Bärentanz

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Publisher: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
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Publication Date: 06.08.2021
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In stock: YES
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Country: Austria
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Bärentanz

 

Ausschnitte aus Irena Dousková, Medvědí tanec. Brno 2014, S. 63-69; 72-75

Sie haben ein Schwein geschlacht,

es hat keinen Mucks gemacht.

Da haben´s einfach umgebracht

das alte Schwein der Schwiegermutter.

Sie haben es ringsherum gejagt

durch den ganzen Stall.

Verwechselten es mit dem Ochsen,

erschlugen ihn fast in den Boxen…

„Was machst du? Schreibst du den Švejk schreibst du? Izvini, ja tolka…“

„Warum? Brauchst du etwas? Passiert etwas?“

„Nein, nein, nitschewo, ich mach nur…“

„Lass mich, ich bitte dich. Wenn das nicht wichtig ist, dann lass mich.“

„Und im Wirtshaus? Wenn alle schreien? Tam tebja wasmoschno? Das stört dich nicht?“

„Das ist etwas Anderes. Also was ist?

„Nitschewo.“

Sie ging weg. Er zerknitterte das Papierl. Warf es weg. Er schreibt Švejk. Ein bisschen hatte er geschrieben, aber schon hörte er auf. Dieses Spiel da, hier, das er versprochen hatte, wenn er es schon versprochen hatte, hätte er es schreiben müssen.  Noch wenigstens einen Augenblick. Ein Schwein. Das Schwein der Schwiegermutter. Das dürfte ihnen gefallen. Oder beleidigt es sie vielleicht. Warum sollte es sie beleidigen? Das ist witzig. Wann immer er sich an diesen Menschen erinnerte, tauchte vor seinen Augen ein Ferkel auf. So oder so. Aber daran ist Mašek nicht schuld. Wenn er sich selbst aus Versehen im Spiegel anschaut, taucht es ihm auch auf. Auch bei diesem Schweineschlachten redete er von Ferkeln. Andererseits wieder von etwas Anderem. Bei der Enthüllung der Denkmäler der Gefallenen spricht er nicht. Dort rufen sie ihn nicht hin und wissen warum. Ferkel für Ferkel. In einem Stück, in einem fort. Heißt das, dass er verrückt wird? Dass er etwas macht, was er nicht machen sollte? Oder dass vielleicht die ganze tschechische Gesellschaft solch eine Art Schweinsbraten ist? Und die deutsche? Und die österreichische? Fressen, Saufen, Fressen, Saufen… Was kann er sagen? Beginnt er verrückt zu werden? Der Bauch tut ihm weh. Von all diesen Ferkeln, die er einmal gefressen hat. Wieviel könnten es gewesen sein, wenn man sie zusammenzählt. Gibt es letztendlich kein Gewissen im Magen (Bauch)? Wenigstens also hier, in Mitteleuropa. Im Darmeuropa, könnte man sagen. Aber ein Gewissen hat er trotzdem nicht. Das wissen alle.

Er schreibt sich hier auf, was er gernhat. Hupajdi, hupajda [župajdijá, župajdá], aber der Herr Gott verlegt uns nicht. Ob er uns in den Dreck steckt, kratzt er uns doch wieder heraus… Ob er uns ins Dickicht steckt, nagt er uns doch wieder heraus. Hupajdi, hupajda [župajdijá, župajdá], doch wird uns Herr Gott nicht verlegen (hineinstecken)… Trotzdem nur noch Švejk. Jurajda. Das Spiel erst morgen. Oder vielleicht am Nachmittag.

 

 

Den Ausgefressenen hat sie aufgefressen. Er glänzt ganz. Arm, aber ausgefressen. Er ist nicht mehr arm. Hat sich ein Häuschen gekauft. Für Švejk. Und er war glücklich. Ist noch glücklich. Er ist nicht mehr arm, nur ausgefressen. Er hat nichts, aber er hat ein Häuschen. Das hat hier in Lipnice immerhin jeder. Auch Ferda Pokrok.

Ein Revolutionär. Wo ist das geblieben? In Europa geht das Gespenst des Kommunismus umher. Das ist richtig. Er hat ihn gesehen.   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tonda haben sie Bier holen geschickt. Er war froh. Nicht deswegen, dass sie ihn geschickt haben, sondern wenn sie ihn schon geschickt haben, dann wegen des Bieres. Er trägt einen Krug, jeder sieht das und niemandem muss er etwas erklären. Hauptsächlich Hašek nicht, wenn er dort zufällig wäre und wenn er ihn wieder zufällig anstänkert.

