Der Spitzel in Viktor Pelevins Roman "T"

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Publisher: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
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Publication Date: 30. April 2016
Edition: erste
In stock: YES
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Country: Austria
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EINLEITUNG

Im Rahmen dieser Proseminararbeit soll der Spitzel und das Charakteristische eines Spitzels (d.h. dessen Verhalten, für Spitzel Gehaltene, die in das Spitzelparadigma fallen, und tatsächliche Spitzel, sowie potentielle Spitzel) in der literarischen Wirklichkeit anhand des Romans „Tolstois Albtraum“ von Viktor Pelewin untersucht werden. Unter Spitzel sei hier jemand zu verstehen, der sich innerhalb einer bestimmten (Sprach-) Semiosphäre[1] auskennt, innerhalb dieser agiert, sie nicht überschreitet und über Wissen verfügt, das anderen oft nicht so leicht zugänglich ist. Die Semiosphäre muss dabei nicht immer öffentlich erkenntlich sein, ohne zwangsläufig ausschließlich als ein Feld zu gelten, sondern etwa auch als Kommunikationskanal mit Sender und Rezipient, wenn etwa dasselbe gesagt wird, aber anders gemeint/konnotiert ist. Im Moment eines Systemwechsels kann es zu einem Semiosphärenwechsel kommen (Bsp. Ortsnamen durch semiotische Angelegenheiten bedingt wie etwa im Roman Hotel Europa/Hotel Ewropeiskaja[2]). Auch die institutionelle Anbindung (sprich Geheimdienst, Orden, Kirche, Staat, Herrscher, u.v.m.) sei als Merkmal für eine Spitzeltätigkeit zu nennen.

Der Fokus soll hier auf der Sujetebene liegen, wobei hier Sujet als die Verknüpfung aller im Text vorliegenden Motive verstanden werden[3], hier überwiegend anknüpfend an die formale russische Schule; und mit einem dementsprechenden semantischen Charakter gekennzeichnet sein soll.[4] Auf die damit in Zusammenhang stehenden rhetorischen Figuren und Stilmittel soll in diesem Kontext (u.a. in Anlehnung an Heinrich Plett) im Wesentlichen Aufmerksamkeit gelenkt werden.  Dabei soll die eventuelle Gefahr betont werden, dass hier eine potentielle Überschneidung semantischer und syntaktischer Ebenen auftreten kann, hier jedoch versucht wird, dies zu vermeiden (so auch mit der morphologischen, pragmatischen Ebene).[5] Das Motiv selbst sei definiert durch die Überschreitung einer Grenze eines semantischen Feldes, das entweder geographisch, physisch, moralisch, aber auch in anderer abstrakter Weise verortet sein kann, obwohl hier die Ansicht, was eine Grenzüberschreitung darstellt und was nicht sehr subjektiv unterlegt ist und dies immer mit den Wirklichkeitssystemen (des realen Autors, des Lesers, der fiktiven Autoren, der Figuren/Gestalten vs. Charaktere) zusammenhängt. So ist z.B. nicht immer das Geschehen, sondern die Art des Geschehens ein Ereignis, abhängig von dem, was eine Figur gewöhnt/nicht gewöhnt ist[6].  Sujet soll hier nicht mit Inhalt/Inhaltsangabe gleichgesetzt werden, sondern eher, dass Sujet und Inhalt zueinander in einem Symbioseverhältnis stehen.  Analog zum Begriff „Motiv“ gilt hier der Begriff „Ereignis“.[7] So ist Pelewins Roman etwa phantastischer, metafiktionaler Natur, sodass mind. drei Wirklichkeitsebenen vorliegen können. Da allerdings auch eine Grenzüberschreitung innerhalb eines Feldes stattfinden kann und dies nicht immer ein Motiv sein muss (aufgrund der gestaffelten Oppositionen), muss man sich hier auch über eine Hierarchie der Ereignisse (das eine wichtiger als das andere) im Klaren werden[8], und diese Hierarchie kann oft am Schluss eines Textes retrospektiv betrachtet werden. Auch aufkeimende Motive (etwa Motive, die zunächst sekundär wirken, aber dann anhand ihres Häufigkeitsgrades immer wieder erscheinen, möglich auch in abgewandelter Form durch Abschwächung oder Verstärkung) sowie Situationen, in denen ein Motiv hätte entstehen bzw. es günstige Umstände für eine Motiventstehung hätte geben können und plausible Gründe für eventuell ausgelassene bzw. nicht genügend Beachtung geschenkte Motive seien von Wert, sowie die Tatsache dass sich etwa in einem Wechselverhältnis ein Motiv zu einem Sujet aber auch ein Sujet zu einem Motiv entfalten kann[9], und abhängig vom Kulturcode des Autors und des Lesers, die Grenzen immer neu verteilt werden können. Analog zum Motivbegriff sei auch Vladimir Propps Funktionsgriff abwechselnd zu beachten, wobei aber eine Funktion bei Propp nicht zwangsläufig eine Grenzüberschreitung bzw. eine Aktion eines Handelnden darstellen muss, sondern dies auch lediglich eine Eigenschaft oder ein Merkmal sein kann.[10] Dem möglichen - und hier auch gerechtfertigten- Einwand, Propps Funktionen seien doch ursprünglich für die Analyse des Zaubermärchens geeignet, kann hinzugefügt werden, dass im Roman, wie etwa „Tolstois Albtraum“, Märchenelemente übernommen werden und somit auf teils struktureller (und nicht nur inhaltlicher) Ebene sich eine Art „Intertextualität“ erkennen lässt. Nach Propp ist „zur Gruppierung der Funktionen vor allem zu sagen, dass bei weitem nicht jedes Märchen sämtliche Funktionen enthält, was aber das Gesetz der Reihenfolge in keiner Weise beeinflusst, denn das Fehlen einzelner Funktionen verändert nicht die Anordnung der übrigen Funktionen. (Eimermacher, [Hrsg.], 1975, S.28). Da hier aber von einem Roman (also einem „abgewandelten Märchen“) ausgegangen wird bzw. vom Mythos über das Märchen auf den Roman das Gattungsrepertoire ausgeschöpft zu sein scheint, muss damit gerechnet werden, dass Elemente auch in beliebiger Reihenfolge gefunden werden können.

Des Weiteren sei eine kurze/oberflächliche Beschäftigung mit dem Begriff des skaz zu inkludieren, in Anlehnung an Boris Eichenbaum[11]. Skaz meint hier eine Art Verfremdungseffekt,[12] welcher immer dann auftreten kann, wenn sich, hier im Falle des Spitzels, etwa eine Figur wie ein Spitzel bzw. verdächtig verhält (ohne möglicherweise) einer zu sein, wenn die Spitzelfunktion (bis zum Ende bis zu deren Entlarvung/Aufdeckung) unerkannt bleibt oder etwa wenn sich eine Figur so verdächtig verhält und ihre Spitzelfunktion (gewollt oder ungewollt) zu verstehen gibt. Da der Begriff bis heute nicht einheitlich verwendet wird,[13] kann er hier von oralen Sprachmustern, von denen Eichenbaum ausgeht, auch auf das Handeln ausgeweitet werden, oder auf den Wissensstand des einen im Vergleich zum Wissensstand eines anderen.  Die Schwierigkeit besteht darin, dass Spitzel im Roman auch mit „Agenten“ umschrieben werden (können),[14] die Lexeme diachron gesehen wandeln (gemeint sind hier die Handlungsstränge, etwa im Roman die Gegenwart des 21.Jahrhunderts zur Zeit der „Tschekisten“ auf der Metaebene, sowie die Vergangenheit, das zaristische Russland zur Zeit der Ochrana, der zweiten Ebene der Figuren) bzw. der Begriff Spitzel, wenn er im Roman einer Figur gerecht wird, kaum per se erwähnt wird und letzten Endes, dass auch Pseudonyme in den Verdacht eines Spitzelparadigmas fallen. Dem skaz gleichwertig sei auch, auf eine andere Weise, eine Entfremdung, die sogenannte Entzauberung der Wirklichkeit (etwa beim Aufbau der Illusion, dass eine Figur die „naivere“ ist oder dies eben nur vortäuscht) und somit das Spiel mit der Erwartungshaltung, z.B., wenn sich eine Figur unter Umständen (absichtlich) so verhält, wie es in das Denkschema eines potentiellen Spitzels passen würde. So meint diese skaz-artige „Entfremdung“ etwa auch den Umstand bzw. eine Situation, in der eine Figur zunächst als simpel und primitiv präsentiert wird, am Ende aber oft die komplexere ist. Die Differenz von erzählendem und reproduzierendem skaz nach Eichenbaum,[15] sowie die Tatsache, dass der skaz auf unterschiedlichen Ebenen untersucht werden müsste (skaz auf der phonologischen Ebene: Sprachfehler, Dialekte, verschluckte Silben), kann nur begrenzt zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden, da für die Arbeit eben die (semantisch relevante) Sujetebene ausschlaggebend ist.

Auch auf die Gegenüberstellung von Gestalt bzw. Figur und Charakter sowie sujethaft und sujetlos im Sinne Jurij Lotmans und beiläufige karnevaleske Elemente Michail Bachtins soll kurz im Verlauf der Arbeit eingegangen werden.

Zusätzlich sollen die Unterschiede zwischen Spitzel, Spion, Agent, Informant, Agent Provocateur/Lockspitzel (s.o.) sensibilisiert werden sowie im Russischen polysemische Lexeme wie глазок oder разведчик, наблюдатель, Kundschafter, Ochrana unterstrichen werden.

Kapitel 1

Sujet/Motivkette:

Mann mit Bart und Geistlicher stellen sich während einer Zugfahrt vor (Knopf mit auffälligem Schnurrbart und Vater Paissi) à (Aus)Fragen Knopfs bzw. Fragen Knopfs an den Geistlichen à Erwähnung der Exkommunikation Graf Ts.,[16] Optina Pustins  als Ort des Ziels des Grafen und GEWI (Gewaltloser Widerstand), und des Doppelgängers des Grafen T. seitens Knopfs à Knopf weiß durch die Zeitung Bescheid à Entlarvung der Waffen/Polizeirevolvers (Paissis und Knopfs) à Dunkelheit (Licht geht aus) à Vater Paissi springt aus dem Zug à Beschuss à Flucht[17] in den Fluss à Abfallen der Kleidung à Vater Paissi = Graf. T.

Die Handlung wird zunächst durch einen poetischen Vergleich in Kombination mit einer Antithese vorangestellt: Die Illusion (siehe Elfenbeinturm) vs. die brutale Realität (Tod, Kreuz) à Ein biblisches Gleichnis, für welches der Geheimpolizist Knopf selbst wie zur Bestätigung sensibilisiert wird, gibt dieser Passage einen tautologischen Charakter und allein durch das Aussprechen seiner Worte wird diese Idylle zerstört. Zudem kommt das Gespräch mit Vater Paissi eher einem Verhör gleich.  

„Auf der Kuppe eines hohen Hügels leuchtete weiß ein Adelsgut, offensichtlich erbaut von einem verschwenderischen Tollkopf: Es sah aus wie eine Elfenbeinbehausung [...], all das wirkte vollkommen irreal in der russischen Weite, zwischen den bizarr gestutzten Sträuchern, den windschiefen Zäunen, Vogelscheuchen, die aufragten und aussehen wie Kreuze mit den sterblichen Überresten von schon zu römischer Zeit gekreuzigten Sklaven." (Pelewin, 2013, S.5)

Diesen „Wohlstand, der als nur als Kontrast zu dem später hereinbrechenden Unglück zu verstehen ist“, erwähnt auch Propp in Zusammenhang mit der Funktion „Dem Helden wird ein Verbot erteilt“ (Eimermacher, [Hrsg.] 1975, S.32). Analog dazu kann es sich aber auch um einen Vorschlag oder einen Befehl handeln, obwohl laut Propp Befehle/Verbote auch nicht an eine Funktion gebunden sein müssen. Die Erwähnung Optina Pustins ist weder ein Befehl noch ein Verbot, sondern eine Art Zwischeninstanz, durch die Vater Paissi alias Graf T. sein „Ziel“ vorgestellt wird. Die Funktion „Ein Familienmitglied verlässt das Haus für eine Zeit“ (Eimermacher, 1975, S.31), hier etwa Jasnaja Poljana, (obwohl wir zwischen T. und Tolstoi unterscheiden müssen) differenziert verschiedene Formen der Entfernung, darunter auch verstärkte wie den Tod. Hier stellt sich die Frage, ob die angegebene Exkommunikation des Grafen T. aus der Kirche auch als verstärkte Entfernung betrachtet werden kann. Diese wird aber nicht sofort klar, da der Leser nicht gleich weiß, das sich T. als Vater Paissi verkleidet hat und die Handlung in medias res verläuft.

Inkonsistenz und ein skaz-artiger Moment treten bereits auf: Knopf scheint mehr zu wissen über die Exkommunikation des Grafen T. als der vermeintliche Vater Paissi, der als Geistlicher eigentlich über die Exkommunikation im Bilde sein müsste. Es hat den Anschein, als ob der Vater wissen möchte, wie viel Knopf selbst über den Fall weiß. Entweder er spielt naiv und lässt seinen „Verhörer“ im Glauben nichts zu wissen (wie etwa über die Antonomasie Eisenbart oder GEWI), in dem er Ahnungslosigkeit vortäuscht oder tatsächlich ahnungslos ist. Was die Erwähnung Optina Pustins anbelangt, so weiß Vater Paissi z.B. nichts über Optina Pustin als gegenständlichen Ort, der tatsächlich als nicht fiktiver existiert. Wenn der Kulturcode des Lesers also derselbe des Autors ist, so scheint auch der Leser mehr als Vater Paissi zu wissen. Im Grunde werden nicht nur Erkundigungen von Knopf, sondern auch von T. selbst angestellt.

„Man hat die besten Agenten der Geheimpolizei ausgeschickt." (Pelewin, 2013, S.15)

„Man“ sowohl als Indefinitpronomen als auch als nicht auszuschließendes pars pro toto drückt eine Ungewissheit über das besprochene und handelnde Subjekt aus. Andere verhüllende Bezeichnungen wie „Dritte Abteilung“, „Beziehungen zur Polizei“ können als Euphemismen zusammengefasst werden. Diese ist jedoch weder aufwertenden noch mildernden, sondern tarnenden und verheimlichenden Charakters (siehe Sprachgebrauch totalitärer Systeme). Nach Plett lässt sich die Art der Umschreibung zur Periphrase zuordnen als eine Vermeidung von Tabuwörtern.[18] Demnach ist die dritte Abteilung signifikant für eine Institution der zaristischen Ochrana, und Pelewin macht bereits in seinem Roman „Buddhas kleiner Finger" von ihr Gebrauch. Ironisch ist hier, und dies kommt auch bei Maxim Gorkis „Spitzel“ zur Geltung, dass das Dasein und die Tätigkeit eines Agenten nicht als Ehrentat anerkannt werden, zu welcher sie oft in der Populärkultur hochstilisiert werden, sondern ein Synonym für Spitzel in einem repressiven Staat ist. Demnach kann Knopf im Verlauf der Handlung, der sich als simpler Eisenwarenhändler ausgibt, als Polizeispitzel der Ochrana verstanden werden. Das karnevaleske Verkleidungsmotiv à la Bachtin kann wieder parallel zu „Buddhas kleiner Finger“ gesehen werden, die Figur Pjotr Pustota, einen Ochranaspitzel ermordet, dessen Kleidung entwendet und sich für diesen ausgibt[19], auch wenn T. nicht mit Knopf die Kleidung tauscht, so kommt dieses Transfigurationsmotiv vom vermeintlichen Mönchen zum Grafen doch zur Geltung. So sind nach Bachtin „sekundäre Karnevalsbräuche Verkleidungen, d.h. der karnevalistische Wechsel von Kleidung, Lebensstellung und Schicksal, [....] die karnevalistischen Wortgefechte [etwa zwischen T. und Knopf], der Austausch von Geschenken.“ (Bachtin, 1996, S. 52)

Von dem Lexem шпион, das im Russischen den gleichen Stellenwert hat wie im Deutschen Spitzel, macht der Roman keinen Gebrauch, kommt auch nicht in russischen Rezensionen oder in populärwissenschaftlichen russischen Kritiken vor.

„Dann steigt er in den Zug, und zwar genau da, wo Sie eingestiegen sind, Väterchen, und geht seiner eigenen Wege.(Pelewin, 2013, S.15)

Knopf lindert in Form eines Deminutivs seinen Formalitätston von Euer Hochwürden, zu Vater Paissi zu Väterchen, was einer Verachtung sowie Minderung dessen Wertes sowie einer Verdächtigung nahekommt.

Der violette Geistliche und der karierte Herr saßen jeder auf ihrer ledernen Sitzbank, den Revolver in der Hand [..].“ (Pelewin, 2013, S.16)

Hier tritt eine unterschwellige Synästhesie auf, da hierbei ein Sinneserlebnis sprachlich mit einem anderen Sinneserlebnis oder mit einer Eigenschaft aus einem anderen Sinnesbereich verbunden wird, also die eigentlich gemeinte Kleidung mit der Person. Die Aufmerksamkeit wird nur mehr auf die Kleidung gelenkt, die als vermeintlicher Tarnmantel der Identität Knopfs und Ts. dienen soll.

Kapitel 2, 3 und 4

Sujet/Motivkette

Ts Transfiguration àT. kommt an Bord des Schiffes à Abstellraum (Dunkelheit) und Wahrnehmen einer Stimme à Stimme kennt T. und kann seine Gedanken lesen à Erwähnung Optina Pustins à Begegnung zwischen T. und Fürstin Tarakanowa à Tarakanowa bietet T. Wein und „Hecht Tarakanow“ an à erneute Transfiguration Ts à Gespräch über die Vielgötterei à T isst den Hecht und trinkt vom Wein à T. wird schläfrig à T. fragt die Fürstin nach Optina Pustin à Fürstin schenkt T. ein Amulett und ein Buch à T. schläft ein à T. träumt à T. wacht auf à Dunkelheit à Transfiguration Ts. (Gladiatorenausrüstung) à T. sieht die tote Fürstin und die restliche Schiffsbesatzung à Erscheinen Knopfs und der Amazonaskrieger à Kampf à Flucht Ts. ins Wasser

Die Propp‘sche Funktion Transfiguration kann aufgrund ihres Wiederholungsgrades/Häufigkeitsgrades (sowie auch die Finsternis und die Frage nach Optina Pustin) als Paradigma und im Sinne Michail Bachtins als Karnevalsfunktion zusammengefasst werden.

