Aus der Kaulquappe wird der Froschkönig
Franz Josef Czernin im Interview über das Schreiben an sich und seinen eben erschienenen Gedichteband "staub.gefässe"
Franz Josef Czernin zählt zu den wesentlichen Dichtern der Gegenwart. Der eben erschienene Band "staub.gefässe" versammelt Gedichte aus drei Jahrzehnten. Mit Cornelia Niedermeier sprach er über das Schreiben.
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Wien - Nachdenken über die klaffenden Abgründe, die Leerstellen zwischen den Dingen, den Worten, den Menschen. "Sollte ein Gedicht" , schreibt Franz Josef Czernin in seinem Aufsatz über die Poesie Der Himmel ist blau, "sollte ein Gedicht - und wenn es auch nur von einem blauen Himmel oder von einem Haus redet - nicht auch das sein, was zeigt, wie fremd oder fern einander Laute und Buchstaben, Buchstaben und Wörter, Wörter und Begriffe oder auch Sätze und Aussagen sind ..."
Eine Ferne, die erst recht oder auch zwischen der Sprache und dem besteht, was sie abzubilden versucht. So schreibt er dort den Satz fort: "... und dann auch, wie fern Laute, Buchstaben, Wörter, Begriffe, Sätze und Aussagen, alle diese sprachlichen Sphären und Gegenwarten, von dem blauen Himmel und dem Haus oder den Erinnerungen daran, den Vorstellungen davon sind?"
Seit mehr als dreißig Jahren erforscht Franz Josef Czernin das Verhältnis von Sprache und Welt. Seine Gedichte wie auch seine theoretischen Schriften zählen zu den wesentlichen Werken der österreichischen Gegenwartsliteratur. Nun erschien im Münchner Hanser Verlag der Band staub.gefässe, der Gedichte aus allen Perioden seines Schaffens vorstellt (drei davon sind heute als Teil der Aktion Wurfgedichte im Standard zu lesen): von ihm selbst neu zusammengestellt.
Die einzelnen Abschnitte tragen Titel wie "liederlich, mit vielen tieren" , "zeitigendes" oder "versionen" und lassen vermuten, dass diese Komposition selbst vielleicht ein Gedicht sein könnte. In jedem Fall ein Spiel, dem sich anzuvertrauen einiges an Freude verspricht - und Erkenntnisgewinn.
Standard: Bei Ihren Lesungen lesen Sie alle Ihre Gedichte stets zweimal unmittelbar hintereinander.
Czernin: Ja, komplizierte Gedichte rauschen beim ersten Mal nur herunter am Hörenden. Beim zweiten Mal bekommt man bereits etwas mehr mit. Man sollte Gedichte immer laut lesen - und öfter hintereinander. Dann ist es so, dass es in meinen Gedichten Wörter gibt, die man verschieden betonen kann. Je nachdem, wie man sie betont, ist der Sinn anders. Und wenn es schon zwei Möglichkeiten gibt, soll das nicht folgenlos bleiben: Beide Bedeutungsmöglichkeiten haben Folgen im Gedicht. Beide entsprechen je einem Thema des Gedichts.
Standard: Ein Beispiel?
Czernin: Das Gedicht das eingefleischte kleid.
Standard: Die ersten vier Verse des Gedichtes lauten: "dies eingefleischte kleid, darin ich tief versenkt, / dass es sich, stoffe blühend, glanzvoll uns entfaltet, / prächtig erscheint, schön färbend; schleierhaft beengt / es mich, doch damit uns erwirkt, hier leibhaft waltet"
Czernin: Das Eingefleischte, das ist das Gewohnte. Aber "das eingefleischte kleid" könnte der Körper sein. "stoffe blühend" , da ist das Kleid, aber auch die Natur. "prächtig erscheint" erscheint entweder prächtig, indem es auftaucht, oder es scheint nur, prächtig zu sein. "schön färben" ist schönfärberisch und tut nur so, als ob es schön wäre, oder ist wirklich schön färbend. "schleierhaft" : das Kleid. Und zugleich unverständlich. Es "beengt mich" . Aber gerade weil es mich so tief beengt, "erwirkt" es uns , also bringt uns hervor, uns, die wir die Welt sind. Und wirken ist ja auch ein Ausdruck aus dem Herstellen von Kleidern.
Standard: Also könnte ich die zwei Themen benennen als die konkrete, materielle Welt des Kleides einerseits und die Welt des Scheins in einem weiteren, philosophischen Sinn auf der anderen Seite?
Czernin: Es ist ein bisschen wie bei musikalischen Verarbeitungen. Man kann nicht ein Thema anschlagen und es dann vergessen - das gibt es natürlich auch, man kann zum Prinzip machen, dass ein Thema verlorengeht. Ein Prinzip des Themas ist, dass die Anklänge alle wieder eingefangen werden im Laufe des Gedichts. Was natürlich nicht geht. Es geht immer sehr viel verloren.
Standard: Sie umkreisen, umtanzen die Assoziationsfelder der Wörter.
Czernin: Manchmal denke ich, dass diese Assoziationsfelder ein anderer Aggregatzustand des Gegenstands sein können. Also dass der Gegenstand, der draußen ist und der innere Gegenstand - als Gegenstand, der durch Sprache evoziert wird - derselbe sein könnte, aber in einem anderen Zustand. So wie es in der Natur vorkommt, dass ein und dasselbe Tier sich verwandelt. Also aus der Kaulquappe wird der Frosch. Und aus dem Frosch der Froschkönig. Das ist vielleicht eine Art Metamorphose, die die Sprache mit den Dingen anstellen könnte.
Standard: Als Antwort auf die Kluft zwischen den Dingen und den Wörtern, die sie bezeichnen?
Czernin: Es gibt immer den Wunsch, oder vielleicht auch die Furcht davor, sich mit dem Gegenstand zu vereinigen. Dieses Wechselspiel, dieses Aufgeben von Grenzen. Diese Spannung zwischen den Polen. Das Zeichen ist ganz woanders als der Gegenstand. Und es kann geradezu eine Vernichtung des Gegenstands sein, ihn zu bezeichnen: ein Gewaltakt.
Standard: Wie sähe diese Gewalt in der Bezeichnung aus?
Czernin: Dass die Sprache sich zwischen einen selbst und den Gegenstand stellt. Dass die Sprache mit ihren vorgefassten Kategorien das, was ein Gegenstand unmittelbar ist, nicht so nuanciert wiedergeben kann. Etwa ein Haus. Und die dichterische Sprache ist vielleicht ein Versuch, die Fülle der sinnlichen Wahrnehmung auf andere, dem Medium der Sprache gerechte Weise, wieder hervorzubringen, sprachartig hervorzubringen. Diese Fülle nicht zu verarmen durch die Sprache, sondern umzuwandeln. Eine Erlebnisfülle.
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