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Dr. Florin Oprescu
Universität Timişoara/Temeschwar
Der neue Expressionismus des Lucian Blaga
Durch seine Kontakte mit der Wiener Bohème in den Jahren 1916-20 stößt Blaga auf die neue Kunst, und zwar - wie man in seinem autobiographischen Werk Hronicul şi cântecul vârstelor (Chronik und Gesang der Zeiten) nachlesen kann - vorwiegend in Gestalt einiger „Manifeste der modernen Kunst“. Blagas Bekenntnisse dienen der Klärung der eigenen Position und ästhetischen Optionen angesichts der Entwicklung der expressionistischen Programme. „Dem Text“, so schreibt Blaga etwa, „waren Illustrationen in der Art der revolutionären Malerei beigefügt. So kam es zu meinem ersten Kontakt mit expressionistischen Innovationen. An den Ideen fand ich nichts Esoterisches. Im Gegenteil, sie erschienen mir klar, und die geäußerten Sätze hatten für mich die Evidenz von Axiomen. Wenig repräsentativ und schlecht gewählt waren die Illustrationen, mit denen die Thesen illustriert werden sollten: Hier, seht die 95 Thesen Luthers. Erst mit der Zeit gelang es mir, meine Einstellung zur neuen Malerei zu revidieren.“ Mit der Reifung seines künstlerischen Geschmacks variiert für ihn die Funktionalität expressionistischer Darstellungsweisen: „Ich versuchte Sie weiterhin davon zu überzeugen, dass die Theorie stimmte“, sagt Blaga, „ich aber die künstlerischen Umsetzungen der Expressionisten nicht akzeptieren konnte.“
Der Expressionismus hat für ihn rein theoretischen Wert, während ihm dessen künstlerische Praxis steril erscheint und außerstande, jene grundlegende Haltungsänderung des Künstlers zu bewirken, deren Notwendigkeit sich ihm aufdrängt. Aus seinen Reaktionen lässt sich ableiten, dass der Wiener Expressionismus für ihn eine partiell dem Bewusstsein des Absoluten entspringende Bewegung darstellt, die sich zugleich aber durch einen Individualismus auszeichnet, der das Individuum auf einen engen Raum beschränkt, weit entfernt von der „großen anonymen Existenz“. Insofern bietet ihm die künstlerische Bohème Wiens die Möglichkeit einer ästhetischen Übung, die das Fundament seines eigenen, durch und durch eigenständigen künstlerischen Programms legen sollte.
Das Bild des neuen Wiener Künstlers wird von Blaga im Kontext der europäischen Avantgarde entworfen, auch wenn es an den Künstler der Dekadenz erinnert. Dieses Bild entspricht dem Programm der Avantgarde, d.h. man kann ein Auseinanderklaffen zwischen Rhetorik und ästhetischen Normen beobachten, für die Hysterie sowie die Rückkehr zu einen in „Infantilismus“ übergehenden „Primitivismus“ kennzeichnend sind. Die direkte Kritik an der neuen Kunst ist für die Art und Weise, wie Blaga sein eigenes ästhetisches System entwickelt, für seine Beziehung zum mioritischen Raum, von großer Bedeutung. Blagas neuer Theorie und seiner dichterischen Praxis kommt die Aufgabe zu, den Rahmen eines neuen Expressionismus zu definieren, einen neuen Stil, der die formativen Zwänge des deutschen oder österreichischen Kanons hinter sich lässt. Er etabliert einen humanisierten, durch den Geist einer kosmistischen Vision dörflicher Natur gemilderten Expressionismus, einen Postexpressionismus mit flexiblem Rahmen, eine Doktrin, die sich gegenüber allen Zeitaltern im Verhältnis der Synchronie sieht.
„Die Welt Hugo von Hofmannsthals“, das heißt – wie er Cornelia Brediceanu gegenüber bekennt -, „die an einer erinnerungsschweren, sanften Anämie leidende österreichische Dekadenz“ war für Blagas künstlerisches Schicksal insofern von großer Bedeutung, als er sein System und sein künstlerisches Schaffen zum Teil im Kontext und in der Atmosphäre des Wiener Début du siècle entwickelte. Ebenso wie für Hofmannsthal ist für Blaga die Poesie eine sublime Form der Erkenntnis, ein Modus, um an das Mysterium der Existenz heranzureichen.