Er war dort. Sogar auch mit dieser seiner russischen Weltdame [panička]… Er ist dort nämlich angeblich in einem Fort. Großmutter hat gesagt, dass er am Stück (ununterbrochen) beim Wirten sitzt und Bier sauft.  Und verführt die anständigen Lipnitzer Bürger zur Sünde. Pflegte die Großmutter zu sagen. Angeblich haben sie schon den Herrn Schuldirektor gesehen, wie er mit ihm trinkt. Aber das glaubte Tonda nicht unbedingt. Herr Schuldirektor trank immer nur Wasser oder Lindenblütentee. Besser überhaupt nicht auf ihn achten, dieses Rindviech, pflegte die Großmutter zu sagen. Hašek, nicht Herrn Schuldirektor. Da wird er ihn also nicht beachten.

Er grüßte und kümmerte sich um seine Angelegenheiten. Besser nicht viel im Lokal herumschauen.  Er wartete, solange Invald ihm das abzapft, er schaute, wie von dem anderen Zapfhahn die Tropfen abtropfen, wie sie auf der Buddel Lacken bilden und wie sich auch auf dem silbernen Körper des Zapfhahns Wasser kondensiert. Wie ein Tropfen manchmal den anderen einholt, sich mit ihm verbindet und zusammen dann mit größerer Geschwindigkeit hinter dem nächsten herjagt. Umso mehr von ihnen beisammen [pokupě] waren, umso schneller flossen sie hinunter. Außer Tonda schaute darauf von der Wand der Präsident, der Befreier. Dass sie sich nicht schämen, ihn im Beisel aufzuhängen, die Trinker. Alle würde er im Schweinsgalopp hinausjagen, pflegte die Großmutter zu sagen. Woher sie wusste, dass er da hängt, wenn sie niemals zeitlebens das Wirtshaus nicht betreten hatte, war für Tonda ein Rätsel. Der wäre vielleicht nicht besonders froh gewesen, dass sie Tonda Bier holen geschickt haben. Herr Schuldirektor erzählte, dass der Präsident nicht einmal anrührt und dass gerade auch er, der Schuldirektor, seinetwegen mit jeglichem Alkohol aufgehört hätte. Ihm zu Ehren. Früher, erzählte er den Schülern, habe er im Jahr vier Bier getrunken. Eines beim Fasching, das zweite bei der Wallfahrt, das dritte bei der Kirchweih und das vierte am ersten Weihnachtsfeiertag. Dann aber, als Tomáš Garrigue Masaryk unser Väterchen wurde, hörte er mit dem Trinken ganz auf, um zu zeigen, dass er dem Herren Präsidenten würdig ist.

Der mittlere Präsidentenname drehte sich Tonda lange im Kopf herum. Als er einmal zu Hause anmerkte, dass dieses Garrigue wie irgendein Hund sei, dass das ganz wie eine Hundename klingt. So warum also… Da bekam er vom Papa eine Watschen. Dass das angeblich kein Hund sei, sondern die Gattin. Dass das ihretwegen ist. Sei es also, wie es sei. Er kann auf Masaryk und seine Gattinnen und Hunde scheißen.

„Komm her für einen Augenblick!“  

Er ist schon da.

Tonda! Du bischt Tonda, nicht wahr? Komm her.“

Was sollte er machen.

„Also heute…“

„Heute hole ich Bier,“ schrie er fast

„Naja, das sehe ich. Das letzte Mal hattest Du keine Zeit, also heute, was sagst du?

Wieder verschlug es ihm die Sprache. Er schaute nur blöd, wie sie das Mittagessen verspeisten.

„Lexa, bring ein paar Würstel. Und zwar sofort. Bevor ihm das gezapft ist… Nimmst du sie, nicht? Ich bin dein Schuldner.“

Würstel!

„Also was is? Setz‘ dich. Aha, du fürchtest sie, was? Sie beißt dich nicht. Sie ist ebenso schon im Aufbrechen, nicht wahr, Šura? Ich stelle euch vor. Das ist Tonda und das, Tonda, ist Fürstin Alexandra Lvová.“

Fürstin? Er lachte ein weniger als ein bisschen. Es kam ihm wie ein Witz vor, aber sicher war er sich nicht.

„Glaubst du nicht?“

Zum Glück kamen die Würstel.

