Orphische Linien

Publication Data

Publisher: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
ISBN:
ISSN:
Publication Date: 30. Jänner 2017
Edition: 1. Ausgabe
In stock: YES
Email:
Country: Czech Republic
See also:

Adam Borzič

Orfické linie [Orphische Linien] Praha 2015

Wem gehört die Geschichte?

 

Ich sah Mussolini in einer Pelerine, er tanzte

und von seinem Faltensaum quoll Fischlicht.

Von dem Glanz seines Kegels wollte ich schreien:

„Wem gehört diese Geschichte?“ aber etwas wie eine schwarze Hand

das in den steilen Felsen wohnt hielt mich zurück

und ich blieb im Gehege still wie ein Kreis allein.

Was ich wusste, zerfloss. Angefroren an den Fußboden

(oder das war dunkles Moos) beobachtete ich die Spirale des Tanzes,

der Schädel in der Flut von Pastelltönen, Pendel des kosmischen Untergangs.

 

Als ich die Augen schloss, war mein Freund Jakub der Vesuv.

Wir nannten ihn Wort, aber es gab keinen Zweifel,

dass er Pompeji abwäscht, die pfirsischfrühen Wände benetzt

mit rotem Grau, beide wussten wir nämlich, dass der Mann am Tisch gegenüber 

mit einem Federzug die Sonne aus der Umlaufbahn werfen will

und über dieses unvollständige Verbrechen weint, der Vulkan ist nur ein Vorspiel

eines niemals gestillten Augenblicks. So sprangen

 

und tauchten wir in ein samtenes Loch, in das aus der

Unterwelt die blendende Stimme Aleistr Crowley’s fiel.

In der Schlinge, angezogen von einem begabten Fan von Technomusik

schliff er ägyptischen Käfern die Fühler,

erstaunlicherweise ergab das einen Haufen gläserner Läuse

und mein Freund nahm die Motorsäge

und sägte so viele Rosen ab, wie in uns hineinpassten,

bis die Schlinge platzte und der schwarze Magier in Weinen ausbrach.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ORPHISCHE GESTE: ESSAY

 

 

I.

Es ist überhaupt die Frage, ob man heute schreiben soll? Sie wird wieder drohend neu gegen den dunklen Himmel aufgeworfen. So sieht das Unbekannte aus, dem die Angst sofort die Mundöffnung mit einem obszönen Rouge nachziehen will.

 

Schreiben? Das frage ich, der instinktiv Vertrauen in Eruption und Glauben an Gott hat?

 

 

II.

Ist aller Mystizismus besiegt? Und womit? Mit dem Auge, das sieht, wenn es niemals sieht, was genau das andere Auge sieht? Wenigstens vermittelt die Zeit uns so; die Kontinuität einer Geschichte schickt den Verdacht voraus, dass auch die wildeste Fabel zahm und keusch ist…

 

Das ist keine Aufklärungsperücke, geschweige denn eine Brille.

 

 

III.

Da es ein spätes Zeitalter ist?

 

Für einen Augenblick lehne ich wieder ab, dies zu glauben, und glaube, da ich in der Wanne, und heute brauche ich ihr Licht, ihre Wärme und ihren Schaum besonders, mit der Hand auf Papier schreiben muss und die holpernde körperliche Notiz (das unterschätzte Geheimnis der Christenheit) ermöglicht für einen Augenblick, einen Blick die Tür zu öffnen und zu warten, auch ungeachtet dessen, dass ihre Leere nur durch Warten ausgefüllt werden kann.

 

Aus der Wanne steigt Dampf…

 

 

IV.

Engagierte Dichter (Gibt es wirklich solche?) täuschen sich nicht, auch wenn sie nichts wissen.

Gott nämlich wünscht Kindern (auch wenn er nur die Hypothese einer dunklen Nacht wäre).

 

Heute, damit wir schreiben könnten, mitnichten für jenes rundliche und bauchige Wort Vorliebe, müssten wir noch ganz anders den Tisch der Geschichte umstürzen. Von Grund auf ohne Falschheit, befreit auch von den restlichen Impressionen, in Wahrheit verletzlich, sich jählings im Licht wenden.

 

Und das ist unvorstellbar. Gegenüber einer solchen Wende ist die Revolution nur ein Rückschrittlerin, die über das Parkett seine toten Tänzer jagt.

 

Dann würden von der Ecke des Waldes Gedichte herauskommen…

 

V.

