Mehrere Leben

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Publisher: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
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Publication Date: 05.08.2021
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In stock: YES
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Country: Austria

Mehrere Leben

(Ausschnitt aus der Novelle)

 

 

Es war die Idee des Bürgermeisters (nicht des jetzigen, sondern des vorherigen), das Industriegebiet auszubauen. Nachdem die Schuhfabrik und der Schlachthof geschlossen worden waren und nur noch die Mühle in Betrieb war, suchte er nach ausländischen Investoren. In der ersten Runde meldeten sich welche aus Italien, dann auch schon aus Frankreich, Österreich und Deutschland, doch mit niemandem konnte man sich richtig einig werden, obgleich alle Wege ins Dorf, in den Mittelpunkt der Welt, führen. Der erfolglose Geschäftsabschluss spielte bei der Ablösung des Bürgermeisters freilich keine Rolle, auch wenn er allen Bewohnern des Dorfes einen Job versprochen hatte; sogar meine Mutter sagte, ich solle nicht nach Ungarn gehen, sondern lieber zu Hause in Serbien bleiben. Die Fundgrube der Möglichkeiten ist natürlich auch so endlos, der neue Bürgermeister (ein Dilettant) macht sich das auch zunutze; er lässt nichts liegen, und dabei geht ihm sein kleines Kollektiv zur Hand. Glücklicherweise unterstützt nicht bloß die Provinz die Umsetzung ihrer Ideen, ihnen stehen auch ungarische und sogar ausländische Gelder zur Verfügung. Das Industriegebiet liegt jenseits des Bahnhofs, nicht weit von uns entfernt, und überraschend wurde ausgerechnet eine ehemalige Klassenkollegin meiner älteren Schwester zur Leiterin aller mit der Fabrikanlage verbundenen Angelegenheiten.

     Wenn ich nach Ungarn reise und mein Vater mich mit dem Auto fährt, bleiben wir immer für eine kleine Rundschau neben der Anlage stehen. Das ist die Zentai-Straße. Meinem Vater zufolge sei es beruhigend, in einem Dorf zu leben, in dem man den Einwohnern zwar kein Brot, aber immerhin Zirkusspiele gibt. Und die Menschen sind tatsächlich glücklich. Ihre Gesichter strahlen vor Zufriedenheit. Die Fabrikanlage ist seit letztem Jahr als Schauplatz von Veranstaltungen in Betrieb, im April wurde hier beispielsweise das Dorffest gefeiert, und auch das Honigfest und die Jahrmärkte wurden vom Ortskern hierhin verlegt. Das Jugendcamp der Toleranz im Sommer fand großen Anklang, die Tageszeitung Magyar Szó berichtete darüber, sogar Angela Merkel kam ins Dorf zu Besuch. Beim Ausbau der internationalen Beziehungen spiele dank der ehemaligen Klassenkollegin meiner Schwester aber auch ich eine Rolle. Dem Bürgermeister (dem Dilettanten) ist die Verflechtung von volkstümlicher und urbaner Kultur wichtig, daher nahm er neben Auftritten von traditionellen Tanzgruppen und Frauenchören sowie vom lokalen Autorenzirkel (in dem ich anno übrigens auch begeistertes Mitglied war) auch Lesungen von städtischen Schriftstellern ins Programm auf.

     Ich organisierte ihm für den 13. März 2014 Autoren aus Budapest und Szeged, doch um keine Angriffsfläche zu bieten, luden wir auch zwei aus Serbien ein. Selbstverständlich fragte ich nur meine Freunde an, warum soll ich es leugnen, die Literatur ist nun einmal ein korruptes Gewerbe. Das schöne Frühlingswetter mit sechzehn Grad Außentemperatur kam dem Programm gelegen, Groß und Klein aus dem Dorf fanden sich in der Fertigungshalle des seit einiger Zeit außer Betrieb stehenden Schlachthofs im Industriegebiet ein. Meine Mutter hatte auch ihre Schüler hinbeordert, damit diese, wie sie es formulierte, echte Autoren hautnah erleben konnten. Mit der Beschallung gab es auch kein Problem, da man dank der Ausschreibungsgelder recht professionelle Verstärker hatte anschaffen können, zur größten Freude des Beschallungstechnikers (ein ehemaliger Volkschulklassenkollege von mir). Der Vorstand des lokalen Autorenzirkels begrüßte die Gäste, dann begann der Vorlesemarathon. Geplant war, dass sie vorlesen, bis ihnen die Puste ausgeht. Für den Alkoholkonsum meiner Autorenfreunde kam der Besitzer des lokalen Jagdhauses auf, da er sich auch mit Weinbau und Schnapsbrennerei beschäftigt. Da ich für gewöhnlich nur Bier trinke, kaufte der Bürgermeister (der Dilettant) eigens für mich ein halbes Dutzend Dosenbier der Marke Lav aus dem Roda-Supermarkt ein.