Das „kühle Freilichttheater, in dem alles Lebendige spielt" kann mit der stehenden Metapher des „theatrum mundi“, in der T. etwa die Funktion einer Marionette „übernimmt", verglichen werden, der Abschnitt „An klaren Tagen ist der Himmel überhaupt nicht hoch - nur blau. Es muss Wolken geben, damit er hoch oder niedrig ist. Mit der menschlichen Seele verhält es sich genauso" ist ein poetischer Vergleich (Pelewin, 2013, S.21)

„Sofort herrschte tintenschwarze Finsternis“ (Pelewin, 2013, S.24)

Die Finsternis als Unwissen und mangelnde Erkenntnis T.s kann als Symbol verstanden werden und unterliegt den kontingenten Bedingungen des Historischen (etwa als Gegenteil zur mit Lichtern assoziierten Aufklärung), bildet also keinen neuen Metapherntyp und ist mit einer Hyperbel (tintenschwarz) verstärkt.

Allerdings wird die Finsternis, die sich „zu einem bedrohlichen festen Keil in die Brust rammt" (Pelewin, 2013, S.25) nicht vollständig in eine konkretisierende Metapher als Sachverhalt umgewandelt, da sie (noch) nicht in einen optisch wahrnehmbaren Gegenstand umgewandelt, geschweige denn benannt wird (Stimme einer Person oder eines höheren Wesens?)

 „Er stand auf, tastete nach der Tür und trat in den Streifen Sonnenlicht. (Pelewin, 2013, S.27)

Hierbei handelt es sich (als Opposition zur Dunkelheit) um eine Synekdoche, welche in diesem Sinne als Relationstyp ‚Teil-Ganzes‘ (Plett, 1991, S.72) zu verstehen ist.

In dem Moment, in dem T. von einer zweiten Gestalt, neben Knopf von der Stimme, von Optina Pustin und von dessen Notwendigkeit, dieses aufzusuchen, erfährt, kann die Frage gestellt werden, ob sich T. von einer sujetlosen in eine sujethafte Figur wandelt, bzw. der Text sujethaltig wird. Dies ist nach Lotman mit einer Karte gleichzusetzen: Nach ihm ist „eine Karte an sich ein sujetloser (klassifikatorischer) Text“, und wenn man „aber in die Karte einen Pfeil einzeichnet, z.B. als Strecke, so wird er sujethaltig, es wird eine Handlung eingeführt, die [in diesem Falle die geographische, aber auch psychische] Struktur überwindet.“[20] (Lotman, 1993, S. 340)

Die Karte als sujetloser Text lässt sich auf die Szene im Zug übertragen, bis unmittelbar kurz vor der Erwähnung Optina Pustins (Weg oder Ziel oder beides?) durch den Agenten/Spitzel Knopf, davor wirkt die Szene mit dem als Geistlicher verkleideten T. sujetlos. Sujethaftigkeit weitet sich zufälligerweise, entsprechend dem semantischen Vergleich Lotmans mit dem Schiff, welcher dem Weg folgt, auf die Szene auf dem Schiff der Fürstin aus (aber es ist unklar, wohin das Schiff geographisch fährt).

Der aus Fischen zusammengesetzte Drache, „Hecht Tarakanow“ (Pelewin, 2013, S.30) mündet durch Pelewins Fantastik beinahe in der Ätiologie (als Erzählmythos, von dem man nicht hundertprozentig weiß, ob er wahr ist, da der Erfindungsgrad nicht ganz verifiziert ist). Anhand dessen versucht die Fürstin, T. die Lehre der Vielgötterei und des unaufhörlichen und mutualen Schaffensprozesses zwischen Mensch und Gottheit zu erklären.

Jede Sekunde wird Evas Rippe aus Adams Rippe neu geschaffen, der Turm zu Babylon wird von göttlichen Händen unaufhörlich gebaut.“ (Pelewin, 2013, S.31)

Hinter diesem „Schaffen“ versteckt sich eine Art Reizwort, bzw. die Analogie des deus faber (Gott als Handwerker), was sich auf das Bild des poeta faber und dieses auf den homo faber übertragen lässt, korrespondierend mit der Abschwächung der Fürstin von Göttern zu (menschlichen) Wesen (Pelewin, 2013, S.33) und das wechselseitige Verhältnis der drei. Daraus kann der Schluss der Fürstin gezogen werden:

Der Fürst war der Meinung, dass wir diese Götter genauso erschaffen, wie sie uns erschaffen. Wir werden abwechselnd von Venus, Merkur und Mars erschaffen und sie von uns.“ (Pelewin, 2013, S.36)

„Das, was man als Mensch bezeichnet, ist lediglich unser Bühnenkostüm. Die Krone von König Lear, die ohne den Schauspieler, der sie trägt, nur ein Blechreifen ist.“ (Pelewin, 2013, S.37)

Die Idee mit der Krone von König Lear, die in anderen Situationen nur ein Blechreifen ist, ist angepasst an die differance, da das Zeichen nur in Relationen zu anderen Zeichen steht, sich somit definiert und sich Bezeichnetes und Bezeichnendes abwechseln.

Der Traum Ts. von der Fürstin als schwarzer Engel und ihr anschließender Tod an „mangelndem Glauben“ lassen die Frage stellen, ob hier das potentielle Motiv „Mordversuch der Fürstin an T.“ unterbunden bzw. abgebrochen wird, da ihr Knopf zuvorkommt, sowie die Frage, ob ihr die Schenkerfunktion (siehe Amulett) und Schädlingsfunktion (вредитель)[21], aber nicht die Helferfunktion zugeschrieben werden kann, da T. nach dem Trinken ihres Weines einschläft. Die Fürstin scheidet somit wie die ermordeten Amazonaskrieger aus dem semantischen Feld aus, sie gilt als unbewegliche Gestalt.

 

Der Satz mit „die mythologische Metapher verzehrt“ (Pelewin, 2013, S.40) ist in gewisser metasprachlicher Hinsicht selbst eine kühne Metapher.

Kapitel 5, 6,7

Sujet/Motivkette

T. taucht ohne Kleidung bei den Zigeunern unter à T. fragt ein Zigeunermädchen nach Optina Pustin à Dunkelheit à T. trifft auf Zigeunerbaron und Lojko à T. muss mit Lojko kämpfen à Zigeuner halten T. für jemand anders à T. siegt über Lojko durch den GEWI[22] à T. wird zum Zigeunerbaron geführt à Frage nach Optina Pustin à T. nimmt in einem Deliriumszustand Kontakt zum „Orakel“ in Form einer Holzpuppe auf à Erscheinen der Stimme (stellt sich als Schöpfer Ts vor) à T spricht über seine Gehirnerschütterung à Nacht/Dunkelheit (Karneval) à Zigeunerbaron schenkt T. die Gendarmenuniform und Pferd àTransfiguration Ts (Gendarm) à T. fragt Soldat am nächsten Tag in grauer Uniform nach Optina Pustin à Wegbeschreibung à erneute Konfrontation mit Knopf und seinen Männern à Ts Pferd wird erschossen àT. flieht à Dunkelheit à Erscheinen Ariels in einem Zelt à Stimme stellt sich als Ariel Edmundowitsch Brahman vor (jüdisch-buddhistischer Name)[23]à trägt eine Maske und einen Kaftan

Das nächste Kapitel beginnt mit einer Synästhesie und einer Zoomorphisierung:

„[...] Von allen Seiten umgab ihn [T.] kalte Finsternis und bald kam er sich so vor, als wäre er kein Mensch, sondern ein verirrtes Tier, das durch die Nacht schleicht- so nackt und einsam, wie er war.“ (Pelewin, 2013, S.49) Der Satz „Ein Raubtier braucht keine Metapher, so etwas kennen nur die Menschen“ (ebda.) beschränkt sich nur auf Raubtiere und nicht alle Tiere. Insofern kann argumentiert werden, dass sich T. widersprüchlicherweise doch mit einem Raubtier identifiziert.

Die vermeintliche Auseinandersetzung mit Lojko entspricht der Propp‘schen Funktion „Der Held (T.) wird auf die Probe gestellt und ausgefragt“ (Eimermacher [Hrsg.], 1975, S.43), jedoch nicht überfallen wie etwa der Gendarm, es kommt jedoch nicht zum Erwerb eines Zaubermittels, wie etwa eines Zauberpferdes, sondern eines sterblichen Pferdes und der Gendarmenuniform. Es handelt sich um die Subfunktion „Der Held rettet sich vor dem Anschlag auf sein Leben, indem er das Mittel des feindlichen Wesens gegen dieses selbst in Anwendung bringt“ (ebda., S.46), nämlich durch die Sprache. In diesem Zusammenhang erwähnt Ariel noch das Pferd Frou-Frou von Jasnaja Poljana, das allerdings hier nicht auftritt, und über dessen Eigenschaft kein Wort fällt und in dessen Besitz sich T. nicht befindet. (Pelewin, 2013, S.60). Der Schenker ist hier der Zigeunerbaron.

«На его морщинистом лице кустились пушистые длинные усы, которые вполне пошли бы полицмейстру или железнодорожному слжущему.» (Пелевин 2009, 43)

„In seinem faltigen Gesicht [gemeint ist der Zigeunerbaron] wucherte ein buschiger langer Schnurrbart, der einem Polizeimeister oder Eisenbahnbeamten gut angestanden hätte.“ (Pelewin, dt. Trottenberg, 2013, S.54)

Hier handelt es sich um eine Allusion auf Knopf, der sich im Zug als Eisenwarenhändler vorgestellt hat, ebenfalls einen auffälligen Schnurrbart trägt und für die Geheimpolizei arbeitet. Allerdings wird im Original in der Eingangsszene des „Eisenwarenhändlers“ Knopf nicht das Wort железно gebraucht, sondern скобяными (Пелевин, 2009, S.6), was vielleicht statt Eisenwarenhandel eher Hartwarenhandel näherkommt. Dennoch ist durch die deutsche Übersetzung (Eisen) der Eingangsszene eine morphologische Äquivalenz zur Szene mit dem Zigeunerbaron gegeben.

Ariel präsentiert sich T. als „Sturzkampf-Engel“ (Pelewin, 2013, S.59) was neologistisch angehaucht ist. Bei diesem Neologismus geht es wohl eher um die Kombination bereits vorhandener Elemente als um eine Bedeutungsübertragung oder Entlehnung aus anderen Sprachen. Hierbei lohnt es sich, genauer zu zitieren.

«Если хотите, считайте меня пикирующим ангелом.

  • Что значит – ‚пикирующий‘? Вы с кем-то пикируетесь? Говорите язвительности?
  • Нет. Пикирующие ангелы - это такие, которые еще надеются выйти из падения.» (Пелевин 2009, 47)

 

Wenn Sie wollen, betrachten Sie mich als Sturzkampf-Engel.‘

‚Was heißt denn Sturzkampf – sind Sie im Kampf gestürzt?‘

‚Nein. Sturzkampf-Engel hoffen im Fallen immer noch, wieder aufzusteigen.“ (Pelewin, dt. Trottenberg, 2013, S. 59)

Hier geht in der Übersetzung ein Wortspiel verloren, dass auf einer morphologischen Äquivalenz und einer semantischen Differenz beruht. Das Verb „pikírovat“ heißt im Sturzflug angreifen, wird es durch das Reflexivsuffix „sja“ erweitert „pikírovat’sja“ bedeutet es „sticheln, spitze Reden wechseln“. Etwas wörtlicher würde das Zitat übersetzt folgendermaßen lauten:

„Wenn Sie wollen, halten sie mich für einen im Sturzflug angreifenden Engel. – Was heißt im Sturzflug angreifend? Haben sie mit jemanden spitze Reden gewechselt? Reden Sie Boshaftigkeiten?

– Nein. Im Sturzflug angreifende Engel sind die, die noch hoffen aus dem Fallen herauszukommen.“

Dass die Übersetzerin nicht diese Lösung gewählt hat, ist verständlich.

T. zu Ariel: „Sie wollen sagen, dass ich eine Puppe bin? Ihre Marionette? Ihr Spielzeug? Das nur dann lebendig ist, wenn der Marionettenspieler an den Fäden zieht?“ (Pelewin, 2013, S.60)

Ariel zu T.: „Fast richtig. Aber die Fäden sind abgeschnitten, [...] und die Marionette handelt wie von selbst.“ (ebda.)

Diese Figur, anhand welcher T. als fadenlose Puppe bezeichnet wird, ist der Allegorie zuzuordnen. Plett unterscheidet zwischen in sich kohärenten (totalen) und gemischten (permixta) Allegorien. Wird bei der totalen Allegorie das eigentlich Gemeinte gezielt verheimlicht, handelt es sich um ein allegorisches Rätsel, auch
Aenigma genannt (Plett, 1991, S.90). Ein allegorisches Rätsel wäre etwa der ausschweifende Vergleich zwischen T. und der Marionette. Außerdem findet sich in dem von Ariel initiierten „Marionettenspiel“ das Bild des deus ludens, bei dem die Kreation der Welt lediglich als Scherz gesehen wird.[24]

„Wir können sie [die Stadt Kowrow, in welche Ariel T. schickt] nachher auch umbenennen.“ (Pelewin, 2013, S.83)

Das Personalpronomen wir wirkt verfremdend, da Ariel bis jetzt nur in der ersten Person von sich gesprochen hat. Hier ist unklar, ob es sich um ein totum pro parte oder um eine Art des Pluralis (etwa als Bescheidenheitsplural oder Autorenplural) handelt oder, ob Ariel einfach nur T. miteinschließt.

Kapitel 8, 9, 10

Sujet/Motivkette

T. zieht in das Hotel Dworjanskaja (in Kowrow) à Anrede von „Euer Wohlgeboren“  à T. wird Wein und Essen serviert à T. betrachtet das Gemälde des Zaren Paul à T. wird von einer Stimme im Korridor nach Tinte und Papier gefragt und Anrede Ts. mit „Euer Exzellenz“[25] à T tritt betrunken auf die Straße zu Kaufmannsvorsteher Rasplujew (rasiert und mit Melone) à Anrede Ts. mit „Euer Wohlgeboren“[26] à T. stößt auf Juden (Kaftan,[27] Warze) à Jude fühlt sich von T. verfolgt àAnrede Ts. mit „Herr Offizier“ à T. unterhält sich mit dem Juden über Ariel à T. nähert sich einem Heuwagen und kaut an einer Roggennähre à T. sinniert über Gott (Wolken) und glaubt, die Wahrheit schon zu kennen à Déjà-vu Ts à Axinja taucht auf à Frage Ts nach Optina Pustin à Wegbeschreibung à T. stellt sich fälschlicherweise als Lew Tolstoi vor à T. ist durch Axinjas Anblick erregt à Pferd vor dem Heuwagen (Frou-Frou) unterhält sich mit T à T. kehrt ins Hotel zurück à Ariel konfrontiert T. (Gemälde) à Ariel berichtet T. von seinem Autorenteam[28] und dem Romanprojekt, in dem T. erstmals offiziell als Held bezeichnet wird (Quest) à Ts. Fuhrwerk aus Jasnaja Poljana trifft ein, T bekommt ein neues Pferd à Transfiguration Ts (Bauernkleidung) à T. sinniert über die Grenze zwischen Gestalt und Charakter à T. erhält eine Notiz von de Martignac und 3 Hilfsgegenstände à T. stößt erneut auf Knopf und seine Männer à Ts zweites Pferd wird erschossen à Knopf hetzt Lojko auf T. à Lojko wird von T. geblendet à Gespräch zwischen T. und Knopf

Laut Propps Transformation des Zaubermärchens handelt es sich beim Hotel als Behausung um eine Substitution aus dem byt, da das im Märchen gebräuchliche phantastische Hüttchen durch „eine Behausung aus dem realen Leben ersetzt wird“ (Eimermacher [Hrsg.], 1975, S.170), weshalb es mehr Sinn machen würde, hier nicht von einer Amplifikation oder Reduzierung der Hütte zu sprechen. Die Untersuchung der Figur des Schenkers zeigt, „dass in ihm feindliche und gastfreundschaftliche Eigenschaften kontaminiert sind“ (ebda., S.167). Wenn Ariel auch ein Schenker ist, denn er hat ja T. das Hotel Dworjanskaja empfohlen, dann würde das soeben Gesagte evtl. zutreffen. Über die übrigen Gastgeber des Hotels, die nicht wirklich auftreten, bleibt der Leser im Unklaren. Die Stimme (hier könnte es sich evtl. wieder um Ariel handeln), die T. etwa Tinte und Papier anbietet, wird sogar gestaltenlos dargestellt.

„Warum wohl Zar Paul hier hängt?“ (Pelewin, 2013, S. 85)

Zar Paul steht als Rahmen für den Inhalt, denn es hängt nicht die eigentliche Person, sondern das Gemälde, welches diese darstellt, womit es sich um eine Metonymie handelt.

„Der Herr mit der Melone versuchte ein höfliches europäisches Befremden anzusetzen, doch es gelang ihm nicht so recht - das Gefühl, das sich auf seinem glattrasierten Gesicht spiegelte, sah vielmehr aus wie Angst, und es war sofort klar, dass die Angst der eigentliche Ausdruck dieses Gesichts war und nun vor Überraschung durch sämtliche Schichten mimischer Maskierung hindurch zum Vorschein kam.“ (Pelewin, 2013, S.87)

Die Figur, der sich Pelewin hier bedient, ist ein homogener Vergleich, welche zwischen Vergleichsgrößen (das Gefühl wie Angst) vorzunehmen ist, die aus demselben Realitätsbereich stammen, sowie mit „Schichten mimischer Maskierung“ (Haut)[29] argumentierbar für eine groteske, aber unter Umständen auch für eine dunkle, kühne oder pathetische Metapher.  Das glattrasierte Gesicht sowie die Schichten mimischer Maskierung implizieren das Transfigurationsmotiv, so könnte der glattrasierte Herr zuvor einen (falschen Schnurrbart) aufgelegt bzw. getragen haben.