Der faszinierende Gedanke Žižeks über die Macht der Passivität ist so radikal, dass alle revolutionäre Gewalt wenig gewalttätig ist.

Auf Papier übertragen, auch wenn Žižek ähnlich wie Lao-tse listig lügt, verschwindet sie schnell, schneller als die Buchstaben…

Ich stelle mir Domino vor…

 

VI.

Gewiss ist Schreiben der Versuch, dem geistesgestörten Frosch „Ermüdung“ zu entfliehen, der Stängel der Lebhaftigkeit in sich stopft und ekelhaft sabbert.

Eine solche Flucht verlangt eine behände Gemächlichkeit. Ein Wulst wie ein Mehlberg verbirgt auf der anderen Seite einen Graben und den Lauf in der weichen Morgensonne hinauf.

(Ich beneide die, welche mühelos und leichthin vorgeben, dass sie das Ungeheuer nicht verschlingt. Dass sie auch weiter in Efeuparadiesen flüsternd lesen und die gegenüber liegenden Gipfel bei der verlöschenden Sonne antworten.)

 

 

 

VII.

Bestimmt ist Schreiben, heute mehr als je,

unter der Voraussetzung, dass wir dieses Je wirklich kennen,

im BUCH  der Gestalten das Studium der heimtückischen dummen Taktik der Vergänglichkeit.

 

Gerade jetzt will sie sich , als Japanerin geschminkt,  auf meine Seite durchdrängen, (warum sie in meinen Gedichten immer als Japanerin auftritt, habe ich bisher nicht erfahren)

und mir eine Miniaturkamera geben, die sie in der Hand wie einen wertvollen, schwarzen Käfer verbirgt, der bei wenig Phantasie wie ein Stein aussieht, dem ich einen weißen Faden umbinden würde, damit sich die Inseln des versteinerten Archipels bewegen. 

 

 

VIII.

Bestimmt ist Schreiben ein Spiel der strengen Schönheit des Lebens. Die durch die nicht be-schriebene Seite erfahrene Ohn/Macht. (Ach, Kateříno, dann und wann hast du lange Haare…)

 

Diese Ohnmacht entsteht vom Sitzen, vom gekrümmten Rücken, und tauben Arschbacken, es reicht, durch das Zimmer zu gehen, sich nur zufällig umzudrehen und mit dem Auge alles, was seine Weite bewohnt, durchziehen zu lassen, um

 

 

IX.

 

Reicht es? Und wem?

 

Ich will ein Gefangener der Musik sein, in deren tonalem Bemühen sich weit die Möglichkeiten einer bisher unentdeckten Freiheit öffnen. Tempel, Orgeln, erotische Gesten und Liebesbriefe. Das sind vielleicht rein konzeptuelle Balettparaphrasen eines Wohlgeruches oder eines Atemzugs des Laufes, der uns in Besitz nimmt, wenn wir, auch wenn für ein Hundertstel eines Hundertstels, alles in Besitz nehmen und durch ein Händeklatschen die Dämmerung mit seinen Urphantomen auseinanderjagen und sich anstelle des Zwielichts die nackte scharfe Wahrheit enthüllt.    

 

 

X.

 

Ihr Illusionen!

Was habe ich euch gelobt!

 

Ihr dreht euch in meiner Hand, wenn man so sagen kann, zappelt wie lebende Fische im Netz.

Ich habe von euch genug, wenig habe ich von  euch. Und weil ich nicht an das Privateigentum glaube, 

ist unsere Verbindung lose.

 

Oder seid ihr Träume? Nur weiß ich nicht genau, wie man euch träumt…

Zu leichter Hoffnung poliere ich in der Baumkrone eine Vision,  bin wieder wie Bruno,

auch wenn man mich nicht verbrennt… 

 

  

XI.

 

Orphische Geste

Es platzt das Ei

Der Bau ist ein Baum.

 

Donner, du!

Man verlacht meine Liebe

Ich verlache sie selbst

 

Schreiben kann ich

Nur wenn ich ins Dunkel aus Dunkel  singe

 

Übersetzung©Stephan Teichgräber

Korrektur: Eva Vondálová

 

Väter des Kriegsfeldes: zeugt Frieden

 

 

I.

Wir sind Väter des Kriegsfeldes Poesie

 

II.

(Im Blick in den Spiegel kann man eine Schablone, eine Attrappe, eine reine Silhouette, einen Muskelkrampf der Antimaterie beobachten…

Sei vorsichtig, flüstert mir von den Empirespitzen die Stimme des Glasfeuers zu!)

