Die Planetarisierung als entpolitisierter Kern der Globalisierung

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Václav Bělohradský:

Die Planetarisierung als entpolitisierter Kern der Globalisierung

Von der entzauberten zur wiederverzauberten Welt?

Max Weber hat in seinen soziologischen Schriften zur industriellen Moderne das Konzept der entzauberten Welt entwickelt, einer vollständig säkularisierten Welt, die von magischen Mächten, von übernatürlichen Kräften und ganz allgemein von jedem Mysterium gereinigt ist. Es gibt in dieser Welt kein Versteck mehr für Götter. Nur eine feine und unklare Grenze trennt dieses Konzept der „entzauberten Welt“ von jenem „Nihilismus“, der von den Feinden der Moderne als verborgene Essenz des modernen Zeitalters gesehen wird. In ihren Augen sind alle Krisen der Moderne nichts als Folgen des Nihilismus, der Relativierung aller Werte, der Zurückweisung des Heiligen als konstitutives Moment der Moderne.

Aus heutiger Sicht zeigt sich die entzauberte Welt am klarsten in einem Bild des Planeten Erde, das von einem Raumschiff aus einer Entfernung von vier Milliarden Meilen aufgenommen wurde. Al Gore bezieht sich darauf in David Guggenheims Film „The Inconvenient Truth“, um die ganze Menschheit zum Kampf gegen die globale Erwärmung aufzurütteln. Bei allen Niederträchtigkeiten und Triumphen der Menschheit, meint Al Gore, ist die Erde nicht mehr als ein kleiner verlorener Punkt in den unendlichen Weiten des kosmischen Raumes, dessen Dimensionen eine in Stämme, Nationen, ideologische Lager und Gesellschaften zersplitterte Menschheit nicht mit dem Sinn zu vergleichen sind, den sie ihren Kriegen zu verleihen im Stande war, den Massakern an Millionen Lebewesen im Namen von dieser oder jener tribalen, nationalen, ethnischen, ideologischen oder wissenschaftlichen Wahrheit.

Es fällt nicht leicht, die kalte und techno-logische Rationalität der entzauberten Welt zu akzeptieren, weshalb die Nachfrage nach einer wiederverzauberten Welt ständig wächst. Welche Formen wird diese wiederverzauberte Welt in der Zukunft annehmen? Muss der Erfolg von „Second Life“ etwa als eine Antwort auf die Nachfrage nach wiederverzauberten Welten betrachtet werden, wird hier doch jedem Menschen mit Internetanschluss die Möglichkeit geboten, einen Avatar zu kreieren und im Netz ein zweites Leben zu führen, das sich vom real gelebten, möglicherweise frustrierenden Leben abhebt?

Die Fundamentalismen unserer Zeit können aber jedenfalls als Antwort auf die Nachfrage nach wiederverzauberten Welten betrachtet werden, sei es der islamische, der der Neocons rund um die Bush-Administration oder jener der oppositionellen Jugendbewegungen. Die Wiederverzauberung der Welt weist einen einfachen Weg aus den Ängsten, die die entzauberte Welt auslöst, besonders in ihrer radikalisierten Erscheinung als unermesslicher Kosmos, Ängste, wie sie von den Fotos ausgelöst werden, die Al Gore als Argument für eine radikale Verschiebung der politischen hegemonialen Verhältnisse in der Welt verwendet.

In dem Film „The Inconvenient Truth“ spricht Al Gore auch über das erste vom All aufgenommene Foto der Erde, das zu Weihnachten 1968 von der Apollo 8 Crew gemacht wurde. Dieses Bild sei im Bewusstsein der Menschheit geradezu explodiert und habe ein „Morgengrauen der Erde“ eingeleitet, den Beginn also eines neuen Verhältnisses der menschlichen Gattung zum Planeten Erde, dessen bedeutendste politische Folge die Entstehung der Umweltschutzbewegung war. Gegen Ende des Filmes sagt er dann, dass dieser kleine verlorene Punkt im Kosmos „unser einziges Zuhause“ ist, und dass dieses Zuhause „nun auf dem Spiel steht“, weswegen die „politischen Prozesse der Demokratie“ benutzt werden müssen, um die Erfahrung der kosmischen Distanzierung von der Erde, die uns von der Technologie aufgezwungen wurde, zu politisieren. Was kann es heißen, diese Perspektive auf die Erde zu politisieren?

In diesem Kontext möchte ich meine Überlegungen zur „Planetarisierung als entpolitisiertem Kern der Globalisierung“ verorten.

Zum einen verläuft zwischen dem Konzept der entzauberten Welt sowie seiner modernden Version, wie sie vom Biologen Monod oder eben von Gore formuliert wird, und dem Nihilismus eine feine und unklare Grenze. Zum anderen hat das Allerweltswort „Globalisierung“ einen harten Bedeutungskern, der nicht von dem Allgemeinplatz gelöst werden kann, dass alle Produktionsfaktoren flexibler werden müssen; und dieser harte Kern besteht in der Planetarisierung als politisches Problem.