Mit T. geht, insbesondere dann, wenn er sich als der Schöpfer des Kaufmannsvorstehers ausgibt und wie Ariel mit scheinbarer Abneigung dem Judentum[30] gegenübertritt, eine Veränderung vor, die als „reproduzierender skaz“ begriffen werden kann. Es geht hier um ein „Verfahren der Wortmimik und Wortgestik“ (Mierau [Hrsg.], 1987, S.275 ff.). Hinter dem „reproduzierenden skaz“ versteckt sich der Charakter eines Schauspielers (T. als Ariel). Dieser skaz nimmt den Charakter eines Spiels an, im Gegensatz zum erzählenden, sich auf Wortwitze beschränkenden skaz, der den Eindruck erweckt, sich auf dem Niveau einer Rede zu halten. Das Wortspiel mit Lew Tolstoi und „dicker Löwe“, (Pelewin, 2013, S.94) allerdings ließe sich dem „narrativen skaz“ zuordnen.

In diesem Lächeln [Axinjas] lag so viel Schönheit. Weisheit und unbesiegbare Stärke, dass es T. vorkam, als wäre eine der antiken Statuen vom Schiff der Fürstin Tarakanowa Fleisch geworden und nun vor ihm erschienen.“ (Pelewin, 2013, S.94) und „In ihrer himmlischen Rüstung [...] erschien ihm Axinja wie eine antike Göttin, die auf die Erde gestiegen war, um die Menschensöhne zu verführen und in den Tod zu bringen.“ (Pelewin, 2013, S.95)

Dieser Vergleich, ähnlich wie Ts. Traum über die Fürstin zuvor, evoziert weiterhin ein aufkeimendes Motiv (etwa „Liebe“ oder viel mehr Verführung), das auf dem Schiff der Fürstin Tarakanowa durch deren Tod unterbrochen, und schließlich durch Axinja fortgesetzt wird.

Das Motiv „Wegbeschreibung“ kommt der Propp‘schen Funktion „Der Held wird zum Aufenthaltsort des gesuchten Gegenstandes gebracht, geführt oder getragen (Raumvermittlung)“, (Eimermacher [Hrsg.], 1975, S.52) ist hier einerseits abgeschwächt, da T. nicht auf der Suche nach einem bestimmten Gegenstand ist, sondern lediglich nach dem Ort, andererseits wird es immer angesetzt (so geben etwa Axinja und die Fürstin Tarakanowa eine vermeintliche Wegangabe, die jedoch nie fruchtet und sich immer nur geographisch orientiert). Diese wird jedoch immer durch andere Umstände (z.B. Kampf mit Knopf) unterlassen.

Das Zauberpferd Frou-Frou wird T. hier durch keinen Schenker (zumindest nicht direkt) vermittelt, sondern von ihm gefunden, bleibt jedoch nicht bei ihm.[31]

Der Moment, in dem Ariel T. als den Helden des Romans identifiziert[32] und ihm seine Funktion veranschaulicht bzw. sie beim Namen nennt - den Weg nach Optina Pustin zu finden -, gleicht einer Quest. Sie gilt als beliebtes Motiv in Abenteuer-und anglophonen Ritter-und Fantasieromanen, in denen die Helden etwa auf der Suche nach einem heiligen Gral (hier Optina Pustin) sind und dabei bestimmte Hindernisse überwinden müssen. Hier besteht auch die Ähnlichkeit zur sogenannten mittelalterlichen „romance“, was allerdings keineswegs mit der deutschsprachigen Romanze zu verwechseln ist. Der Roman spielt hier auch mit sakralen Motiven der Pilgerallegorie, da T. (in Anlehnung an Tolstoi) aus der Kirche exkommuniziert und nach Ariels Romanplänen wieder durch die Reise bekehrt werden soll.[33]

Die Lebenswahrnehmungen sind zu allen Zeiten gleich. Aber die Ausgangs-Reihenfolge der Buchstaben ist in jedem Jahrhundert eine andere. Und zwar deshalb, weil sich die Konkordanzliste der Turingmaschine ändert.“ (Pelewin, 2013, S.106)

Dieser Gedanke fasst das „Dilemma“ der Postmoderne zusammen. Die Themen an sich sind die gleichen, nur nicht die Art und Weise, wie die Diskurse gemischt werden, also nach Ariel die Änderung der Konkordanzliste (siehe auch Jorge Luis Borges: Pierre Menard).[34] Die Zeichen setzten sich selbst zusammen, kombinieren sich selbst. Auch die Autorfunktion nach Michel Foucault wird parodiert: „Gott ist nur der Markenname auf dem Umschlag“. (Pelewin, 2013, S.108) Doch die Frage, ob Gott der Autor ist, ist genauso berechtigt.

„Also sollte die Frage auf der Ebene der Kryscha gelöst werden. Aber heutzutage sind alle unter demselben Dach, nur an verschiedenen Ecken.“ (Pelewin, 2013, S.116)

Die Kryscha („Dach“), die als Schutzmacht Geld für die Mitarbeiter von Ariels Romanprojekt erhält, ist eine partikularisierende Synekdoche, bei der das Ganze durch den Teil (Dach) substituiert wird. (Es könnte auch als Symbol gesehen werden, wobei Symbole oft aus Synekdochen entstehen.)

Zwei Bomben und eine Zinkgabel[35] (die Klaglose, die Stumme und die Wahrheit) wären nach Propp sogenannte „Spezielle Helfer“, die nur eine Funktion erfüllen. Hierzu zählen ausschließlich Gegenstände, im Gegensatz zum Universellen Helfer, etwa einem Zauberpferd, oder dem partiellen Helfer (Eimermacher [Hrsg.], 1975, S.82 f.). Sie dienen zur Überwindung des Gegners /Gegenspielers (etwa Knopf) und Lösung einer schweren Aufgabe. Nach Propp muss „der Helfer, ehe er begreifen kann, was für ein Unglück sich zugetragen hat, wissen was für ein Unglück, sich zugetragen hat“. (ebd. S.72) Allerdings taucht der Name „De Martignac“[36] (Schicksalsschmied) das erste Mal als Name, aber nicht als Person auf, sodass der Leser damit rechnen muss, dass er von jemandem benachrichtigt wurde oder es sich ex machina um eine allwissende Figur handelt.

Bei dem über die Straße gespannten Seil handelt es sich um Hilfselemente zur Verbindung der einzelnen Funktionen, als ein Element der Nachrichtenübermittlung, das ausgeschmückt sein kann.[37]

„Knopf trug einen ebensolchen karierten Anzug wie seine Kompagnons, nur war seiner besser genäht. T. kam plötzlich ein seltsamer Gedanke: Vielleicht vermehrte Knopf sich ähnlich wie die Meeresmollusken, indem er mit den Muschelklappen winzige Stückchen von seinem Fleisch abrupfte, die dann ihre eigene karierte Hülle ansetzten und von ihrem Erzeuger nicht mehr zu unterscheiden waren.“ (Pelewin, 2013, S.133)

Hier könnte es sich statt eines Aenigmas um eine gemischte Allegorie handeln, da das Subjekt hier Knopf ist, und man weiß, um wen es sich handelt, im Gegensatz zu T. der eigentlich seine Absichten und sich bzw. den Sinn seiner Existenz herauszufinden versucht.

Kapitel 11, 12

Sujet/Motivkette

T. erzählt Knopf von Ariel à  Knopf berichtet T. vom Obelisken von Echnaton und dem Hermaphroditen mit dem Katzenkopf à  Knopf bemerkt das Amulett Ts und behauptet, dass es ein Opferamulett der Fürstin Tarakanowa sei, welche es auf T. abgesehen habe à  Knopf. bezeichnet T. als den zu opfernden Hermaphroditen (Lev=Löwe) à  Knopfs Frage nach einem potentiellen katzenartigen Aussehen Ariels à  Knopf erwähnt die Hypnose eines Petersburger Bankdirektors durch Verbrecher à  T. misslingt es das Zifferblatt der Kette[38] zu öffnen à  Knopf zückt seine Melone à  Knopf wird von Vater Warsonowis Männern erschossen à  Vater Warsonowi = der „Jude“ mit der falschen Warze aus Kowrow (Transfiguration), der im Auftrag des Oberprokurators Pobedonoszew handelt à  Entnahme des Opferamuletts durch Warsonowis Männer à Kätzchen wird erschossen à T. entschärft die erste Bombe à T. befindet sich in einer Schwere/Schwerelosigkeit/einem schwerelosen Zustandà T. erkennt die (menschlichen) verzerrten Gesichtszüge Ariels und dessen Veilchen, ohne dass dieser ihn zunächst sieht à Ariel berichtet T. von dem mit Schulden belasteten Romanprojekt, seiner Verprügelung[39] und dem Vorhaben das Romanprojekt in ein Videospiel umzuwandeln (Fenster nach Europa oder Dostojewskis Petersburg als Titel des Videospiels)àSchwärze/Dunkelheit à  entfernt sich ungewollt von Ariel und befindet sich wieder in der Schwere/einem schwerelosen Zustand und beobachtet wieder Ariel, ohne dass dieser es zu merken scheint à T. scheint, er sitzt an Ariels Stelle

Diese Szene, in welcher T. von Knopf, der mit einer Melone ausgestattet ist, und dem zuvor als Juden verkleideten Vater Warsonowi konfrontiert wird, ist paradigmatisch eine Wiederholung der Szene, in welcher T. dem Kaufmannvorsteher mit der Melone und dem vermeintlichen und Juden (Warsonowi) in Kowrow begegnete. Unklar bleibt, ob es sich bei beiden Melonenträgern um ein und dieselbe Person Knopf handelt, und Rasplujew nur ein falscher Name ist.

Mit Vater Warsonowi treten retrospektiv zwei Funktionen auf: die bereits bekannte Transfiguration wie erst im Nachhinein klar wird die Funktion "Der Gegenspieler versucht Erkundigungen einzuziehen" sowie „Der Gegenspieler erhält Informationen über sein Opfer“ (Eimermacher[Hrsg.], 1975, S. 33 f). Dieser hat T. in Kowrow ja auch über das Wesen des Schöpfers ausgefragt, wobei hier das Ausfragen allerdings nicht, im Gegensatz zu Knopf im Zug, einem Verhör ähnelt, sondern einem Gespräch. Knopfs Rolle, der die angeblich negativen Absichten der Fürstin für T. aufzudecken glaubt und anschließend ermordet wird, als Gegenspieler bleibt hinterfragt bzw. unvollständig. Auch er scheidet wie die Fürsten aus dem semantischen Feld aus und überschreitet nicht die semantische Grenze nach Jasnaja Poljana, in welche er mit T. zurückkehren wollte.

„Ich suche Freiheit und Ruhe. Ich will mich vergessen und einschlafen“. (Pelewin, 2013, S.157)

Hier handelt es sich um einen reproduzierenden skaz,[40] um eine Apostrophe, eine überraschende Abwendung Ts. von seinem primären Publikum (den Männern Warsonowis). Er wendet sich zu einer Art Zweitpublikum (sein inneres Ich oder Ariel), weshalb sie auch hier der Beschwörung gleichkommt. Als mögliches Zweitpublikum kommen nach Plett abwesende Personen, Tote, Götter, Personifikationen, leblose Dinger und der Sprecher selbst in Frage. Sie hat hier jedoch nur einen schwachen appellativen Charakter.[41] Hier wirkt der fünfte Autor (der namenlose Quintessent).

„T. war neugierig, ob die Tränen des Demiurgen sich von den Wimpern lösen und in den Raum hinausfliegen oder die Wangen hinunterrollen würde.“ (Pelewin, 2013, S.161)

Eine Hyperbel für das Göttliche/Abstrakte und eine darauffolgende Abschwächung für das Menschliche, mit dem sich T. identifizieren kann, lassen Ariel in eine noch undefinierte Rolle treten.

„Die Bodyguards stellen ein MacBook Air [...] an den Abhang und er [der Chef der Tschekisten Schmyga] nimmt es mit einem Scharfschützengewehr aufs Korn.“ (Pelewin, 2013, S.163)

Das russische Wort statt des englischen Bodyguards ist nicht aus dem Original übernommen, wo eigentlich das Wort Ochrana (охрана) gewählt wurde[42]. Ochrana kann zwar tatsächlich Bodyguard heißen, allerdings lebt T. nicht im selben Jahrhundert wie Ariel, und da das Romanprojekt ohnehin unter dem Einfluss der Tschekisten (Mitarbeiter/Spitzel russischer Geheimdienste) steht und bewacht wird, ließe sich mit Ochrana auch eine Euphemisierung für verschiedenen Geheimdienste und die Geheimpolizei mit der dritten Abteilung im zaristischen Russland (siehe auch Worte Knopfs) bezeichnen.

Kapitel 13

Hier erscheint es sinnvoll, das Hauptsujet in eine weitere Sujetkette (bzw. Nebensujet) zu unterteilen, da dieses Kapitel von dem fiktiven Dostojewski handelt, welcher hier der Held zu sein scheint, da es sich um die Umarbeitung des ursprünglichen Romanprojekts handelt.

Dostojewski liest Konfuzius und dessen publizierte „Todesregeln“ àerschießt „Zombie-Gardisten“ à Dostojewski saugt die toten Seelen der Menschen aus und versucht (nach der Lehre Fjodor Kusmitschs) zu beten à verwendet einen Dosimeter zum Detektieren toter Seelen à Dunkelheit à Dostojewski schläft ein mit dem Gedanken an Optina Pustin Solowjow (OPS)

„Meistens kommt das ausgerechnet bei den Aristokraten vor [...] Die Verbindung zum Höchsten, der Hauch Gottes, verlässt sie [...]. Daher auch dieser ständige Drang der höheren Klassen, andere zu erniedrigen und zu verspotten, besondere Kleidung anzuziehen [...] Das muss man Fjodor Kusmitsch sagen.“ (Pelewin, 2013, S.180)

Das möglicherweise aufkeimende ironische Motiv „Beten wie Fjodor Kusmitsch“ kann nach Lotman zum „Sujets des inkarnierten Gottes zusammengefasst werden.“ (Lotman, 1993, S.342).

„Der Gott [„Fjodor Kusmitsch"] nimmt eine andere Seinsform an [von den Wohlhabenden zu den Armen], um aus der Welt der Seligkeit hinabzusteigen in die irdische Welt (d.h. er gewinnt Freiheit in Bezug auf seine Umgebung, er wird in die Welt geboren (Überschreitung der semantischen Grenze), er wird zum Menschen, aber er wird nicht eins mit seiner neuen Umgebung. [...] Der Zar wird zum Muschik.“ (Lotman, 1993, S.343)

Dostojewski, der auch hier in finanzieller Not aufgewachsen ist, nimmt diese Grenzüberschreitung jedoch nicht ernst, sondern verspottet sie. Dostojewski kann sozial gesehen keine Grenze überschreiten, er bleibt im Feld der Armut. Der tatsächliche, historische Tolstoi, für den T. gehalten wird, griff die Legende um Fjodor Kusmitsch auf in seinen „Nachgelassenen Aufzeichnungen des Mönchs Fjodor Kusmitsch“ in welcher Tolstois fiktiver Fjodor (Erzähler) Kusmitsch und Tolstois Ideologie verschmelzen. Dies ist also nicht nur ein aufkeimendes Motiv, sondern auch eine Allusion von Kusmitsch auf den Grafen T., da sich auch T. als Graf scheinbar dem einfacheren Leben widmet, genauso spurlos wie der Zar nach der Legende verschwindet, sich der Spiritualität hinwendet und sich zuvor ebenfalls als Bauer verkleidet hat.[43]

Der abrupte Perspektivenwechsel von T. zu Dostojewski sowie Parallelen (die Beschreibung eines Gesichts sowie der Gedanke Optina Pustin bei beiden[44] gleichen einer Verschmelzung, der beiden Perspektiven, sodass das Ganze einer literarischen Parallelmontagetechnik nahekommt.  

Kapitel 14, 15,16

Sujet/Motivkette

T. von Schwärze umgeben à Gedanke an Optina Pustin à T. erschafft durch das Denken (den Fluss Styx) und schreibt mithilfe eines weißen Handschuhs à T. denkt Ariel sein zu können à T. sieht die toten Männer Warsonowis inklusive Warsonowi und Zerberus, der das Totenreich bewacht à T. trifft auf den toten, von Knopf erwähnten Petersburger Bankier inklusive vernickeltem Schlüssel und Tasche à T. nimmt das Geld aus der Tasche à T. erblickt die Katzendarstellungen à Dunkelheit à plötzlicher Ortswechsel (Petersburg) à T. wird von einem Bauern in ein neues Hotel (Hotel d'Europe) geführt  à Konfrontation mit Ariel à T. erwacht im Hotel d'Europe in Gegenwart eines Lakais im Livree à empfängt „Serafim“ (Herrn mit Melone) und Lama Dschambon à der „Detektiv“ Serafim erklärt, dass der Lama im Auftrag des Oberprokurators Pobedonoszew handelt à T. nimmt die zweite Bombe („die Stumme“) à Durchführung des Experiments für die Kontaktaufnahme zu Dostojewski mit Shugdens Tränen (2 Pillen in Tränenform) à T. dreht sich in die Richtung des Lamas und betrachtet das von ihm mitgebrachte Dostojewski-Porträt

Nach Lotman wird die „Tatsache, dass der sujethaltige Text in Lebende und Tote eingeteilt ist, als Verbot für alle Figuren beibehalten, führt aber eine Figur [hier T.] (oder eine Gruppe) ein, die ihm nicht unterliegt“ (Lotman, 1993, S.338) und „sowie Äneas, Telemaque, Dante ins Schattenreich steigen, oder in der Folklore bei Žukovskij und Block der Verstorbene die Lebenden besucht", (ebda.)  überquert T. den Styx in seinem (scheinbar) eigenen Schaffensprozess durch den weißen Handschuh und begegnet Zerberus, welcher das Totenreich bewacht. T. sieht den toten Körper von Vater Warsonowi, insofern kann mit einer Grenzüberschreitung gerechnet werden. Demnach kommt es zur „Überwindung ein-und derselben Grenze [hier der Styx als die Grenze zwischen dem Reich der Lebenden und dem Reich der Toten] innerhalb des gleichen semantischen Feldes“ (Lotman, 1993, S.339) für T.

