Gang über die Dünen

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Publisher: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
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Publication Date: 23. Juni 2015
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In stock: YES
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Country: Austria
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Kateřina Rudčenková
Gedichte aus dem Band „Gang über die Dünen“ [Chůze po dunách. Prag * fra 2013)

blaue landschaft

diese landschaft ist erwärmend
mit weichem pelzchen bewachsene hänge
gehst du an ihnen barfuß durch waldesdickicht zurück:
erwachsensein
gehst du durch waldesgekitzel zurück:
die kindheit
reflexe auf dem meer auf dem meer
und die geburtshoffnung schneeweißer segel
die abhängigkeit von der unabhängigkeit
die dir mit der zeit die kehle die hände den körper zur unbeweglichkeit
zusammenschnürte
gehst du zurück durch die aorta in der vagina
jemand trifft dort auf das heiße fichtennadelbad
zur Fruchtabtreibung
jemand sehnsuchtsvolles warten auf irgendjemand
wer es niemals werden wird
gehst du zurück auf einem engen himmelblauen weg:
zwischen dunkelgrünen fichten in dunkelgrüner finsternis
zurück ins leben in dem du eine tanne warst
eine ulme warst
du gehst in der gegenrichtung deinen weg
suchst den punkt an dem alles zunichte wurde
suchst dich selbst
voller funken stiebenden segensreichen bluts
du gehst zurück auf dem moosboden mit dunkelblauen tümpeln
am ende kommst du immer ans meer
und richtest den blick:
hinter diesem horizont müsste das alles sein

Sehnsucht nach dem orangenen Teppich, auf dem sie aufgewachsen ist

- Sehnsucht nach dem Mittwoch, nach einer jubelnden gelben Dotterblume,
nach ihr strebt sie seit dem Eiweiß des Gebärens

bei Tageslicht sich in die Form einfinden wie geregelte Zuckerln
in der Nacht sich durch Blasen in den schamlosen Himmel steigen lassen
in Tabletten des Lasters
schweben, leicht
im Mischer mit Zuckerwatte baden

das Autodrom lieben
diese Sicherheit des kleinen Autos, das nirgendwo hinfährt

Unbeachtetes Verschwinden

Die Substanz der Zeit, eine Lawine schwarzen Schnees,
in der wir hängen:
feuerrote Hagebutten in schwarzen Zweigen,
Weißwale unterm Eis.

nicht wahrnehmbares Verschwinden
während des Einschlafens und des Erwachens,
Schwinden der Leidenschaft,
dafür erhöhte Ansprüche an die Dosen des Vertrauens

und im Winkel anschwellendes Sehnen
nach immer grundsätzlicherem Ausklingen des Lebens,
nach immer erhabenerer Selbstverwirklichung,
mit noch geringerer Fähigkeit und Interesse
das alles auszuführen.

***

Wie sich diese Birken in ihren Blättchen schön bemühen.

Ich gehe weiter im roten

Ich gehe weiter im roten, ich weiß,
ziehe die blutige Spur hinter mir her,
in roten Kleidern heirate ich,
zweiundzwanzig mal Jungfrau,
und bis sie mich vorladen,
ich wage nicht zu toben, sondern konsequent sachlich zu sein,
tüchtig sein wie der Griff am Schubfach:
Reichtum, das scheidet schon von selbst aus.

***

Im Traum schaue ich hinab
auf einen breiten chinesischen Fluss bei frühem Tagesanbruch,
über ihm wiegen sich betäubend bannende Lampions.
Ich muss gleich darüber ein Gedicht schreiben, sag‘ ich mir,
Bevor ich aufwache,
bevor es hell wird
– solange das alles wahr sein wird.

Fremde Aquarien

An fremden Wohnungen habe ich gern, dass die geordneten /eingerichteten/ Dinge im Raum gegeben sind, ich kann sie mir nur ansehen,
wie sie verweilen.
In meiner Wohnung macht /stört/ mich das Gegenteil nervös
– die Indefinita /das Nichtendgültige/.
Wie im Leben. Die Gebrechlichkeit, Verletzlichkeit des heutigen Zustandes.
Das, dass ich theoretisch jeden Augenblick alles woandershin bewegen könnte. Meine Sachen, Kleider, Schränke und Tische sind von dem Provisorium /Provisorischen/ meines Erdendaseins durchtränkt, von meiner Unsicherheit und Sterblichkeit.
Alle fremden Aquarien akzeptiere ich unkritisch (soweit in ihnen keine kleine Kunststoffburg ist), nur mit dem eigenen kann ich mich nicht versöhnen, es erscheint mir dunkel, sein Schmutz fällt auf meinen Kopf /fällt mir aufs Haupt/,
ich bin ein Zeuge der Fische, die in ihm sterben und die ich ins Klo werfen muss,
die Blumen in ihm müssen umgruppiert, durch neue ersetzt werden, denn sie vergilben.
Doch schon viele Jahre erhalte ich es am Leben, kaufe neue Fische, heize für sie, reinige den Sand und die Steine und kann nicht damit aufhören. Übrigens, solange es nicht platzt und nicht ausläuft, werde ich mein Aquarium niemals aufgeben.