Nihilismus: Werte sind Mythen

Sprechen wir zunächst über den Nihilismus, über Nietzsche also. Dieser gemeinhin als Prophet des Nihilismus gehandelte Philosoph ist bezeichnender Weise der erste, den Papst Ratzinger in seiner Enzyklika Deus charitas est nennt, freilich um uns vor seinem Denken zu warnen. In für die katholische Kirche typischer Manier wird der „Nihilismus“ darin als äußerste Bedrohung dessen gesehen, „was europäisch ist“; es sei oberste Aufgabe des Westens, diese Bedrohung mit aller Kraft zu bekämpfen. Hierbei handelt es sich aber um ein verzerrtes Bild von Nietzsches berühmter Vorschau auf den Anbruch des westlichen Nihilismus.

In Nietzsches Vision steht der Nihilismus nicht lediglich für den Verlust, die Auflösung oder die vehemente Ablehnung der Werte der Vergangenheit und der metaphysischen Weltsicht, wie etwa in einem italienischen Wörterbuch unter dem Schlagwort „Nihilismus“ zu lesen ist: „Philosophische Position der radikalen Entwertung oder Verneinung der Realität oder von Aspekten davon.“ Bei Nietzsche ist der Nihilismus keine Verneinung westlicher Werte, sondern vielmehr die Verwirklichung dieser Werte, ihre Umsetzung: der Nihilismus realisiert den höchsten abendländischen Wert, den moralischen Anspruch, der Wahrheit gegen jede andere Instanz Gültigkeit zu verschaffen, den Anspruch, jene Mythen zu entlarven, die sich die Menschen aneignen, um ihr Leben erträglicher zu machen.

Nietzsche nennt den Nihilismus einen undurchschaubaren, sperrigen, den fürchterlichsten Gast, der nicht wieder gehen will, aber in Wahrheit ist es ein geladener Gast: die Wahrheitssuche wurde im Westen als moralischer Wert empfunden, und das macht es nötig – im Namen der Wahrheit – die Mythen zurückzuweisen, die erzählt werden, um unserem Leben Sinn zu geben. Werte werden durch Mythen legitimiert, sie sind Mythen – und zwar alle Werte, nicht nur die der „anderen“, der „unterentwickelten“ Völker, deren Religionen und Weltbilder in den Augen von Jesuiten und aufgeklärten Kolonialisten „Mythen“ waren.

Im Westen war die Wahrheit ein moralischer Wert, woraus sich unsere moralische Pflicht ableitet, Mythen als Erklärungen für den Sinn des Lebens zurückzuweisen: die europäische Menschheit fühlt die moralische Verpflichtung, zwischen reinem Mythos und echten Werten zu unterscheiden. So richtet sich die Wahrheit als moralischer Wert gegen die anderen, die „allgemeinen“ Werte, sie richtet sich gegen die heilsame Wirkung der Mythen im Umgang mit Tod und Ängsten, vor allem aber gegen das Christentum. So folgt für Nietzsche der Nihilismus aus einer westlichen Moral, zu deren höchsten Werten jener der Wahrheitssuche gehört. Der moderne Mensch wird in seiner Vision von einer „permanenten Sinnkrise“ gebeutelt und muss lernen, seine Sehnsucht nach Mythen zu überwinden, vor allem aber die Sehnsucht nach dem Christentum, was bedeutet, den leichten Weg zur Überwindung der Sinnkrise, die Rückkehr zu alten Mythen zu meiden. Diesen leichten Ausweg vom Nihilismus wollen wir „von der entzauberten Welt zur wiederverzauberten Welt“ nennen. Um diesen leichten Weg zu meiden, muss der Mensch aber zum Übermensch werden, frei also von jeder mythischen Sehnsucht.

Die Ablehnung falscher Werte, der Religion, „der Mythen, die erzählt werden, um dem eigenen Leben Sinn zu verleihen“, ist also weder ein zynischer Akt noch Ausdruck des Hasses gegen andere Werte; im Gegenteil, der Nihilismus ist die moralische Konsequenz des Wertes, der der Wahrheitssuche in Europa verliehen wird. Der Nihilismus kommt in jenem Moment über Europa, in dem nicht nur die niederen, primitiven und wilden Kulturen, sondern auch die westliche Kultur als Mythos behandelt wird.

In seiner Beschreibung der Entstehung des Nihilismus in Europa schreibt Nietzsche selbst davon, dass die Wahrheitssuche eine jener Kräfte war, welche die Moral hervorgebracht hat, eine Kraft, die sich schlussendlich selbst gegen die Moral wendet, indem sie deren Teleologie angreift, die „Parteilichkeit ihrer Art zu urteilen“. Der Nihilismus sei der Effekt dieser Aufdeckung von Lügen, die der Mensch nicht abzulegen imstande ist. Die moralische Weltdeutung, wie sie uns seit Jahrtausenden vermittelt worden sei, habe Bedürfnisse in uns geweckt, die wir noch verspüren, die wir nun aber als Bedürfnisse der Lüge erkennen. Andererseits aber scheinen gerade diese Bedürfnisse die Träger jener Werte zu sein, für die es sich zu leben lohnt. Dieser Widerspruch leitet den Auflösungsprozess von Werten ein: „Wir können dem, was uns vertraut ist, keinen Wert geben, und dem, was wir uns gerne erzählen würden, dürfen wir nun keinen Wert mehr verleihen.“

Die Bedeutung, die dem Kampf gegen die Mythen und verzauberten Welten im Namen der historischen Wahrheit verliehen wird, kommt in der Neutralität des Staates gegenüber der Religion zum Ausdruck. In der Tat ist sie nichts als die Konsequenz aus dem moralischen Wert des Westens, jedem Individuum seine Freiheit in der Wahrheitssuche zu überlassen; es ist demnach unzulässig, einen Staat auf welche Mythen auch immer zu gründen – der Staat verhält sich neutral zu allen Mythen.

