Gedichte

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Publisher: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
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Publication Date: 06.08.2021
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In stock: YES
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Country: Austria
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Minotaurus

Für Zoltán Tolvaj

 

Anders stellte ich mir das Labyrinth vor,

doch dieses genügt mir auch.

Die unterbrochenen Takte der elektronischen Musik

strömen in Fetzen an die Oberfläche

und ich kann ihnen nicht weiter widerstehen.

Auf der Straße zischeln die Raucher,

wie die Weiden, die Wachmänner

strecken sich wie die Fichten,

als wäre ich im tiefen Wald unterwegs,

und bei diesem unterweltlichen Wind

knacken die kraftloseren Äste schneller.

Drinnen, in der zuckenden, flimmernden

Dunkelheit erwartet mich etwas,

in der weichen Mühle

der verschwitzt aneinander reibenden Körper

soll ich auch verloren gehen,

und der Tag soll nicht anbrechen,

bis ich ihn mir nicht erarbeitet habe.

Ich gehe brüllen in die Nacht,

um mit meinem unartikulierten Geheul

die stumpfen Spalte der Luft zu füllen.

Ein fremdes Tier erwartet mich drinnen,

und dieses Tier bin ich,

mit ihm zusammen muss ich dann heulen,

zerzaust und schnaufend muss ich es

irgendwie überbrüllen,

sonst wird es nie ein Ende nehmen.

Die heißen Feldwege,

auf denen wir damals barfuß unterwegs waren,

das unerträgliche Zirpen der Grillen,

der faule Duft des Altwassers,

das Glühen des Basaltes des Bahndammes

werden kein Ende nehmen.

Das Zähneklappern bei der Morgendämmerung,

das Schlendern beim schwachen Lampenlicht,

das nie Ankommen,

und nie Zurückkehren

werden kein Ende nehmen.

Der Namensaufruf,

das Aufreihen nach Größe,

werden kein Ende nehmen,

die Drohungen werden kein Ende nehmen,

und das Flehen wird kein Ende nehmen.

Wenn ich nicht laut genug brülle,

werden die herbstlichen Laubfeuer nie erlöschen,

nie wird unsere Haut

den peinlichen Duft der Turnhallen ausdünsten,

und der Samengeschmack der langen Nächte

klebt sich für immer in unserem Mund fest.

Wir bleiben unvollendet,

wie ein ungelegen unterbrochener Zeichentrickfilm,

und nichts, womit wir rechneten,

werden wir zu Ende führen.

Deswegen röchelt dieses Tier drinnen,

in der warmen Einfriedung der schmelzenden Körper,

auf diesem bildschönen, stöbernden Ball,

bis zur Erschöpfung, in der graugrünen Epoche

der verpassten Möglichkeiten.

Dann nimmt es in der Garderobe

seinen Namen zurück, und geht stumm heim.

 

Mönch an der Meeresküste

Der Saum des Himmels ist ausgefranst

und jetzt im peinlichen Durcheinander

hängen zwischen uns seine zentnerschweren Fäden.

Es wird dunkel, in ihrer Scham fallen

die Horizonte zusammen, trotzdem,

alles ist wieder so weit.

 

Wo du unterwegs bist, dort ist es am schwierigsten,

das ist das, was, ich natürlich, nicht weiß,

aber nicht sagen darf man es auch nicht,

nicht verschweigen auch nicht,

trotzdem, worauf öffnet sich dann

das Fenster des Verneinens, deine  Augen?

 

Worauf blickst du von dort,

weswegen es sich lohnt das Wort

an die Wellen, die Sandbänke,

die Dunstwolken, die Langeweile,

den Kummer, die Flucht,

an die Sehnsucht der Knochen und der Haut weiterzugeben?

 

Die verliebten Tiere fressen sich auf,

aber was sollen wir mit uns anfangen,

wir die nicht verliebt sind,

und kauen vergebens den ganzen Tag über

den Körper der Pflanzen wie die Ungeziefer,

werden wir immer hungriger?

 

Wenn ich mit dir sprechen könnte, würde ich nicht

mit dir sprechen, aber so,

dass es nicht geht, als hätte ich etwas

zu sagen, weil die Wut kein

schlechter Ratgeber ist, die Scham auch kein schlechter

Ratgeber ist, aber das Schweigen schon.

 

Und du fällst mir ein, es wird regnen,

ich blicke auf den ausgefransten Saum des Himmels,

dass er über das Meer reißen scheint,

und ich ermutige ihn, loszulassen,

nicht mehr festzuhalten,

runterzufallen, auf uns, zu fallen.

 

Segel des Aprils

Segel des Aprils

euer Wehen weckte mich erneut

schutzlos, wie einer, der eine ganze

Epoche verschlief,

obwohl er sich nur auf dem kalten Küchenboden

gerade aufrappelt.

 

Alles ist vertraut, und alles ist alt,

das Licht bereitet sich vor, über die Bäume zu zerfließen,

Segel des Aprils,

unter eurem weißen Zittern fand mich

diese etwas verbrauchte Zukunft,

ich soll weitermachen, sagten sie, wenn es mir gefällt, von hier.

