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Jiří Hajíček
Im Oktober sind schon die Schwalben nach Süden geflogen und das Wetter verändert sich über Nacht je nach dem Wind, der die Moldau in Falten legt, plissiert die Wasseroberfläche und fliegt über die Wälder weiter weg. In der Früh ging ich aus unserem Haus raus, nahm den Weg entlang des Wassers und zuerst am Ende der Ortschaft ging ich zurück auf die kaputte Straße, die hinter dem letzten Haus zum Hügel führt. Das Emailschild auf dem Haus mit der Schrift Hiesige Volksbibliothek war schon abgeblättert und hing nur auf zwei Schrauben. Durch die geöffnete Tür sah ich, dass Opa Michalek schon wartete. Er nahm es nicht auf die leichte Schulter. Das ist POLITIK, sagte er immer mit einem wichtigen Ton. Auch die Leiterin hiesiger Post war schon da und so waren wir schon alle beisammen, der Vorsitzende der Wahlkommission, der Stellvertreter des Vorsitzenden und die Schriftführerin.
„Um die Chronik, kümmerst dich, gell?“ krächzte der Opa Michálek statt dem Grüßen wie immer und ich nickte, dass ich es eh mach. Die Wahlliste mit den Namen aller wahlberechtigten Einwohner lag auf einem breiten Tisch, den wir mit dem Opa vom Gasthaus am Dorfplatz hergetragen haben. Großteils waren schon die Namen abgehackt, das waren die, die schon am Freitag zum Wählen kamen. Wir wussten, dass nicht viele heute am Samstag kommen werden. Vielleicht noch ein paar Familien von den Nachbardörfer und den Einzelhöfe, oder die, die am Samstag in die Supermärkte um Budweis herum einkaufen fahren werden, oder Leute, die in Městec arbeiten und es am Freitag nicht mehr geschafft haben oder nicht wollten, alle die könnten noch kommen. Und der Rest kommt gar nicht, weil es ihnen wurscht ist, wer sie im Senat der Tschechischen Republik vertreten wird.
Dem Opa Michálek bereitete dieser Zustand Sorgen, noch am vergangen Abend ging er durch das Dorf und agitierte auch im Gasthaus. Er zwang auch mich dazu aber ich weigerte mich. Aber es plagte den Opa, dass wir Neměřice nicht mehr beispielhafte Gemeinde werden wie früher, wenn der Wahlanteil so niedrig ausfällt.
Vormittag zog sich langsam wie ein Kaugummi, wir haben die Tür offen gelassen um auf die Straße schauen zu können. Der Wind spielte sich mit den Blättern der Vogelbeerbäume, die neben der Asphaltstraße wuchsen, die frische Luft kollidierte in der Tür mit dem modrigen Duft der Bibliothek.
Eine Weile richtete ich die Bücher in den Regalen, schrieb die Evidenznummer und machte Ordnung in der Kartothek, sehr wenige kamen in der letzten Zeit sich Bücher ausleihen, im Sommer kamen noch nur die Touristen, die am Flussufer zelteten oder Kinder aus dem Jugendlager, den sie regelmäßig im Juli aufbauten.
Ich atmete die Trauer des Herbstes und den beißenden Rauch aus den Schornsteine und Gärten. Diese Vorahnung des Winters und Durst wegen der Bangigkeit. Jede halbe Stunde trank ich lange aus der Armatur am WC, wo unter den Füßen die freigewordene Fließen quietschten. Alter gesprungener Spiegel über dem Waschbecken knickte mein Gesicht, in dem Sprung saß alter Staub, das Wasser tröpfelte auf meine Krawatte. Aus dem Raum voller Bücher hörte ich den Opa Michálek husten.
Es kamen paar Leute mit Wahlkarten in Umschlägen, Opa Michálek kontrollierte mit einem strengen Blick hinter seiner Brille die Personalausweise, obwohl er eh jeden kannte, von der Geburt und oft kannte ihre Eltern auch schon von der Geburt an, sogar kannte die Eltern der Eltern, weil er schon fast achtzig war. er trug ein graues Sakko und abgewetzte Jägerkrawatte undefinierbarer Farbe. Er war sorgfältig rasiert und das schüttere Haar hatte er schön nach hinten gekämmt und blickte pflichtbewusst in die Papiere.
