Nuska, Bohumil

Der Prosaiker, Dichter, Literaturhistoriker und Zeichner, Absolvent der Philosophisch-historischen Fakultät der Karls-Universität Prag, Doktor der Philosophie und Professor der Ästhetik Bohumil Noska wurde am 5. November 1932 in ?eské Bud?jovice (Budweis) geboren. Sein Leben spielte sich aber vor allem in Liberec (Reichenau) ab: im Nordböhmischen Museum Liberec fand er direkt nach seinem Studienabschluss die erste Anstellung als Kunsthistoriker und hat dort heute den Lehrstuhl für Philosophie an der Technischen Universität inne. Bohumil Noska ist Verfasser von zahlreichen wissenschaftlichen Studien, die sich in erster Linie mit der Geschichte der Buchkultur auseinandersetzen; seine Veröffentlichungen erscheinen in Fachzeitschriften sowohl in Tschechien als auch im Ausland.

Es wäre nicht richtig, Bohumil Nuska als einen Autor zu bezeichnen, in dessen literarischem Schaffen der Tod als Symbol für Lebensverfall und vorwitzige Vergänglichkeit thematisiert wird, wie es vor allem die Autoren der Romantik, des Symbolismus oder der Dekadenz in ihren zahlreichen lyrischen oder Prosatexten anstrebten. „Ich leide nicht im geringsten unter Thanatophilie, der Vorliebe für das Phänomen Tod, und noch weniger unter Nekrophilie, die ja schon eine pathologische Vorliebe für Leichen ist“, verkündet Nuska. Sein Werk vermittelt eher eine starke Vorliebe für ikonographische Todesdarstellungen: in den spätgotischen Gravierungen von Albrecht Dürer wird der Tod personalisiert, in den Holzschnitten von Hans Holbein aus der Zeit der Renaissance wirbelt er und schwingt das Tanzbein, das beginnende 20. Jahrhundert bekommt ihn in unzähligen Karikaturen des mexikanischen Zeichners José Guadalup Posada zu Gesicht. Und so weiter: der Tod taucht im Gedicht Svatební košile / Das Hochzeitshemd von Karel Jaromír Erben auf, ist in den Bildern von Felix Jenewein, den Werken von Josef Váchal oder Ladislav Klíma anwesend, er zeigt sich aber auch in Ingmar Bergmans Film Das siebte Siegel oder in der Lyrik der nun sehr zeitgenössischen Lyriker wie Ji?í H. Krchovský oder Viktorie Rybáková. Es ist vor allem jener imaginäre Totentanz (der niederländische „danse macabre“), dieser Reigen von Skeletten mit klapperndem Kiefer und rasselndem Gebein, aus dem „Frau Allherrscherrin“ („paní Vševládná“) hervorgeht, Nuskas persönliche Todes-Sublimation. Sie erscheint in verschiedenen Formen: mal ist sie ein wunderschönes, aus Nebelschwaden gewebtes Mädchen, mal eine runzelige Alte mit schmalen Lippen, in manchen Geschichten stellt sich der Tod als eine sanfte und fürsorgliche Mutter dar, in anderen wird er von einer sinnlichen Geliebten verkörpert. Die Personifizierung dieses Abstraktums kann emphatisch und grausam sein, zynisch und liebevoll mitleidig – jedes Mal aber ist die Todesfrau die Maxima et ultima, die höchste und endgültigste, ihr unverwandter Blick begleitet den Auserwählten bis ins Reich des Hades am anderen Ufer der Styx.

Eine der ersten Variationen zum Thema „Gevatterin Tod“, die „Unvermeidliche“ bzw. „Frau Allherrscherin“ hat Bohumil Nuska etwa vor einem halben Jahrhundert geschaffen. In seinem kurzen Text Rytí? a smrt / Der Ritter und der Tod, der 1958 datiert und in Nuskas Erstlingswerk Hledání uzlu / Die Suche nach dem Knoten (1967) erschienen ist, kann man bereits die Motivpfeiler erkennen, auf denen das Gewölbe von Nuskas zukünftigem Schreiben errichtet wird: Ein Ritter auf seinem Pferd betritt die Szenerie, ein physisch erschöpfter Mensch, der aber immer noch die moralische Essenz seines Zeitalters verkörpert, ein Mann fester Vorsätze und feiner Sitten. Ihm kommt die kumpelhafte Gevatterin Tod entgegen – sie schlingt ihre Arme um den Ritter und mit einem hingebungsvollen Kuss zieht sie ihn zu sich herunter. Hier ist der Keim jener für Nuskas spätes Werk signifikanten widersprüchlichen Emotionen zu spüren, die sich zwischen dem maskulinen und femininen Prinzip spannen, wir sehen einem Tanz zu, in dem der Tod – in Nuskas Fall ausschließlich in weiblicher Gestalt – um das Leben, d.h. den Mann, wirbt, wir sehen einem merkwürdigen und wundersamen Tanz an der Grenze zwischen Sadismus und Masochismus zu, zwischen dem Willen zu leben und der Unmöglichkeit, den Verlockungen und Verführungen des Todes zu widerstehen. In dieser komisch-heldenhaften Ambivalenz, dieser furchterregenden Parodie auf ein Liebesspiel – oder, wie es Nuska selbst bezeichnet, dieser Amor Mortis - wird der Ursprung einer dritten Figur sichtbar, die in Nuskas Prosa die Handlung voran treibt: der Figur des Narren, eines profanen und kernigen Charakters, eines Gauklers, dessen Kunststücke und Witze die düstere Thematik relativieren (womit auf einer imaginären Waage die Seriosität des Ritters, seine metaphysische Festigkeit und seinen Sinn für Proportionen und Ordnung ausgeglichen werden). Hier sehen wir einen der Völlerei verfallenen Dionysos, den irdischen Gott der Ekstase und der Gefühle, der gleichzeitig auch ein Märtyrer war – und somit dem ritterhaften Apollon einen Widerpart bietet. Nuskas Text Rytí? a smrt nimmt auch die heutige Uneindeutigkeit des Autors im Bezug auf das Genre vorweg: Durch das Verwischen der Grenzen zwischen künstlerischem und wissenschaftlichem Schaffen, zwischen Belletristik, Memoiren und Essay, durch seinen nahtlosen Übergang von subjektivem Ton zur in Er-Form konstruierten Fiktion scheint Nuska den ästhetischen Kanon der Postmoderne vorweggenommen zu haben.