Die wesentliche Eigenschaft der westlichen Moderne besteht für Nietzsche also darin, dass die Wahrheit zu den moralischen Werten gehört, und daraus folgt unsere unausweichliche Pflicht, jene Werte zu erkennen, entdecken und zu kritisieren, die nichts als Mythen sind. Der moderne Mensch hat sich im Namen einer auf Wahrheitssuche basierenden Moral den Glauben an Mythen und mythische Erzählungen versagt; doch die Werte, für die es sich zu leben lohnt und für die wir uns einsetzen, sind Mythen, sie sind in dem Sinne nicht wahr, als sie eine kritische Prüfung nicht bestehen würden, die wissenschaftliche Kenntnis als moralische Pflicht begreift.

Welche existenziellen Konsequenzen ergeben sich daraus, dass der moderne Mensch „dem, was er wissenschaftlich erkannt hat, keinen Wert zu geben vermag und das, was einen Wert hat, die Mythen, nicht mehr glauben darf“? Die Konsequenz ist der Nihilismus, sind Verzweiflung und Sinndefizit, die die ganze westliche Gesellschaft durchdringen von hier aus die Welt – und die Moderne hat kein Mittel dagegen.

In den Siebziger Jahren hat der Biologie-Nobelpreisträger Jacques Monod in seinem einflussreichen Bestseller „Zufall und Notwendigkeit“ eine moderne Version des von Nietzsche aufgeworfenen Problems formuliert. Er behauptet darin, dass die gesamte menschliche Kultur „animistisch“ in dem Sinne ist, dass in ihr das Vorurteil dominiert, die Natur wäre Teil der menschlichen Geschichte – wäre also für den Menschen gemacht, bis hin zum Weltraum, von dem aus jenes Foto der Erde gemacht wurde. Die Position der Wissenschaft ist aber vielmehr, dass das Leben kontingent ist, und dass man einen Sinn darin nicht entdecken, bestenfalls nur erfinden kann: Wir versuchen lediglich, unsere Existenz notwendig erscheinen zu lassen und die Natur in den Mythos der Mythen zu integrieren, der die Menschheitsgeschichte nun einmal ist, während das wissenschaftliche Wissen alle Sicherheit zersetzt, indem es die Nicht-Notwendigkeit der Menschheit beweist, ihre unausweichliche „Kontingenz“. Aber ist nicht die Wissenschaft selbst ein Mythos?

Dieser Gedanke von Monod führt uns seinerseits zur Idee der Entmythisierung, zum Versuch, das Christentum aus seiner religiösen Form zu befreien, und damit zu Dietrich Bonhoeffer. Er unterscheidet zunächst zwischen Religion und Christentum: Religion ist eine Flucht aus der Conditio humana, aus Sterblichkeit und Unkenntnis, aus der Kontingenz, von der Monod spricht, sie ist ein Weg zu einem Zuversicht gebenden Animismus. Die Vertreter der Religion treiben den Menschen zunächst in die Ecke, schüchtern ihn ein und zeigen ihm so seine Schwäche, seine Sterblichkeit und Unsicherheit, um ihm dann einen Weg des Heiles zu weisen – die Bekehrung zum Mythos! Die Säkularisierung besteht in den Augen der demythisierenden Theologie in einem Zeitalter, in welchem der Mensch seinen Platz in der Welt anerkennt und der religiösen Propaganda zur Antwort gibt: „Ja, ich weiß, dass ich sterblich bin, unwissend und kontingent, doch ich akzeptiere diese Situation; ich weiß, dass ich nur ein Strichlein im Kosmos bin, aber ich akzeptiere es – das Christentum muss mich überzeugen, ohne mir eine andere Welt zu versprechen.“

Religion nimmt heute neue Formen an, etwa die des Konsumismus, des Heilsversprechens endlosen Wirtschaftswachstums, der Unterhaltungsgesellschaft usw. Diese ganze riesige Zerstreuungsmaschinerie schafft neue Fluchträume aus den realen Existenzbedingungen und bringt so neue Formen von Religion hervor.

Die Konservativen unserer Tage bieten einen leichten Weg aus dieser entzauberten Welt – es ist der Weg der amerikanischen Neocons und von Papst Ratzinger. Sie raten uns: „Lasst uns unsere Mythen rückhaltlos verteidigen, verteidigen wir die Schöpfungsgeschichte gegen Darwin, lasst uns mit neuer Unschuld behaupten, dass unsere Werte direkt von Gott vermittelt wurden!“ Die Wende von Bushs Neocons besteht im Versuch, die Wahrheitssuche aus dem System von Werten (wieder) herauszulösen, um damit zu einer Wiederverzauberung der Welt zu kommen. Nichts anderes ist die Wende von Bush, das Versprechen einer wiederverzauberten Welt als Quelle politischer Legitimität.