In Musils Kakanien findet Blaga das Gefühl des Endes, das Gefühl einer im 20. Jahrhundert präsent werdenden paradoxen Welt, die in tragischer Weise empfänglich wird für eine unwiederbringlich vergangene, zugleich jedoch nach wie vor anwesende Zeit. „Wer die österreichische Geschichte des 19. Jahrhunderts studiert, wird sich dem Charme der Hegelschen Dialektik als Erklärungsmodell der Geschichte kaum entziehen können; denn diese Geschichte bietet uns auf Schritt und Tritt Situationen, die ihr eigenes Gegenteil hervorbringen.“ In Wien, aber auch im ganzen österreichisch-ungarischen Kontext, macht Lucian Blaga die beängstigende Erfahrung der Aggression, die von der Moderne und Modernität gegen das, was er „Matrizenpermanenz“ nennt, ausgeht, selbst wenn er dabei die Notwendigkeit des Protests einer neuen Generation gegen eine sich auflösende Welt begreift.
Die Obsession der Wiener Künstler, sich mit ihrer Manifestation für die Moderne im Zentrum der europäischen Kunst zu positionieren, ist für ihn ein unbewusster, atavistischer, einer genetischen Mutation entspringender Fehler. Dieser Komplex hat unter den vorangegangenen Generationen seine Opfer gefordert und drückt die Identitätskrise dieser Generation aus. Es ist offensichtlich, dass Wien „der Ort überraschender Konvergenzen zwischen dem logischen Empirismus, Freud und der Malerei war. Für manche ist Wien der Geburtsort der Moderne“. Der Pol der europäischen ästhetischen Moderne verschiebt sich ostwärts und explodiert im Wien des beginnenden Jahrhunderts. Das Paradox Wien entspringt dem Konflikt zweier Welten: Auf der einen Seite das Wien der bürgerlichen Tradition, eine von der Vergangenheit zehrende, oft anachronistische Welt, und auf der anderen Seite die neue revolutionäre Bewegung junger Künstler, die mit ihrem aggressiven Reformdiskurs auf einen Umsturz in Kunst und Gesellschaft setzen. Die Rhetorik des Wiener Expressionismus mit seiner Bereitschaft zum Wandel um jeden Preis bestimmt Lucian Blaga dazu, sich auf andere Werte zu beziehen, deren Maß die Tiefe und nicht die Kraft des „Schreis“ ist.
In einem Bekenntnis an I. Oprişan steckt Lucian Blaga die Koordinaten seines in einer tieferen Realität wurzelnden, individualisierten Expressionismus ab, wenn er schreibt: „Mein Expressionismus, sofern Du ihn unbedingt so nennen willst, erricht – vor allem im letzten Abschnitt des Lauda somnului (Lob des Schlafes) – einen Grad an Organisiertheit, der an Kristall erinnert und das Attribut neoklassizistisch erhalten könnte.“ Die Kristallisierung des Expressionismus ist eine Konstante in Blagas Dichtung. Dieser Reinigung der Kunst liegt, nach Aussage des Dichters, ein Neoklassizismus zugrunde, den eine notwendige Temperierung nach dem Wiener Experiment zwingend erscheinen lässt.
Wenn der rumänische Kritiker Vladimir Streine eine Parallele zwischen Lucian Blaga und Arno Holz zieht, so stellt sich Blaga selbst die Frage nach dieser möglichen Entwicklungslinie, indem er eine „schematische, am ehesten typographische Ähnlichkeit“ konstatiert. Blaga lehnt in diesem Zusammenhang eine Verbindung zum „extremen Impressionismus“ ab, und die Verbindungslinien zum Expressionismus sind vorläufig und formal.
Bei dem von Blaga postulierten „metaphysischen Traditionalismus“ handelt es sich um eine Synthese der aktuellen (modernen) Sensibilität mit den „ursprünglichen Tiefenelementen unserer Seele“, jenseits jeglicher Doktrin und somit „unberührt von Romantik, Naturalismus oder Symbolismus“. In diesem Zusammenhang ist für das Verständnis der künstlerischen Vision Blagas die Feststellung des Kritikers George Gană fundamental, dem zufolge sich „Blaga nicht unter dem Einfluss des Expressionismus, sondern parallel zu ihm entwickelt“ , weshalb wir „von wenigen Ausnahmen abgesehen, nach La cumpăna apelor (An der Wasserscheide) keine expressionistischen Gedichte mehr finden.“ Blaga versteht „die Sünde, die auf meinem Haus lastet“ als einen Akt der auflösenden Interpretation und Flucht in die Hybris des modernen Künstlers, der die Anonymität des reinen Schaffens vergisst.