Die Lesungen begannen um drei Uhr Nachmittag, und es war so ausgemacht, dass wir unseren Überraschungsgast im feierlichsten Moment auf das vor den Waschzubern platzierte Podium bitten. Die englische Kotzkünstlerin war zwar nicht billig gewesen, doch der Bürgermeister (der Dilettant) hatte sich für die Idee begeistert, und außerdem war die vielfältige Nationalität der Performer für die Sicherung von ausländischen Fördermitteln von Vorteil. Ohne Frage fühlte sich Millie Brown wohl bei uns. Den Journalisten erklärte sie, sie sei nie zuvor in Serbien gewesen, doch dieses Umfeld habe eine inspirierende Wirkung auf ihre Kunst gehabt, und sie werde dieses wundervolle Land und seine freundlichen Einwohner auch in Zukunft besuchen. Ich hatte Millie übrigens vor dem Auftritt mit zu meinen Eltern genommen, obgleich meine Mutter schon im Voraus wegen ihres schlechten Englischs gebangt hatte, doch es hatte sich schnell gezeigt, dass dies der Kotzkünstlerin überhaupt nichts ausmachte.

Zwar hatten wir acht Autoren zusammengetrommelt, doch das Highlight der Lesungen war ohne Zweifel Millie. Das Publikum (Groß und Klein aus dem Dorf) war natürlich erst einmal überrascht, als das Mädel sich auf das weiße Shirt des serbischen Schriftstellerfreundes (aus Pančevo) erbrach, doch beim Dichter aus Szeged jubelte es bereits und beobachtete gar mit strahlenden Gesichtern die zappelnden, noch auf ihre Reihe wartenden Künstler. Der Bürgermeister (der Dilettant) mischte selbst die nach Kiwi schmeckende Lebensmittelfarbe in die Kuhmilch. Mein Vater beobachtete die Geschehnisse vom Ende der Halle aus, dann flüsterte er dem neben ihm stehenden Beschallungstechniker ins Ohr: Meine Tochter hat ihr Glück gemacht. Warte nur ab, bald zieht sie nach Hause.

 

*

 

Mein Schwager/Onkel (Vetter?) interessierte sich für nichts anderes als das Essen und Schmarotzen. Er war ein unsichtbarer Mensch, so lebte er sein ganzes Leben, er war weder stark noch schwach, weder klein noch groß. Das Dorf verließ er nie, und von Herzen gelacht hatte er nur einmal in seinem Leben; es war, als ihn sein Vater niederschlagen wollte, weil er die ganze Schüssel Spätzle aufgegessen hatte. Sein Vater schlug zu, verlor aber das Gleichgewicht, stieß sich den Kopf an der Wand und war sofort mausetot. Meine Mutter mochte ihn nicht, mein Vater auch nicht, meine Schwester, die gute Seele, wollte sich keine Meinung über ihn bilden, die Oma ertrug ihn, als sie noch lebte, und der Opa sprach nicht mit ihm, wenn es sich vermeiden ließ. Seine Töchter schämten sich für ihn, aber wer wäre schon stolz auf einen Tagelöhner?, rechtfertigten sie sich stets.

