Der Schauspieler

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Jiří Kratochvil, Herec. Druhé město Brno 2006

Auszug

(S. 88 – 94)

Ich muss Euch ein bisschen enttäuschen, Freunde, aber das, was Anfang der fünfziger Jahre über meine Flucht aus diesem Land entschied, war überhaupt nicht die Abscheu vor dem kommunistischen Regime, sondern eher der große Traum von tropischen Schmetterlingen, von denen, die ich bisher nur aus illustrierten Naturgeschichten oder aus den Sammlungen des Mährischen Landesmuseums kannte, wo sie übrigens zu dieser Zeit nur einen einzigen tropi-schen Schmetterling hatten, und zwar kallima, und den noch mit ziemlich nicht fachkundig präparierten Flügeln. Aber auch diese bizarre Kallima paralecta, ein fantastischer Ohrring malaiischer Gottheiten, blieb in meinem Geist hängen und breitete da mehrmals am Tag ihre Flügel aus und schloss sie wieder. Was will ich damit sagen? Vielleicht soviel, dass die Welt niemals schematisch, nur auf irgendein schwarzweißes politisches Bild reduzierbar ist, son-dern immer wunderschön, bunt wie Schmetterlingsflügel... (Wieder langer Beifall.)

Manche Ereignisse kann man, meine Lieben, niemals vergessen und erst bis der Tod sie Euch mit knochiger Hand aus dem Herzen reißt. Wenn Ihr das erste Mal einen lebenden Morpho cyprise seht, haben Sie, meine Damen und Herren, das Gefühl, dass Sie direkt Gott begegnet sind, in all seiner unabsehbaren Himmelsbläue. Märchen der Tropen wurde er von den alten tschechischen Naturforschern genannt: ja als ob er die Schönheit des Himmels über dem Río Amazonas spiegeln wollte und als sei es das Logo von Sterngeheimnissen, die erste ausge-sprochene Silbe der Schöpfung des Weltalls. Irgendjemand sagte einmal zu mir, wenn Sie irgendein berühmtes Bild nur von seiner Reproduktion kennen und dann auf das Original tref-fen, sind sie davon unaussprechlich überwältigt. Ich kann bestätigen, dass das nicht nur be-rühmte Bilder betrifft, sondern auch Schmetterlinge. Fast wäre ich auf die Knie gefallen, also wenn ich nicht gerade mitten in den Sümpfen des Amazonas gestanden wäre. Die tropischen Schmetterlinge sind die wirbelnden Trommelfelle der Schönheit, aber auch ihre Flöten, Pfei-fen und Geigen. Dort in den Urwäldern des Amazonas und dort im peruanischen Hochgebir-ge, wurde mir wieder bewusst, was für ein gewaltiges Geschenk das Leben ist und wie wir darauf in unseren alltäglichen Abgestumpftheit vergessen. Und so fallt vor dem Leben auf die Knie und werdet Götzenanbeter seiner explosiven Pracht! (Stürmischer Beifall und zuerst fallen einige Einzelne und dann schon alle im Kaffeehaus auf die Knie. Mikulás lässt sie eine Weile dort knien und dann erhebt er sie wieder mit einer leichten Bewegung beider Hände.)