Ist diese Flucht in die wiederverzauberte Welt aber überhaupt möglich, ohne sich schuldig zu machen, ohne Gewissensbisse zu haben? Stehen wir nicht unseren europäischen Werten in der Pflicht und müßten daher dem Nihilismus den Vorzug geben, diesem zwar sperrigen Gast, der aber mit dem moralischen Wert in Einklang steht, den wir der Wahrheit verleihen?

Halten wir fest: Die von Papst Ratzinger beklagte Relativierung von Werten ist positiv zu sehen, weil sie die Erkenntnis impliziert, dass alle Werte Mythen sind; und jene unter ihnen, die sich der Demythisierung, der Säkularisierung, der Relativierung widersetzen, werden zu mörderischen Mythen.

Zurück zum Planeten Erde

Über das selbe Bild, von dem Al Gore spricht, hat Jahrzehnte zuvor schon jener Philosoph nachgedacht, der unsere Deutung elektronischer Medien revolutioniert hat: Marshall McLuhan. Er schrieb: „Nach der Umkreisung des Mondes richteten die Astronauten der Apollo im Dezember 1968 eine Kamera auf die Erde. Der Eindruck auf uns Zuschauer war enorm. Wir waren gewissermaßen zur gleichen Zeit innen und außen. Wir waren gleichzeitig auf der Erde und am Mond. Unsere individuelle Wahrnehmung dieses Ereignisses gab ihm einen Sinn… Das eigentliche Ereignis fand nicht auf der Erde oder am Mond statt, sondern vielmehr in einer septischen Leere, im Spiel zwischen Rad und Achse gewissermaßen. Wir waren uns gerade erst der physisch getrennten Existenz dieser beiden Welten bewusst geworden und wir waren nach einem anfänglichen Schock dazu bereit, beide als für den Menschen möglich zu akzeptieren.“

Bei den lateinischen Dichtern, den epikureischen zumal, finden wir die Vorstellung eines leeren Raumes zwischen den Welten, wo kalte Winde wehen und nur die Götter sich zur Ruhe legen. Sie sprachen von „intermundia“. Das Foto von der Erde, von dem Al Gore im Film „The Inconvenient Truth“ spricht, hat uns in einen Raum zwischen den Welten, in ein „Intermundium“ verschlagen.

Seinen berühmteste Satz – „the medium is the message“ – hat McLuhan in den Sechziger Jahren lanciert. Damit ist gemeint, dass die wichtigste Botschaft eines Mediums oder einer Technologie in den „Verschiebungen von Proportionen, Rhythmen oder Schemen in den gesamtgesellschaftlichen menschlichen Beziehungen“ besteht. So lautet die Botschaft der elektrischen Energie etwa, dass die Wirkmächtigkeit von Faktoren wie Zeit und Raum auf die Herstellung von Unterscheidungen, Differenzen und Ausschlüssen in der menschlichen Gesellschaft stark zurückgeht, denn Raum und Zeit werden komprimiert, es kommt zu einer Gleichzeitigkeit von Räumen und Zeiten; das ist die gleiche Botschaft, die das Radio vermittelt, der Telegraf, das Telefon, das Fernsehen und heute vor allem das Internet.

Die in einem vom Weltall aufgenommenen Bild der Erde enthaltene Botschaft nenne ich „Planetarisierung“, die Tatsache also, dass wir gleichzeitig zu Bewohnern der Erde und zu Fremden auf der Erde geworden sind. Gibt es eine Möglichkeit, diese neue menschliche Lage politisch darzustellen? Welche neuen Bündnisse werden dadurch möglich gemacht, welche politischen Entscheidungen werden notwendig, welche Dringlichkeiten eingeführt?

McLuhans Tetrade

Um Medien als Botschaften begreifen zu können, hat McLuhan die Methodologie der „Tetrade“ entwickelt. Vier Fragen bilden dabei eine echte hermeneutische Theorie, die es möglich machen soll, ein Medium (eine Idee, einen Lebensstil, ein Objekt) zu begreifen. Folgende vier Fragen müssen dabei beantwortet werden:

1. Was wird potenziert, verstärkt, vermehrt und ausgedehnt? (Verstärkung)

2. Was wird veraltet, überwunden, abgelegt, überholt? (Veralten)

3. Was wird aktualisiert, zu neuem Leben erweckt, was aus der Vergangenheit wird wieder aktuell? (Wiedergewinnung)

4. Und in welche neue Entwicklung schlußendlich schlägt die vorherige Entwicklung auf ihrem Höhepunkt um? (Umkehr/Inversion)

Jedes Medium (Idee, Konzept oder Lebensstil) kann als Figur betrachtet werden, die sich vor einem dunklen Grund sichtbar abhebt. Die Figur zieht Aufmerksamkeit auf sich, sie fasziniert uns und öffnet ein Feld an Möglichkeiten, die uns anziehen; der Grund, der von der Figur im Dunklen gelassen wird, besteht aus allem, was vor ihr da war und nun ihrer durchdringenden und sich aufdrängenden Energie widersteht. Das Gewicht des Grundes wirkt schlußendlich auf die Figur und verwandelt sie in etwas anderes, als sie zunächst zu sein schien. Die Prozesse der Verstärkung und Wiedergewinnung werden von McLuhan als solche Figuren konzipiert, die unsere Aufmerksamkeit erregen, während die Prozesse des Veraltens und der Umkehr Ausdruck des Gewichtes sind, mit dem der Grund auf die Figur wirkt und sie transformiert. Verständnis setzt ein „Sehen“ voraus, sowohl der erleuchteten Figur als auch des verdunkelten Grundes, der diese langfristig redimensioniert.