     Mein Schwager/Onkel hatte meine Hochzeit schon lange herbeigesehnt. Er wusste, dass wir ihn wegen der Wahrung der guten familiären Verhältnisse, aber vor allem aus Solidarität gegenüber Aranka, der älteren Schwester meiner Mutter, einladen würden, dass er würde dabei sein dürfen. Wir erwarteten zweihundertfünfzig Gäste, aus Serbien und Ungarn, Verwandte, Bekannte, ehemalige Kollegen meines Vaters vom Schlachthof, Kollegen meiner Mutter aus dem Gymnasium, meine Universitätsprofessoren und Kommilitonen, Autorenfreunde, meinen Freund, der eine Frau ist, meine Freundin Anna gemeinsam mit ihrem albanischen Chef und dessen Familie, meine einstigen Liebhaber, den Bürgermeister des Dorfes und seine kleinen Gehilfen, die ehemaligen Klassenkollegen meiner Schwester, die Nachbarn und deren Verwandtschaft, die Zöllner vom Grenzübergang bei Röszke, die Bewohner des Mietshauses in der Katona-József-Straße und die (zweihundert Kilo schwere) Familie des Bräutigams. An Geld mangelte es nicht. Der Bräutigam (ein richtiger George Clooney) finanzierte alles, er hatte zu diesem Zwecke eine IPA-Förderung gewonnen, mehrere Tausend Euro. Mein Brautkleid hatte ich allerdings von meinem eigenen Geld gekauft, glücklicherweise war ich selbst auch nicht mittellos, der ungarische Nationale Kulturfonds hatte mich ordentlich subventioniert, wobei ich sie angelogen hatte, dass ich ein Buch schreibe.

     Die Familie war stolz auf mich, nach vielen Jahren mühseliger Arbeit gelang es mir endlich zu heiraten. Es war der 18. April 2015. Mein Schwager/Onkel erwachte aus schwerfälligen Träumen. Er aß den ganzen Tag nichts, wartete auf den Abend. Es ist keine Schande zu schmarotzen, sagte mein Vater; keine Frage, er war froh, dass er bei meiner Hochzeit so günstig davongekommen war. Der Neid stand meinem Schwager/Onkel ins Gesicht geschrieben, dabei hatten seine Töchter auch nicht von seinem eigenen Geld geheiratet. Die ganze Familie weiß, dass er seine Töchter angewiesen hatte, sich zurückzuziehen und mindestens vier Kinder auf die Welt zu bringen, sobald sie gut situiert waren und vermögende Ehemänner gefunden hatten. Tag für Tag danke ich dem Himmel, dass er nicht mein Vater ist.

     Die Oma erlebte meine Hochzeit nicht mehr, obwohl sie anno versprochen hatte, für die Hochzeitsgäste zu kochen. Ohne sie waren meine Eltern gezwungen, das Essen aus dem Restaurant Gurman zu bestellen, wobei an ihrer Küche nichts auszusetzen ist; sie geizten in der Fleischsuppe nicht mit dem Fleisch, in den Fleckerln nicht mit dem Topfen, und auch ihr gefülltes Kraut war göttlich.

     Mein Schwager/Onkel kam in einem Winkel zu sitzen, er stemmte den Rücken gegen die Wand und begann nach dem ganztägigen, vorsätzlichen Hungern methodisch zu essen. Ich weiß, er dachte sich, was er aufaß, konnte man ihm nicht mehr nehmen, es gehörte nur ihm. Sein Wanst erzitterte, er konnte seine Gier kaum beherrschen. Ihm war nichts zu viel, nichts zu wenig. Zuerst aß er Suppe, zwei Teller, dann Fleckerl (geschmackvoll mit Topfen, Grammeln und reichlich Fett), den Geschmack von Letzterem spürte er nicht mehr. Doch er gab nicht auf. Er wollte etwas von jeder Speise: Linsen, Pörkölt und auch gefülltes Kraut, mindestens fünfzig Stück. Es ist gratis, sagte er, doch niemand hörte ihn. Zwei Stunden lang aß er ohne Unterlass. Sein Magen protestierte bereits, als sein Messer in der mit Sauerrahm und Paprika gefüllten Krautrolle versank. Mein Schwager/Onkel, der unsichtbare Mann, sammelte seine Kraft, da er spürte, dass er vor der größten Aufgabe seines Lebens stand. Große Stücke Fleisch waren als Draufgabe zwischen die Krautrollen gelegt, und nach drei Füllungen wollte er ein solches zähes, ungares, lederartiges Fleischstück hinunterwürgen. Seine Augen quollen vor, genau wie die Adern an seinem Hals: Heldenhaft kämpfte er gegen das in seinem Rachen stecken gebliebene Fleisch. Verrecke, du Hund!, dachte er, während er von der Bank kippte.