Auch wenn sich in den Werken des reifen Dichters, in gewissem Einklang mit expressionistischen Haltungen, das Gefühl des Endes sehr intensiv bemerkbar macht, so zielt Blagas Konzeption auf die Unmöglichkeit eines radikalen Wandels in der Kunst. Beredtes Zeugnis davon legen seine diesbezüglichen Äußerungen in einem Gespräch von 1935 dar: „In keinem Bereich des Ästhetischen, weder in der Literatur, noch in der bildenden Kunst, noch in der Musik, sind Revolutionen möglich. Es vollzieht sich keine Bewegung des Wandels (…) die Künstler streben nicht nach dem Neuen, sondern nach der Vervollkommnung. Man kann hier von einem neuen Klassizismus sprechen, denn Klassizismus ist die Tendenz zur Vervollkommnung mit traditionellen Mitteln.“
Das Unvermögen der innovativen Doktrinen, im Absoluten verankert zu bleiben, d.h. auf diese Weise ihre Permanenz in der Geschichte zu sichern, ebenso wie die oftmals inhaltsleere Form des Expressionismus, führen Blaga zu einer polemischen Haltung, aus der neue künstlerische Prinzipien entstehen. Blaga konstatiert, dass „nach der Auffassung der meisten Vertreter der Moderne Expressionismus der Wille ist, die Dinge durch Überzeichnung ihrer individuellen Züge zum Ausdruck zu bringen.“ Exemplarisch steht für ihn Grünewalds Isenheimer Altar aus dem Jahr 1500, der „zweifellos ein Beispiel expressionistischer Kunst“ darstellt und der u.a. die Kreuzigungsszene zeigt. „Betrachten Sie zum Beispiel die Kreuzigung. Wohl keine andere Darstellung derselben mag tiefer berühren. Die Querbalken des Kreuzes krümmen sich unter der Last des gekreuzigten Leibes. Die schmerzhaft verkrampften Hände des Heilands, in dessen Haupt und Schultern die Dornen einer riesigen Dornenkrone eindringen, zeigen das Leiden mit allergrößter Eindringlichkeit. Jesu Leib ist totengrün, die Dornen stecken in seinem Fleisch wie die Stacheln eines Igels. Die Füße sind zur Seite verrenkt, als wollten sie sich vom Kreuz lösen, doch große Nägel durchdringen sie, gleich der Axt eines Metzgers die Gliedmaßen eines Tiers.“
Grünewalds Bild zeichnet sich in seinem Verhältnis zum Natürlichen durch Überzeichnung aus, aber in Lucian Blagas Beschreibung ist der Ausgangspunkt der Darstellung nicht die Natur, sondern das Individuelle, das die subjektiven Dimensionen des Leids in den Mittelpunkt stellt. Aufgrund dieser Beobachtungen stellt sich für Blaga die Frage nach seiner künstlerischen Position in bezug auf den Expressionismus aus dem Blickwinkel des Verhältnisses zwischen Individuellem und Natürlichem. Trotz allem, behauptet er, sei es ein Irrtum, den Expressionismus als Überspitzung des Individuellen zu definieren. Die Definitionen, die den Expressionismus als Abweichung von der Natur positionieren, als Überzeichnung des Individuellen, seien nicht in der Lage, eine klare Grenze zum Karikaturhaften zu ziehen. Das mögliche Scheitern des Expressionismus läge somit in einer übertriebenen Reaktion auf alles, was Natur heißt, sowie in einer Vernachlässigung der Werte des Absoluten, denn der positive Wert im Expressionismus ist das Absolute. Die Transzendenz des Individuellen, und nicht seine Überspitzung als Abweichung von der Natur, biete Schutz vor dem Abgleiten ins Karikaturhafte.