Um elf herum aß ich einen Apfel und dann setzte ich mich auf einem Stuhl hinter der Wahlurne, die am kleinen Tisch mitten im Raum stand, rotes und weißes Staatssymbol strahlte in die Tür und man konnte ihm schon vom Weg sehen. An der Wand über mich hing farbiges Bild des Präsidenten, das wir gemeinsam mit Opa Michálek zur Feier des Tages rausholten. Auf der Seite hinter der Blende waren zwei Plätze für die Wähler. Ich beobachtete, wie von der feuchten Decke die Farbe abblättert und kleine Stücke auf die Wahlliste und die Glatze von Opa Michálek herunterfallen. Opa Michálek, der immer noch in die Liste der Einwohner, die noch im Dorf wohnten, und derer , die nach dem Bau des Stausees übrigblieben, vertieft war.
Und dann kamen auf einmal kurz vorm Mittag in unser Wahlräumchen drei Menschen auf einmal, die alten Navrátils und der dicke Herr Chládek aus der ehemaligen Mühle am Fluss. Ich blieb hinter der Wahlurne sitzen und ließ den Opa die drei Wähler und das Legitimieren und die Belehrung, wie sie richtig mit den Wahlkarten umgehen sollen, genießen. Dann ging das Ehepaar Navrátil hinter die Blende, Herr Chládek ging noch kurz mit der Frau Postmeisterin vor die Tür und dann passierte es.
Ich sah Táňa im letzten Augenblick in der Tür, ich erschrack ein bisschen, wie schnell sich meine Exliebe in der Tür zeigte. Sie sah im roten Pulli und im dunkelblauen Minirock echt gut aus, lange Beine in Schuhen mit massiven Stöckeln blieben für ein paar Sekunden vor dem Raum stehen.
„Ich hab gewußt, dass du da sein wirst“, sagte statt dem Gruß und sah mich dabei ein bisschen höhnisch an.
„Wie so?“
„Du warst immer so...“zögerte sie kurz.
„Wie“
„.....so staatsbildend.“
„Du bist echt dumm“
Táňa lächelte, aber sie ging nicht hinein, sie schaute sich irgendwie nachdenklich um.
„Kommst du wählen?“, fragte ich. „Ich hab dich noch nicht abgehackt.“
„Ich komme vom Autobus und gehe direkt ins Haus. Ich war nie für solche Späßchen zu haben, “ sagte sie und nickte mit dem Kopf Richtung Wahlliste und Opa Michálek.
„So, warum kommst du dann her, “ sagte ich gereizt, „entweder wirfst du uns was in die Urne oder geh dann wieder.“
„Aber ich hab nichts, weißt du, „sagte Táňa und ging langsam zu mir, „was ich in die Urne werfen könnte...“
Ihr mondäner Gang und die luxuriöse Schalle zwischen den abgegriffenen Büchern, markantes Parfeum überschlug leicht den modrigen Duft der Wände hiesiger Volksbibliothek. Die Stöckeln klapperten zu mir und Tagňa strich sich langsam und sinnlich mit ihren Händen über die Oberschenkel hinauf unter ihr Minirock, der sich auf den Seiten leicht aufkrempelte, sie spitzte ihre rot geschminkte Lippen und während dessen ging sie weiter Richtung Wahlurne und ihre Hände bewegten sich weiter auf den Oberschenkel rauf und in ihren Fingern sah ein weißes Stoff, aber mehr sah ich nicht, denn dann stand Táňa direkt vor mir und ihr unterer Körperteil blieb durch Wahlurne meinen Augen verwehrt. Und sie mit ihren Augen auf mich gerichtet, beugte sich sehr langsam und immer tiefer nach vor, dann klappten zweimal die Stöckeln, ich saß auf dem Stuhl wie zugenagelt, ich schaffte nur leise zu sagen: „Táňa sei nicht