Es ist mir auch dieses passiert. Schon einige Tage ging ich durch das Land ewigen Schnees, wo die Sterne so nah sind, dass Sie ab und zu den Kopf einziehen müssen. So hoch in den peruanischen Anden, dort werden sie Cordilleras de los Andes genannt, also hoch zwi-schen den eisigen Bergspitzen ist es schon, glauben Sie mir, völlig ausgestorben. Und wenn Sie dort völlig einsam mit einem schweren Felleisen torkeln und in der Nacht biwakieren, eingequetscht in einen Raum kleiner als ein Hundegrab, bekommen Sie ganz leicht das Ge-fühl, dass Sie verwegen die Zone des Todes betreten haben, dass sie in den Niemandstreifen eingedrungen sind, wohin sich nicht einmal ein schwarzer peruanischer Puma, Puma negra, verirrt, und wohin nur mehr die Götter des gestürzten Reiches der Inka, Götter vertrieben aus zerstörten Tempeln, Zuflucht suchen. Und auf einmal verstand ich das nicht mehr, warum ich selbst bis in dieses Ödland raufgekraxelt war und was ich damit bezwecken wollte, dass ich den Führer auch mit den mit Gepäck beladenen Lamas dort unten gelassen hatte, zwei Stock-werke tiefer und es kam mir auch, dass diese schwindlige Angst, die ich jetzt durchmache, die Strafe für meine Kühnheit ist und dass sie sich jetzt immer mehr steigern wird, bis es mich bewegungslos werden lässt zwischen den eisigen Wänden, bewegungslos, gelähmt und einge-keilt, lebt wohl, Freunde, verzeiht mir alle, denen ich je wehgetan habe, die ich je unbewusst beleidigt habe, die ich je zur Weißglut gebracht habe, ich lege jetzt Rechenschaft ab von mei-nen Tagen, nun setze ich mich auf mein Felleisen, entschlossen dort zu verharren schon höchstwahrscheinlich im nicht langen Abwarten oder soll ich lieber aus meinem Felleisen den Feldspaten und das Messer herausnehmen in den eisigen Wänden ein Totenbett graben? Aber dann geschah es: als wären sie mit einer sieben, acht Meter langen, unsichtbaren Schnur verbunden, tauchte eine fliegende Reihe von tropischen Augenfaltern auf, herrlich karminrot gefärbte Vertreter der Art Agrias, und diese lange Schnur flog um mich herum und schnellte empor wie ein Schwungseil oder ein buntes Schlangerl und dann ließen sie sich schon auf der Schneetafel nieder und dort falteten sie sich auseinander wie ein mexikanisches Tuch oder auch wie Spuren deines Blutes im Schnee und als ob sie mir etwas Vertrauliches sagen woll-ten, vielleicht mit den Buchstaben der alten Inkas, aber dann erhoben sie sich wieder und flo-gen weg. Jedoch aus dieser sehr kurzen Begegnung ergoss sich in mir ein Erlebnis riesigen Glücks, ich spürte es bis in die Fingerspitzen und ich begann langsam aufzutauen. Und auch in diesem Ereignis von mir versteckt sich eine kleine Botschaft für uns alle. Niemals sind wir dafür zu elend, dass nicht letztendlich ein farbiges Wunder erscheint, das uns mit Glück voll pumpt und wir wieder auf dem begonnen Weg fortschreiten können... (Nicht aufhörender Bei-fall.)