Die Definition des Expressionismus erfolgt auf der Ebene einer Projektion des Ichs in den offenen Raum des kosmischen Mysteriums, in einer tieferen Annäherung des Schöpferischen an die Ursprünge. Blaga behauptet: „Jedes Mal, wenn ein Kunstwerk eine Sache so zum Ausdruck bringt, dass die Kraft und innere Spannung dieses Ausdrucks die Sache selbst transzendiert, über sie hinausweist und ihre Verbindungen zum Kosmischen, Absoluten und Unbegrenzten aufzeigt, haben wir es mit einem Werk expressionistischer Kunst zu tun“. Hier überschneidet sich Blagas Haltung mit jener von Worringer, auch wenn dessen Kritik am Expressionismus offensichtlicher ist. Als Gesamtphänomen war der Expressionismus für Worringer „nichts anderes als ein oberflächlicher Reiz“ , und zwar aufgrund seines Hangs zum dekorativen Exzess, zu „Kunstgriff und Artistik“, die den Blick hinter die Phänomene verstellten und nur für künstlerische Raffinessen und leidenschaftliche Erregung ohne Tiefe empfänglich machten.
Überzeugt, dass seine Generation „an inneren Widersprüchen leidet, die sie bis zur Erschöpfung quälen“, aber auch aufgrund der Tatsache, dass es nach all der Kritik eine Hinwendung zum Glauben - wenn auch eher einen Durst zu glauben, als echten Glauben - gibt, wendet sich Blaga seinem neuen Stil zu, den er in Feţele unui veac (Gesichter eines Zeitalters) theoretisch untermauert. Es ist ein Stil, der den operativen Mangel des Expressionismus überwinden soll. Die Hinwendung zur Malerei Van Goghs erklärt er damit, dass sie „eine echte Veränderung des ästhetischen Bewusstseins bewirkt.“ Die Ähnlichkeit der künstlerischen Überzeugungen und Anschauungen Van Goghs und Blagas ist darin zu erkennen, dass auch Van Goghs Kunst einen Bruch mit den Überzeugungen der Impressionisten markiert und als die Expression „einer tiefen Veränderung der Seele“ erscheint.
Für Blaga ist der Fall Van Gogh ganz besonders: „Ein Temperament von überwältigender Dramatik verleiht der Natur seine Seele und zwingt ihr ein Leben auf, das mehr das Leben des Künstlers, als ihr eigenes ist.“ Auf diese Weise verwirklicht sich eine Verbindung des Geistes im Absoluten, eine Harmonie zwischen Ich und universellem Geist, ein Ich, das auf subjektive Weise über objektive Realität verfügt. Man beobachtet eine Projektion des abyssalen Ichs in eine Realität, die ihre Form verändert und sich den Gefühlen des Künstlers unterwirft. Die neue Richtung impliziert „eine Kopernikanische Wende in der Kunst“, nach der sich „nicht mehr die Seele an der Natur ausrichtet, sondern die Natur an der Seele.“ Die fundamentalen Veränderungen, die das Innen durch das Außen bannen und dabei die Natur nach dem empfindlichen und labyrinthischen Modell des modernen Ichs zu einer abstrakten Größe verändern, treiben Blaga an und liefern ihm ein veritables Modell der neuen Kunst. Im Beobachtungsfeld des Dichters befinden sich die schöpferischen Valenzen von Nietzsches Übermenschen, die Realitätsflucht, der Antimimetismus, der Byzantinismus und die Extase des neuen Theaters, die abstrakte Extase von Brâncuşis Skulpturen, die konkaven Formen Archipenkos, die neuartigen physikalischen Hypothesen von Lorentz und das Arbiträre bei Einstein.
Die neue Sensibilität der Kunst zu Beginn des Jahrhunderts veranlasst Blaga zu einer vermittelnden Position zwischen den Künstlern und den traditionalistischen und konservativen Kritikern, die den jungen künstlerischen Bewegungen ablehnend gegenüberstehen. In Blagas Konzeption kommt der Gegenwart praktischer Nutzen zu, solange es den zeitgenössischen künstlerischen Bewegungen gelingt, sich zum Neuen hin zu öffnen und zugleich die Verbindung zum ahistorischen „Matrizenhintergrund“ zu bewahren und zudem nach stilistischer Einheit zu streben. Durch die stilistische Einheit kommt es zu einer stärkeren Bereitschaft für die Synthese, zur Fähigkeit, Hybris und destruktiven Individualismus zu überwinden.