Nehmen wir zum Beispiel die Schreibmaschine. In einer Werbung der Firma Underwood aus den Dreißiger Jahren sieht man ein Fräulein, das sich lächelnd über die Tastatur beugt und darauf wartet, die Worte ihres eleganten Chefs zu vervielfältigen, und durch das Fenster sind die emporragenden Wolkenkratzer von New York City zu sehen.

Versuchen wir die Schreibmaschine als Botschaft zu lesen! Sie vervielfältigt 1. Texte und Dokumente, in denen das Gesagte festgehalten wird, und verstärkt die Vereinheitlichung von Schrift (Verstärkung); 2. erneuert sie die Überlegenheit des Schöpfers gegenüber dem Abschreiber, des Chefs gegenüber der Schreibkraft, des Originals gegenüber der Kopie, des Mannes – Diktierer der Frau – gegenüber der „Wiedergeberin“ des Diktats (Wiedergewinnung); sie läßt 3. den Menschen als Schreiber und Kalligraphen, sie lässt Manuskripte als überwunden erscheinen (Veralten); und schlussendlich schlägt sie in Bürokratie um, in Aktenberge, in Kafkas Prozeß, in die Seiten der Archive, die sich in Kellern türmen, in die papiernen Obsessionen der Bürokratie (Umkehr). Die Schreibmaschine war aber auch das effizienteste Mittel zur Emanzipation der weiblichen Massen in den Industriemetropolen, so sehr sie zunächst nur als eine moderne Variante der Diskriminierung erschien – die Frau, verdammt dazu, die Worte des männlichen Chefs zu multiplizieren, in der stillen Hoffnung, einst von ihm geheiratet zu werden.

Doch auch New York, das in der gegenständlichen Werbung durch das Fenster hereinlugt, ist eine Botschaft für sich selbst. Sie handelt von der modernen Urbanität, sie ist ein „signal of modern transcendence“, wo es nur zwei reale Zukunftssorgen gibt, wie wir von Woody Allen wissen: „Wie lange ist geöffnet und wie komme ich da hin?“ Die radikale Urbanität von N.Y. City ist ihrerseits die Inversion des Mediums Aufzug, der die Vertikalität intensiviert, Stiegen veralten lässt, Hierarchien reproduziert und soziale Unterschiede, den Abstand zwischen den oberen Stockwerken, wo der Chef seiner Schreibkraft diktiert und den unteren, wo der Portier sitzt oder der sprichwörtliche namenslose Buchhalter arbeitet.

Die Planetarisierung, von der Tetrade befragt

In der zeitgenössischen Philosophie wird der Effekt der technologischen Umwälzungen auf unsere Lebenswelten in etwa mit folgender Tetrade gedeutet: Technologien verstärken die Wahlfreiheiten und befreien den Menschen von Mängeln, historischen und biologischen Einschränkungen, sie lassen das Prinzip der Jahreszeiten veralten, sie verdrängen die langsamen Zyklen von Reifung und Wachstum der Lebensformen, indem sie sie einer programmierten Beschleunigung unterwerfen, sie erneuern den Mythos des Goldenen Zeitalters, sie lassen ihn wieder aufleben in Form von Überfluß, unbeschränktem Wachstum und Wahlmöglichkeiten; die Umkehr der technisierten Zivilisation besteht aber in einer künstlich geschaffenen technologischen Umwelt, die den Menschen weitaus mehr bedroht als dies „die entfesselten Elemente der Natur“ je taten.

Die Globalisierung radikalisiert diese alten Fragen. Hier nun die radikalisierte Tetrade:

1. die Intensivierung der instrumentellen Vernunft, die schwindelerregende Steigerung der Effizienz technischer Mittel, eine „grenzenlose“ Ausdehnung und Verstärkung ihres Einflusses auf andere Menschen und die Umwelt;

2. die immer effizienteren Mittel zur Erreichung unserer Ziele lassen jene Argumente veralten, mit denen wir nicht nur ihre Verwendung begründen, sondern auch die zu erreichenden Ziele, die Werte, die den Einsatz so enormer Mittel erst legitimieren würden;

3. dieses Veralten von Werten, die in Relation zur technologischen Rationalität schlicht Mythen sind, aktualisiert und entdeckt die Disputatio wieder, ein Verständnis von Demokratie als frei von Herrschaft in der Öffentlichkeit stattfindender Dialog, das zweckfreie und allen Menschen der Erde offen stehende Symposion; in der allgemeinen Transparenz von freien und wahrhaftigen kommunikativen Möglichkeiten sollen so Zielsetzungen formuliert werden, die auf substanziell und nicht nur instrumentell rationalen Argumenten basieren, und so die Fähigkeit haben, der Anwendung so mächtiger Mittel einen Sinn zu verleihen;

4. all dies wendet sich in eine weltweite Risikogesellschaft, in der die moralische, soziale, biologische und politische Vertretbarkeit dessen, was technisch machbar ist, der Risiken dieser hochkomplexen Gesellschaft, zu einem unlösbaren Problem wird.