verrückt.....Du weißt, dass ich nur wenig brauch.....,“aber dann stand sie vor der Urne wieder aufgerichtet und in den Fingern der rechten Hand hielt sie weiße Unterhose, direkt über dem Schlitz der Wahlurne. In diesem Moment hörte man schwachen Aufschlag, dem Opa fiel seine Lesebrille auf die Tischplatte und er starrte dabei Táňa an, er wollte etwas sagen, aber er brachte nichts heraus, er sah wie Fisch ohne Wasser. Ich sah wieder zu ihr, sprang vom Stuhl, riss ihr den weißen Stück der Unterwäsche aus der Hand und steckte ihm ins Sakko, so dass Opa nicht sehen kann. Aber der hustelte schon und krächzte was soll diese Aktion sein, dabei schaute er erschreckt herum, Herr Chládek kam in diesem Moment von draussen zurück und die Navrátils kamen mit ihren Umschlägen von der Blende auch zurück. Táňa ging drei Schritte zurück um ihnen allen Platz zu machen, dann lachte sie, drehte sich einmal um sich herum so dass man ihre weiße Unterhose mit bunten Pünktchen sehen konnte. Und dann ging sie wie auf einem Laufsteg raus dem Wahlzimmer. Ihr Auftritt dauerte vielleicht nur ein paar Sekunden, ich lies mich auf den Stuhl fallen. Die Navrátils warfen ihre Wahlzetteln in die Urne. Auch Herr Chládek wählte und ging, Frau Postmeisterin stand immer noch draussen und rauchte und wir mit Opa Michálek blieben wieder alleine. Ich sah ihn an, er saß immer noch auf der gleichen Stelle, er drehte seinen Kopf abwechselnd zu der Tür und mir.
„Was war das?“, platzte aus ihm heraus.
Ich zuckte mit den Schultern und er sprang auf einmal auf und lief raus, er verschwand hinter der Hausecke und im Raum stand noch Duft von Tánas Parfeum, als Beweis, dass das was vorhin passierte kein Traum war. Ich griff in die Tasche meines Sakkos und ich spürte den feinen Stoff, wieder ein Beweis, dass es wahr war.
Ja, es war keine Illusion. Aber ein Wahlakt war es auch nicht, da musste ich dem Opa zustimmen. Er kam wieder zurück und warf sich auf mich, fuchtelte mit seinen Händen vor meinem Gesicht, ich ging immer Schritt für Schritt zurück bis zu der Wand, weiter ging es nicht. Opa Michálek stellte mich kurze und verwirrte Fragen.
„Was sollte es sein?“
„Ich weiß nicht, Herr Michálek...!“
„Was hat sie gemacht?“
„Ich weiß nicht, was sie gemacht hat...“
„Wo hast es?“
„Was?“
„Du hast es in der Tasche.“
„In der Tasche?“
„Was sollte es, ich habs gesehen...“
„Echt, ich weiß nicht, was sie meinen...“
„Was habt ihr getan?“ krächzte der Opa Michálek und fing mich mit seiner Ledertasche, die er vom Boden hob, zuerst über die Schulter und dann, wenn ich mich drehte, über den Rücken zu schlagen.
„Ich bin unschuldig, ich hab nichts getan, hören Sie auf....“
„So eine Schande,“schrie abgewürgt der Opa.
„Ich kann nichts dafür, ich doch...“
Ich schnappte endlich seine Hände und versuchte ihn zu beruhigen, ich brachte ihn zurück zum Tisch, er setzte sich zu seiner Wahlliste, auf der noch so viele Namen nicht abgehackt waren.
„So eine Schande...“
„Herr Michálek, es ist doch nichts passiert, machen Sie sich nicht verrückt...“
„So viele Menschen waren da und die Navrátils sind aus Řepice, die werden es herumerzählen und....“
„Niemand hat etwas gesehen“, entgegnete ich.