In Orizont şi stil (Horizont und Stil) kommt Blagas Wertschätzung für die kulturelle Öffnung und künstlerische Explosion zu Beginn des Jahrhunderts zum Ausdruck. Er zeigt sich als Anhänger des neuen künstlerischen Paradigmas, in dem er – trotz aller ursprünglichen Vorbehalte – eine liberale Doktrin, die den Anderen toleriert, erkennt: „Wir sind derart daran gewöhnt, die Gegenwart zu verdammen, dass wir ihr nicht einmal die Gunst eines freundlichen Gedankens schenken. Und dabei hat unsere Zeit auch Seiten, die Lob verdienen. Wir haben den Vorzug, in einer Epoche des Einverständnisses mit allen Zeiten und Räumen zu leben, einer Epoche, die sich durch große stilistische Sensibilität und Anpassungsfähigkeit auszeichnet. Diesen Aspekt sollte man größerer Aufmerksamkeit würdigen, sofern man dem Minderwertigkeitskomplex, der uns festhält, entkommen will. In keiner anderen Epoche konnte sich der europäische Mensch diese mitreißende Fähigkeit, Einfühlungsvermögen und Verständnis für die kulturellen Erzeugnisse anderer Zeiten und Räume aufzubringen, im selben Maße zugute halten. In keiner anderen Epoche war die Sensibilität dermaßen universell“.
Für Blaga sind aber weder Existenz noch modernes Schöpfertum denkbar ohne lebensfähige Verbindung zu einer unverrückbaren Vergangenheit, was ihn freilich in ein Spannungsverhältnis zu den revolutionären Bewegungen der Gegenwart bringt. Er schätzt den offenen Charakter der Moderne, aber nur im Anachronismus, und bleibt Verfechter einer bewussten Akzeptanz und Reaktualisierung einer prähistorischen Permanenz, die dem Individuum die Chance einer Rückkehr zum anonymen, kollektiven Leben bieten kann. Darin liegt der Sinn des Schaffens im Absoluten, was soviel wie anonymes Schaffen und unpersönliches, kollektives Sein bedeutet. Die Notwendigkeit, das Absolute zu erkennen und im Absoluten zu schaffen, führt zu einem trans-individuellen Weg, der dem Ich den Zugang zur ursprünglichen Welt, zu den Essenzen eröffnet. Die Veränderungen, die von den neuen künstlerischen Bewegungen intendiert werden, haben ihren Wert in dem Maße, in dem sie in ihrer revolutionären Unbeugsamkeit gegen die Vergangenheit nicht stecken bleiben und die Wichtigkeit einer höheren Synthese begreifen, die sowohl die Permanenz der Tradition als auch die durch eine neue Sprache gestützte neue Sensibilität einbezieht.
Im Bewusstsein der Tragik des historischen Seins, das den jedem Werden immanenten Archetypus der Ewigkeit außer Acht lässt, stellt er fest, dass das Dorf „der Repräsentant der Prähistorie in unserer historischen Welt ist“ , eine Tatsache, die er im Lob des rumänischen Dorfs nuanciert. Dieser Akt der Regression in die Prähistorie ist zuerst mit den Defiziten der Moderne erklärbar, die sich unfähig erweist, eine Transzendenz der Condition humana zu gewährleisten, indem sie die Erkenntnis blockiert und das menschliche Wesen entfremdet. „Wenn man einige Jahre inmitten all dessen gelebt hat, was die moderne Zivilisation dem Menschen zu bieten hat“, schreibt Blaga, „und sodann wieder mit dem ost- oder südosteuropäischen Dorf in Berührung tritt, so hat man sofort das Gefühl einer Reise durch die Jahrhunderte bis in die Prähistorie.“ Blagas Projekt setzt die Notwendigkeit einer glücklichen Koexistenz von Prähistorie und Historie voraus, denn: „Die Prähistorie kann nicht nur auf ihre Art unzerstörbar sein, sie kann auch notwendig sein für die Existenz einer Historie.“ Das Dorf wird so zum Beispiel der Permanenz des Prähistorischen, wie sie Blaga selbst noch im Westen identifizieren kann, in „Aspekten einer im Keim vorhandenen Gotik“, oder selbst in barocken Details, Rokoko-Elementen in Volkstrachten oder Biedermeier-Dörfern.
Blagas Theorie von der prähistorischen Permanenz nimmt neuere Theorien über das Verhältnis von Moderne und Vergangenheit vorweg. Eine ähnliche Theorie könnte man bei Octavio Paz finden, der den Doppelcharakter der Vergangenheit herausstellt: „Es gibt eine unverrückbare Zeit, unerreichbar für Veränderungen: Sie ist nicht, was einmal war, sondern was nie aufhört zu geschehen: sie ist Gegenwart. In der einen oder anderen Weise leugnet die archetypische Vergangenheit Zufall und Kontingenz“.