Genauer gesagt lässt sich behaupten, dass durch die Planetarisierung vor allem der Faktor der Externalität verstärkt wird. Mit diesem Terminus bezeichnen wir die Kosten oder Nutzen, die einem Individuum A (oder einer Gruppe von Individuen a) durch die Aktivitäten eines Individuums B (oder einer Gruppe von Individuen b) entstehen, ohne dass hierfür die Zustimmung von A (bzw. der Mitglieder der Gruppe a) eingeholt werden müsste, um die Handlungen von B (bzw. der Gruppe b) zu legitimieren. Eine Externalität ist ganz allgemein dann gegeben, wenn eine Person von jener Gruppe ausgeschlossen ist, deren Zustimmung vonnöten ist, um eine Handlung zu setzen, von deren Konsequenzen diese Person betroffen ist. Nach dieser Definition ist die planetarisierte Ökonomie in erster Linie eine auf Externalitäten basierte Ökonomie, deren Hauptfaktor in den Kosten besteht, die ein Akteur A aufbringen muß, um seine Handlungen in den Augen eines Akteurs B zu legitimieren, der im Sinne der Externalität die Folgen davon zu tragen hat.

In einer Einleitung zu seinem berühmten Buch Das Gaia-Prinzip. Die Biographie unseres Planeten schreibt James Lovelock: „Das Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung böte jenen eine triste Zukunft, die derzeit mehr von der Erde nehmen, als sie uns bieten kann.“ Er spricht die Warnung aus, dass die fortgesetzte Überbeanspruchung der Erde zukünftige Generationen zu einer „schrecklichen Bürde“ verdammen wird, nämlich zu Wächtern über die Erde zu werden. Lovelock entwirft das Szenario, dass man einst von den Verhandlungen abhängig sein wird, die von den Fraktionen und Gruppen geführt werden, in die die Menschheit sich teilt, und dass das nicht nur unsere Ernährung oder unser Zuhause betreffen wird, sondern auch das Einatmen von frischer Luft, was uns bislang als Bewohner der Erde einfach zustand.

Die Ökonomie der Externalitäten besteht vor allem in dieser neuen „Bürde“, die die Menschen zu tragen haben: sie sind zu „Wächtern des Planeten Erde“ geworden und müssen deshalb gut abgesicherte Verträge schließen, um für die Menschen auf der Erde nicht nur „die Luft zum Atmen“, sondern auch einigermaßen vereinbare Lebensbedingungen zu gewährleisten.

Welch seltsame Ökonomie! Gerade in dem Moment, in dem in der öffentlichen Wahrnehmung ein von einem Raumschiff aus aufgenommenes Bild der Erde alle anderen verdrängt, die bislang in unseren Mythen, Traditionen und Ideologien enthalten waren, wird ein verdunkelter Hintergrund sichtbar, das unbegrenzte technologische Wachstum. Dieser Grund ist die Verletzlichkeit der Biosphäre, zu der die Menschheit gehört; zum dringendsten politischen Problem wird somit die Frage nach der Wirkung menschlicher Handlungen auf jene große Mehrheit der Menschheit, die nicht zur Gruppe von Shareholdern gehört, zu jener Gruppe also, die das legale Entscheidungsrecht innehat.

Ein planetarisches Gewissen?

Al Gore sagt in dem Film, dass dieses Bild „im Bewusstsein der Menschheit explodiert“ sei – und wenige Monate später entsteht die internationale Umweltschutzbewegung. Die Verletzlichkeit des Lebens, das als Folge dieses Bildes in das Bewusstsein der Massen eingedrungen ist, hat tatsächlich zu einer neuen Solidarität zwischen den Lebewesen geführt, die aus der Erkenntnis der wechselseitigen Abhängigkeit von Bios und Logos entstand, von allen Lebensformen und der Macht des rationalen Kalküls. Die Notwendigkeit, einem ökonomischen Wachstum Grenzen zu setzen, das nur vom unersättlichen „berechnenden Logos“ getrieben wird und dem jede Solidarität fremd ist, wird zu einem zentralen politischen Anliegen. Die Solidarität mit allen Lebewesen des Planeten Erde ist ein kategorischer Imperativ, der sich aus dem Bild der Erde, das man vom All aus aufgenommen hat, ergibt. Dieser Imperativ lässt die Prinzipien „Privateigentum“ und „Markt“ veralten, ebenso wie den Wettbewerb und die Trennung der Disziplinen. Die Planetarisierung kommt über das Zeitalter „E“, des Zeitalters von Konjunktion statt Disjunktion also, von dem der Maler Kandinsky gesprochen hat; des Zeitalters der Interdisziplinarität statt Spezialisierung, fügen wir hinzu, Zwischenwelten statt Welten.

Das vom Raumschiff aus aufgenommene Bild der Erde lässt den Individualismus und den Wettbewerb um Profite und Spezialisierungen veralten, aber es erneuert den Biokommunitarismus, das Bewusstsein, einer „Lebens-Gemeinschaft“ anzugehören, einer einzigen Gemeinschaft von Lebewesen auf der Erde; es aktualisiert auch das „öffentliche Gut“, denn nur noch „rational fools“, wie Amartya Sen sie nennt, können ihren privaten Profit weiterhin auf Kosten eines so einzigartigen und radikal allgemeinen Gutes wie den Planeten Erde maximieren wollen.