„Ich wollte noch Chládek fragen, aber er war schon weg.“
„was wollten Sie ihn fragen?“
„Ob er was gesehen hat...“
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Am Sonntag Vormittag hörte ich die Klinke vom Gartenpförtchen klappen, ich hob meinen Kopf vom Tich und sah kurz im Fenster Tána, ihr Kopf huschte kurz vorbei und dann verschwand sie in der Veranda. dann hörte ich sie klopfen. Tána kam hinein, ich hatte gerade am Tisch die Chronik liegen, in die in den letzten vierzig Jahren Opa Michálek alle Geschehnisse eintrug und vor ihm der verstorbene Herr Fuks. Meine erste Eintragung war gerade zwei Wochen alt, eine über das Ableben im Haus Nummer neun. Diese Eintragungen kamen immer öfters, wenn ich eine Eintragung über eine Geburt finden wollte, musste ich sehr viel Seiten zurückblättern. Ich war gerade dabei eine Eintragung über die Wahl zu stilisieren.
„Ahoj, du Aufklärer,“ sagte Tána, wenn sie mir über die Schulter schaute.
„Ahoj, holst du dir die Unterhose?“ fragte ich direkt.
„Wenns willst, kannst du sie behalten. Als Fetisch, eventuell...“lachte sie und warf sich auf das Sofa an der Wand. Wie zu Hause, dachte ich mir. Ich stand vom Tisch auf.
„Danke,“sagte ich und warf ihr mein Sakko zu, das über den Stuhl hing, „sie ist in der linken Tasche.“
„Es war echt ein guter Witz, oder?“fragte sie fröhlich.
„Hmmm....“
„No, warte mal, du selber hast gesagt, dass ich was in die Urne werfen soll, und ich hab echt nichts anderes bei mir gehabt. Und in dem Moment fiel mir es ein...“
„Kwatsch.“
„Echt, ich lüge nicht....“schwörte sie.
„Das hast es schon vorher geplant“
„Ge, stimmt nicht.Warum sollte ich?“
„Ich sah, dass du noch eine Unterhose angehabt hast, als ich diese schon in der Tasche gehabt hab....“
„Mein lieber, aber du hast nicht bemerkt, dass ich Strumpfhose anhatte? Manchmal tragen wir es eben so, noch eine Unterhose drüber, dass die Strümpfe besser sitzen, weißt du?“
„Na, gut.“
„Du bist beleidigt?“
„Wenn ich dich nicht kennen würde, dann vielleicht....Nur der Opa Michálek war deswegen wirklich erleidigt.“
Tána lachte und im Liegen rezonierte ihr Lachen tiefer, ich machte die Chronik zu, setzte mich auf den Stuhl so, dass ich Tána sehen konnte, legte meine Elbogen auf die Lehne und stützte mit den Händen meinen Kopf.
„Warum wolltest du eigentlich nicht wählen?“
„Wählen? weil es für den Hugo ist. Was bringt mir so ein Senat? Kannst du mir es erklären?“
„Senat ist die zweite Kammer des Parlaments, es ist so was wie Garantie der Demokratie,....“
„Super,das habe ich schon in der Zeitung gelesen. Mir persönlich reicht nur ein Parlament und eine Wahl. Sowieso tut in diesem Staat jeder was er will.“
„Also bist her gekommen um Haus zu lüften und Äpfel ernten?“
„Beides nicht, Pavlchen. Heute ist ein wichtiger Tag,“ sagte auf wichtig Tána.“Am Nachmittag kommt ein Käufer. Er ist bereit ein Haufen Geld für das Haus zu bezahlen und ich brauch das Kesch jetzt unbedingt. Aber zuerst will er sich alles genau anschauen. Ich warte jetzt auf nichts. Wenn ihm das Haus gefällt, schnappe ich mir den übriggebliebenen Schrank mit meinem Gewand, und ich verkaufe es samt den Garten.“
„Wenn Opa und Oma noch leben würden.....“
„Dann hätte das Haus immer noch ihnen gehört und ich könnte es nicht verkaufen, das ist sonnenklar, gell? Und fang nicht schon wieder mit deinem Gerede an, du weißt, ich mag es nicht. Da verstehen wir uns beide nicht. Du bist ein Patriot, Dorfphilosoph wie aus den Romanen von Jirásek. Und ich will wiederum in der Stadt leben, ich brauche Wohnung und die kostet was und darum brauche ich das Geld. Das ist doch watschenklar, ich weiß wirklich nicht, warum ich im Dorf bleiben sollte.“
„Also du brauchst Wohnung? Hat dich dein Taxifahrer schon rausgeschmissen?“
„Das geht dich nichts an,“sagte Tána, legte das kleine Wäschestück zusammen und steckte es in die Jeanshose, die sie trug.