Auf diese Weise sollte nach Blaga die Zeit verstanden werden, als intermittierende Präsenz der Prähistorie in der Historie, als verschleierte Anwesenheit eines prähistorischen Codes im Unbewussten. Dabei hat Blaga seine Theorie des im Unbewussten des Künstlers präsenten prähistorischen Hintergrunds, wie er sie in Fiinţa istorică (Das historische Wesen) darlegt, bereits in Orizont şi stil (Horizont und Stil) vorweggenommen, wo er seine Theorie der stilistischen Matrix erweitet. Die Einheit seiner ästhetischen Konzeption und die Merkmale seines individualisierenden und transdogmatischen Programms erscheinen in der Definition des neuen Stils als ultramodernes Programm, wie auch im Zusammenwirken mit dem, was Blaga abyssale Noologie nennt.
Die stilistische Matrix wird definiert als „Bündel von Kategorien, die über das Unbewusste allen menschlichen Wesen wie auch dem Leben selbst eingeprägt werden, denn sie kann vom Geist geformt werden. In ihrer kategorialen Qualität prägt sich die stilistische Matrix - mit formbildenden Wirkungen - Kunstwerken, metaphysischen Konzepten, wissenschaftlichen Doktrinen und Visionen, ethischen und sozialen Entwürfen etc. ein. Insofern ist die Tatsache festzuhalten, dass unsere Welt nicht nur durch die Kategorien des Bewusstseins geformt wird, sondern auch durch ein Bündel anderer Kategorien, deren Heimstatt sozusagen das Unbewusste ist.“
Die von Blaga als stilistische Struktur der künstlerischen Hervorbringungen von Individuen oder Kollektiven, die „das Siegel eines unbewussten Komplexes tragen“, definierte stilistische Matrix ist ein zentrales operationelles Konzept, weil es implizit die Permanenz der Prähistorie in der Historie, aber auch die Weiterexistenz des stilistischen Hintergrunds in der Moderne bzw. jeder anderen Epoche stützt. Die Rückkehr zu den Ursprüngen, zur Quelle, die für den von vielen modernen Ängsten beherrschten Geist Blagas so notwendig ist, kann nur über das Unbewusste vollzogen werden, welches wiederum nicht als Bilderrest oder verdrängte Triebe wahrgenommen wird, sondern als „kosmotische psycho-spirituelle Realität.“ Die ständige Versuchung, das anonyme schöpferische Leben zu erlangen, das Streben nach dem kosmischen Mysterium des Anfangs, in einer breiten hyperionischen Bewegung, vollzieht sich nach Blaga über unbewusste Horizonte, die das Erscheinen der stilistischen Matrix als Einheit des Anonymen ermöglichen. Dies scheint der Weg zu sein, auf dem wir „in einer Weise, von der wir nicht einmal träumen, durch ein anonymes Leben gebunden sind“.
Abschließend lässt sich feststellen, dass Blagas theoretische Haltung zur Kunst und zur dichterischen Praxis Möglichkeiten sind, ein originelles Universum zu entwerfen, das eine geglückte Synthese zwischen den neuen Ausdrucksformen und dem unbewussten Matrizenhintergrund, der als künstlerische Permanenz im Grunde des schöpferischen Prozesses liegt, anstrebt. Blagas neuer Stil erweist sich dergestalt als postexpressionistischer Stil, der über die starren Formen dieser Strömung hinausgeht und für die moderne Form einen Matrizenhintergrund sichert, der das Karikaturhafte sowie jede Art der Aggression gegen die Tradition zurückweist.
Auch wenn er sowohl in seinen programmatischen Konzepten als auch in seinen Werken expressionismusähnliche Strukturen bewahrt, so doch nur bis zu einem bestimmten Punkt und gleichsam vorläufig, indem er sie zu individualisierten Strukturen transformiert, die in ihrer Substantialität über die Form des hysterischen expressionistischen Schreis, der in Wahrheit nur die Apokalypse der Bewegung
Anmerkungen:
Lucian Blaga, Hronicul şi cântecul vârstelor (Chronik und Gesang der Zeiten), Vlg. Eminescu, Bucarest, 1973, S. 153.