Der kosmopolitische Universalismus des Zwanzigsten Jahrhunderts ging von einer Kontinuität zwischen dem Lokalen und dem Globalen aus, zwischen dem Partikulären und dem Universellen ebenso wie zwischen dem Teil und dem Ganzen; durch die Planetarisierung aber entsteht ein Netzwerk der Ungleichen, die Vorstellung von einem allgemein gültigen Wissen, das alle partikulären Wissensformen einschließt so wie ein Ganzes seine Teile, ist nunmehr völlig veraltet und von Fundamentalismen abgesehen völlig unpraktikabel geworden; Gefahr und Unsicherheit gehen nicht mehr von einem Informationsmangel aus, sondern von der substanziellen und irreduziblen Komplexität der planetarisierten Gesellschaft – die Komplexität an einem Ort zu reduzieren bedeutet immer, sie an einem anderen zu erhöhen.

Während die „Weltgeschichte“, wie sie von der Aufklärung erfunden wurde, zu einem Kosmopolitismus führte, der auf allgemein gültigen Erkenntnissen und auf universellen Werten basierte, führte die Planetarisierung zu einem multiplen Zusammenrücken der Ungleichen, das alle in die Katastrophen von allen mit hineinzieht. Unsicherheit und Risiko galten in der kosmopolitischen Gesellschaft noch als Mängel, die dem unzureichenden Wissen über das Ganze, die Totalität geschuldet waren; in der planetarischen Gesellschaft gibt es nur noch verschiedene Risken, unterschiedliche Grade von Unsicherheit, verschiedene Idiome, verschiedene Beziehungen zwischen den Teilen, verschiedene Orte und Verbindungen, nicht aber ein Wissen um die Beziehung zwischen den Teilen und dem Ganzen, zwischen den Einzelsprachen und einer Universalsprache, zwischen partikulären Gesetzen und einem Universalgesetz. Jede Erklärung, die Licht in eine Sache bringt, verzerrt und verdunkelt eine andere, jede Definition, die wir für die Realität finden, verschweigt und überlagert andere mögliche Definitionen. Die Frage kann nie nur lauten „Wer steht hinter den Dingen, die wir sehen, wer bestimmt, wie wir sie sehen?“, sondern auch: „Wer steht hinter den Dingen, die wir nicht sehen, wer bestimmt, wie wir sie nicht sehen, wer herrscht über das Nicht-Gesehene, wer braucht die Dinge, die wir nicht sehen?“

Die Solidarität mit dem Leben aktualisiert den Animismus und entdeckt den Totemismus wieder, das Body-Piercing, fernöstliche Religionen, den Buddhismus, Pantheismus, Kulturen, die dem Geist der Lebens-Gemeinschaft offener sind als das Christentum, sie lässt den Unterschied zwischen Wilden und Zivilisierten veralten und sie droht, sich in eine antihumanistisch geprägte Politik zu verkehren.

Die Inversion der Planetarisierung, des planetarischen Abstands zur Menschheitsgeschichte, besteht im impliziten Antihumanismus, den ein „neuer Nomos der Erde“ mit sich brächte, der radikale Beschränkungen der individuellen Freiheiten als „notwendig“ erscheinen ließe. Ist die Klimaveränderung wirklich menschengemacht? Wo beginnt und wo endet mein Recht zu leben, wenn alles, was ich tue, zum Schaden anderer Lebewesen auf der Erde ist?

Die Hegemonien und Machtblöcke der „ersten industriellen Moderne“ werden durch den Prozess der Planetarisierung radikal delegitimiert, da das politische Feld der gesamten industriellen Zivilisation neu definiert wird. Hier geht es um eine neue normative Prophezeiung im Sinne Max Webers: diese neue Form von Solidarität verträgt sich nicht mit der anthropozentrischen Tradition des Christentums, laut der die Spezies Homo sapiens sapiens von einem transzendenten Gott mit einer besonderen Aufgabe auf der Erde betraut worden ist, wofür ihr ein Wesen geschenkt worden sei, das sie von allen anderen Lebewesen des Planeten Erde abhebt.

Der Syllogismus, auf dem der westliche Logos gründet und der die technisch-wissenschaftliche Herrschaft über die Natur bedingt, heißt „Barbara“ und lautet so: Menschen sterben / Sokrates ist ein Mensch / Sokrates stirbt. In einer berühmten Rede hat Gregory Bateson, Autor des einflußreichen Werkes Steps toward an Ecology of the Mind, dem einen anderen Syllogismus entgegengehalten, den er „Syllogismus aus Gras“ getauft hat. Und der lautet: Gras stirbt / Menschen sterben / Menschen sind Gras.