 

Und ich, als würde ich einem entrückten

Vertrauten hinterherrennen,

nehme ich seitdem zweierweise die Stufen der Zeit,

und das Klatschen eures höhnischen Klapperns

widerhallt hier ständig um mich herum,

Segel des Aprils, weil ich sie nie einhole.

 

1990

Die frische Luft, natürlich,

aber trotzdem ist das überreife Stöhnen,

ausbrechend aus dem Linoleumbelag

der desinfizierten Zimmer des Bergsanatoriums,

unvergesslicher.

 

Warterei auf einem Balkon

auf den Wald blickend, dass sich

endlich etwas rührt.

Kaltes Lampenlicht zwischen

den starren Ästen der Immergrünen.

 

Dann das Abendspiel

um die in der Mitte des Restaurants

gestellten Stühle herum,

und der salzige Geschmack der unerwarteten Niederlage,

wie eine missverstandene Offenbarung,

denn wer einmal stehen blieb,

kann sich nicht wieder hinsetzen,

aber alleine wird letztendlich, wer sitzt.

 

Das Mädchen

Nachdem die Frauen verschwanden,

und auch die Gliedmaßen der Kinder,

die aus den von ihnen geschobenen Kinderwagen,

aus den wenigsten erwarteten Spalten raushingen,

nachdem die Läufer

ihre Zusatzrunden beendeten,

die Schatten des Parks

dich aber noch immer nicht

ganz einsperrten,

spürtest du,

dass du nicht alleine bist.

Und erkanntest sofort,

als das Mädchen mit dem Wasserkopf

vorsichtig aus dem Schutz

des Wacholderbusches heraustritt,

dessen verwaistes Skelett

du gerade an diesem Tag

im Narrenturm

ansahst.

Was machst du denn hier,

fragtest du verschreckt,

und dann seid ihr

nebeneinander

auf dem ganzen Heimweg

wortlos gegangen.

 

Die Teilerei

Drinnen der schön gepflegte Friedhofsgarten

der leichtsinnig verpassten Möglichkeiten,

du schaffst es nicht weit genug

von ihm wegzukommen,

schleppst ihn lieber

von einem Mietshaus

zum nächsten mit,

wie ein Leierer,

der sich nicht mehr für das vom Gang

heruntergeworfene Kleingeld interessiert,

man lasse ihn nur

sein giftiges Lied in immer mehr

widerhallenden Nisthöhlen

hereinbrüllen,

denn wir alle kauen

das braune Fleisch

der verreckten Zeit,

und glauben, dass

was wir runterschluckten,

uns gehört,

dabei kommt erst jetzt nur

die Teilerei.

 

Streifzug

Wir hätten dort bleiben sollen,

gemütlich angelehnt am

Rand des mit Unkraut bewachsenen

Springbrunnens des Schlossparkes.

 

Wir hätten dort bleiben sollen,

zusammen bei der langsamen Abenddämmerung

im Schutz des immer wachsenden Laubes

doch du warst nirgendwo.

 

Und vergebens rannte ich von einem Busch

zum nächsten, vergebens zog ich auseinander die feuchten

Äste, beim süßen Laubgeruch des Verfalls

nichts erinnerte sich an uns.

 

Und in der Tiefe kam zu Wort

der unerträgliche Lärm,

als wäre ein ganzes Zigeunerlager

plötzlich losgegangen,

 

Blechtöpfe bummernd

und mit Kopfstimme brüllend gegen die Verderbnis,

dass wir morgen nicht mehr hier sein werden,

morgen werden wir auch nicht hier sein.

 

Dann reihte ich mich in diesen Streifzug ein,

aber der auf die Lichtung der auflösenden Zeit getragene

Abfall fing auf einmal an ein Lied zu singen,

und der stumpfe Klang verstörte uns alle.

 

Die Pferde hielten inne wie die Bäume,

um uns herum verkrampften die Zweige,

und wie aus einem schlecht festgehaltenen Emailtopf,

schwappte das Blut des Nachmittags auf alles.

 

Zurück

Bevor wir mit dem Abendmahl beginnen könnten,

nimmt es vor uns das Messer und die Gabel,

stapelt die Porzellanteller aufeinander

und sperrt sie in den Schrank zurück,

zieht den Pelz von unserem Leben ab,

trennt das Mehl und das Ei,

den Semmelbrösel und das Fleisch,

lässt die Lymphe zurück zwischen den Fasern,

gibt die Scheiben auf die nackten Knochen drauf,

spannt die Sehnen von Gelenk zu Gelenk,

baut die Glieder wieder zusammen,

gießt das Blut zurück in die Adern,

stopft die Eingeweide in die Höhlen rein,

flicht all die Nervenfaser zusammen,

legt die Zunge in den Mund, die Augen in den Schädel,

und das Herz zwischen die Rippen,

näht die Haut zurück auf den Körper,

schweißt die Wunde auf dem Brustkorb zusammen,

nimmt das große Messer aus der Hand

und wischt  gründlich das Blut ab,

dann zieht es sich in den Hintergrund zurück,

und beginnt zu beobachten, wie wir uns erneut heranmachen.

Übersetzung von Eszter Fehér

Author

Dénes Krusovszky

 

Translator

Eszter Fehér