In Tanec smrti / Der Totentanz (2002), einem schmalen Band mit acht bis auf eine Ausnahme zwischen 1985 und 2001 entstandenen Erzählungen, wird noch eine andere Triebkraft von Nuskas Schaffen sichtbar: „Als Inspiration diente der Tod konkreter Freunde...“ schickt er seiner Textsammlung voraus, in deren reale oder phantastische Visionen seine Freunde schweben - der Dichter Andrej Stankovi?, der Literaturkritiker Jan Lopatka oder der Philosoph Ji?í N?mec. Tanec smrti ist eine Sammlung von Texten, in denen sich konkrete Erinnerungen mit Phantasiebildern vermischen und private Meditationen von überpersönlichen Zeugnissen überdeckt werden. Nuskas poetische Vigilien werden in Tanec smrti von sog. Selbstzeichnungen begleitet, die „im halbbewussten Zustand entstehen, manchmal wird der Bleistift – ich zeichne immer mit Graphitbleistift, auf jedes Papier, das gerade zur Hand ist – kaum gelenkt, als ob er ganz alleine zeichnen würde“, allerdings „geht die Selbstzeichnung immer aus einem bestimmten Motiv hervor, sie hat einen Hintergrund oder eine Inspiration, sei es in einer wirklichen Geschichte, einem Ereignis, einer Empfindung oder in einem Thema, über das ich nachgedacht, in Musik, die ich gehört, im Kunstwerk, das ich gesehen habe“. Nuskas Selbstzeichnungen, ein schöpferischer Akt, der der Qualität seiner literarischen Texte in Nichts nachsteht, sind ihrer Technik und dem Sinn nach von dem Automatismus der Surrealisten weit entfernt. Neben Nuskas Bemühungen um den Genresynkretismus stellen sie ein zweites Erkennungsmerkmal von seinem Werk dar. Das dritte Merkmal ist seine Intertextualität und die immer wiederkehrende Bezugnahme auf Werke der Literatur und der bildenden Kunst, ausgehend von den für Nuska emblematischen Werken wie Dürers Ritter, Tod und Teufel oder Holbeins Totentanz über Slavná Nemesis / Berühmte Nemesis von Ladislav Klíma bis hin zu den traditionellen Darstellungen des Todes als einer alten knochigen Frau oder den Zitaten aus eigener Prosa.