Ibidem.
Ibidem, S. 171.
Allan Janik, Stephen Toulmin, Viena lui Wittgenstein (Wittgensteins Wien), Rumänische Übersetzung und Anmerkungen von Mircea Flonta, Verlag Humanitas, Bucarest, 1998, S. 38.
Zu Beginn seines Buchs, Modernitatea vieneză şi crizele identităţii (La modernité viennoise et les crises de l’identité), Vlg. der Al. I. Cuza-Universität, Iaşi, erklärt Jacques Le Rider die möglichen Gründe für die Identitätskrise dieser Generation, die auch mit der soziokulturellen Situation in der österreichisch-ungarischen Monarchie » zu tun haben könnte, « wo der Effekt der Rückständigkeit und der Effekt des Aufholens zusammenwirken » (S. 17). Nach Jacques Le Rider spielt Wien, im Vergleich zu anderen großen Metropolen wie Paris, London oder Wien, in dieser Hinsicht die „Rolle dessen, der zuletzt kommt.“
Henri Meschonnic, Modernité, modernité, Gallimard, Paris, s. a., S. 171. In dieser umfassenden Studie der Moderne findet sich eine interessante Analyse der Wiener Moderne durch den französischen Kritiker im Kapitel „La modernité à la mode de Vienne” (S. 171-199).
I. Oprişan, „Lucian Blaga. Corespondenţă inedită” („Unveröffentlichter Briefwechsel”), in „România literară” (Literarisches Rumänien), Nr. 20, 14. Mai 1970, S. 13.
I. Valerian, Cu scriitorii prin veac (Mit Schriftstellern durch das Jahrhundert), Ed. pour Littérature, Bucarest, 1967, S. 56.
Ibidem, S. 57.
George Gană, op. cit., S. 106.
Ibidem, S. 119.
Diese Obsession lässt sich auch in Blagas Dramaturgie finden (siehe Ivanca), und rückt ihn in die Nähe von Brâncuşi : « Durch die Kunst wirst du dich von dir selbst entfernen. »
Siehe auch George Ganăs Analyse in: Lucian Blaga, Opere 1 (Werke), Verlag Minerva, Bucarest, 1984, S. XLIV.
Lucian Blaga, Zări şi etape (Horizonte und Etappen), Hrsg. Dorli Blaga, Verlag Minerva, Bucarest, 1990, S. 54.
Ibidem, S. 55.
Ibidem.
Wilhelm Worringer, „Despre expresionism” („Über den Expressionismus”), in „Secolul XX”, Nr. 11-12 / 1969, S. 58.
Lucian Blaga, ibidem, S. 100.
Ibidem, S. 101.
Ibidem, S. 102.
Lucian Blaga, Opere 9, Trilogia culturii (Werke 9, Trilogie der Kultur), Hrsg. Dorli Blaga, Einleitung von Al. Tănase, Verlag Minerva, Bucarest, 1985, S. 75.
Lucian Blaga, Opere 11, Trilogia cosmologică, (Werke 11, Kosmologische Trilogie) Hrsg. Dorli Blaga, Einleitung von Al. Tănase, Verlag Minerva, Bucarest, 1988, S. 389.
Ibidem, S. 388.
Lucian Blaga stellt sich im Kapitel „Permanenţa preistoriei” („Die Permanenz der Prähistorie”) von „Fiinţa istorică” („Das historische Wesen”), (1959), Opere 11 (Werke 11), op. cit., S. 390, die Frage: „Es lockt uns die Frage, ob die Prähistorie nicht eine unzerstörbare Permanenz im menschlichen Wesen ist? Können Prähistorie und Historie in einem Verhältnis koexistieren, das je nach Umständen und Zeit variabel ist?“
Ibidem, S. 391.
Zitiert nach der französischen Ausgabe: Octavio Paz, Point de convergence. Du romantisme à l’avant-garde, Gallimard, Paris, 1976, S. 24.
Lucian Blaga, Opere 9, (Werke 9), op. cit. S. 80. “Abyssale Noologie” bedeutet für Blaga die “Strukturen des unbewussten Geists”, die, jenseits des Bewusstseins, an der Festlegung der stilistischen Koordinaten teilhaben.
Ibidem, S. 179-180.
Ibidem, S. 186.
Übersetzung: Harald Fleischmann
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