 

III.

Der Mars war nicht in der sechszackigen Konstellation. Ein Zusammenspiel der Sterne schickte die verborgene Florentina der Florentina in den verschuldeten Äther unseres alten Kontinents. Nur wenige sahen es. Nur wenige glaubten es. Der Rest schlief.

 

IV.

Die Fäden der neuen Renaissance fingen drei sprechende Delfine in der Goldschmiedgasse auf.

 

V.

Entschlossen wir uns Mythenerzähler zu sein? Entschlossen wir uns wirklich? Soweit ja, dann einzig und allein in einer undefinierbaren Biegung der Zeit begann sich vor unseren Augen der Mantel Pico della Mirandola und zwischen den schwimmenden silbernen Schalen und Weinkrügen drehte der Zauberer Philosoph die Erde wie einen Apfel und verkündete uns:

 

„Das große Wunder, Äskulap, ist der Mensch.“

 

 

VI.

Und so entfesselten wir den ozeanweiten ǀ ozeanischen Dschihad. Unsere Marinemethoden brachten das Festland in Schwingung. Ebenen erzitterten wie Mädchenhemden. Das Festland hüpfte und bat um Vergebung. Die unerbittliche Welt schrecklichster Widersprüche meldete sich durch das Donnern der Kanonen.

 

VII.

Alle kleinen Lädchen mit Trödelkram haben es nicht geschafft zu schließen.

Kleingeld zählen sie nicht mehr. Wäsche sammeln sie nicht mehr im Korb.

Die schwarze Wolle des Windes wälzte die Brandung heran und durchgeschüttelte Silben zerstoben in die Seitengassen.

Ein riesiger Hauch schwamm in diese ansehnliche Stadt. Streichholzschachteln entzündeten sich von selbst.

Heraklit goss Feuer und Wasser in der Kraterkuppel zusammen und um sein Haupt schwammen genau ausgeschnittene Wolken.

 

VIII.

Zupften wir Marx am Bart und rissen drei Haare Christi heraus?

Kann sein…

Wir brachten die Trennung. Der Tempelvorhang musste zerrissen werden

und der Himmel einstürzen.   

IX.

Der geistige ǀ geistliche Kampf ist ebenso brutal wie der Krieg.

 

X.

Stellen wir das verkehrt. Wie Christus die Welt auf den Kopf gestellt hat und es hatte diesen Kopf. (Der Schädel fing durch das Leben auf dem Schädel Feuer.)

 

XI.

Diese falsche Welt zwischen den Buchseiten. Diese schmalzlose Ruhe der geweißten Särge.  Diese sehr engen Gässchen, wohin die Murmeln der in sich eingewickelten Träume geführt wurden. Und diese Antiquitäten. Wieviel Seufzer, hier eine Pappel in Habachtstellung und dort ein Schmetterling in der Asche.

 

Wir mussten in die Feuerstelle greifen. Mit bloßer Hand wedeln, damit die Leichenasche zu wirbeln beginnt, in Spiralen in den Himmel zu steigen.

 

XII.

 

Jetzt wenn über das Kriegsfeld Alarmmelodien klingen und das Petroleum brennt, jetzt wenn die Häuser rücklings umgedreht sind und die, die sich von jeher fürchteten, Schutzwälle um die Mauern bauen, jetzt wenn die Dummköpfe nach Gesten greifen und die Gesten ihnen von selbst aus der Hand springen und das sind in Aktion angebotene Fäustchen, jetzt wenn auch schon die Unruhe der Ruhe opponiert, jetzt wenn sich die Konserven schnell  im frenetischen Fortschrittstempo selbst konservieren, jetzt wenn die Zeit entblößt, dass wir lange auf einem Minenfeld mitten im alltäglichen Krieg leben

 

- jetzt lasst uns Frieden zeugen.

 

XIII.

das große Werk

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hurenlektion der Ästhetik

 

 

I.

Mit der flachen Hand der Epoche kann man die Sonne herausschlagen, wer sagte das? Aus der Hygienestation wurde ein Bordell fremdländischer Vögel, wenn ich das so sagen darf?   

                  So… 

                  (- ach Du, Überschwemmung des Karmins mit Perlmutter, Du, dunkles tiefes Grün mit Purpur, der alles in seinen Echos verschluckt, Du, gelber Salamander mit Blau, das das Alter kennt wie den Weg in die fabelhafte Luft, Du, obszöne Rose, die ausschließlich der schwarzen Perle beischläft -)

               So…?