     Am Tisch bemerkte niemand sein Fehlen. Das Reinigungspersonal fand ihn am nächsten Tag. Er war gestorben wie ein Hund, mit siebenundsechzig Jahren. Er hatte uns nicht die Haare vom Kopf gefressen. Im Dorf wurde tagelang darüber gesprochen, was für eine wunderschöne Hochzeit die Bencsiks, diese lieben Eltern, ihrer Tochter ausgerichtet hatten.

 

*

 

Meine Gesundheit war gefährdet, also reiste ich nach Hause nach Serbien. Meine Mutter freute sich am meisten, sie hatte mich davor nur selten zu Gesicht bekommen, ich fehlte ihr. Der Rest der Familie wirkte auch begeistert, der Opa stellte zufrieden fest, dass ich noch immer blond bin, meine Schwester überhäufte mich morgens mit Küsschen, allein im Gesicht meines Vaters sah ich, dass er wusste, ich war reif für den Tod. Ich wollte nicht in das Mädchenzimmer gehen, dabei hatte meine Mutter es für meine Ankunft ordentlich geputzt, drei Tage lang machte sie nichts anderes als lüften, staubsaugen, schrubben und wischen, sagte mein Vater. Da sah ich im Gesicht meiner Mutter, dass die Angst sie überkam. Ich überquerte nicht einmal die Türschwelle des Hauses, sondern wandte mich sofort Richtung Hinterhof. Der Stall stand schon lange leer, bis auf das ausklappbare Bett, das mein Vater hineingestellt hatte, und in dem er seit dem Tod meiner Oma einen beträchtlichen Teil seiner Tage verbrachte. Jedem Wesen, so schien es mir, müssten mehrere andere Leben vergönnt sein. Mein Vater wusste nicht, was er tat: Er war ein Schwein. Und seine Tochter war gekommen, um das zweite zu sein. Es war der 31. Oktober 2014.

     Den Stall hatte noch der Opa gebaut, und zwar so groß, dass mindestens neun Tiere gemütlich Platz darin fanden. Von den Wänden blätterte der Putz ab, Oma hatte sie anno zugekittet und gestrichen; von ihr hatten die weiblichen Mitglieder der Familie gelernt, wie man Pferdemist, Matsch und Wasser zur richtigen Konsistenz vermischt, wie man mit dieser Masse die Ritzen füllt und mit dem Schweineschlachtmesser vom Opa die Oberfläche glatt streicht und ebnet. Auch die Schweine hatte die Oma gefüttert, die Metalltröge standen jetzt noch dort; meine Mutter hatte sie eine Zeit lang gewissenhaft geschrubbt, später war diese Aufgabe meinem Vater zugefallen. Das hatte er beschlossen, obgleich die Tat nicht das Leben ist, sondern eine Art Kraftvergeudung. Mein Vater verausgabte sich immer bei der Arbeit, er ist so ein Typ Mensch, sagte meine Mutter. Dass allen Wesen ihr Glück vom Verhängnis bestimmt wird, erkannte ich dort im leeren Stall; es war der letzte Tag im Oktober, ich legte mich zu meinem Vater auf das ausklappbare Bett. Meiner Mutter war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar geworden, dass ihre Tochter für immer nach Hause zurückgekehrt war.