In den Hochgebirgshöhen der Anden treffen Sie jedoch am häufigsten auf eine Familie kleinerer Schmetterlinge, die auf Latein Hesperiidae genannt werden und auf Deutsch Dick-kopffalter. Sie stehen nämlich irgendwo zwischen den Nachtfaltern und den Tagfaltern. Sie gehen der langsam erlöschenden Sonne, den letzten Sonnenstrahlen entgegen und auf einmal sind dort Dickkopffalter, dass es nur so stöbert. Ich versuche durch diesen Schwarm durchzu-kommen, jage sie wie ein Blöder mit den Händen auseinander, sie picken auf meinem Ge-sicht, ich schließe meine Augen, ich habe Angst, Luft zu holen, dass mir dieses Gewimmel nicht in die Kehle fliegt und mich erstickt, aber es dauert nur ein Momentchen, ich mache die Augen auf und sie sind schon weg: Sie können ebenso schnell verschwinden, wie sie aufge-taucht sind. Sind sie freundschaftlich oder nicht freundschaftlich? Ich weiß nicht. Aber ehrlich gesagt, das ist nichts gegen die Abendschwärmer, welche auch bei uns bekannt sind, denn die Abendschwärmer sind grimmige Kosmopoliten: manche Arten fliegen zufällig nach Norden, bis in arktische Gegenden, doch das Hauptzentrum ihrer Verbreitung sind die Tropen der Al-ten und Neuen Welt. Doch die Brasilienschwärmer sind gewieft wie Füchse. Sie fliegen in der Regel zum Abend, doch einige tauchen mitten am Mittag auf, zum Beispiel in Rio de Janeiro, wie ich wiederholt Zeuge dessen geworden bin, sie fliegen häufig auch in die Gartenrestau-rants und saugen mit ihren Rüsseln aus den Weingläsern und dann fliegen sie wieder ordent-lich angesoffen auf: Der unvergessliche Anblick der betauten Schmetterlingstiere mit großen fluoreszierenden Augen, die an einer Stelle in der Luft stehen und unhörbar mit den Flügeln wirbeln... Aber das größte Erlebnis war Vanessa atalanta. Aber das war bitte in Nordamerika. Vanessa heißt französisch wie auch lateinisch dasselbe: Nymphenfalter, und das ist auch der Name der jetzt sehr populären jugendlichen französischen Schauspielerin, Vanessa Paradis, wenn ich mich nicht täusche, wäre das frei übersetzt Paradiesnymphe Falter. Der Nymphen-falter ist, wie wir wissen, in ganz Europa verbreitet, in Nordamerika, Ostindien, auf den Sun-da-Inseln und Neuseeland. Ich fuhr gerade mit dem Jeep von San Diego nach Los Angeles und hielt an der Tankstelle und dort sah ich Vanessa atalanta, den Admiral, er saß auf einer Reklametafel aus Blech der Firma Shell und es war, wie ein auf einmal geöffnetes Medaillon, das Sie ständig am Hals tragen: es umklammerte mich schreckliche Sehnsucht nach der Hei-mat, zum Garten meiner Kindheit, dort im Mährischen Hochland, dort unterhalb von Pustá Kamenice. Der Bub, der mir die Frontscheibe des Jeeps abwischte, sah in meinem Auge eine Träne und griff in die Tasche nach einem weißen, dreimal gefalteten Taschentuch und gab es mir. Aber gehen wir weiter, ungern vergäße ich nämlich die brasilianische Castnia icarus, welche dort fliegende Orchidee genannt wird..

Und so fuhr Mikuláš ständig fort und erntete jeden Augenblick Beifall auf offener Szene bis zum Ende seiner Vorlesung über die Expeditionen in die Urwälder Brasiliens und in die be-nachbarten peruanischen Hochgebirge, aber auch nach Kanada und zu den Schmetterlingen des sonnigen Kaliforniens.

Und als die Vorlesung aufhörte, war das schon der Augenblick, auf den die Záškrteks warteten. Beide stürzten sich auf den lieben Mikuláš und vor aller Augen umarmten sie ihn. Záškrtek nur so burschikos, zurückhaltend, damit darin um Gottes Willen kein Anzeichen dieser perversen Brechnewschen-Husakschen Abbusselei war, die während des Totalitarismus vermehrt zwischen den Bonzen auftrat. Und gleich danach umarmte Mikuláš die Záškrtek, die, der er bei dem Treffen in der Villa der Záškrteks nicht einmal einen Gruß wert gewesen war, daran erinnern wir uns noch, aber jetzt strengte sie sich an, dass sie Mikuláš fast die See-le ausquetschte und massierte ihn mit ihren Parfümen, bis er nach Luft schnappte.