 

Durch welche Verordnung wird aus einer Dirne eine Jungfrau?

                                                                       Jakub Böhme   

 

II.

Es ist verboten über Schönheit zu reden.

Durch Schönheit sprechen (eilig durch den Spiegel gehen ohne Eile, in andere neue Städte –künftige, alltägliche). Verboten sind große Bögen des Begehrens. Pathos ist ein Ungeheuer, ein Halbgott, den Armeen von Ameisen das Haupt abgeschlagen haben und jetzt ihn im gelben Sand mit einem stumpfen Gerät schneiden.

 

(Mitleid ist ganz verboten

Mit Mitleid befleckt sich ein Dichter nicht.

Humanität ist graues Moos in Schulterachseln.

Visionen – ich höre im Spiegelsaal Lachsalven.

Lauf schnell Adam, Gottesmenschen suche hier nicht...)

 

III.

Ich nahm mir diese Maximen zu Herzen.

Verglich sie sorgfältig, ordnete sie in die Ordner in einem der Gänge des Labyrinths, schüttelte den Haarschopf aus und brach auf:

den Lektionen der neuen Ästhetik entgegen.

 

IV.

Meine Teure,

Euer Hinterteil duftet heute nach der Orange der untergehenden Sonne,

ich gleite mit dem Auge und dieses wird vor Rührung feucht.

Ich weiß, dass noch der schönste Tod des Tages nicht der Fülle Eurer Gestalt sekundiert.

 

Meine vergötterte Wa(h)re,

Sie liebliches Kind, wiegen heute 231 363 Schweizer Franken,

Dom Perignon Jahrgang 1971 wäscht Sie ab, und glänzende Tropfen bestreichen Ihre feuchten Lippchen, und Sie treten

die wie Bankglas polierten Fußböden nieder

für Ihre Füßchen in schlanken Pumps mit einem Steinchen,

einem schwarzen zur flüchtigen Freude

– Seele, of course.

 

Meine Edle,

Verse sind nicht nötig, obwohl mir einige von ihnen vertraut sind,

heute weckt nur Ihre Schönheit und mein Finanzozean – die Poesie auf.

 

 

V.

Von der Schönheit des materiellen Abglanzes zur reinen Idee.

Man kann noch anders von der Schönheit des Dollars sprechen.

Über seinen Glanz. (Schön sind auch der Euro, der Rubel oder der Yen…)

Unsichtbar, platonisch ist die Schönheit dieses Spiels.

Münzen sind unnötig, ihr Ton ist nur Täuschung

zum Trost später Ohren.

Nicht einmal Papier mit seinem Rascheln

(vielleicht nur händisch und seiden,

Um das vertrocknete Ohr einzupacken) …

 

Reine Abstraktion – eine Portion Zahlen

zum Verbrauch – weil dem Bedürfnis die letzte Stunde schlägt…

Reine Bewegung einer magnetisch grünen Linie, Durchblinken der Säule,

weder die Stricke des Regens noch die Annährung des Wasserfalls,

nur die Genauigkeit des Unvorstellbaren, des Inexistenten – ohne Schnörkel. 

 

 

VI.

Magie

Wunder der Wunder – eine Welt ausschließlich besessen von der Materie reift durch das schwarze Loch im Ungeheuer unendlich zu unendlich multiplizierten Formeln,

zur Zahlenachse ohne Maß ------------------------

 

VII.

 

Und die manichäischen Dünen ǀ Verschüttungen verblüffen –

Lange hundertjährige Körper ohne Körper zeugen aus dem Körper die reine Inexistenz

 

 

 

VIII.

Prostitution.

Das älteste Gewerbe – Stützrippe der Weltordnung.

(Und der Körper wurde eine Zahl.)

 

 

IX.

Ihr Priesterinnen der Liebe

Bestreut von keuschem Blattgeld

Wie ein Spritzer männlichen Frühlings

verzeiht, Eure Nacktheiten verdienen

das Paradies des Blicks

und nicht den Griesgram Savonarola 

                      

In den Schaufenstern halten barbarisch schöne Königinnen

Raubtiere am Zügel

 

 

X.

Keine Hure ist wie eine Hure

 

Übersetzung©Stephan Teichgräber

Author

Adam Borzič

Chefredakteur der Zeitschrift "Tvar",

 

Translator

Stephan-Immanuel Teichgräber

Lebenslauf

 
Orfické Linie