In Nuskas Persönlichkeit kommt der studierte Kunsthistoriker, promovierte Philosoph und habilitierte Ästhet mit einem Schriftsteller zusammen, der einen fließenden Übergang zwischen philosophisch angehauchter Lyrik (Okamžiky / Augenblicke, 1998) und literaturhistorischer Studie (Švihova aféra a Kafk?v proces / Die Affäre von Šviha und Kafkas Prozeß, 1969) schafft, genauso mühelos meistert er auch den Übergang zwischen seiner lyrischen Prosa beziehungsweise lyrischer Landschaftsmalerei (Pta?í údolí anebo Idylka / Das Tal der Vögel oder Idylle, 2004) und seinem opulenten Romanwerk à la Ulysses von James Joyce Padraik?v zánik / Der Untergang von Padraik (1997). Milan Exner (Jind?ich N?me?ek) beschreibt ihn im Nachwort zu Tanec Smrti als eine „expressive Allegorie des Untergangs einer bestimmten Zeit und der in ihr eingeschlossenen Persönlichkeiten, die in einem absurden, wie aus Milan Uhdes Theaterstück Král Lávra / König-Bauron entliehenen Irland spielt, also im Böhmen der Normalisierungszeit“. All diese schöpferischen Ebenen finden sich in Nuskas bisherigem Opus Magnum wieder, dem in Hinblick auf seinen Umfang Respekt gebietenden Erzählungsband O Paní Vševládné / Frau Allherrscherin (2005), den Nuska seinem Leser schüchtern als „bloße Frucht des Grübelns über verschiedene Möglichkeiten“ und „Anstoß zum Nachdenken“ vorlegt. Auch wenn diese Früchte und Denkanstöße an manchen Stellen beinah unerträglich deskriptiv und somit statisch erscheinen mögen, ist dieses Buch voller Bewegung, voller Wanderdünen, die einerseits die ursprüngliche, durch eine liebliche Phantasie an die Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit situierte märchenhafte Stimmung an die Gegenwart, d.h. einen konkreten Zeitraum heran führen. Auf sie folgen Passagen, deren dialogische Sequenzen gekonnt an die Tradition des historischen Realismus des 19. Jahrhunderts anknüpfen, und die durch dramatische Schübe die Handlung nach vorne bringen, zu ihrer unvermeidlichen und offensichtlichen Pointe. Gleich in der einführenden Passage verändert sich die idyllische und wie Honig triefende Szenerie des königlichen Hofes auf einen Schlag in ein sadistisches Spektakel, in ein Blutbad, in dem der unglücklich in die Prinzessin verliebte Hofnarr ertrinkt. Ein anderes Mal schwenkt die lange Pilgerfahrt des Ritters durch eine ausgedehnte romantische Berglandschaft mit dunklen tiefen Wäldern und Schluchten unversehens in einen im Voraus verlorenen Kampf mit einem Phantom - in einen Tanz, in dem sich die Liebe mit dem Tod vereint und der Eros den Thanatos umarmt. Als drittes Beispiel sei ein ruhiger Tag in einem Dorf erwähnt, über dem ein altertümlicher hölzerner Glockenturm ragt. Plötzlich wird die Ruhe durch einen Brand gestört und gleich danach durch den sich selbst opfernden Freitod des Glöckners. Dieser ist zwar ein Narr auf Erden und ein trauriger Säufer, indem er aber die Feuerwand passiert und das andere Ufer erreicht, erreicht er eine imaginäre und zugleich reale seelische Katharsis.

Nuskas Texte folgen einer linearen und chronologischen Ordnung. Wie im wirklichen Leben steht hier von Anfang an fest, dass „jeder Mensch von Geburt an mein Zeichen auf der Stirn trägt, das Zeichen des Todes“. Nuskas Zyklus der sieben Erzählungen O Paní Vševládné verweist somit auf den sartreschen Begriff von Existenz, die der Essenz eines Menschen vorausgeht. Der Band verweist zudem auf ein elementares Bedürfnis, ja eine Notwendigkeit, die der ermattete Held, der „ehrenhafte und mutige Mann“ aus Nuskas eingangs erwähntem Wappentext Rytí?ova volba an die Adresse der zynisch grinsenden Gevatterin Tod zum Ausdruck bringt: „Ich breche dir den Hals, auch wenn es mich das Leben kostet!“ Der bitterkomische Ausklang dieses Satzes ist nur scheinbar paradox: Obwohl der Ritter deutlich sieht, dass der Tod sein grausames Spiel mit ihm treibt, nur um sich zu amüsieren, lehnt er es ab, seine Ehre kampflos zu opfern, er lehnt es ab, seinen Stolz aufzugeben und zu kapitulieren. Sein Kampf erinnert zwar an die Begegnung von Don Quijote mit den hölzernen Windmühlenflügeln, aber obwohl er dabei stirbt, ist letztendlich er der wahre Sieger, denn er hat seine Essenz verteidigt. Darin liegt auch die Grundaussage von Nuskas Werk. All seine leicht ironischen Exkursionen in die Geschichte verschiedener Hand- und Kunsthandwerke, all seine etymologischen Ausflüge zu Quellen der Sprache, all die historisch-popularisierenden Einschübe über alle möglichen Themen, antialkoholische Aufklärung inklusive – all diese „belehrenden Lektionen“ versuchen lediglich seinem Text die Schwere zu vertreiben – seinem Text, der sich zielstrebig auf seine Pointe hin bewegt. Auf eine Pointe, die nicht anders klingen darf als: Respice finem. Will sagen: Bedenke das Ende.

Bibliographie:

Hledání uzlu Mladá fronta 1967 Tschechisch

Švihova aféra a Kafk?v Proces Severo?eské nakladatelství 1969 Tschechisch

Padraik?v zánik Torst 1997 Tschechisch

Okamžiky Torst 1998 Tschechisch

Kafk?v Proces a Švihova aféra (s J. Pernesem) Barrister & Principal 2000 Tschechisch

Tanec Smrti Cherm 2002 Tschechisch

Pta?í údolí aneb Idylka Bor 2004 Tschechisch

O Paní Vševládné Petrov 2005 Tschechisch

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Herr Dr.phil. Nuska, Bohumil
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