T stellt sich Fragen, während er den Styx erschafft, die er unmittelbar nach der Fragestellung selbst beantwortet. Dabei handelt es sich um eine Subiectio, einen „fiktiven Dialog, bestehend aus Frage und Antwort, einen dialogischen Monolog“ (Plett, 1991, S. 64) Seine Funktion ist die Vorwegnahme (Prokatalepsis) möglicher Einwände, zum anderen die verlebendige Expansion eines Themas. Das Auftreten eines imaginären Gesprächspartners verleiht dem Text einen dialektischen, mundartlichen Charakter (ebda.), z.B.:

1)„Aber wie kann man ohne Körper sündigen? Gar nicht so einfach...Gotteslästerung? Wohl kaum.“ (Pelewin, 2013, S.189 f.)

2)„Wie macht Ariel das? Er setzt sich hin und schreibt. Aber es gibt keine Feder, keine Hand, keinen Tisch, kein Papier.“ (ebda.)

Immer dann, wenn T. sich eines Gedankens nicht bemächtigen möchte oder Angst hat ihn ganz auszusprechen oder er noch nicht zu Ende geführt ist, tritt eine Aposiopese auf. Das funktionale Vorkommen in mündlichen Sprachäußerungen ist Indiz einer mangelhaften Ausdrucks-und Gedankenbeherrschung.

„Nicht aufgeben“. (Pelewin, 2013, S.190)

„Wer weiß, was dahinter“. (ebd.)

„Denn im Grunde genommen“ (ebd.)

„Ein Fluss. Zugefroren“. (ebd.)

„Wenigstens dahin zurück, woher wir gekommen sind“ (Pelewin, 2013, S.193)

Der plötzliche Wechsel vom Personalpronomen ich zu einem Pluralis wirft eine Sprachinkongruenz Ts. auf.

Was das Motiv mit „Serafim“ angeht, so wird der Herr im Deutschen als Detektiv vorgestellt. Die Tatsache, dass eine optische Ähnlichkeit zum ermordeten Knopf betont wird und nach der Vermutung Ts. der Name Serafim eine falsche Identität darstellt, lassen ihn verdächtig erscheinen. Ihn als Spitzel zu bezeichnen, wäre allerdings zu weit gefasst, sofern das Lexem Detektiv (für Spitzel) nicht euphemistisch angehaucht ist, wie etwa Agent. Im Russischen allerdings wird Serafim zunächst nicht mit dem Wort Detektiv assoziiert, sprich er wird nicht als solcher bezeichnet, sondern lediglich im Sinne einer Synästhesie als Graugrüner (Гороховый-die Übersetzung ist nicht exakt). Hier könnte es sich um eine Anspielung auf Andrei Belyanins Тайный сыск царя Гороха, („Der Geheimagent des Zaren Erbse“) - da das Lexem Горох im Russischen Erbse bedeutet) handeln, selbst wenn das Wort сыск in Zusammenhang mit Serafim nicht im Original aus der Perspektive des Erzählers gebraucht wird, sondern nur aus der Perspektive Ts. Allerdings gibt es im Russischen das Lexem „Гороховое пальто“ (graugrüner Mantel) als pars pro toto für einen Geheimagenten der Ochrana („Spitzel“).[45]

„Drei Pillen sind nur demjenigen gestattet, bei dem das Auge der Weisheit geöffnet ist. Allerdings braucht er im Grunde gar keine Pillen, daher hat die Dritte hier nur eine rituelle Funktion.“ (Pelewin, 2013, S.224)

Das Auge der Weisheit ist entweder eine Anspielung auf das gleichnamige Werk Dalai-Lamas oder, insofern der Lama tatsächlich für den Oberprokurator arbeitet, ein pars pro toto für die zaristische Geheimpolizei und den Oberprokurator oder die Kirche. Auch hier tritt wieder das Element der Verdreifachung auf. Interessant scheint jedoch in beiden Fällen der Stellenwert des Dritten. Genauso wie T. nur im Besitz von zwei Bomben ist (die Klaglose, die Stumme) und erwägt die zweite Bombe gegen den Lama anzuwenden, da er weiß, dass dieser im Auftrag Pobedonoszews handelt, dann aber von seinem Vorhaben ablässt, so werden ihm zwei 2 Pillen verabreicht.[46]

Kapitel 17, 18,19

Sujet/Motivkette

In diesen Kapiteln tritt erneut die Parallelmontagetechnik, also das abwechselnde Auftreten Ts. und Dostojewskis, zwischen Dostojewski und T. auf.

Dostojewski sieht einen „mongolischen Bonzen“ à Dostojewski greift den Lama an à Dostojewski beobachtet einen „Mann mit Bart im Morgenrock“ (Graf T.) à Dostojewski testet Graf T. um sich seiner Identität zu überzeugen) à Dostojewski und T. machen sich auf den Weg zu Pobedonoszew à T. liest das Graffito im Untergrund (man wird von dem erschaffen, von dem man gelesen wird) à seltsame Veränderung Dostojewskis à Unterredung mit Pobedonoszew à T. erfährt von der Verhaftung Solowjows à verlässt Zimmer à erneut seltsame Veränderung Dostojewskis à drei Mönche erscheinen à T. erkennt die Tasche des Mönchs, die er bereits bei Vater Warsonowis Männern sah à Miauen/Katze à Mönch fragt T. über Axinja Tolstaja-Olsufjewa aus à Pobedonoszew bemerkt das Verhalten Dostojewskis und entfernt sich mit ihm à der Mönch zückt eine Waffe (von derselben Marke wie Knopf im Zug) àdie Mönche und Pobedonoszew sterben durch die Anwendung der zweiten Bombe Ts. à T. verliert das Bewusstsein à T. wacht auf und sieht nicht mehr Dostojewski neben ihm, sondern das Dostojewski-Porträt des Lama à T. befindet sich noch immer in Pobedonoszews Wohnung, durchsucht sie, findet Katzenikonen, Katze, Hermaphroditen und einen Schrank mit Frauenkleidern und eine Maske[47] à T. liest von geheimen Spitzeln/Agenten an Pobedonoszew adressierte Briefe à T. erfährt, dass er die Bekanntschaft mit Solowjow bereits geschlossen hat sowie von einem Olsufjew à glaubt die Stimme Dostojewskis zu vernehmen à lässt sich ins Hotel Ewropeiskaja führen

Kommt von Westen und ist kein Zombie. Vielleicht kommt unser Kundschafter zurück.“ (Pelewin,2013, S.231)   

Kundschafter[48] als Synonym für Spitzel, könnte für einen Spitzel Pobedonoszews stehen (oder Pobedonoszews selbst), da z.B. auch Vater Warsonowis Männer, aber auch der Lama als Spitzel für Pobedonoszew arbeiten, obwohl letzterer ja vom „Osten kommt“. Außerdem wird am Ende des Kapitels die Bekanntschaft zwischen Pobedonoszew und Dostojewski von letzterem selbst offenbart. Wenn Dostojewski, der ja mit Pobedonoszew vertraut ist, sich dessen bewusst ist, dass der Oberprokurator es auf T. abgesehen hat, dann nimmt er hier den Stellenwert eines Lockspitzels ein. Hier bleibt trotzdem noch die Frage offen, um wen es sich bei de Martignac[49] handelt, da er schließlich der Übergeber der Bomben ist und somit auch T. zum „Attentat“ gegen den Oberprokurator hat anstiften können, und somit als Lockspitzel nicht auszuschließen ist. Etwas anders argumentiert Wolfgang Schlott:

„In der Gestalt eines graugrünen, mysteriösen Herrn,[50] einem agent provocateur, soll Graf T. ein Attentat auf den Oberprokurator vollziehen. Möglicherweise bezieht sich der Autor mit dieser Episode auf ein missglücktes Attentat, das ein gewisser Nikolaj Lagowski 1901 auf den verhassten Oberprokurator verübte.“[51]

Diese Argumentation scheint allerdings nicht ganz einleuchtend, wenn man erstens bedenkt, dass es sich bei dem graugrünen Herrn (der eine Ähnlichkeit mit Knopf aufweist), um Serafim und nicht um T. selbst handelt, der im Auftrag Ts. Erkundigungen über den Oberprokurator und aus eigenem Antrieb über den Lama eingezogen hat, wobei der Lama scheinbar mit dem Oberprokurator zu kooperieren scheint (siehe Brief)[52]. Außerdem hat T. erst dann zur Bombe als Gegenmaßnahme gegriffen, nachdem die Mönche und gleichzeitig Spitzel (eines Sodomitenordens) ihn mit ihren Waffen bedroht hatten. Ob Serafim, der zunächst als „Detektiv“ präsentiert wird, T. Informationen über den Prokurator hat zukommen lassen, um diesen in eine Falle zu locken und ihn zur Ermordung dessen indirekt als Lockspitzel angestiftet hat, sei dahingestellt.

„Der Tripglaube ist ein Aberglaube aus Äthiopien, der bei Petersburger Schwindlern verbreitet ist [...]Sie tragen ein ägyptisches Kreuz in Form des Buchstaben T, das ihrer Meinung nach die ‚Troiza‘, also die Dreieinigkeit und gleichzeitig das Wort Trip darstellt.“ (Pelewin, 2013, S.256)

Demnach wäre der Graf T. selbst ein Symbol, allerdings keine Allegorie, wie vielleicht vermutet, denn das Symbol verweist eher auf einen anderen Wirklichkeitsbereich.

„Das ist bestimmt schrecklich deprimierend, nicht wahr? Diese Schundromane [Axinjas über den Grafen T.] sind von der ersten bis zur letzten Zeile erlogen [...]. Aber lesen tun sie alle, sogar Geistliche. Besonders widerlich ist diese dauernde Aufregung in den Zeitungen.“ (Pelewin, 2013, S.263)

Der Zynismus des Mönchs Nikodim kommt ähnlich wie in der Zug-Szene einem Verhör gleich. Ähnlich wie Knopf „Vater“ zu „Väterchen“ gelindert hat, so nimmt Nikodim T. auch nicht ernst. Zudem tragen die Mönche dieselbe Tasche, die T. auch bei Vater Warsonowis Männern bemerkt hat und die Revolver von derselben Marke Knopfs. So wie Knopf gibt auch Nikodim vor, das Wissen über den Grafen teils aus der Boulevardpresse erfahren zu haben, welche mit der Zensur der Presseorgane im zaristischen Russland möglich konnotiert ist.

Bei Pobedonoszews „Kritik der unreinen Vernunft“ (Pelewin, 2013, S.266), mit welcher er Syllogismen kritisiert, handelt es sich um eine Sustentio, da die Erwartungshaltung „Kritik der reinen Vernunft ist“ (Immanuel Kant), und eine widersprüchlich scheinende Begründung für eine vorher abgegebene Erklärung gegeben wird, indem gesagt wird, dass die Wahrheit nur dem Glauben (statt Erkenntnis) zugänglich ist.

„Zeigen Sie mir ein totes Subjekt“ (Pelewin, 2013, S.257) hat einen performativen Charakter (also einen Charakter der Performativität, da Gesprochenes und Handlungen unmittelbar nach dem Aussprechen des Gedankens Pobedonoszews zusammenfallen). Sprachphilosophisch gesehen ist hier auch wieder Ts vermeintliches Warnsignal „Achtung“ (vgl. etwa Pelewin, 2013, S.47) als performativ zu betrachten, das hier ironischerweise aber ausgelassen wird.“  

Es kommt zu einer Inkonzinnität bezüglich Pobedonoszews sodomitischen Sektenordens, hinter dessen Konstruktion T. Mitja vermutet:

„[..] Sie wollen ihr Gebet nicht aus den Tiefen ihrer Seele, sondern aus ihrer hinteren Öffnung vollführen.“ (Pelewin, 2013, S.275)

Es handelt sich um eine semantische Variation zwischen Psychischem und Physischem.

Der Wechsel von Hotel d'Europe zu „Hotel Ewropeiskaja“ (Pelewin, 2013, S.281) markiert einen Wechsel der Sprachsemiosphäre, der zwar nachvollziehbarer erscheint als die französische Bezeichnung, allerdings abrupt wirkt und daher unbegründet. Auch hier tritt ein skaz ein, und eine bestehende Möglichkeit, dass T. hier seine Gedanken unabhängig von der Wortwahl anderer (sprich der Autoren) durchsetzt.

Die Tatsache, dass T. nach dem Experiment nicht im Hotel aufwacht, sondern in der Wohnung des Oberprokurators, wo er das Porträt Dostojewskis umklammert hält (vgl. Pelewin, 2013, S.282), verwischt die semantischen Grenzen zwischen den beiden Feldern Hotel und Psyche, also Konkretes und Abstraktes. Allerdings kann auch die Psyche, das Abstrakte, als semantische Grenze zwischen dem Hotel d'Europe und Pobedonoszews Wohnung gezogen werden, die von T. entweder psychisch[53] oder örtlich überschritten werden kann. Das Porträt Dostojewskis kann somit aber auch anthropomorphe Züge als potentielle Grenze[54] annehmen. Falls der Kulturcode (Pelewins), oder auf der Metaebene Ariels, also ein anderer ist als der des Auditoriums und Ts selbst, kann es zu einer Neuverteilung der Grenzen einer Figur/Ts. kommen. Somit hängt „die Rückführung verschiedener Erwähnungen irgendeiner Person im Text auf eine einheitliche paradigmenhafte Gestalt immer von dem jeweiligen Kulturcode ab, und zwar sowohl für den Autor wie für sein Auditorium“ (Lotman, 1993, S.367). Innerhalb ihrer Kontur zerfällt die Figur in eine Reihe nichtidentischer Zustände, und außerhalb befinden sich die übrigen Figuren, zu deren Merkmalen Korrelationen nach dem Grundsatz der Ergänzung, der Ähnlichkeit oder anderer Art bestehen.  Eine zu weite Ausweitung der Grenzen bedeutet nach Lotman die Unfähigkeit des Lesers, die verschiedenen Textbruchstücke mit einer Figur zu identifizieren - sie würde sonst ihre Ganzheit einbüßen und gleichsam in mehrere Figuren zerfallen. (ebd.)

T. erfährt im Nachhinein, dass der Wind und die Schwere Begleitumstände der „Geheimen Prozedur“ (Pelewin, 2013, S.278), also des Kristallnetzes, sind, mit welchem die Spitzel Pobedonoszews versuchten, sich Ts Seele zu bemächtigen, um diesen zu opfern, in der Hoffnung, durch ihn den Schlüssel zur sagenumwobenen Optina Pustin zu finden. So wissen sie auch um die Kontaktaufnahme Ts. zu Ariel Bescheid, welcher scheinbar anhand der Antonomasie bzw. des Epithetons „BHGW“/der Erhabene bzw. Ewige“ (ebda.) umschrieben wird.[55]  Die Umschreibung Agent als Übertragung auf die Mönche impliziert erneut die euphemistische angehauchte Spitzeltätigkeit (etwa Vater Warsonowi mit seinem Pseudonym War-Sonow,). Zusätzlich kann das Argument verstärkt werden durch die Tatsache, dass sich die Männer der Ochrana und des Oberprokurators, innerhalb einer Sprachsemiosphäre befinden, sprich Russland, und diese nicht überschreiten, wie dies etwa ein Spion oder ein Agent (im Deutschen) machen würde, der auch positiver konnotiert ist. Das Wort „Konkordanzliste“ des Ober-Exekutors P. Skoworodkin (eines erneuten Spitzels), von dem ebenfalls ein Brief an Pobedonoszew adressiert ist, fällt zudem in dieselbe Sprachsemiosphäre Ariels. [56]

Wer sich hinter dem Decknamen „Agent Brunhilda“ (Pelewin, 2013, S.277) versteckt, ist fraglich und auch ob Agent hier absichtlich von der Übersetzerin gewählt wurde anstelle von Agentin, da sich ein Agent ja auch als Agentin (sprich ein männlicher für einen weiblichen Spitzel) ausgeben kann. Als weibliche Figuren können bis jetzt, und auch das ist sehr fraglich, nur die Fürstin Tarakanowa[57] und Axinja in Frage kommen. Letztere würde dann aber über sich selbst in der dritten Person schreiben[58], was jedoch wiederum insofern effektiv sei, um zu verhindern, dass der Verdacht gerade auf Axinja fällt. Schließlich hat sie sich, retrospektiv gesehen, als einfaches Bauernmädchen ausgegeben, wo sie doch als Schriftstellerin tätig ist, geht also auch nicht ehrlich mit ihrer Identität um (wie man übrigens auch den Worten des Spitzels Nikodims entnehmen kann)[59]. Auch der Schrank mit Frauenkleidern, den T. in der Wohnung des Oberprokurators findet, könnte dafür sprechen. Die Phrase „in einer Beziehung stehen“ (in Bezug auf die Beziehung zwischen Axinja und Olsufjew[60]) erfolgt nicht nur auf der Ebene einer romantischen Beziehung, sondern auch im Sinne einer Kontaktperson, da Axinja theoretisch auch im Stande ist, Informationen über T. an Olsufjew weiterzugeben. Hier fragt sich, ob dies allgemein bekannte Informationen sind oder spezifische, konfidentielle. 