Und damit wurde offensichtlich der erste Teil des Abends abgehackt und jetzt sollte der nächste folgen, da wollte Mikuláš definitiv nicht hinein, er war sich nämlich nicht sicher, wie er das schafft. Bei dem Gespräch über die Emigration sollte es nämlich zu dieser Gogol-schen Komödie kommen, die ein für alle Mal die Záškrteks unmöglich machen würde, so hatten sie sich darauf mit dem Being geeinigt. Dafür existierte kein Drehbuch und das Being versprach, dass sie das gemeinsam in lustiger Improvisation schaffen. Nur vom Being war nichts zu sehen, nichts zu hören, irgendwo war es weggeflossen und Mikuláš konnte damit selbst nichts anfangen. Aber unmittelbar darauf zeigte sich, dass er sich nicht überflüssiger-weise beunruhigte. Nach Majors Klatschen tauchten jetzt irgendwoher Girls auf, die auf dem Hintern Flügel von Pfauenaugen hatten und vor sich Tabletts mit Weingläsern, die sie unter den Gästen verteilten. Es endete evident der Abend und es blieb nur eine kleine Soiree mehr. Mikuláš brachte die Záškrtek selbst das Glas, aber als dieser, ausgedorrt von seiner Vorle-sung, augenblicklich ein Schluck nehmen wollte, hielt sie sanft seine Hand zurück: Noch nicht, warten Sie doch, es gibt einen Toast.

Und auch der Major wartete, stand dort direkt fatal gespreizt wie in den noch nicht sehr entfernten Zeiten, als er die ganze Brünner Kultur unter seinem Dirigentenstab hatte, er stand und wartete, bis die Eckflügler oder wenn sie wollen die Vanessen, allen Gästen Gläser austeilten, was doch nur einen Augenblick dauerte. Und wenn es schließlich so geschah und alle schon so mit Gläsern standen (und denen, welche eventuell noch saßen, wurde jetzt von ihren Nachbarn ein Rippenstoß versetzt), hier nickte der Major dem Podium zu und dann sprach er den Toast seinem Exilvetter für die glückliche Rückreise noch heute Abend nach Brasilien aus. Und so erfuhr Mikuláš, dass aller Spaß schon zu Ende war und dass er jetzt in den Urwald schwirrt.

Und jetzt auf Ex, Vetter, auf deine Gesundheit und auf die glückliche Reise! Munterte ihn die Záškrtek auf und die Gläser erklangen im kollektiven Toast.

Und jetzt stellen Sie wieder, verehrte Gäste, bat der Major, die Gläser ab. Sei es auf die Tabletts unserer Girls oder irgendwo auf die Tischerl. Haben Sie schon die Hände frei? Jetzt bitte ich noch um einen langen Applaus für unseren heldenhaften Kapitän Korkorán und seine weiteren Expeditionen nach diesen beflügelten Smaragden, nach den fliegenden Rubi-nen und Diamanten!

Und kaum hatte er das zu Ende gesprochen, tobte wieder Beifall und alle standen wie-der und klatschten und dieses Mal war es ein langer, nicht aufhörender Applaus und als er aufhörte, denn auch nicht aufhörender Beifall hört leider auf, zeigte der Major, der auch wa-cker geklatscht hatte, jetzt allen seine roten, beklatschten Hände (und sofort erhoben sich auch alle kollektiv und zeigten ihre beklatschten Hände) und kündigte an, dass er ein Taxi anrufen geht, dass noch jetzt am Abend, sozusagen in der Nacht, den Exilvetter nach Prag fährt, sozu-sagen auf den Ruzyňer Flughafen, wo ihm nach Mitternacht eine Boing bis nach Rio de Janei-ro fliegt, mit Zwischenlandung in Frankfurt und in Ottawa.

Mein Exilvetter flog nämlich heute Morgen direkt aus Lima her und flog sofort wieder nach Brasilien ab. Er hat eine tüchtige Kondition wie alle Fänger brasilianischer und peruani-scher Schmetterlinge, aber Ruhm ist eitel, immerhin nur zwei Reisen über den Ozean und zweimal Umsteigen in der Zeitzone tun das ihrige. Und so können wir ihn nicht weiter halten. Es lebe die tschechische Emigration, das unerschütterliche Bollwerk der Freiheit, der Demo-kratie und der erfolgreichen ökonomischen Transformation! Und der Major erhob noch ein-mal die mächtige Brandung des Beifalls im engen Raum des kleinen Cafés „Institut der Edel-fräulein“.

Übersetzung © Pavlina Amon/ Immanuel Teichgräber

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Author

Kratochvil, Jiří

Der Prosaschriftsteller, Essayist, Dr

 

Translator

Amon, Pavlina