„Glaub‘ einfach nicht, daran tust du gut. So iss, dass es dir nicht kalt wird. Sie beißt dich nicht. Aber sie könnte. Das ist nämlich keine Fürstin, sondern eine Wilde aus Sibirien, vom Stamm Fresse-Nehme. Samojeden.  Wenn Du davon noch nichts gehört hast, dann kann ich dir sagen, dass die Samojeden bekannte Menschenfresser sind. Du musst natürlich keine Angst haben, schon einige Monate bevorzugt sie Schweinefleisch. Auch Hühnerfleisch verachtet sie nicht, wenn es nichts Besseres gibt. Es hat eine Weile gedauert, bis ich sie gezähmt und ein bisschen zivilisiert habe. Aber es hat sich gelohnt.“

Šura sagte nichts. Tonda schaute sie lieber nicht länger an, aber doch nur kurz hinschauen, wie sie mit den Zähnen die Reste des Hühnerschenkels zerkleinert. Sie hielt ihn in der Hand und in den Augen, schien es ihm, funkelte es verzückt.

„Willst du wissen, wie wir uns kennengelernt haben? Ich sage dir das ruhig. Eigentlich habe ich sie aufgetrieben.“

Šura schob den Teller weg.

„Idu. Ty chatel pisatj jeschtscho. Saplatj i prichadi.“

Sie ging. Tonda wurde lebendig.

„Also wie war es?“ fragte er. „Wie haben Sie sie aufgetrieben?“

Aber der Schriftsteller winkte ab.

„Fortsetzung später,“ sagte er. „Sie hat recht, ich muss schreiben. Komm mich einmal besuchen, wenn du willst. Ich erzähle dir alles. Oder ich lasse dir Tarzan erblühen, wenn ich ihn finde.“

Er muss schreiben. Na ja, das gibt vielleicht einen Sinn, wenn das ein Schriftsteller ist. Er hatte nur ebenso das Gefühl, dass ihm dieses Erzählen einfach eher keinen Spaß mehr machte.  Soeben war sie weggegangen.

„Kennst du Tarzan?“

Er schüttelte den Kopf.

„Im Lesebuch habt ihr ihn nicht, was? Das schrieb mein Freund Matej. Im Ernst, ich lüge nie, wie du schon sicher bemerkt hast. Also er übersetzte ihn, aus dem Englischen. Und das ist die Wahrheit, so wie Masaryk über mir. Lexo, mach ihm da noch Schaum, sonst macht er einen Abstecher.“

Ohnehin bekomme ich Prügel, es ist schrecklich spät. So wird’s wieder.

„Seid fest und selbstständig, fürchtet euch nicht und erschreckt euch nicht vor ihnen, denn der, der mit dir geht ist der Herr, der dich nicht aus der Hand fallen lässt und dich nicht verlässt.“

Du machst dir mit ihm wieder einen Spaß.

„Ihr seid dort auch nicht.“

„Wo“

„Im Lesebuch.“

„Ich? Burschi, da müsste ich ein anderer Honigscheißer sein, damit sie mich ins Lesebuch geben.“

Tonda wusste nicht, ob er das Wort richtig verstanden hatte. Er hatte es noch nie gehört. Fragen wollte er aber nicht, um nicht als Trottel da zu stehen. Es ärgerte ihn schon das mit dem Tarzan. Honigscheißer. Was konnte das sein?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Pfarrer neigte sich noch einmal über das Bettchen, um dem Säugling ein Kreutz über der Stirn zu machen.

„Er ist nicht so scheußlich, wie Kinder gewöhnlich sind,“ sagte er nachdenklich, ohne auf die Hausfrau zu schauen. Er schaute durch sie hindurch auf das Fenster in den Garten, wie sich dort die Meiserln um ein Stück Speck raufen. Er hatte ihn selbst gestern an den Apfelbaum gehängt. Er drehte sich um, als [až když] sie in Weinen ausbrach. Ja, ausbrach, anders konnte man das nicht nennen. Dabei schüttelte es sie ganz. Ach Gott, wie unanständig sich wieder diese Frau benahm. Er hatte sich vielleicht nicht auf die beste Weise ausgedrückt, aber er hatte das als Kompliment gedacht.

„Ich bitte dich, weine nur nicht. Du weißt doch, wie ich das gedacht habe. Hast du vielleicht niemals einen Neugeborenen gesehen?“

Keine Antwort. Anstelle dessen umarmte sie das Kind, drückte ihr Gesicht voller Tränen daran und schüttelte sich mit ihm so lange, bis es selbst heulte.