Der Mensch ist in der Tat an die Gesamtheit des Lebenden gebunden, weshalb der Tod der Natur auch sein Tod ist. Der Syllogismus bringt den postmodernen kategorischen Imperativ zum Ausdruck: indem uns der Tod mit dem Gras verbindet, werden wir unserer Verantwortung für das gemeinsame Schicksal des Lebenden gemahnt, an die Pflicht, unser Handeln nach dem Respekt vor diesem gemeinsamen Schicksal auszurichten. Durch diesen Imperativ werden bestimmte Formen der Tierhaltung wie Hühnerbatterien oder industrielle Schlachthöfe moralisch inakzeptabel, weil sie das Leben als solches mit Füßen treten. So groß kann der Unterschied zwischen Mensch und Huhn nicht sein, als dass diese totale Gleichgültigkeit dem Leiden und der Erniedrigung nicht-menschlichen Lebens gegenüber gerechtfertigt werden könnte, wie sie für solche Formen von Tierhaltung gang und gäbe ist. Das ist das neue Fundament der Politik des Dritten Jahrtausends.

Erstmals in der Menschheitsgeschichte muß nun der Demos des Planeten Erde über den Bios entscheiden, über die eigene kollektive biologische Verfasstheit. Die Möglichkeit, Lebewesen in ihrer Gesamtheit genetisch zu manipulieren, verpflichtet diesen Demos der Erde dazu, sich eine Verfassung zu geben, in der die genetischen Informationen explizit zu den Menschenrechten gerechnet werden. Damit ist mehr als nur eine allgemeine politische Willensbekundung zum Schutz der Natur gemeint; es geht um die Notwendigkeit, eine wissenschaftliche Formulierung zum Schutz der Gene in dieser Verfassung zu verankern.

Die politisierte Planetarisierung

Auf die Journalistenfrage, worin denn die wichtigste Aufgabe unserer Zeit bestehe, hat Gadamer einmal folgendermaßen geantwortet: es müsse die Welt der Objekte, die die Techno-Wissenschaft bereit- und unserem Willen unterstellt, wieder verbunden werden mit den grundlegenden Ordnungen unseres Seins, die nicht willkürlich und unserer Initiative ausgeliefert sind, sondern schlicht zu respektieren.

Diese Ordnungen kommen in unserer heutigen komplexen Gesellschaft im Wort „Bio-Solidarität“ zum Ausdruck: Die Macht, die dem Menschen durch den Logos (die Wissenschaft) zukommt, ist eine Bedrohung für den Bios (die Natur), zu der der Demos (politisch verstandene Völker der verschiedenen Staaten) untrennbar gehört. Dies ist der Kern der Globalisierung, und sie muss politisiert werden, weil die Politik als solche in der Gesellschaft des Spektakels gefangen ist.

Ich lehne mich hier an Slavoj Žižek an: Für ihn besteht der Kern eines „politischen Ereignisses“ (in unserem Fall das im All aufgenommene Foto der Erde) im Anspruch eines Teils der Gesellschaft, die Gesamtheit zu repräsentieren, die ganze Gesellschaft also; dieses Ansinnen, das eigene soziale Anliegen mit einer universellen Bedeutung aufzuladen, der Anspruch, für das Ganze zu stehen, kommt in dem Wort „Demos – das Volk“ zum Ausdruck. Der Ruf „Wir sind das Volk!“ heißt: „Wir vertreten die Gesellschaft und nicht diejenigen, die ihre Institutionen bilden, unsere Stimme ist die Stimme der ganzen Gesellschaft, des eigentlichen nationalen oder sogar ‚menschlichen’ Ganzen!“

In der Politik geht es immer um „einen Kurzschluß zwischen dem Universalen und dem Partikulären“, wobei das als Vertreter des Universellen auftretende Singuläre in der Lage ist, die institutionelle, von alten Hegemonien legitimierte Ordnung ins Wanken zu bringen. „Die Gleichsetzung eines Teiles mit dem Ganzen“, heißt es bei Žižek, „eines Teiles der Gesellschaft, der den ihm zugewiesenen untergeordneten Platz nicht akzeptiert, mit dem Universellen, ist das zentrale Moment der Politisierung, das in jedem großen demokratischen Ereignis ausgemacht werden kann, sei es in der Französischen Revolution (wo der Dritte Stand sich gegen Adel und Klerus mit der Nation identifizierte) oder in der Entmachtung des europäischen Ex-Sozialismus (wo sich die Dissidentenforen gegen die Parteinomenklatur zu Vertretern der gesamten Gesellschaft erklärten).“ Und wir können dem heute Seattle, Port Alegre usw. hinzufügen.

Politik und Demokratie sind in dem Sinne gleichbedeutend, als die Demokratie ein System ist, das die „untergeordneten Teile“ dazu ermuntert, das Ganze zu vertreten, die ganze Gesellschaft also; daraus ergibt sich, dass es immer schon das primäre Ziel von antidemokratischer Politik war, die Menschen zu ent-politisieren.

Die Planetarisierung zu politisieren bedeutet, den Anspruch zu erheben, auf Grundlage der Bio-Solidarität für ein neues Ganzes zu sprechen, für die gesamte Gesellschaft. In diesen ersten Jahren des neuen Jahrtausends entscheidet sich, welches die Wege sind, die zur Politisierung des entpolitisierten Kernes der Globalisierung führen.

Übersetzung aus dem Italienischen: Ingo Lauggas

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Author

Bělohradský, Václav

Vaclav Belohradsky (Praga, 14 gennaio