„Opa Michálek schimpft deshalb mit mir, wird deshalb fast verrückt. Als wenn ich Heimatverräter wäre.“
Wahrscheinlich habe ich ihn mit diesen Worten gerufen, denn ich hörte ein leichtes Klopfen auf dem Fenster. Ich kamm auf die Veranda und wirklich da stand der Opa Michálek in seinem grünen Pulli, auf dem Kopf ein Jägerhütchen.
„Wir gehen zum Chládek, Pavel komm.“
„Nein, ich gehe nirgendwohin. Machen Sie sich doch nicht verrückt!“
„Wir müssen mit ihm reden, unauffällig, ihm fragen und so. Du weißt, dass er alles am Abend im Gasthaus rauskwatschen kann.“
„Wirklich, Herr Michálek, ich gehe nirgendwohin, mir reichte der peinliche Besuch bei den Navràtils gestern Abend.“
Er stand kurz verdutzt da.
„Da kann man nichts machen. Ich gehe halt alleine hin....“sagte er ernst.
„Wie Sie wollen...“, resignierte ich.
Opa Michálek setzte sich auf die Stufen und kratzte sich am Kinn. Ich setzte mich zu ihm und wir starrten die Holztür an, der Michálek dachte laut über das Geschehnis nach und ich wusste, dass ich es aushalten muss, weil er dann wieder gehen wird und lasst mich in Ruhe. Ich gähnte fünfzehn Minuten lang und dann ging Opa Michálek Richtung Fluss, zu der Mühle, die schon seit langer Zeit kein Rad hatte und der Wassergraben wurde schon jahrelang zugeschüttet und ohne Wasser.
Ich kam ins Zimmer zurück. Tána lag auf dem Bauch, gestützt auf dem linken Elbogen und mit der rechten Hand schrieb sie etwas in die Chronik. Ihr Pulli war aufgestülpt und man sah ihr braunes Rücken, zumindest ein Stückchen.
„Das ist nicht dein Ernst,“ sprang ich zu ihr und entriss ihr den Kugelschreiber, „ was kritzelst du da?“
„Ich kritzle nicht,“ sagte sie mit naiver Stimmen, „ich schrieb deine Eintragung über die Wahl fertig.“
„Nee, das gibts nicht!Gib sie her!“
„Keine Angst, ich hatte in der Schule immer eine Eins in Tschechisch...“
„Hör auf damit. Du kommst und verursachst immer dann ein Chaos.“
„Da hast du recht. Das sagte mir mein Chef in der alten Arbeit. Wo Sie auftauchen, Fräulein, da ist immer eine Aufregung....“ahmte Tàna eine männliche Stimme nach.
„Mich trifft der Schlag. Zeig, was hast du geschrieben?“
„Nein, zuerst wenn ich weg bin.“
„Gib her!“
„Neee“
„Hör damit auf!“
Tána lag auf dem Bauch und mit der rechten Hand hielt sie sich am Sofarand fest. Ein Augenblick kämpfte ich mit ihr und dann mit ein bischen Gewalt drehte ich sie auf die linke Seite, die Chronik lag auf der Decke unter ihr. Ich nahm sie und im Stehen und verschnauft suchte ich nervös die letzte Eintragung.
Unter meinen ersten zwei einführenden Zeilen über die Wahl, standen sechs wetere mit weiblicher Hand geschriebenen Zeilen. Kurz und zutreffend wurde das Geschehnis vor der Wahlurne beschrieben. Und statt der Unterschrift nur die Buchstaben T.H.
Ich fiel auf das Sofa neben Tána nieder, klappte das Buch zu und mit voller Kraft haute ich damit auf Tànas Popo, das in einer engen Jeans steckte. Sie schrie kurz von Schmerz auf, aber dabei vibrierte ihr Körper vom Lachen. Dann schaute sie mich still an und lächelte dabei, genau wie in dem Wahlraum, wenn sie auf mich mit den Händen auf Oberschenkel zuging. Ich rieb mir die Stirn und die Augen und nickte ich nur mit dem Kopf:
„Du bist echt nicht normal. Weißt du, was du getan hast?“
„Eine Eintragung“, sagte sie provokativ.