Goldener Stern

Eine Woche verbrachten wir in einer Berghütte
in einer dunklen Kammer mit Dachfenster
mit melancholisch holzverschalten Wänden,
die anstelle die Töne zu dämpfen
als Verstärker dienten.

Und so gerieten wir ungewollt mitten ins Leben
einer Familie mit vier Kindern.

Tagelang hörten wir Kinder-
Streitereien und Klagen zu,
wer wen gehauen und wer wem aufs Bett gegangen ist,
welcher Bruder welchen mit seinem Blut beträufelt hat,
den Drohungen der Mutter, dass wenn sie sich noch raufen,
es morgen kein Snowboard gibt,
den didaktischen Erklärungen ihres Vaters
(er war einer von denen, die in Sprüchen existieren),
darüber, warum und wie eine Möhre zu essen ist, dass sie nicht springt (?), o tom, proč a jak jísti mrkev, aby nezaskočila,
Regeln unzähliger Kartenspiele und Belehrungen,
wie wichtig Bildung ist,
und einhellig bedauerten wir die ganze Familie für die Zukunft,
dass sie in ihr bestehen muss,
und wir priesen unser geruhsames Leben.

Eines Abends hatten wir schon das Licht gelöscht und die Ohren verstopft
(denn wir haben einen delikaten Schlaf),
Als hinter der Wand wonniges Stöhnen der Frau ertönte.

Da jede Stimme in diesem Augenblick
ein raues Eindringen in ihre Intimität
wäre, die sie vielleicht glaubten zu haben,
wir sprachen darüber bis in der Früh:
Nahmen wir beide im Dunkeln unabhängig voneinander
die Stöpsel aus den Ohren

und hörten gespannt dem Verlauf des sehr kurzen Beischlafs zu
(der Mann muckste nicht einmal, es waren Küsse zu hören),
solange das beschleunigte Keuchen
und leichte Klopfen an unsere Wände nicht erschöpft war.

Als wir so
wenigstens zwanzig Nummern von ihnen
mit stockendem Atem ihren
Kopulationstönen, ihrem Rütteln und Schieben zuhörten,
während ihre Kinder scheinbar schliefen (wie wir),
und unsere Vorstellungskraft ihnen
wahrscheinliche Bewegungen hinzufügten,
was haben wir eigentlich erhofft zu hören?
Warum war es so wichtig bis zum Ende das anzuhören?
Und welche Antwort folgte uns daraus?

Ein nie gesehenes Feuerwerk

Du gingst nicht hinaus.
Alles war vorher
zu sehr vorhersehbar.

Du hörtest nur Donnern: verspritztest
Irgendwo außerhalb deines Blickfeldes.

Du beobachtetest den Platz mit laufenden Leuten nachts,
damit sie die Feierlichkeit noch erreichen.

Fasziniert vom Vertrauen, mit dem sie jagten
nach dem Lichtglück/ Leuchtglück
am eindeutig schwarzschwarzen Horizont.

***

Možná jsi sama to červené světlo na majáku,
co nedovolí lodím a letadlům do sebe narazit,
a ani o tom nevíš.

Možná právě ty střežíš pevninu.

Možná právě na tvém úpatí
leží v písku racčí vejce
snesené k intimní večeři.

Dost možná právě v tvé trávě
na dunách – na jediném místě světa –
hnízdí hejna vzácných ptáků.

Ustup o krok.
Tvá samota na špičce Jižního mola
má asi hlubší význam
než jen holé osamění.

Chůze po dunách

I když jsi cítila dojetí
nad prudkým odstínem zeleně,
stromů a trav a borovicového podrostu,

i když tě dojímala nostalgie dýmu toho léta,
pálené trávy a pečených ryb,

i když tě dojímaly děti,
které ještě nic netušíce o restrikcích světa
už teď skákaly
po dlaždicích jen jedné barvy,

přesto pod tím vším dojetím
zůstávalas ve zklamání chladná
jako ledová tůňka v sibiřském lese.

Otáčela ses, aby ses ujistila,
že stopy vytlačené do břehu už jsou smyty,
smyty, nebylas. Nechtělas být,
nechtěla ses už do ničeho otiskovat.

Člun

Zatímco mravenec táhl po písku do kopce
vyschlý skelet mrtvého brouka – dutý, bez hlavy,
pozorovali jsme v dálce na mořském obzoru
houpat se náš prázdný dřevěný člun.

Author

Kateřína Rudčenková

*12. April 1976 in Prag