo Schulen und Universitäten im Zuge einer Zwangsrussifizierung nur noch auf Russisch unterrichten.

Pollack: Heute ist dort nahezu alles, was Weißrussisch ist, Opposition. Die Sprache, eine reiche europäische Sprache mit großer Literatur, ist dabei zu verschwinden. Mehr und mehr wird sie nur mehr mit einer Dorfsprache assoziiert.

Standard: In Ihrem Text über Weißrussland erwähnen Sie die Initiative des weißrussischen Journalisten Stefan Bratkowski aus dem Jahr 1997.

Pollack: Das war ein offener Brief an die Botschafter von zwanzig Staaten, darunter auch Österreich. Bratkowski schlug vor, die weißrussische Kultur zu unterstützen, indem jedes dieser Länder die Übersetzung einiger der wichtigsten Werke seiner Literatur ins Weißrussische und deren Druck finanziert. Jedes Land sollte dafür einen oder mehrere junge weißrussische Übersetzer ausbilden.

Standard: Ein sehr praktikabler Vorschlag. Was wurde daraus?

Pollack: Ich habe nichts davon gehört. Österreich jedenfalls macht extrem wenig. Man kann nicht direkt sagen, dass die Staaten sich schuldig machen, aber man müsste Übersetzungen stärker unterstützen. Übersetzer sind hier einfach wahnsinnig wichtig. In Prag beispielsweise habe ich einen Weißrussen getroffen, der dort lebt und für Radio Free Europe arbeitet. Er hat mir ein Buch mitgebracht: den Ulysses von James Joyce, den er ins Weißrussische übersetzt hatte. Ohne Honorar. Eine Irrsinnsarbeit, und angeblich eine sehr gute Übersetzung. Auflage 800 Stück. "Damit die Weltliteratur auch im Weißrussischen existiert." Das ist ein Akt des Widerstands.

Standard: Ihr nächstes Buch wird einen Aspekt galizischer Geschichte thematisieren.

Pollack: Die Auswanderungsgeschichte, ja. Oder genauer: Die Umstände, unter denen die Menschen auswandern. Ende des 19. Jahrhunderts. Auch damals gab es ja so etwas wie eine organisierte Auswanderung. Weil damit ein großes Geschäft zu machen war. Da gab es zum einen die Schifffahrtslinien, die immer größer wurden – also brauchten sie auch Leute, die man in die Schiffe hineinzwängte. Und es gab die Länder selbst, Argentinien, Brasilien, die um Einwanderer warben. Millionen Menschen sind damals aus Russland ausgewandert. Das ist über den Hafen in Hamburg gegangen, über Bremen, Lateinamerika, über Triest, Genua oder Liverpool. Die Häfen haben stark konkurriert. Die Schifffahrtslinien wollten einander hinausdrängen aus dem Markt. Sie haben Agenten eingesetzt, die bis in die Dörfer gingen. Und es gab Frauenhandel. In Lateinamerika, im Orient, in Indien saßen galizische Mädchenhändler.

Standard: Wie aber wurden die Mädchen in den Dörfern aus ihren Familien herausgelöst?

Pollack: Durch Versprechen. Man hat sie geheiratet. Und waren sie auf dem Schiff, waren sie schon dran. In Rio de Janeiro gab es einen ganzen Friedhof, nur für jüdische Prostituierte aus Polen, der ihnen auch gehörte. Auch eine eigene Synagoge.

Standard: Sie sehen Parallelen zu heutigen Strukturen des Menschenhandels?

Pollack: Was mich nachdenklich stimmt: Zum Beispiel in meiner Gegend des Burgenlandes – aber das ist überall in Österreich so – , da gibt es am Land Bordelle ohne Zahl. Und wenn man sich das anschauen würde, ich bin sicher, das funktioniert wie vor hundert Jahren. Wenn ... Aber es geschieht nichts. Das ist dieses Augenzwinkern einer Männergesellschaft. Bis vor kurzem gab es in Österreich die sogenannten "Tänzerinnen-Visa". Aus Ländern, wo die Visa relativ schwierig zu bekommen waren, haben sogenannte Künstler-Agenturen "Tänzerinnen-Visa" bestellt – und die bekamen die Visa relativ einfach. Wobei jeder, der es wissen wollte, wissen musste, dass es nicht so viele Künstlerinnen gab. Das war ganz normale Prostitution. (Cornelia Niedermeier, DER STANDARD/Printausgabe, 11.03.2008)

Zur Person:

Martin Pollack, 1944 geboren in Bad Hall, studierte Slawistik und osteuropäische Geschichte. Bis 1998 war er Redakteur des "Spiegel" in Wien und Warschau. Übersetzer aus dem Polnischen, u. a. der Werke von Ryszard Kapuœciñski. Bücher: "Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann" (2002) und "Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater" (2004).

Martin Pollack: "Warum wurden die Stanislaws erschossen? Reportagen". 232 Seiten/20,50 €. Zsolnay 2007.

2008-03-11