Kapitel 20, 21, 22

Sujet/Motivkette

T. sucht Olsufjews Wohnung auf à „ruft“ Ariel herbei (Olsufjews Kater) à T. sieht das Porträt Axinjas (Axinja Tolstaja-Olsufjewa) in der Wohnung Olsufjews à Ariel inklusive dem Autorenteam beschließt vom Computerspiel zum ursprünglichen Romanprojekt zurückzukehren (Metaebene) à Ariel will nach Ägypten fliegen à T. befragt Ariel nach Solowjow à Ariel. beschließt dessen Handlungsstrang wieder einzubauen à Olsufjew betritt die Wohnung à T. erfährt von Olsufjew, dass dieser den Spitzel/Agenten Knopf angeheuert hat (sowie auch den Zigeuner Lojko), den Gedächtnisverlust Ts durch ein Geheimpräparat herbeizuführen sowie seine Anwesenheit im Zug à T. erfährt den Grund für die Verfolgungsjagd* („Schlüssel nach Optina Pustin“) à Olsufjew zeigt T. die Fotographie, die T. und  Solowjow abbildet à T. zwingt Olsufjew dasselbe Geheimpräparat einzunehmen, das Knopf ihm unter seinem Befehl verabreicht hat à Olsufjew erwähnt die Solowjow Gesellschaft und kündigt deren Treffen an à T. verfolgt Olsufjew und einen Lakai (möglicher Spitzel im Traum), à T. sieht Todesaureolen um den livrierten Lakai und Solowjow (wie zuvor bei Dostojewski) à T. saugt wie Dostojewski Seelen aus à T. wacht auf in Olsufjews Wohnung[61] à Axinja betritt Olsufjews Wohnung à Axinja entpuppt sich tatsächlich als anonyme Autorin (Rechtfertigung Axinjas) à T. begibt sich auf die Straße und entdeckt Olsufjew, inmitten von Studenten und Geistlichen

„Der Held wird verfolgt“ (Eimermacher [Hrsg.], 1975, S.48): Das, was bei Propp eine Funktion ist, zieht sich eigentlich in Pelewins Roman als ein länger fortwährendes Kontinuum (wenn man will auch Paradigma) durch. Selbst wenn Knopf und (vorübergehend Lojko) einmal aus dem Weg geräumt sind, so gibt es noch andere Verfolger (mögliche andere Spitzel Olsufjews).

Die Alliteration und zugleich Sustentio „Geist ist geil“, siehe dt.: „Geiz ist geil“ (Pelewin, 2013, S.294) für den Werbeslogan des Romans Ariels mit doppeltem Vermarktungszweck (für den Roman und in gewissem Sinne eine Schleichwerbung). Im Russischen heißt es eigentlich "Спасу за копейки".[62] Somit sind Alliteration und Sustentio als Kunstgriffe nur für die Übersetzung gültig.

„Das Bewusstsein sieht den Baum an. Aber der Baum, die Zweige, der Stamm, das grüne Zittern des Laubs-ist doch auch ein Bewusstsein, das sich als etwas anderes ausgibt. Ein Spiegel spiegelt den anderen. Eines gibt I (Pelewin, 2013, S.314)

Hier handelt es sich einerseits um eine Personifizierung des Bewusstseins und um einen stilistischen Fehler, der durch „das Zittern des grünen Laubs“ berichtigt werden kann. Darunter versteht man eine Hypallage/Enallage, eine Positionsänderung eines Wortes (hier eines Attributs grün) durch Vertauschung seiner syntaktischen Beziehung. Nach Plett ist „allen diesen Inversionsformen das Moment der Abweichung von der syntaktischen Normallage gemeinsam. Ihre Motivation liegt etwa in den Erfordernissen des Metrums, der Emphase oder in einer manierierten Spielerei.“ (Plett, 1991, S.29)

Was das (personifizierte) Bewusstsein betrifft, so schließt der Aphorismus Solowjows indirekt an das an, was Michail Bachtin in „Literatur und Karneval“ über den Helden und dessen Bewusstsein im polyphonen Roman aussagt[63]

Die Ankündigung des Zeitungsjungen „Oberprokurator und drei Vertraute umgekommen“ (Pelewin, 2013, S.339) lautet im Original „Обер-прокурор погиб с тремя конфидантами“[64]. Auffällig ist hier das Lexem „конфидантaми“ statt „конфидeнтaми“, weshalb sich die Frage stellt, ob Pelewin die Vokale absichtlich vertauscht hat, um somit die Presse vertuschen zu lassen, dass es sich hier auch um potentielle „Journalistenspitzel“ (Grenze zwischen Journalismus und Bespitzelung[65]) handelt, die in Erfahrung gebracht haben, dass es sich bei den toten Mönchen ebenfalls um Spitzel handelt (also Spitzel, die sich gegenseitig bespitzeln), oder es handelt sich um einen Rechtschreibfehler.[66] In der österreichischen Sprachsemiosphäre etwa wird der sogenannte „Konfident“, den die Übersetzerin jedoch nicht als solchen übersetzt sondern sich des Wortes „Vertrauter“ bedient hat, bei Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ im Polizeistaat Metternichs, mit Polizeispitzel gleichgesetzt.[67]

Kapitel 23, 24, 25

Sujet/Motivkette

T. trifft den verkleideten Lama mit Begleitern und einen Lakai (derselbe, den er in Begleitung Olsufjews im Traum gesehen hat) und einem anderen Herren („nihilistischen Aussehens“) à T. verschafft sich Eintritt in die von der Polizei bewachten Solowjow-Gesellschaft trotz des Abwehrversuchs des Lakaien[68] à T. bemerkt einen Mann in kariertem Anzug und Walrossbart, einen Journalisten (auffällige Ähnlichkeit mit Knopf) à Dame mit Kamelie führt T. in die Gesellschaft ein à T. sieht Solowjows Aphorismen (über Den Leser) à T. fragt die Dame mit der Kamelie nach dem „Imperator“[69] à Dame mit der Kamelie definiert „Den Leser“ nach Solowjow (das eigentl. Ziel der Gesellschaft, ihn in sich zu finden) à Ankündigung der Protestbekundung für Solowjow durch den Journalisten à Journalist erwähnt den Vorfall mit dem Bankdirektor[70] à Polizei nähert sich à T. flieht und begegnet Wassili Tschapajew, welcher sich als „nihilistisch aussehender Herr“ enttarnt à T. wird vom einem Spitzel verfolgt à T. flieht ins Hotel d'Europe à Die Hotelhalle funkelt vor Kristall und Nickel à Rezeptionist bückt sich nach „dem Schlüssel“[71] à T. entdeckt die Reisetruhe und eine an ihn gerichtete Notiz vom Gutsverwalter Jasnaja Poljanas à Transfiguration (Kampfkleidung und Sense) à T. nimmt die letzte Pille der Shugdens Tränen à Untergrund/Kanalisation (erneute Gedichte) à Begegnung Fjodor Kusmitschs à. betritt die Kutsche à Festnahme durch den vermeintlichen Journalisten und Polizeispitzel Major Kudassov à Dunkelheit à T. sitzt in der Peter-und Paul-Festung à Begegnung mit dem enthaupteten Solowjow als Geist à T. sieht einen aufgehängten Kater à Solowjow weiß um die Existenz Ariels Bescheid à Solowjow erklärt T. die Philosophie über den Leser à weiß nicht um das örtliche Befinden Optina Pustins Bescheid à bezeichnet T. als den „endgültigen Beobachter“ und „Den Leser“ à T fragt nach dem „endgültigen Autor“ à Solowjow erwähnt das „Sechste Element“ (=den Realisten) à „Klopfen“ an der Tür à Solowjow verschwindet

Der „Geist als geistloser Affe“ (Pelewin, 2013, S.343) ist eine Hyperbel, „eine Überbewertung der Wirklichkeit, welche den dargestellten Gegenstand (hier den Geist) aus seinen lebensweltlichen Bezügen löst und ihn in eine imaginäre Vorstellungswelt versetzt.“ (Plett, 1991, S.76).  Im Normalfall ist die „amplifizierende Hyperbel an hohe Gegenstände (Epos, Tragödie) und an die hohe Stilebene gebunden, denen sie jeweils pathetische Glanzlichter aufsetzt“ (ebda.). Verwirklicht wird sie etwa in der „reinen Hyperbel (übertreibender Synonymersatz wie etwa Geist durch geistloser Affe) und der kombinierten Hyperbel (Metapher, Ironie).“ (ebda.)

„Damit er [der Leser] geboren werden kann, schlagen Papa und Mama einen kleinen Nagel in den Geist und vom Wind der Zeit bleibt allerlei Zeug daran hängen. [..] Das Bewusstsein, das der Mensch für sein eigenes hält, ist in Wirklichkeit das Bewusstsein Gottes.“ (Pelewin, 2013, S.347)[72]

Hier handelt es sich um eine Katachrese, einen Bildbruch. Dieser Bildbruch, auf der einen Seite „ist ein Tropus, der die uneigentliche oder missbräuchliche Verwendung eines Wortes beschreibt, auf der anderen Seite beschreibt sie jedoch nicht nur den Missbrauch des Wortes im Allgemeinen, sondern auch den Missbrauch von Metaphern und Tropen im Besonderen.“ (Posselt,2005, S.17 f.). So gibt es auch Metaphern, die mit dem allgemeinen Sprachgebrauch übereinstimmen, sowie manche (wie etwa Mama und Papa schlagen einen kleinen Nagel in den Geist), die dies nicht tun. (ebda.)[73]

„Waschen Sie sich den staatlichen Siegellack ab, vielleicht sehen Sie dann mit einem Auge.“ (Pelewin, 2013, S.348)

Der Nihilist (bzw. „Herr mit ‚nihilistischem Aussehen“, Pelewin, 2013, S.347), der die Existenz Gottes[74] leugnet, bedient sich im Original eigentlich des Russischen видеть одним глазком,[75] was erstens so viel bedeutet wie „etwas nur flüchtig sehen, erhaschen“. Insofern schwingt hier die Ironie mit, etwa analog im Deutschen kurzsichtig/myopisch sein. Andererseits hat auch bereits der Lama von ihr Gebrauch gemacht, als er T. über den Nutzen und die Bedeutung von Shugdens Tränen, welche die drei Augen repräsentieren, unterrichtete, wobei das dritte nur eine rituelle, jedoch vom Lama nicht erläuterte Funktion hat. In Spitzeltexten ist das Auge oft ein pars pro toto für die Geheimpolizei (statt Gott bzw. Des Lesers!) bzw. dessen oberste Instanz selbst. Somit ist der Nihilist, der in Begleitung des Lamas gekommen ist und dessen Wortwahl annimmt, ein nicht auszuschließender Spitzelkandidat. Zudem kann глазок auch im Russischen selbst einem Synonym für Guckloch, Späher (sowie Türspion) gleichkommen.[76] Allerdings das allsehende Auge (Всевидящее Око) wird gerne von Verschwörungstheoretikern mit Geheimorganisationen assoziiert, (wie auch die Solowjow-Gesellschaft).

„In solchen Momenten kam es mir so vor, als sähe ich ihn von unten, während er sich emporschwang, obwohl wir dabei noch immer nebeneinander lagen...das heißt standen.“ (Pelewin, 2013, S.349)

„Diese [Solowjows] Worte verströmten für mich sogleich etwas Wundersames, etwas...als seien wir alle schon erlöst und wüssten nur nichts davon.“ (ebda., S.350)

In beiden Fällen wird die Correctio von der Dame mit der Kamelie gebraucht, eine Selbstkorrektur. Die Richtigstellung ist „Ursache für eine zweigliedrige Erweiterung des ursprünglichen Textes, wobei hier das zweite Glied antithetisch und mildernd ist“ (Plett, 1991, S.47), da das erste eine Intimität zwischen Solowjow und ihr impliziert (analog zu T. und Olsufjew und Axinja). Bei dieser Figur ist „das Eingeständnis eines Irrtums nur scheinbar, die Figur besitzt den Charakter des Schauspielerischen“ (ebda.).

Es handelt sich um eine kühne Metapher, wenn nach Solowjow der Leser mit der Stringtheorie und dem Spiritismus verglichen werden kann. (Zwei ursprünglich miteinander unvereinbare Einheiten werden nun vereint.) [77]

Der Journalist als Amplifikation Knopfs, der den skaz Knopfs in sich trägt (reproduzierender skaz, er übernimmt praktisch die sprachliche Mimik und die Rolle Knopfs mit derselben Wortwahl), da er auch über als Euphemismus bezeichnete „Quellen zur Geheimpolizei“ (Pelewin, 2013, S.361) verfügt. Selbst wenn Knopf tot ist, so wirkt seine Gestalt noch immer als wandelndes Paradigma fort, weshalb ihm auch der Spitzelcharakter anhaftet. Somit trifft die Muschelallegorie des Knopf[78] der sich zu vermehren scheint, wirklich zu. Die Quellenmetaphorik ist eine Invariante zu Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, in der der Journalist ebenfalls zum Spitzel stilisiert wird.

Tschapajew, der als „Nihilist“ umschrieben mit „Herr mit nihilistischem Aussehen“ (welcher auch in „Buddhas kleiner Finger“ mit einem Lama Dschambon in Verbindung steht), erklärt T. den französischen Namensursprung des Lama. [79]Die französischsprachige Semiosphäre ist also nicht nur beim „Hotel d'Europe“, (im Gegensatz zu Hotel Ewropeiskaja) ersichtlich. Hinzu kommt, dass die Eltern des Lama eigentlich einen gekauften (französischen) Adelstitel tragen, und es sich dabei um De Martignac, das verdächtig nach einem Pseudonym klingt und durch de Adel impliziert, handeln kann und in seinem Namen. „Urgan Dschambon Tulku VI“ (Pelewin, 2013, S.216) dem „VI“ etwas Adeliges anhaftet.

Der an T. adressierte Brief gibt einerseits nicht nur die Ermordung des Doppelgängers Ts. preis, durch welchen nun Ts Tarnung/Deckung aufgeflogen ist, sondern lässt den Verdacht zu, dass es sich bei Wassiljew, dem „Hofrat in Ruhestand“ (Pelewin, 2013, S.372) um eine Art Pseudonym von Wasili (Tschapajew), eine eventuelle phonetische Montage handelt (Wassiljew à Wassili Tschapajew). Das Fischernetz („sowie auf den Bildern im Kolosseum in Rom“, ebda.) welches die Mönche, d.h. Spitzel Pobedonoszews unmittelbar vor dem Tod Warsonowis als Waffe gegen T. verwendeten[80] und welches T. auch im Schiff der Fürstin kurz vor Knopfs Angriff vorgefunden hat[81], wird T. nun als Waffe gegen seine Feinde selbst angeboten. Der Satz „Aber Wassiljew hat gesagt, da würden Sie zornig werden“ (ebda.) schließt darauf, dass er, d.h. sowohl Wassiljew als auch der Verfasser des Briefes Semjon Golubnitschi, von den Angriffen der Spitzel mithilfe des Netzes auf T. Bescheid weiß, und somit selbst in das Spitzelwesen involviert sein könnte. Auffällig erscheint auch, dass Semjon, dessen Existenz T. in Frage stellt, in einem Pluralis spricht (ebda.). Handelt es sich bei Wasilij tatsächlich um den angeblichen Nachbarn Wasiljew, dann scheint auch höchst verdächtig, dass (Wassili) Tschapajew den „Spitzel hinter T.“ [82]nach dem Auflösen der Solowjow-Gesellschaft als solchen überhaupt erkannt hat.  Denn einen Spitzel erkennt man nur, wenn er sich zu auffällig verhält oder wenn man selbst in dessen Geschäft verwickelt ist. An dem Namen Semjon sei ebenfalls noch ein kleines Detail anzumerken: Er taucht das erste Mal auf, als T. nach der Ermordung des Oberprokurators in dessen Wohnung einen an ihn gerichteten Brief von einem Semjon Kuprijanow vorfindet. Dieser stellt sich als Kollegienassessor vor[83]. Sowohl Hofrat als auch Kollegienassessor galten im Russland Peters I. als Ränge der sogenannten Rangtabellierung. So ist, wahrscheinlich nicht zufällig, der Kollegienassessor dem Hofrat untergeordnet ist. Bei Semjon Golubnitschi, der mit dem Hofrat Wassiljew (alias Wassili Tschapajew?) verkehrt, könnte es sich demnach durchaus um den Kollegienassessor Semjon Kuprijanow bzw. Rabba Rav-Kuprijan handeln, der an Pobedonoszew Informationen über T. preisgegeben hat. Das Netz wurde in seinem ersten Brief, allerdings als „geheime Prozedur“ paraphrasiert, im zweiten wird es T. direkt als Waffe vorgestellt.

Bei der Festnahme Ts.[84] handelt es sich inklusive des Paradigmas „Dunkelheit“ um eine Amplifikation der Zugszene, in welcher es Knopf misslang, T. zu verhaften. Weder in dieser noch in der ersten erscheint Ariel. Die Sense des Schenkers ist ebenfalls unnütz, da sie an der Wachswand des Wagens kleben bleibt. So kann es sich bei der nicht fruchtenden Sense um den Gegenstand eines falschen Helfers handeln, den man Wassili, der T. das Netz nicht zur Verfügung stellen wollte, da T. die Spitzel sonst mit ihrer eigenen Waffe geschlagen hätte, zuschreiben könnte. So kann Semjon, aber auch Olsufjew, der mit Knopf zusammengearbeitet hat, wie aus einem der Briefe hervorgegangen ist, und T. in die von Polizeispitzeln bewachte Solowjow-Gesellschaft geschickt hat, sowie Semjon Golubnitschi als Lockvogel gelten.

