Orphische Geste: Essay

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Publisher: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
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Publication Date: 30. Jänner 2017
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In stock: YES
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Country: Czech Republic
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I.

Es ist überhaupt die Frage, ob man heute schreiben soll? Sie wird wieder drohend neu gegen den dunklen Himmel aufgeworfen. So sieht das Unbekannte aus, dem die Angst sofort die Mundöffnung mit einem obszönen Rouge nachziehen will.

 

Schreiben? Das frage ich, der instinktiv Vertrauen in Eruption und Glauben an Gott hat?

 

 

II.

Ist aller Mystizismus besiegt? Und womit? Mit dem Auge, das sieht, wenn es niemals sieht, was genau das andere Auge sieht? Wenigstens vermittelt die Zeit uns so; die Kontinuität einer Geschichte schickt den Verdacht voraus, dass auch die wildeste Fabel zahm und keusch ist…

 

Das ist keine Aufklärungsperücke, geschweige denn eine Brille.

 

 

III.

Da es ein spätes Zeitalter ist?

 

Für einen Augenblick lehne ich wieder ab, dies zu glauben, und glaube, da ich in der Wanne, und heute brauche ich ihr Licht, ihre Wärme und ihren Schaum besonders, mit der Hand auf Papier schreiben muss und die holpernde körperliche Notiz (das unterschätzte Geheimnis der Christenheit) ermöglicht für einen Augenblick, einen Blick die Tür zu öffnen und zu warten, auch ungeachtet dessen, dass ihre Leere nur durch Warten ausgefüllt werden kann.

 

Aus der Wanne steigt Dampf…

 

 

IV.

Engagierte Dichter (Gibt es wirklich solche?) täuschen sich nicht, auch wenn sie nichts wissen.

Gott nämlich mag Kinder (auch wenn er nur die Hypothese einer dunklen Nacht wäre).

 

Heute, damit wir schreiben könnten, mitnichten für jenes rundliche und bauchige Wort Vorliebe, müssten wir noch ganz anders den Tisch der Geschichte umstürzen. Von Grund auf ohne Falschheit, befreit auch von den restlichen Impressionen, in Wahrheit verletzlich, sich jählings im Licht wenden.

 

Und das ist unvorstellbar. Gegenüber einer solchen Wende ist die Revolution nur ein Rückschrittlerin, die über das Parkett seine toten Tänzer jagt.

 

Dann würden von der Ecke des Waldes Gedichte herauskommen…

 

V.

Der faszinierende Gedanke Žižeks über die Macht der Passivität ist so radikal, dass alle revolutionäre Gewalt wenig gewalttätig ist.

Auf Papier übertragen, auch wenn Žižek ähnlich wie Lao-tse listig lügt, verschwindet sie schnell, schneller als die Buchstaben…

Ich stelle mir Domino vor…

 

VI.

Gewiss ist Schreiben der Versuch, dem geistesgestörten Frosch „Ermüdung“ zu entfliehen, der Stängel der Lebhaftigkeit in sich stopft und ekelhaft sabbert.

Eine solche Flucht verlangt eine behände Gemächlichkeit. Ein Wulst wie ein Mehlberg verbirgt auf der anderen Seite einen Graben und den Lauf in der weichen Morgensonne hinauf.

(Ich beneide die, welche mühelos und leichthin vorgeben, dass sie das Ungeheuer nicht verschlingt. Dass sie auch weiter in Efeuparadiesen flüsternd lesen und die gegenüber liegenden Gipfel bei der verlöschenden Sonne antworten.)

 

 

 

VII.

Bestimmt ist Schreiben, heute mehr als je,

unter der Voraussetzung, dass wir dieses Je wirklich kennen,

im Buch  der Gestalten das Studium der heimtückischen dummen Taktik der Vergänglichkeit.

 

Gerade jetzt will sie sich , als Japanerin geschminkt,  auf meine Seite durchdrängen, (warum sie in meinen Gedichten immer als Japanerin auftritt, habe ich bisher nicht erfahren)

und mir eine Miniaturkamera geben, die sie in der Hand wie einen wertvollen, schwarzen Käfer verbirgt, der bei wenig Phantasie wie ein Stein aussieht, dem ich einen weißen Faden umbinden würde, damit sich die Inseln des versteinerten Archipels bewegen. 

 

 

VIII.

Bestimmt ist Schreiben ein Spiel der strengen Schönheit des Lebens. Die durch die nicht beschriebene Seite erfahrene Ohn/Macht. (Ach, Kateříno, dann und wann hast du lange Haare…)

 

Diese Ohnmacht entsteht vom Sitzen, vom gekrümmten Rücken, und tauben Arschbacken, es reicht, durch das Zimmer zu gehen, sich nur zufällig umzudrehen und mit dem Auge alles, was seine Weite bewohnt, durchziehen zu lassen, um

 

 

IX.

 

Reicht es? Und wem?

 

Ich will ein Gefangener der Musik sein, in deren tonalem Bemühen sich weit die Möglichkeiten einer bisher unentdeckten Freiheit öffnen. Tempel, Orgeln, erotische Gesten und Liebesbriefe. Das sind vielleicht rein konzeptuelle Balettparaphrasen eines Wohlgeruches oder eines Atemzugs des Laufes, der uns in Besitz nimmt, wenn wir, auch wenn für ein Hundertstel eines Hundertstels, alles in Besitz nehmen und durch ein Händeklatschen die Dämmerung mit seinenUrphantomen auseinanderjagen und sich anstelle des Zwielichts die nackte scharfe Wahrheit enthüllt.    

 

 

X.

 

Ihr Illusionen!

Was habe ich euch gelobt!

 

Ihr dreht euch in meiner Hand, wenn man so sagen kann, zappelt wie lebende Fische im Netz.

Ich habe von euch genug, wenig habe ich von  euch. Und weil ich nicht an das private Eigentum glaube, 

ist unsere Verbindung lose.

 

Oder seid ihr Träume? Nur weiß ich nicht genau, wie man euch träumt…

Zu leichter Hoffnung poliere ich in der Baumkrone eine Vision,  bin wieder wie Bruno,

auch wenn man mich nicht verbrennt… 

 

  

XI.

 

Orphische Geste

Es platzt das Ei

Die Maschine ist ein Stamm.

 

Donner, du!

Man verlacht meine Liebe

Ich verlache sie selbst

 

Schreiben kann ich

Nur wenn ich aus dem Dunkel ins Dunkel  singe

 

Übersetzung©Stephan Teichgräber

Korrektur: Eva Vondalová


 

 

 

 [e2]Gemeint ist hier, ist Kindern wohlgesinnt. Vielleicht haben sie eine bessere Formulierung?

 [e3]

Author

Adam Borzič

Chefredakteur der Zeitschrift "Tvar",

 

Translator

Stephan-Immanuel Teichgräber (kurz)

Literaturwissenschaftler und Übersetz

 
Orfické gesto