     Eine Kranke zu pflegen ist keine einfache Aufgabe, vor allem, wenn es die Familie unvorbereitet trifft, doch meine Eltern gaben sich alle Mühe. Es war ein gutes Gefühl, so ausgeliefert zu sein. Tagsüber teilten mein Vater und ich uns das Bett, wir hörten Radio, er fütterte mich löffelweise mit wässriger Kleie, er wusch meinen Körper, tupfte mich erst mit feuchten, dann mit trockenen Tüchern (die aus Schlüpfern von der Oma und der gestreiften Pyjamahose vom Opa bestanden) ab, er schob die Bettpfanne unter mich. Ich war ein sechzig Kilo schweres Bündel aus Fleisch, Haut, Fett und Blut. Der Opa sagte, wie schön dein Leben ist! Wir redeten nicht darüber, aber auch unausgesprochen wussten wir, dass ich auch nachts nicht alleine war, da das Mondlicht hereinkam. Es war nicht kalt, obwohl es keinen Ofen gab, und die Tür stand immerzu sperrangelweit offen. Ich lag unter der Daunendecke von der Oma, meine Mutter schlug morgens mein Kissen auf, während mir meine Schwester, die gute Seele, den Kopf hielt. Meine Familie log, das Telefon läute unentwegt, man frage nach mir, sowohl aus Ungarn als auch aus Serbien, Verwandte, Freunde und Bekannte, meine einstigen Liebhaber, Kollegen und Autorenkameraden, doch mich interessierte das überhaupt nicht. Mich beschäftigten ausschließlich die ehemaligen Bewohner des Stalles, die Ergebnisse von mehr als zwanzig Jahren sorgfältiger Arbeit und Zucht, meine Gefährten im glücklichen Verderben. Dank der Kleie schwand mein Gewicht nicht, und auch mein Darm funktionierte gut. Zum Glück gab es nicht einmal Fliegen, denn Fliegen mag ich nicht. Mein Vater lachte viel, der Opa lächelte nur, meine Schwester kam mich fröhlich lachend mit Küsschen überhäufen, allein im Gesicht meiner Mutter sah ich, dass die Angst sie überkam. Dann dachte ich immer, dass von meinen Familienmitgliedern meine Mutter diejenige ist, die das Leben am wenigsten genießen kann, obwohl, das sagte auch meine Freundin Anna, allein der Genuss das ist, was zählt.

     Meine Schwester hatte vor, im Frühling die Wände zu verputzen und zu streichen. Dem Opa wiederum kam die Idee, mich baldmöglichst zu verheiraten, weil die Familie schon lange kein Hochzeitsfest mehr begangen hatte. Dem stimmte ich auch zu, sie verdienten es, wieder einmal ausgelassen zu feiern. Wir hatten schon immer gewusst, dass es nicht einfach sein würde, jemanden für mich zu finden, doch dank meines Vaters gelang es Ende Februar tatsächlich, die Sache zu deichseln. Der Bräutigam wog zwar etwa zweihundert Kilo, doch er sah gut aus; meine Mutter meinte, ein echter George Clooney. Er kam, und sobald er mich sah, küsste er mich auf den Mund. Meine Schwester, die gute Seele, war besorgt, was passieren würde, wenn er erkennt, dass seine künftige Braut ein Schwein ist, doch aus der warmen Geborgenheit des Stalles heraus sagte ich zu ihr, jedem Wesen müssten mehrere andere Leben vergönnt sein.

     Meine Eltern setzten die Hochzeit (auf Opas Bitte hin) auf den 18. April, den Weltamateurfunktag, 2015 fest. Meine Schwester wählte das Kleid aus, es passte zum schmutzigen Weiß der Stallwände. Mein Vater machte mit dem Priester aus, dass der Bund statt in der Kirche bei uns, in meinem bescheidenen kleinen Zuhause geschlossen werden möge. Sie waren begeistert und glücklich, konnten es kaum erwarten. Der Bräutigam ebenso, obwohl ich ihm mitgeteilt hatte, dass ich mich nicht mehr aus diesem Stall hinausbewegen würde.

     Als ich das letzte Mal auf den Mondschein traf, war ich bereits eine verheiratete Frau. Meine Eltern desinfizierten anschließend den Schweinestall und entsorgten das ausklappbare Bett, obwohl mein Vater Letzteres bedauerte, doch schließlich sah er schnell ein, dass er nach alldem den beträchtlichen Teil seiner Tage im Haus oder zwischen den im Garten blühenden Minirosen verbringen muss. Der Opa sagte, schade, dass es keine Enkel gab, meine Schwester wiederum meinte, halten wir wieder Schweine, mein verwitweter Ehemann heiratete mit der Zeit wieder, und meine Mutter überkam schließlich endgültig die Angst.

Author

Orsolya Bencsik

ORSOLYA BENCSIK, geboren 1985 in Topo

 

Translator

Ágnes Nagy

 
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