„[...]Ein und derselbe endgültige Beobachter, der sich nie vor jemandem versteckt, weil es niemanden gibt, vor dem er sich verstecken könnte. Und Sie wissen sehr gut, wer er ist, weil Sie nämlich er sind.“ (Pelewin, 2013, S.397)

Solowjow bezeichnet T. als den endgültigen Beobachter, als einen „Blick, der sich selbst erschafft, dadurch, dass er sieht“. Aber das russische Lexem „наблюдатель“ kann auch negativ konnotative Züge haben und somit als Umschreibung für Informant oder Spitzel[85] dienen. Fraglich ist, ob hier der Vergleich zwischen Leser und Spitzel/Späher impliziert, dass T. schon die Züge eines Spitzels angenommen hat[86], da er sich oft in der Gesellschaft eines Spitzels befand oder ob das Lesen in gedehnter Weise dem Beobachten und „Spitzeln“ nahekommt, da man sich dadurch Wissen verschafft. So gesehen kann auch Ariel als Beobachter über T. angesehen werden, da er in den vorherigen Kapiteln alle Schritte Ts. genauestens verfolgt, selbst wenn Solowjow genau das bestreitet. Allein die Tatsache, dass er von den „Agenten“ Warsonowis als der Erhabene /Verborgene bezeichnet wird, lässt auf Ariel als eine Art nicht zu greifende, höhere Spitzelinstanz sowie den Vergleich zwischen Gott und Spitzel („Beobachter“) schließen. Claus Heck hat in seinem Roman „Aleas Ich“, die Hauptfigur, die von einem Spitzel verfolgt wird, sowie eine andere Figur, die ebenfalls von einem Spitzel verfolgt wird „ein-und denselben Roman“ schreiben lassen, sodass auch hier die Frage dessen, wer wen schreibt/erschafft/ beobachtet, aufgeworfen wird.[87]

„Es ist ein Roman über Ariel Edmundowisch Braman.“[88] (Pelewin, 2013, S.392) Die Frage, wer wen schreibt oder erschafft, kann auf die Frage, wer wen oder was beobachtet übertragen werden. Solowjow, da auch er T. nicht direkt nach Optina Pustin führen kann, ist ein Beispiel dafür, „dass der Held (T.) ohne jeden Helfer auskommen kann“ (Eimermacher [Hrsg.], 1975, S.82)

Dieser beruft sich zwar darauf, dass eines der wesentlichsten Merkmale des Helfers „seine prophetische Weisheit“ ist (ebda., S.83), sagt aber auch, dass sie „beim Fehlen des Helfers auf den Helden übergeht“ (ebda.), also auf T. übergehen müsste.

„Das größte Geheimnis der Welt ist ein offenes Geheimnis, und es unterscheidet sich in nichts von Ihnen selbst.[...] Das zu verstehen, bedeutet auch, den Leser zu sehen.“ (Pelewin, 2013, S.397) Bei dieser Figur handelt es sich um ein Paradoxon und das Lexem Geheimnis wird im Grunde genommen durch den Kakao gezogen, da ein Geheimnis (überhaupt, wenn hier die Rede vom Spitzel ist) besessenen wird, hier wird es jedoch personifiziert durch T.  

Kapitel 26

Sujetkette

Das nächste Kapitel wäre erneut ein Beispiel für die Verwischung und somit unklare Trennung der semantischen Grenzen. Hier treten neben dem „tatsächlichen“ Tolstoi auch andere Figuren auf, die Historizität aufweisen (z.B. Sofia Tolstaja) oder denselben Namen wie zuvor bekannte Figuren[89] tragen (siehe Knopf), allerdings mit ganz anderen Eigenschaften, sowie auch bereits bekannte Gegenstände (das Buch in Jaspis von der Fürstin, das Amulett). Es ist unklar, ob es sich, von dem semantischen Feld des Autorenteams ausgehend, um das Werk des „realistischen Autors“ handelt, so wie Solowjow es aus einem anderen semantischen Feld vorherprophezeit hat oder ob hier das Motiv Traum, da T. (nicht Tolstoi!)  ja zuvor im Roman eingeschlafen ist, geträumt hat und wieder aufgewacht ist (etwa am Schiff der Fürstin, im Hotel, nach Olsufjews Begegnung, etc.), zu einem neuen Sujet entfaltet werden kann bzw. muss oder ob es einfach weiter eines mehrerer Motive des bisherigen Sujets ist, und T. dies stets träumt. Die Sätze „Und dann erwachte T.“ und „Tolstoi schlug die Augen auf“ (Pelewin, 2013, S. 402 f.) sowie die Wiederholung des Satzes am Ende des Kapitels „Die Tür wurde aufgerissen und zwei Gendarmen betraten die Zelle“ (ebd., S.417f.) weisen wieder einen montageartigen, wenn nicht sogar parallelmontageartigen Moment auf, und es ist unklar, ob T. sich als Tolstoi träumt.  Man könnte sich auf Lotmans Paradigmatik auf zweiter Ebene berufen, allerdings nur, wenn man die Garantie hat, dass es sich um ein und dieselbe Figur handelt und sie sich nicht irgendwie aufspaltet. Die Meinung von Ariels Großvater, dass ein Schriftsteller nach seinem Tod zu einer seiner Figuren wird, sei hier dahingestellt. Das Kapitel erinnert stilistisch an Basaras Führer in die innere Mongolei, wo unklar ist, ob sich der Ich-Erzähler, ein Schriftsteller, überhaupt in der Mongolei oder lediglich in seinem Wohnzimmer aufhält und träumt.

Tolstoi sieht einen weißen Glaceehandschuh und ein goldenes Buch mit einem Anhänger à Tolstoi bedankt sich bei einem Inder für das „Experiment“ à erzählt ihm und seinen Gästen von seinem Traum à der „Inder“ (erinnert an den Lama) glaubt, dass Tolstoi die Zukunft gesehen hat (Vision, Blickmetapher) à Frau Tolstois meint, Tolstoi sei Ariel gewesen  und der Übersetzer (Tschertkow) sei der Urenkel eines Bekannten namens Braman (was ja dasselbe wäre im semantischen Feld Ts) à Erklärung des Wortspiels zwischen Lew und Ariel (Lew russisch für Löwe, und Ariel hebräisch für der große Löwe des Herrn) à Inder glaubt, dass T. den Traum zu Ende träumen wird.

Kapitel 27

Sujetkette

à T. wacht auf à Kudassow betritt die Zelle und verhört T. à bezichtigen T. des Mordes an der Fürstin, des Gendarmen (siehe Zigeuner) und Pobedonoszew sowie dessen Spitzel à Kudassow befragt T. über die Reisetasche des toten Bankiers[90] à  Kudassow zeigt T. einen an ihn adressierten Brief à T. bittet einen der Gendarmen um ein Glas Wasser und führt Ariels Ritual aus (Aschenwasser) à T. lässt den Gedanken frei und „ruft Ariel selbst herbei“.

Die Adressatin mit den Initialen T.S. ist die Dame mit der Kamelie von der Solowjow-Gesellschaft, mit dessen Hilfe es T. gelingt, die Zelle zu „verlassen“, angelehnt an den Satz „Derjenige, der den Gedanken bemerkt, lässt ihn frei und verschwindet zusammen mit ihm.“ (Pelewin, 2013, S.422)[91] Solowjows Gebilde von Dem Autor, Du und Dem Leser (ebda.) bildet die Trinität, die T. symbolisch (und optisch) darstellt, daher auch der Buchstabe „t“. Die Sätze „Sie fragen, wer dieser Imperator ist?“ sowie „Hier könnte die Frage aufkommen, was Solowjow mit du gemeint hat“ (ebda.) sind eine Prokatalepse, eine Vorwegnahme möglicher Einwände Ts. Der „grimmige Onkel mit dem Bart“ (ebda.) als Antonomasie spielt wohl auf Major Kudassow (und seinen Schnauzbart an), könnte aber auch auf T. und dessen Bart anspielen. Insofern ist die Dame mit der Kamelie eine Helferin.

„Denn I am kann es auch ohne Graf geben, aber Graf T., kann es nicht ohne dieses I am geben.“ (Pelewin, 2013, S.426)

Das, was in dem obigen Satz einer vermeintlichen Anadiplosis ähnelt, ist eigentlich eine phonetische Figur, für die auch Plett keinen konkreten Begriff nennen kann. Sie schließt an die von T. selbst erkannte Tautologie „I am I“ (ebda.) an und hat sprachphilosophischen Charakter auf der Suche nach der Identität durch die Sprache. Sie kann als Intensivierung für Solowjows Satz „Sie sind an der Grenze angelangt, an der die Worte enden“ (Pelewin, 2013, S.401) gesehen werden. Die semantische Grenze ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein Gedanke, die sich auflöst, nachdem T. den Gedanken an Ariel freilässt und somit in einem anderen semantischen Feld landet. Der „(An-)Schlag gegen/auf den Imperator“ (im Original: удар императора) ist eine Art Kalauer, die der Gendarm als einen Anschlag auf den tatsächlichen Imperator („die höchste Person“) missinterpretiert, wobei eigentlich Ariel damit gemeint sein sollte. Auch hier wird wieder Polysemie zugelassen: Der Zar galt als Kopf der Ochrana, für welche auch die Gendarmen und zugleich Lockspitzel, da sie in die Sting-Operation der Solowjow-Gesellschaft verwickelt waren, arbeiten. Wurde Ariel vorhin mit einem „verborgenen allmächtigen Wesen“ von den Mönchen gleichgesetzt, so erfolgt jetzt der Vergleich mit dem Zaren, wobei hier aber nicht ganz klar ist, ob die Gendarmen selbst denselben „Zar“ bzw. Imperator (Ariel) meinen wie T., oder auf die Kusmitsch-Legende verweisen. Rückblickend aber wirft die Szene, in der sich Ariel im Gemälde des Zaren Paul [92] manifestiert, wieder Fragen auf, da Zar Paul noch vor der Gründung der Ochrana regierte.

Dem Erhalt des Blatts Papier und des Wasserglases[93] lässt sich die Funktion „Der Held wird wieder Handlungen unterworfen, die zum Erwerb eines (erneuten) Zaubermittels führen“ (Eimermacher [Hrsg.] 1975, S.60) zuordnen. Hier kann man allerdings nicht wirklich von einem neuen Schenker sprechen, da der Gendarm seine Schenkerposition als solche nicht wahrnimmt und nicht beabsichtigt, T. zu helfen oder zu schaden, sodass man nicht einmal von einem falschen Schenker sprechen könnte, sprich: er keine Intentionen hat.

 

 

Kapitel 28

Sujetkette

T. befindet sich an der Grenze zu Ariels Semiosphäre  und beobachtet diesen à T. erklärt Ariel das Wortspiel von Ariel à Ariel sitzt auf einem Katzendiwan à T. hält einen Sack mit der griechischen Bezeichnung für Katze „Gates“ und holt Olsufjews Kater heraus à Ariel verwandelt sich in eine löwenähnliche Gestalt in einer Art Kugel à Kater durchtrennt die Grenze zwischen T. und Ariel à Dunkelheit und Licht à T. begegnet erneut dem sprechenden Pferd und sinniert über Gott (Element der Reduzierung nach Propp, da T. diesmal keine Roggennähre isst, die ihn wie zuvor ins Delirium treiben könnte) à Kater à T. und das Pferd befinden sich (scheinbar) in Optina Pustin

T: „Aber das Buch hat einen echten Autor, der sich auch Sie ausdenkt.“ (Pelewin, 2013, S.432)

Ariel: „[..] Nur ist mir dieser Autor nicht bekannt.“ (ebda.)

T: „Mir schon.“ Ariel: „Und wer ist das?“

T: „Ich.“ (ebda.)

Der falsche Held Ariel, der sich ja auch nur als Romanfigur „entpuppt“, wird von T. entlarvt mithilfe der Kombination der semantischen Wortspiele zwischen Ariel und Lev. Ariel: hebräisch: der große Löwe (Lev russisch) vs. der Löwe Gottes (hebräisch). Ariel, der diese symbolische Kette gebildet, aber nicht erkannt hat, ist eigentlich selbst eine Modifikation der Szene, in der ebenfalls durch seine mangelnde Aufmerksamkeit das Kätzchen durch Warsonowis Männer erschossen wurde. [94]

Die Tatsache, dass T. immer größer wird und Ariel schrumpft, kann als eine Umkehrung der Verhältnisse in Hinsicht von Gestalt bzw. Figur und Charakter gesehen werden, denn dadurch, dass T. mithilfe des Katers, der eine Grenze mit anthropomorphen Zügen darstellt, die Grenze zu Optina Pustin endgültig überschreitet, indem der Kater selbst die Grenze, die Ts und Ariels Welt trennt, überschreitet kommt, es einerseits zur „Inkarnation der Grenze“  (Lotman, 1993, S. 347) und andererseits wird es nun evident, dass T. ein Charakter (und keine Gestalt/Figur) ist.[95] Den Schluss zu ziehen, Ariel sei nun eine bewegungslose (sujetlose) Figur, wäre zwar gerechtfertigt, aber vorschnell, da wir nicht genau wissen, ob er überhaupt aus dem semantischen Feld ausscheidet, wie folgender Satz bestätigt:

„Ariel saß mittlerweile nicht mehr an seiner Maschine, er hatte sich unter dem Tisch versteckt. T. sah, wie der Kater mit der Pfote die Turingmaschine umkippte, das weitere Geschehen wurde von seinem Rücken verdeckt“. (Pelewin, 2013, S.438)

Insofern bleibt auch das Vorhandensein der Funktion „Der Feind (bzw. falsche Held) wird bestraft“ (Eimermacher [Hrsg.], 1975, S.64) ungeklärt.

Die Funktion „Der Held gelangt in ein anderes Land (statt nach Hause)“ (Eimermacher [Hrsg.], 1975, S.61) kann hier auch für Optina Pustin eingesetzt werden.

Eine der Endpassagen, in der T. über die Existenz Gottes sinniert und eine Roggennähre kaut[96], stellt eine Reduktion der gleichen Szene in Kowrow dar, da der Autor Mitjenka hier nicht eingreift. Diese Szene kann also eine Art Belegfunktion dafür gesehen werden, dass T. als Selbstbewusstsein dargestellt wird, und wirft die Assoziation mit dem auf, was Solowjow mit seinem Spiegelaphorismus über das Bewusstsein (der Welt) gelehrt hat sowie auch Michail Bachtin über den Helden im polyphonen Roman:

Er [der Held] darf nicht mit dem Autor verschmelzen, darf nicht zum Sprachrohr für die Stimme des Autors werden. [T. wird letzten Endes nicht mehr zum Sprachrohr Ariels und Mitjenkas[97] etc., d.h. er wird als Selbstbewusstsein dargestellt]. Die Akzente des Selbstbewusstseins des Helden müssen wirklich objektiviert, die Distanz zwischen Held und Autor im Werk muss eingehalten werden. Die Nabelschnur, die den Held mit seinem Schöpfer verbindet, muss durchtrennt werden.“ (Bachtin, 1996, S.91)

Paradox ist hier, dass Bachtin das soeben Gesagte für Dostojewskis Helden versteht,[98] daher scheint auch retrospektiv gesehen das Vorkommen (des fiktiven) Dostojewski im Roman als scherzhaft. Im polyphonen Roman, der die Figuren als Ideologien betrachtet, argumentiert Bachtin, dass es neben der Figur des Autors eine zweite gleichberechtigte Stimme geben muss, wobei er dies bei Tolstois Welt, die „monologisch und monolithisch“ (ebda., S.96) aufgebaut sei, bestreitet. Hier tritt die zweite Ironie auf, wenn man bedenkt, dass T., der auf Tolstoi aufbauen soll, zunächst tatsächlich Mitjenkas Sprache übernimmt und sogar Monologe spricht, die von einem der Autoren unter Anführungszeichen gesetzt werden,[99] allerdings ist T. aber nicht Tolstoi.

Fazit:

Aufgrund der weit gefassten Thematik, die „Tolstois Albtraum“ einschließt, inklusive der Intertextualitätsbezüge hauptsächlich neuerer (moderner) russischer Literatur und russischer Geschichte und der primären bereits definierten Aufgabenstellung, soll hier noch erwähnt werden, dass sich, da es sich um einen postmodernen Roman metafiktionaler Natur handelt, auch poststrukturalistische Konzepte zum Heranziehen einer Erörterung anbieten ließen, wie etwa Michel Foucaults „Tod des Autors“ und Jacques Lacans differance, aber auch Vertreter der rezeptionsästhetischen Schule wie Jaus oder Iser, angesichts der Problemstellung mit den Lesertypen (idealer Leser, implizierter Leser, fiktiver Leser, empirischer Leser) und deren Verhältnis zum Autor (idealer Autor, implizierter Autor, fiktiver Autor, empirischer Autor), sowie auch der New Historicism (etwa die Fiktionalisierung historischer Persönlichkeiten wie Tolstoi, Dostojewski, Wladimir Solowjow, Starez Warsonowi, das misslungene Attentat auf den Oberprokurator u.a.)[100] und die Gattungsthematik (romance, Märchen, Epos....).

Wichtig erscheint, dass Spitzelfiguren des Romans (der Geheimpolizist Knopf, Vater Warsonowi und die Mönche des Sodomitenordens, der Zigeuner Lojko, Olsufjew) sowie nicht direkt genannte aber in Verdacht fallende Spitzelkandidaten (die Fürstin Tarakanowa, der Lama Dschambon, der graugrüne Herr Serafim, der livrierte Lakai Philemon, Axinja Rosenthal, Semjon Golubnitschi mit der entsprechen hebräischen Paraphrasierung, und der Gendarm bzw. vermeintliche Journalist Kudassow, sowie andere Gendarmen und Wassili Tschapajew, der „Schicksalsschmied“ De Martignac) als fest umrissene Gestalten dargestellt werden, nicht aber der Versuch in Anspruch genommen wird, ihre Veranlassung zum Spitzeldasein zu schildern.  Sie werden als runde Gestalten (?) gezeichnet, bestätigen die Welt ausschließlich. Somit werden sie hier parodiert, wenn nicht sogar persifliert. Folgende Fragen scheinen für sie kaum relevant:

Was veranlasst einen Menschen, ihm nahestehende andere Menschen (etwa beim potentiellen Spitzelkandidaten Semjon Golubnitschi, dem Gutsverwalter) zu verraten, eigene Überzeugungen in den Schmutz zu treten? Was ist die Neigung zum Verrat? Ein Defekt im Charakter eines Individuums oder eine Eigenschaft im Bewusstsein bestimmter Klassen oder Gruppen, des „Kleinbürgertums“ oder der „Intelligenzija“? Ist sie eine Auswirkung der Gestimmtheit enttäuschter Revolutionäre und Renegaten? Oder ist das Verrätertum, im Gegenteil, eine Folge des in der revolutionären Bewegung selbst herrschenden „Jesuitismus“? Darf man annehmen, dass eine Neigung zum Verrat als eine der „Widerwärtigkeiten des russischen Lebens“ im Nationalcharakter angelegt ist? Oder geht es um die übernationale Erscheinung des Glaubensverlusts und des „moralischen Nihilismus „in der Moderne?“[101] (sodass Nihilismus und Atheismus oft als Charakteristika für Spitzel gesehen werden).  

