Publisher:
Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
ISBN:
ISSN:
Publication Date:
06.08.2021
Edition:
In stock:
YES
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Country: Austria
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Mit bleichem Gesicht (für Seamus Heaney)
An der Grenze des Nichts,
oder doch am Beginn der Natur,
standen wir am Rande des Dorfes am Friedhof,
zwischen den Konturen des Frühlingsbeginns,
genau wie vor vier Jahren,
ohnmächtig,
höchstens Zeugen, doch keineswegs
Verhinderer des blinden Hasses,
der wonnevollen Ungunst –
Nicht Jammer und Greinen,
nur Schweigen und Bitternis begleiteten
den jungen Großvater.
Als sie nach anderen Unschuldigen
auch auf das Kind und den Vater schossen,
und nichts geschah,
verstand sein Körper, das Bewusstsein
wartet umsonst, Hautfarbe zählt, nicht Gerechtigkeit,
und er ergab sich –
Wir standen stumm, mit bleichem Gesicht,
über dem dumpfen Puffen des Sandbodens
erklangen abgehackt Vogelstimmen,
am hellen, weiten Himmel,
in Reih und Glied und rufend,
kamen die Wildgänse zurück nach Hause.
In einer Budapester Bank
Dir hätte sie gefallen, diese Szene
heute in der Bank, Auf den Tag genau
sind zehn Jahre zwischen uns, sagte die
Sachbearbeiterin. Ich wusste auf Anhieb
keine Antwort, Ich wünsche gute zehn Jahre,
sagte ich letztlich, während wir erledigten,
was nötig war, Und für Sie, fragte sie noch,
waren es gute zehn Jahre? Ja,
ich denke schon. Später, als ich in einer Auslage
mein Gesicht erblickte, fiel mir ein,
was ich noch hätte sagen können, dass
ich auch besser aussehen kann.
Doch sie hatte wohl ihre Gründe, warum
sie mich ansprach. Dir hätte sie gefallen,
diese Szene, hätte sie sich früher zugetragen,
nur wenige Wochen, und hätte ich sie dir erzählen können.
Das Jahr 2016
Als ich mich zwischen zwei Aufgaben
in Gesellschaft von Bäumen und Vögeln hinsetzte,
verschmolz ich mitsamt des Balkons ein wenig mit der Landschaft,
und unten hielt ein Auto mit schreiendem Motor,
und ein Typ räumte lange Zeit Werkzeug ein und aus,
schließlich setzte er sich mit einer Mini-Gasflasche
und kontrollierte mit seinem Feuerzeug, ob sie brennt –
schon beim Aus- und Einräumen der Werkzeugkästen
spürte ich im Rücken und in den sich vertiefenden
Furchen meines Gesichts, wie meine Großmutter hier säße.
Ich will noch nicht sehen, was ich seit Minuten beobachte,
ich will nicht wissen, was ich weiß, ich hoffe,
wir fliegen noch nicht in die Luft, ich kann
diesen Kaffee trinken und mich wieder an die Arbeit setzen.
Ehrliche Zeilen
Ich schuldete dem Schwesterherz
ein paar Hunderttausend Forint,
sie half mir bei den Nebenkosten aus.
Doch dann kaufte sie mir den Wagen ab,
sonst hätte ihn niemand gekauft,
und so kam ich gar zu etwas Geld.
Bei einem Gebrauchtwagen
hätte man die Arme gelinkt.
Er ist zwar jetzt bei mir,
sie fährt schließlich nicht gern,
und ich brauche ihn öfter,
nicht nur für den Weg zur Mutter.
Sie sagt, wenn ich ihn verwende,
soll ich die Steuer zahlen – doch
er läuft schließlich auf ihren Namen.
Das Problem ist, man hetzt sie gegen mich auf.
Polonius
Erledige nie etwas, das andere auch tun könnten.
Wäre dies aus jeglichem Grund doch einfacher, verschweige es.
Wenn du helfen musst, fasse es als Buße auf, steigere dich nicht hinein,
sitz die erwartete Mindestzeit ab, beschäftige dich indessen
mit deinem Telefon, und mach dich davon, sobald es geht.
Ist es nicht zu brenzlig, sogar noch früher. Dabei,
davor und danach darfst du dich bedauern, auf optionaler Basis.
Hauptsache, du bist voller souveränem Selbstvertrauen,
schließlich bist du klüger als alle. Sei dir stets bewusst,
dass dein eigener Kram wichtiger ist, und denke
nie daran, dass es in unverhofft schwierigen Lagen
anderen auch so geht. Deine Probleme sind relevanter.
Wisse stets, wer der gegebenen Sache verschrieben ist.
Schaffe für sie eine Situation, die sie zwingt,
Lösungen zu finden. Solche Menschen wirst du
selbstredend hassen, und ein wenig verachten,
doch lass sie es nicht spüren, dies wäre taktisch unklug.
Sei unerreichbar. Gib nie etwas in schriftlicher Form,
das du nicht machen kannst, willst oder das du versäumt hast
zu tun. Bitte nicht um Verzeihung. Andere irren auch:
Wir sind Menschen.
Dass du nicht
Ich stehe dazu wie zu dem Füller, den du mir gabst,
den ich immer hatte, außer wenn ich ihn verlor,
du kauftest den gleichen wieder, und nun weiß ich nicht,
wo er ist, ob er verloren ging oder noch auftaucht,
ich schinde auch mit dieser Herumräumerei nur Zeit,
zuerst mit den Büchern, dann mit den Ordnern,
Manuskripte, Dokumente, Konzepte, Briefe, Widmungen,
persönliche Zeilen von früher, Hefte voller Versprechungen
persönlicher Zeilen, von früher und aus unserer Zeit,
Ordner, Mappen im Schrank und hinter dem Regal,
jetzt auch schon hier auf dem Teppich, an der Wand in meinem Zimmer,
du hast meine Herumräumerei gehasst, lass es,
reden wir lieber, das müsstest du sagen,
und das zögere ich hinaus, ich bin nicht bereit dazu,
wie es aussieht, dass ich nicht nur darum herumschleiche,
dass ich nicht die Realität meide, dass du nicht hier bist.
Die Tatsache deines Todes
Die Tatsache deines Todes ist eine ZIP-Datei, heruntergeladen,
doch noch nicht in den entsprechenden Winkeln
meines Hirns entpackt. Ich komme dem schon näher,
wenn ich daran denke, du wirst nicht sehen,
dass ich im Schrank Ordnung schaffte,
oder dass wir aufpassen wollten, dass der Hund
dich nicht anspringt, wenn du nach Hause kommst.
Dem Hund geht es gut, er ist nur unruhig,
dabei bekommt er sein Abendessen auch,
wenn der Essensalarm abends um sieben
auf deinem im Spitalschließfach eingesperrten
Handy vergeblich klingelt. Wir kommen
hier klar, wir tun einfach so,
als würden wir deine diversen Rollen einnehmend
nur ausharren, bis du nach Hause kommst.
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