„Opa Michálek bringt mich um, wenn er es sieht. Du hast seine Chronik, sein Stolz geschändet!“
„No, dann reiss es aus, wenn es dir nicht gefällt...“
„Hmmmmm...Vielleicht hast du es nicht bemerkt, aber das Blatt ist auch auf der Rückseite beschrieben, noch von Michálek. Und die Seiten sind nummeriert bis zum Ende, ich kann es nicht ausreissen. Damit kann man wirklich nichts machen...“sagte ich voll verzweifelt.
„No, dann lass es drinn. Schlussendlich ist es die Wahrheit, oder? Und in den Chroniken soll die Wahrheit stehen.“
„Die Chronik wurde seit dem Jahr 1920 geführt, und ich bin der vierte Schreiber...“
„Ihr führt euch auf, Wahnsinn, ihr zwei Patrioten. Die Zeit dieses Dorfes ist sowieso schon gezählt, eine Hälfte ist überschwommen worden und die andere ist weggezogen. Es bleiben ein paar Wochenendehäuser und das war. Amen. Ihr werdet euch damit abfinden müssen,“prophezeite Tàna.
„Ach jo....Was soll ich jetzt tun? Dem Opa ist die Chronik so wichtig. Unlängst hat er mir so eine Broschüre gebracht, wie man richtig schön schreibt. Sie ist noch aus der ersten Republik. Das ich keine Schande mache als Chronikschreiber.... mit meiner hässlichen Schrift.“
„Hör auf zu jammern und komm, lass uns spazieren gehen,“gab sie mir einen leichten Klatsch auf die Schulter, „ sonst verfaulst du da noch....“
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Am Nachmittag um zwei herum klopfte mit seinem Stock auf das Fenster wieder einmal Opa Michálek, ich machte auf und beugte mich aus dem Fenster.
„Also alles ist in Ordnung,“ meldete er zufrieden,“ du hast aber ein verdammtes Glück, auch der Chládek hat gestern nichts gesehen. Die Ehre unseres Dorfes ist gerettet....“
„Da bin ich aber froh,“ sagte ich mit leiser Stimme, als werde ich meine Schuld zugeben.
„Um die Chronik, kümmerst dich?“, fragte Opa.
„Jo...“
„Nächste Woche werde ich kommen und machen wir gemeinsan die Eintragung über die Wahl.“
„Das schaffe ich schon alleine, Herr Michálek...“
„Ne, ne, ne....das ist sehr wichtiges Ding, so eine Wahl...Du wirst zuerst alles auf ein Schmierzettel schreiben, ich lese es und dann schreibst du es in die Chronik....“
Ich hatte Angst, dass der Opa die Chronik vielleicht gleich sehen will, aber er salutierte nur noch und maschierte mit seinem Jägerhütchen der Straße entlang Richtung Dorfplatz. Er wusste nichts über die Schändung der Chronik, er hatte keine Ahnung, dass Tàna durch ihr Eintrag seine diplomatische Bemühungen der letzten zwei Tage zunichte machte..... Ich atmete den Duft der Bäumen im Garten und den Duft des kalten Flusses tief ein und aus.
Am Abend kam von der Moldau die Kälte und in mein Zimmer kamen die Schatten und statt dem Licht schaltete ich den Fernseher ein, es lief eine Sondersendung über die Ergebnisse der historisch ersten Wahl ins Senat der Tschechischen Republik. Auf dem Bildschirm wechselten Zahlen und Namen, und es wurden Bilder von zwei Kandidaten, die gestern das letzte Match in der dritten Klasse in Neměřice von Billbord verfolgten. Keiner von diesen beiden Kandidaten kriegte in der ersten Runde laut der vorläufigen Ergebnisse mehr als die Hälfte der Wahlstimmen, und das hieß für unseren Wahlbezirk, dass in zwei Wochen die zweite Runde der Wahlen stattfinden wird. Die zweite Wahlrunde in diesem melancholischen Wahlmonat Oktober im Jahre 1996.
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