Diese Figuren/Gestalten nehmen ihr Dasein so hin, weshalb sie auch sujetlos nach Lotman zur Geltung kommen, im Gegensatz zu T., der dies hinterfragt. Auf diese Fragen scheinen eher Gorki („Der Spitzel“) einzugehen, Olaf Müller („Tintenpalast“), Wolfgang Hilbig („Ich“) sowie Laszlo Krasznahorkai („Satanstango“). Allerdings spielen Nihilismus (etwa anhand der Graffiti-Gedichte im Untergrund auf dem Weg zu Fjodor Kusmitsch[102], oder Parodie auf Nietzsche und Tschapajew) und Atheismus (auch anhand Tschapajews, der am Wesen des Absoluten zu zweifeln scheint) im Roman eine Rolle, inwiefern sie aber mit dem Charakter eines Spitzels zu vereinen sind bzw. als Gründe für die Spitzeltätigkeit zu nennen sind, sei mit Vorsicht zu genießen. Dostojewski im sogenannten „Shooter-Projekt“, der im Roman mit dem Oberprokurator befreundet ist, stellt einen Sonderfall dar, da nicht bekannt ist, ob er weiß, dass der Oberprokurator Spitzel anheuert, und somit auch nicht, ob er T. nur in eine Falle lockt und somit die Funktion eines Lockspitzels annimmt.

Der Spitzel auf der Ebene der Realität in Form des Sicherheitsdienstes FSB und den damit verbundenen Tschekisten[103], die das Romanprojekt Ariels und seiner Mitautoren steuern bzw. beeinflussen, manifestiert sich im Roman anhand der oben genannten Spitzel der zaristischen Ochrana und des damals schon bestehenden Innenministeriums (МВД - siehe Worte des Gendarmen „покойный министр“[104]). Ariel, der auf der Realitätsebene der innerliterarischen Welt ein Autor ist, ist auf der darin eingebetteten Ebene Ts. ein kabbalistischer Gott/Dämon, der alles Geschehene beobachtet (und den Roman, in dem sich T. und die Spitzel befinden, mit anderen Autoren schreibt), und den die Spitzel Warsonowis (in der eingebetteten Ebene) mit den hebräischen Initialen BHWG kennzeichnen, wobei der Name Ariel selbst auch jüdisch ist sowie die kabbalistische Technik. Der Vergleich zwischen Gott (als Ariel) mit einer absoluten Spitzelinstanz zeigt sich auch in dem Wort „Beobachter“, was wiederum mit Leser gleichgesetzt wird, und ironischerweise auf T. übertragen wird, der mit „allwissendem Blick“ umschrieben wird, da er der Leser bzw. Beobachter ist und er aber auch, und nicht Ariel, seine eigene Welt erschafft, insofern auch Autorautorität aufweist und somit mithilfe dieser Erkenntnis nach Optina Pustin gelangt. In die jüdische/hebräische Semiosphäre fallen, neben Ariel (BHGW), wie gesagt, Warsonowi und die übrigen Spitzelmönche des Ordens, Semjon Kuprijan (der für Semjon Golubnitschi sprechen könnte), der von T. angeheuerte Spitzel Serafim, der Lakai Philemon, aber auch Axinja aufgrund des Namens Rosenthal, der aber nur in einem der Spitzelbriefe an den Oberprokurator erscheint, ansonsten taucht sie als Axinja Olsufjewa-Tolstaja auf. Auch gibt diese Informationen an Olsufjew weiter, der mit dem Geheimspitzel Knopf kooperiert, dieser wiederum mit dem dümmlichen Zigeuner Lojko zusammenarbeitet. Die französischsprachige Semiosphäre manifestiert sich zuerst anhand des mysteriösen Schenkers De Martignac, schließlich anhand der Bezeichnung Hotel d'Europe, das vom livrierten Lakai kurz vor dem ersten Besuch des Lamas so bezeichnet wird, aber auch anhand des Namens des Lamas „Dschambon“ und dessen französischer Akzentuierung. Auch die Augenmetaphorik[105] (neben dem „allwissenden Blick“ des Lesers) darf nicht außer Acht gelassen werden, 1) die wie Augen aussehenden Tränen Shugdens (глазок), das Auge Око (auffällig ist hier die Großschreibung im Originalwerk[106], da Substantiva im Russischen für gewöhnlich kleingeschrieben werden), im Gegensatz zu глаз, das hier nicht als pars pro toto für Spitzel gesehen werden muss (allerdings kann), sondern nach Solowjow positiv konnotiert ist, als Schöpfer der Welt (statt Ariel), wo aber die Quellenmetaphorik (siehe Knopf, Major Kudassov) und die Lexeme Kontakt  (siehe Serafim) und Beziehung (siehe Agent Brunhilda) eher  negativ gewertet werden können.

„Sie wissen doch, manchmal gibt es beim Lesen so ein Gefühl, als ob jemand sich in Ihnen an das erinnert, was er schon immer wusste. Es ist eben diese Kraft, die sich erinnert. Wir beide [T. und Solowjow] verstehen einander nur deshalb, weil sie sowohl Sie als auch mich versteht. Das ist eben Das Auge, das die Hobbits im wichtigsten Mythos des Westens zu zerstören versuchten. Aber sie schafften nicht, Das Auge erblinden zu lassen [..], nur, dass sie selbst es nicht mehr sahen.“ (Pelewin, 2013, 397)

Letzterer Satz kann auch auf die Blendung des Spitzels („Polizeiagenten“) Lojko übertragen werden, der von T. („Dem Auge“) geblendet wurde.

Der zunächst für ein Gottesopfer gehaltene T., der aus diesem Grund auch verfolgt wird, opfert schließlich, nachdem er die Homosemie zwischen Lev (Löwe) und Ariel (der große Löwe Gottes) verstanden hat, Ariel selbst, indem er ihn zu einer Romanfigur macht und ihn die semantischen Grenzen nicht mehr überschreiten lässt, wie er es zuvor konnte. Die Grenzüberschreitung Ariels ist zwar vollzogen aber rückgängig gemacht, d.h. kann er nicht mehr in ein anderes semantisches Feld und ist, im Gegensatz zu T. restituiv und nicht (mehr) revolutionär (im Sinne, dass die gleiche Grenze wieder überschritten wird). Diese symbolische „Opferung“ wird im Bachtin‘schen Sinne karnevalesk untermauert (in Kombination mit Bachtins Karnevalstheorien):

1) der freie, intim-familiäre, zwischenmenschliche Kontakt und 2) karnevalistisches Weltempfinden. [..] Die Menschen, sonst durch die unüberwindbaren Schranken der Hierarchie getrennt, [..] kommen in familiäre Berührung miteinander. In einem Mischbereich von Realität und Spiel erlebten Form wird ein neuer  Modus der Beziehung von Mensch zu Mensch [Ariel und T./Leser und Autor à Ariel ist kein „echter Gott“] gebildet. Benehmen, Geste und Wort lösen sich aus der Gewalt einer hierarchischen Stellung [Stand, Rang, Alter, Besitzstand à Autor/Leser ↔ Leser/Autor), von der sie außerhalb des Karnevals voll bestimmt wurden. [...] 3) karnevalistische Mesalliance: Es geht um die Vereinigung zwischen Geheiligtem und Profanen und [..] 4) die Profanation: System der karnevalistischen Erniedrigungen und „Erdungen“, unanständige Reden und Gesten, die auf die Zeugungskraft der Erde und des Leibes hinweisen, die karnevalistischen Parodien heiliger Texte und Aussprüche.“[107] (Bachtin, 1996, S.48 f.) 

Die Katze als Paradigma manifestiert sich im (anfangs maskierten) Ariel, sowie im Katzenikonenschrank in der Wohnung des Oberprokurators und bei Fjodor Kusmitsch[108], aber auch im Kater Olsufjews. Der Prophet Solowjow, der als Helfer Ts gewertet werden kann, hilft T. praktisch, das „Auge der Weisheit“ zu öffnen, und das passiert nach der Einnahme der dritten Träne Shugdens, die symbolisch auch auf die drei Schnurrbarthaarpaare der Katze verweisen, so verwendet T. ja auch Olsufjews Kater, um Ariel zu „opfern“, wobei der Kater auch als Inkarnation einer Grenze gelten mag. Es handelt sich hier auch um denselben Kater, durch den T. bereits in Olsufjews Wohnung unbewusst Ariel herbeirufen hat lassen, und er Olsufjew sogar selbst für die Realisierung Ariels gehalten hat (ebd., S. 306f.).  Aber auch die indische Religion manifestiert sich, und zwar im Namen Ariels selbst anhand des „Braman“. Im Namen Brahman drückt sich die hinduistische Tradition des Advaita Vedanta aus, die ironischerweise auch Solowjow vertritt, welchen Ariel aus dem Roman hat streichen und dann wieder einführen lassen. T. kann daher als Doppelgänger Solowjows, da diese die beiden sind (siehe auch Ähnlichkeiten wie Intonation), die um Ariel (inklusive dessen Namen) Bescheid wissen, und Ariel als primärer Schädling und Gegenspieler Ts. auf der Zeitebene des 21. Jahrhunderts (bzw. Metaebene) gesehen werden.

Die deutsche Übersetzung des Titels „Tolstois Albtraum“ bedarf einer näheren Untersuchung, wenn man etwa bedenkt, dass im Original „T“ beibehalten wurde. So schwankt man hin und her zwischen der einen Vorstellung, der historische Tolstoi, träume dies alles, und der anderen, T. handle durch den Handgriff des „realistischen Autors“, der den Traum real wirken lässt, die Hauptfigur aber T. und nicht Tolstoi ist.

Da die einzelnen Kapitel sehr episodisch und oft statisch wirken und das deus ex-machina entgegen jeglicher Logik gebraucht wird, es sich um einen Text der Fantastik handelt oft, und man dadurch nicht immer aus deduktivem Wissen schließen kann, sondern induktiv folgern muss (Paradigmatik auf zweiter Ebene), kann die Motivzuteilung sowie die Verteilung der semantischen Grenzen oft verschoben wirken, was auch mit der Divergenz zwischen Kulturcode von Autor und Leser zusammenhängt zwischen den unterschiedlichen Romanebenen (Zeit-und Raumebene Ariels, Ts. und die Traumebene). Optina Pustin kann demnach als ein „liminales, nicht lokalisierbares (semantisches) Feld“[109] zwischen all diesen Ebenen gesehen werden, das durch die Inkarnation bzw. Konkretisierung der Grenzen zustande kommt.

 

 

MÖGLICHER ENTSCHEIDUNGSBAUM ALS ÜBERBLICKSSCHEMA

 

                        

 

 

Ariel

 

Optina
Pustin

 T.

 

 

 

QUELLENVERZEICHNIS:

Die Seiten werden nicht extra im Quellenverzeichnis angegeben, sie befinden sich aber sowohl bei direkten Zitaten im Fließtext als auch bei Paraphrasierungen bestimmter Ansätze und Theorien in Fußnoten der Proseminararbeit. Es wurde zudem nicht das Originalwerk Viktor Pelewins als Ausgangspunkt herangezogen, sondern überwiegend die deutsche Übersetzung Dorothea Trottenbergs.

  1. Primärliteratur
  • Горький, Максим: Жизнь ненужного человека, исповедь, лето, M. 1907/1908, dt. Alfred Balte, Der Spitzel, Eine Beichte, Ein Sommer, Aufbau-Verlag Berlin, 1971
  • Heck, Claus: Aleas Ich, Osburg Verlag Hamburg, 2013  
  • Ortheil, Hanns-Josef: Faustinas Küsse, btb Verlag, 2000
  • Пелевин, Виктор O.: Чапаев и Пустота. М. 1996; dt. Andreas Tretner, Buddhas kleiner Finger, Verlag Volk und Welt Berlin, 1999 2
  • Пелевин, Виктор O.: Т. М. 2009; dt. Dorethea Trottenberg: Tolstois Albtraum. München 2013

 

2) Sekundärliteratur

  • Bachtin, Michail (Mikhail) M.: Literatur und Karneval -Zur Romantheorie und Lachkultur, Fischer Wissenschaft, 1996, übersetzt von Alexander Kaempfe
  • Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte, Wilhelm Fink UTB, 19893, übersetzt von Rolf -Dietrich Keil
  • Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte, Wilhelm Fink UTB, 19934, übersetzt von Rolf-Dietrich Keil
  • Meyer, Claude-Helene; Treichel, Dietmar (Hrsg.): Lehrbuch Kultur. Lehr- und Lernmaterialien zur Vermittlung kultureller Kompetenzen, Waxmann Verlag, 2011
  • Mierau, Fritz (Hrsg.): Die Erweckung des Wortes-Essays der russischen formalen Schule, Reclam-Verlag Leipzig, 19912
  • Plett, Heinrich F.: Einführung in die rhetorische Textanalyse, Helmut Buske Verlag Hamburg, 19918
  • Posselt, Gerald: Katachrese-Rhetorik des Performativen, Wilhelm Fink Verlag, München 2005
  • Пропп, Владимир Я.: Морфология волшебной сказки. М. 1998, dt. Eimermacher, Karl (Hrsg.): Vladimir Propp-Morphologie des Märchens, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1975
  • Schilken, Dörthe: Die teleologische Reise - Von der christlichen Pilgerallegorie zu den Gegenwelten der Fantasyliteratur, Neumann und Königshausen, 2002
  • Schmid, Wolf (Hrsg.): Slavische Erzähltheorie-Russische und tschechische Ansätze, De Gruyter, 2010
  • Von Poten, Bernhard: Handwörterbuch der gesamten Militärwissenschaften Band 3 Döffingen bis Friedrich I, Salzwasser-Verlag GmbH, 2015

 

 3) Internetquellen

 

 

[1] Die Gesamtheit aller Zeichenbenutzer, Texte und Codes einer Kultur, d.h. der gesamte semiotische Raum, wird nach Lotman als Semiosphäre bezeichnet. (Treichel, Meyer [Hrsg.], 2011, S.191)

[2] Unabhängig vom Roman bekannte, außertextuelle Beispiele für einen sprachlichen Semiosphärenwechsel in Bezug auf Ortsnamen aus der Geschichte wären etwa Österreich/Ostmark oder Leningrad/St. Petersburg oder Jugoslawien. Mit kleineren geographischen Einheiten (etwa Kiosk/ Trafik), aber auch mit Personennamen verhält sich der sprachliche Semiosphärenwechsel analog. Eine andere Möglichkeit, (in einem Roman) einen sprachlichen Semiospärenwechsel bei Ortsnamen einzuführen, wäre einen Ort, der bis jetzt durchgehend in einer Sprache einheitlich genannt wurde, nun in einer anderen zu nennen (etwa später im Roman Hotel Ewropeiskaja/Hotel d’Europe).  In Ortheils Roman „Faustinas Küsse“ etwa haben wir es mit einer ähnlichen Art sprachlicher Semiosphärenwechsel bei Ortsnamen zu tun, wenn beispielsweise uneinheitlich einige Sehenswürdigkeiten Roms in ihrer originalen Bezeichnung genannt werden wie der Piazza del Poppolo, andere wiederum nicht wie die Spanische Treppe oder der Spanische Platz. (vgl. Ortheil, 2000, S.7 und S.13)

[3] Vgl. Eimermacher (Hrsg.) 1975, S.19 f.

[4] Vgl. Lotman, 1993, S. 330

[5] ebd., S.332

[6] ebd., S. 334 f.

[7] ebd., S. 330

[8] ebd., S. 338 f.

[9] Vgl. Schmid, 2010, S.55

[10] Vgl. Eimermacher (Hrsg.), 1975, S.22

[11] Vgl. Bachtin,1996, S.116 Teilweise gibt es seitens Michail Bachtin Widersprüche in Anbetracht des skaz-Begriffs Eichenbaums. Bachtin zählt ihn zu seiner Metalinguistik. Nach ihm ist der skaz eine Einstellung auf die fremde Rede (ein Konzept der Mehrstimmigkeit/Polyphonie) und erst als Folge davon auf mündliche Rede. Eichenbaum soll sich nur mit der mündlichen Rede auseinandergesetzt haben.

[12] Allerdings sei der skaz als Verfremdungseffekt nicht im Sinne des Brecht’schen Theaters zu verstehen, wo sowohl Illusion und skaz weggenommen werden, da versucht wird, den Leser ohne Verschönerungen auf dem gleichen Wissenstand des Autors zu halten. So kann beim skaz nichts vorweggenommen werden.

[14] Vgl. Gorki: Der Spitzel, Eine Beichte, Ein Sommer, 1971, S.70  

[15] Vgl. Mierau (Hrsg.), 1987 S.275 ff.

[16] Im Roman werden anhand der Figur T. einige Anspielungen auf den historischen Tolstoi gemacht, allerdings handelt es sich nicht um eine 1:1 Übernahme.

[17] Die Flucht in den Fluss bezeichnet Propp als „Der Held wird vor den Verfolgern gerettet“ (Eimermacher [Hrsg.], 1975, S.58)

[18] vgl.  Plett, 2001, S. 91

[19] vgl. Pelewin, 1999, S.24 ff.

[20] Andererseits ließe sich das Argument aufstellen, dass   T. schon lange ein Charakter ist, auch wenn durch die Metamorphose, Transfiguration, der Charakter „Vater Paissi“ aufgehört hat zu existieren, und dass der Text unabhängig davon sujethaltig ist, was durch die Aufstellung der Motivketten bestätigt wird.