„Kinder sind doch schrecklich hässlich, diese kleinen. Faltig und fast lila… Ich müsste weinen. Das kommt wieder.“

Nichts. Lieber zog er sich an und ging hinaus. Er machte ein paar unentschiedene Schritte in Richtung des Futterplatzes. Unter die Meisen mischte sich ein Kleiber. Grund zu einem neuen Tumult. Für ein Stück Bissen. Die himmlische Vogelwelt hat keinen Verstand. Es war seine eigene Nichte. Kochen konnte sie weiß Gott nicht wie, er nahm sie mehr aus Mitleid zu sich, die saure alte Jungfrau.  Sie hatten ihn hierher zur Hebung der Sittlichkeit versetzt. Er hatte einen guten Namen, einen soliden Ruf. Er beabsichtigte entschieden nicht, Abende der katholischen Jugend zu veranstalten, wie sein Vorgänger. Und jetzt dieses. Sie sagen noch, dass es seines ist. Sicher sagen sie das. Keine Niederträchtigkeit ist niedrig genug, dass sie nicht dem Pfarrer verliehen (angehängt) würde. Dem katholischen… Was könnte ihn auch erwarten, in Böhmen.

Er fragte sich auch nicht, wie ihr das passiert ist. Er wollte es lieber nicht wissen. Eine große Unannehmlichkeit, eine große. Aber trotzdem wird er sie deswegen nicht fortjagen. Wenn sie wenigstens nicht so unerträglich wäre. Was da geboren wurde, es ist mit ihr nicht zum Aushalten. Irgendeine seltsame Hysterie hat sich ihr bemächtigt, sie heult nur ständig. Er muss noch den Eintrag in der Matrikel ausfüllen. Er dachte, dass er ein bisschen zur Besinnung kommen muss und sagen, wer das war. Aber es kam nicht. Er wird dort hinschreiben müssen „Vater unbekannt“. Ein drittes Mal wird er sie nicht fragen, er hat keine Nerven für eine weitere weinerliche Szene. November, Oktober, September… Er rechnete bis März. Was war im März? Was konnte da sein? Kalt wie in der Hundehütte [psirna]. Und sonst? Mitte März  schneite es wieder, zu Ostern lagen noch stellenweise Schneereste. Sie wollten ausmalen, wegen des Frostes verschoben sie es um einen Monat. Es ärgerte ihn, dass sie es nicht vor den Feiertagen geschafft hatten. Auch der Bischof kam. Ein außerordentliches Ereignis, er übernachtete sogar im Pfarrhof. Ein prächtiger Mensch, bescheiden, erhebt sich nicht über niemanden. So muss es sein. Sie hielten gemeinsam die Messe und am Abend haben sie sich gut unterhalten. Er, Seine Exzellenz und noch der Bürgermeister, der sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen konnte. Er fühlte eine tiefe Dankbarkeit, man hat niemanden zum Reden. Ostern, der Bischof, des alten Jareš‘ Begräbnis, das Begräbnis Pokorný…  Das alles gab keinen Sinn. Schließlich war das der Heilige Geist.  Er lächelte säuerlich. Wie verroht er auch schon war.

Die Spechtmeise ist ein schöner Vogel. Ein eleganter. Einmal hatte er im Sommer einen Wiedehopf gesehen. Ganz nah. Eine Pracht, ein göttliches Wesen. Wie ist es überhaupt möglich zu zweifeln. Er erinnerte sich oft an ihn, wenn er zweifelte. Eine Schönheit, eine große Schönheit. Aber man sagt, dass er schrecklich stinkt, der Wiedehopf. Er begab sich zur „Krone“, um etwas zu essen, so schnell wird sie nicht kochen. Na und was, es stinkt so.  Wer sich nach gutem Geruch sehnt, soll sich Veilchen pflücken. Vor dem Ausschank sah er Hašek stehen. Auch das noch zu all dem. Ein schlechter Tag. Aber der Schriftsteller lächelte freundschaftlich. Das kennen wir, dachte er sich. Da hat er immer diesen unschuldigen kindlichen Ausdruck, dieses ruhige Gesicht des gut gesättigten [napapaný] Säuglings. Und dann kommt es. Er versuchte das Lächeln zu erwidern.

„Wollen Sie nicht etwas mit mir trinken? Ich lade Sie ein!“

„Ich will nicht, danke. Jetzt nicht.   

Übersetzung©Stephan Teichgräber

Author

Irena Dousková

 

Translator

Stephan-Immanuel Teichgräber

Lebenslauf

 
Medvedí Tanec