[21] Владимир Я. Пропп, Морфология волшебной сказки. М. 1998, S. 60

[22] Mit dem Motiv „Gewaltloser Widerstand“ (GEWI) wird der historische Tolstoi in dem Sinne parodiert, dass er ebenfalls durch sein philosophisches, buddhistisch angehauchtes Naturell auch ein Vorbild für Gandhi, einen Vertreter der gewaltfreien Auseinandersetzung, war. Von einer Parodie ist hier deswegen die Rede, da T. in Anlehnung an Tolstoi nur scheinbar gewaltfrei agiert, was vielleicht eine nicht authentische gewaltfreie Ader des tatsächlichen Tolstois durch den Autor impliziert.

[23] Ariel vergleicht die Schriftstellertätigkeit mit jener des Teufels und stellt sich als   Schriftsteller, Kabbalist und Erschaffer Ts. vor. Hier tritt das erste Mal die Metaebene/Metafiktion des Romans bewusst ein. Man denke an Tarakanowas Analogie zum deus faber bis zur Herabstufung zum poeta faber (siehe S. 6).

[24] vgl. etwa Baader/ Hofstede/ Patz/ Suthor [Hrsg.], 2007, S. 558

[25] Der als Gendarm verkleidete T. wird mit dieser Titulierung angesprochen. Zur Zeiten der russischen Rangtabellierung galt diese Bezeichnung für ein Mitglied des russischen Geheimrats, gewöhnlich sind hier Beamte gemeint. (3.Rang),

vgl. http://akunin.ru/istoria/tabel/

[26] Diese Anrede, die ebenfalls für T. gebraucht wird, war allerdings für den 13. Rang gebräuchlich, d.h. für unterschiedliche Registratoren und Sekretäre. (s.o.)

[27] Im Roman scheinen der Jude und Ariel die einzigen zu sein, die einen Kaftan tragen. Die Wichtigkeit diesbezüglich für das Transfigurationsmotiv bleibt offen.

[28] Das Autorenteam Ariels, die Erschaffer bzw. Götter Ts. auf der Metaebene besteht aus Autoren, die für bestimmte Bereiche (etwa Action, Metaphysik, etc..) zuständig sind und die Sprache Ts. dementsprechend anpassen. Die Szene, in der T. über die Kastration sinniert beim „sündhaften“ Anblick Axinjas, hängt mit dem Eingriff des Autoren Mitjenka zusammen, dessen Gebiet die „Erotik“ ist. 

[29] Hier könnte aber auch einfach nur die Mimik statt der Kosmetik gemeint sein.

[30] vgl. Pelewin, 2013, S.87 ff.  Zudem ist Ariel zwar ein jüdischer Name, aber Ariel selbst ist kein Jude.

[31] vgl. Pelewin, 2013, S.100

[32] Ebd., S.103

[33] vgl. etwa Schilken, 2002, S.264 f.

[34] http://www.jg-eberhardt.de/philo_exp/ex_pierre_menard.html

Im Grunde genommen seien alle Ideen schon vorhanden, so sei es nur eine Frage der Zeit, von wem sie aufgegriffen werden. Menard und Cervantes seien mehr oder weniger substituierbar, da sie weder den Text noch die Idee besäßen.

[35] vgl. Pelewin, 2013, S.126 Nach Propp kann das Hilfselement der Verdreifachung Details attributiven Charakters, aber auch einzelne Funktionen und ganze Sequenzen und Funktionspaare dreimal auftauchen lassen. 

[36] Das ist ein bisschen tautologisch, auch wenn es Propp zuzuschreiben ist. Von ‚zufälligen Helfern‘ scheint Propp wohl nichts zu sagen, doch wenn sie ihre Funktion als solche nicht bewusst realisieren würden, wären sie wohl vielleicht keine klassischen Helfer.

[37] ebd., S.129; Angeschlossen an das Hilfselement ist übrigens erneut die Funktion „Wegbeschreibung“ (Raumvermittlung)", die sich wieder nur räumlich orientiert.  Aber auch hier wird T. nur in einen Hinterhalt von einem Handlanger Knopfs gelockt.

[38] Das Ziffernblatt soll den Namen des Hermaphroditen mit Katzenkopf enthalten. Zudem vergleicht Knopf die Kette mit der Kette des Petersburger Bankiers, an der ein Schlüssel befestigt ist, der Schlüssel zu einem leeren Tresor und zur „Spieluhr der Ewigkeit“ (vgl. Pelewin, 2013, S.150)

[39] Das Romanprojekt Ariels ist stark verschuldet und er kann den dafür benötigten Kredit nicht zurückzahlen, daher sind Handgreiflichkeiten die Folge. Aus lukrativen Gründen soll das Romanprojekt zunächst in einen Shooter (d.h. ein Computerspiel) umgewandelt werden.

[40] Bei diesen zitierten Versen handelt es sich um ein Gedicht Lermontows. T. imitiert also den Wortlaut Lermontows, so wie er zuvor auch (unbewusst) Ariel imitiert hat, als er sich als Schöpfer des Juden in Kowrow ausgegeben hat. (vgl. Pelewin, dt. Trottenberg, 2013, S. 445)

[41] vgl. auch Plett, 1991, S.66

[43] vgl. Schmid, 2010, S.45

[44] vgl. Pelewin, 2013, S.172 f und 184 f.

[46] In diesem Kapitel scheint nicht ganz nachvollziehbar, inwiefern T. mit dem „Detektiven“ und dem Lama in Kontakt getreten ist bzw. sie hat anstellen lassen, die Handlung lässt sich nicht deduktiv aus den bisherigen Motiven ableiten. Dies könnte nach Lotman mit der „paradigmatischen Struktur zweiten Grades“ (Lotman, 1993, S.361), also mit dem Verhältnis zwischen Ideenstruktur und Textstruktur der Figur, zusammenhängen. Doch womöglich gibt es entsprechend viele Nullstellen, seien es verschwiegene Motive oder auch andere fehlende Elemente.

[47] Dies könnte mit dem Motiv „Ariel trägt eine Maske“ zusammenhängen sowie mit dem Motiv „Knopfs Frage nach dem potentiellen katzenähnlichen Aussehen Ariels“.

[48] Im Original wird das Wort разведчик verwendet und kann auch als Synonym für Spitzel gelten. Er kann vielleicht dem Paradigma „Spitzel“ zugeordnet werden, doch gibt es wesentliche Unterschiede, da er über eine andere Semiosphäre Auskunft gibt und daher eher dem Spion zuzuordnen ist. Aber auch da gibt es im Wort разведчик eine doppelte Bedeutung. http://dic.academic.ru/dic.nsf/sea/14365/%D0%A0%D0%B0%D0%B7%D0%B2%D0%B5%D0%B4%D1%87%D0%B8%D0%BA

[49] Da die Rolle des De Martignac undefiniert bleibt, kommt auch die des deus ex machina im positiven Sinne infrage.

[50] Schlott meint hier wahrscheinlich eher durch Anstiftung bzw. durch einen „vermeintlichen Auftrag“, denn anderes wirkt missverständlich.

[52] vgl. Pelewin, 2013, S. 215; Außerdem gibt der Lama selbst an, Spitzel wegen „Serafim“ angeheuert zu haben (ebd., S.218)

[53] Die psychische Grenze etwa wird durch die Pillen des Lama konstruiert, wenn man bedenkt, dass die Pillen, die die Augen der Weisheit darstellen, in T. spirituell eindringen. Eine andere Möglichkeit wäre, die Pillen als Grenze zu betrachten.

[54] Die Anthropomorphizität der Grenzen bestätigt auch Lotman. (vgl. Lotman, 1989, S.344)

[55]Hier handelt es sich um die nicht vokalisierte Form des Wortes Bhagwan.

[56] vgl. Pelewin, 2013, S.276 und vorher Pelewin, 2013, S.106

[57] Da der Brief nicht datiert ist, hätte die Fürstin ihn auch vor ihrem Tod an den Oberprokurator schicken können, zumal das Opferamulett, auf das es die Mönche abgesehen haben, und der schläfrig machende Wein von ihr kommen.

[58] Im Brief fällt der Name Axinja Rosenthal. (Seitenzahl?) Zudem wäre als Beispiel für einen Spitzel in der außerliterarischen Wirklichkeit, der von sich in der dritten Person geschrieben hat, der Stasi-Spitzel Wolfgang Schnur zu nennen. Um damit klarzukommen, schrieb Schnur alias IM „Torsten“ in seinen Berichten an die Stasi von sich in der dritten Person, etwa: „Torsten hat erfahren“ oder“ Torsten wurde berichtet"

http://www.zeit.de/2015/09/wolfgang-schnur-biografie-alexander-kobylinski

[59] vgl. Pelewin, 2013, S. 264

[60] Wie der Graugrüne im Russischen сыщик genannt wird, so wird Olsufjew als Genie der сыска bezeichnet, was auch mit Detektiv übersetzt wird. Da das Lexem allerdings vom Mönch und Spitzel Nikodim gebraucht wird, wirkt es nicht glaubwürdig, und lässt auch Olsufjew als einen Spitzel dastehen.

[61] Angelehnt an den deutschen Titel, ist ebenfalls aufgrund des Häufigkeitsgrades des Motivs „T. schläft“/„T. träumt“ bzw. „T. wacht auf“ der Traum/der Schlaf ein Paradigma. Der blau markierte Schriftzug umfasst hier das Geträumte.

[63] Auf diesen Gedanken wird noch genauer eingegangen werden.

[65] Die oft verschwommene Grenze zwischen Journalismus und Bespitzelung bzw. Journalisten als Spitzel könnte auch retrospektiv betrachtet werden mit dem Motiv „Knopf weiß durch die Zeitung Bescheid.“ (siehe S.3).

[66] Allerdings könnte durch die phonetische Substitution auch nur eine Archaisierung erreicht werden und so dem Zitat eine stärkere Authentizität verliehen werden.

[68] Dieser livrierte Lakai taucht wortwörtlich (d.h. mit der Bezeichnung  "livriert") das erste Mal im Hotel d'Europe auf, kurz bevor T. den Spitzel/ Detektiv Serafim und den Lama empfängt (vgl. Pelewin, 2013, S.211) und es besteht wenig Zweifel darin, dass es sich beim livrierten Lakai in Olsufjews Gegenwart (die allerdings von T. geträumt wird, vgl.S.18, blauer Schriftzug), der dann bei der Solowjow-Gesellschaft als Philemon vorgestellt wird (was aber  nicht auf der Traumebene verlagert ist!), um ein und-denselben Lakai handelt. Es kann sich dabei um einen Kontakt Olsufjews handeln, da sich dieser nach der Konfrontation mit dem Lakai trifft, was bedeutet, dass auch der Lakai (bis jetzt nur sehr unterschwellig) als Kontaktperson agiert, und sowie auch Knopf vor seiner Ermordung, für Olsufjew arbeitet, allerdings, wie gesagt, nur im Traum Ts (vgl. Pelewin, 2013, S.320-323)

[69]Dies ist wohl eine mögliche (aber auch fehlleitende) Anspielung auf Fjodor Kusmitsch, den T. im Untergrund getroffen hat

[70] Der Bankdirektor soll nach einer angeblichen Hypnose die Geldbestände gestohlen haben.

[71] Fraglich ist, ob es sich bei dem Schlüssel in der vor Nickel leuchtenden Halle des Hotels, nach dem sich der Rezeptionist bückt, um denselben vernickelten Schlüssel handelt, den T. beim Bankdirektor vorgefunden hat. Falls ja, dann wäre der Rezeptionist durch den Besitz des Schlüssels ein potentiell Involvierter, was den Vorfall in der Bank angeht. (vgl. Pelewin, 2013, S.369)

[72] Dieser These des einen Gesellschaftsmitglieds widerspricht T. und sie ist auch nicht haltbar, wie sich noch zeigen wird.

[73] Gelegentlich wird die Katachrese auch als tote Metapher betrachtet.

[74] Die Existenz Gottes dient als Analogie zur Existenz Des Lesers.

[75] http://pelevin.nov.ru/texts/pe-t.html, Kapitel 23 und ebd. Kapitel 16

[76] http://www.babla.ru/%D1%80%D1%83%D1%81%D1%81%D0%BA%D0%B8%D0%B9-%D0%BD%D0%B5%D0%BC%D0%B5%D1%86%D0%BA%D0%B8%D0%B9/%D0%B3%D0%BB%D0%B0%D0%B7%D0%BE%D0%BA

Selbst wenn es offiziell nicht 1:1 mit ‚Spitzel‘ übersetzt wird, versteckt sich hinter diesem Wort die Tätigkeit eines Spitzels, was fast schon euphemistisch ist.

[77] vgl. Pelewin, 2013, S.350

[78] Ebda, S.133

[79] Ebd. S.365

[80] vgl. Pelewin, 2013, S.157

[81] Ebd., S.43: Auch hier wird bereits ein toter Mönch (Spitzel) mit einem Fischernetz mit Kristallsplittern in der Hand erwähnt, der zunächst nur sekundär wirkt, aber retrospektiv betrachtet ein wichtiges Motiv darstellt, und einer von den Männern Warsonowis ist. Die Tatsache, dass sich der Mönch, auf dem Schiff der Fürstin befindet, auch die Fürstin tot ist (welche T.  den schläfrig machenden Wein verabreicht hat) und T. das Amulett gegeben hat, das die Mönche ja wollen, bestärken das Argument noch mehr, dass die Fürstin mit den Spitzeln Warsonowis unter einer Decke steckt. Was die Kristalle angeht, so kommen sie immer sehr unterschwellig als Symbole und in einer Verbindung mit Ariel vor (vgl. etwa Pelewin, 2013, S.304)

[82] Ebd., S.368

[83] Ebd., S.278

[84] Ebd., S.368

[86] In deutschen Rezensionen etwa wird die Frage gestellt, ob. T. als Geheimagent/Spion gesehen werden kann, bzw. T. als der „russische James Bond“, allerdings entspricht das nicht dem russischen Lexem шпион, das ja eher mit Spitzel konnotiert. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/viktor-pelewin-tolstois-albtraum-der-moench-mit-der-kugelsicheren-kutte-12239297.html  

[87] Vgl. Heck, 2013, S.308

[88] Die Frage nach Ariel als dem falschen Helden nach Propp wäre hier gerechtfertigt.

[89] Auch der Lakai tritt auf dieser Zeitebene auf, diesmal ist es aber umso weniger eindeutig, ob es sich um eine Anspielung auf den Lakaien im Hotel d'Europe handelt, den T. als Kontaktperson (Spitzel) Olsufjews geträumt hat und der bei der Solowjow-Gesellschaft als Philemon vorgestellt wird.

[90] Auf S. 200 des Romans heißt es zwar, dass T. das Geld entdeckt in der Tasche hat, nicht aber, ob er die Tasche selbst mitgenommen hat. Sollte der Rezeptionist den zuvor erwähnten Schlüssel tatsächlich dem Bankier entwendet haben, so könnte er auch T. die Tasche untergeschoben haben, damit die Gendarmen darauf aufmerksam werden. Somit hätte er aber auch unter Umständen beim Styx sein müssen.

[91] Dies ist zweideutig (so auch Pelewin, dt. Trottenberg 2013, S. 447), denn im Original heißt es распустить думу, was auch die Auflösung der Duma, für die der Zar befugt war, bedeuten kann.

[92] vgl. Pelewin, 2013, S.101f.

[93] T. führt Ariels kabbalistisches Ritual durch, indem er auch die Kürzel BHGW (für Ariel) der Mönche verwendet. (vgl. zuvor Pelewin, 2013, S.278)

[94] vgl. Pelewin, 2013, S.156

[95] Um es exakter auszudrücken, wird sich T. hier erstmals bewusst, dass er keine Gestalt, sondern ein Charakter ist.

[96] Ebd., S. 439

[97] Das trifft auf den Roman allein zu, das gilt aber paradoxerweise nicht so sehr, wenn man den empirischen Autor (sprich Pelewin) selbst in Betracht zieht.

[98] vgl. etwa Bachtin, S.96

[99] vgl. Pelewin, 2013, S.111

[100] Andererseits könnte aber gerade die Fiktionalisierung eine Parodie auf den New Historicism sein.

[102] vgl. etwa Pelewin, 2013, S.249

[103] Auf die genauen politischen Geschäftsbeziehungen, denen der Roman (im Roman) untergeordnet ist, wird in dieser Arbeit nicht detailliert eingegangen. Es sei nur kurz angemerkt, dass Süleyman, unter dem Dach der Tscheka (Spitzel) steht, d.h. dass die Spitzel der Tscheka das Romanprojekt überwachen, aber zugleich auch seine Schutzmacht im Fall von Erpressungen sind. Er selbst wird von Ariel als Dschigit bezeichnet (Pelewin, 2013, S.118). Östlich des kaspischen Meers wird der Begriff Dschigit für Kirgisen (und Nomaden) gebraucht, welche sich gegen Sold als Irreguläre den russischen Truppen anschließen und denselben bei ihren Expeditionen als Wegweiser, Ordonnanzen und Kundschafter dienen. (vgl. von Poten, 2015, S.40) Dies wirkt ein wenig scherzhaft, da Süleyman dschigitischer Abstammung ist. Außerdem ist Kundschafter auch gelegentlich ein Synonym für Spitzel.

http://www.duden.de/rechtschreibung/Kundschafter

Aber auch der Lama wird als Produkt eines britischen Geheimdienstes vorgestellt. (ebd., S.432)

[105] Gemeint ist hier die gesamte semantische Ebene, da die Rede sowohl von Metaphorik als auch Symbolik ist.

[107] wie etwa das Philippsevangelium und die Parodie auf das Matthäusevangelium (vgl. Pelewin, 2013, S.388)

[108] Ebd., S. 383

[109] Die Wahl des Begriffs „Limbus“ etwa bedürfte einer genaueren, vielleicht sogar außerdisziplinären theologischen Untersuchung.

Author

Christina H. Janousek

Studentin der Komparatistik der Unive